Dienstag, 31. Mai 2011

Maiwetter 1961: unbeständiges Heuerwetter

Der Mai 2011 brachte etwas vom ausgefallenen Aprilregen zurück. Aber auch hohe Temperaturen und Gewitter, so dass man sich bereits im Sommer wähnte. Ganz so heiss wie dieses Jahr war es im Mai vor 50 Jahren nicht. Walter Zollinger berichtet in der Jahreschronik 1961:

«Mai. Das wechselvolle Aprilwetter setzt sich in den Mai hinein noch fort, begünstigt aber, weil die Temperaturen verhältnismässig hoch stehen (8 bis 15° am Morgen, 11 bis 22° an Mittagen und 11 bis 19° an Abenden) das Wachstum und den Blühet. Darum befürchtete man, die "Eisheiligen" könnten sich rächen wollen u. Frostgefahr bringen. Sie gingen aber anständig vorüber, am 14.5. sogar nachmittags 22° warm und am Abend ein gewittriger Regenschauer. Nun wären aber unsre Bauern froh, wenn Heuerwetter käme, das Gras steht nämlich hoch und dicht genug. Aber ab 16.5. wird's eher kühler mit ziemlich heftigen Winden. Trotzdem beginnt der Heuet, sehr viele Heinzen, Böcke und anderweitige Gestelle sind vollbehangen und am 18.5. kommen die ersten Füderchen heim. Es folgen leider wieder ein paar unfreundliche Tage vom 20. bis 23.5. Wir haben sowohl daheim wie im Schulhaus --- geheizt! Der 24. Mai wie auch der folgende Tag wieder anständiges Heuerwetter, dann aber nochmals trübe und regnerisch bis zum 30.5. Auch abgekühlt hat's; 4° z.B. am Morgen des 29.5. Der letzte Mai rafft sich nochmals zu einem sonnigen Tag auf.»

Einmal abgesehen von der Witterung: die Arbeitsweise hat sich definitiv verändert. Heinzen und andere Holzgestelle zum Trocknen des Grases sieht man heutzutage nur noch im Museum. Mähen, Zetten, Wenden, Schwaden: das alles erledigt man jetzt maschinell. Und Heustöcke braucht es auch nicht mehr zwingend. Dafür sorgen Ballenpressen und Ballenwickler. Die mechanisierte Landwirtschaft hat sich bei der Grünfutterernte auf der ganzen Linie durchgesetzt. Denn Arbeitskräfte sind teuer; Maschinen und Betriebsstoffe im Vergleich dazu günstiger.

Quellen
  • Zollinger, W.: Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1961 - S. 4. [Original in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach 1961].

Samstag, 7. Mai 2011

Paintball auf öffentlichem Grund verboten

Der Entwurf zu einer neuen Polizeiverordnung der Gemeinde Weiach vom 1. Mai 2011 spricht sich in Artikel 19 klar und deutlich für ein Verbot von Softairwaffen und Paintball-Aktivitäten jeglicher Art aus. Jedenfalls was den öffentlichen Grund, also das der Gemeinde gehörende Land betrifft.

Wenn man dem oben verlinkten Wikipedia-Artikel folgt, dann ist Paintball im Kanton Zürich schon seit 2 Jahren nicht mehr bewilligungsfähig. Die Gemeinde würde also in diesem Fall lediglich die Rechtsauffassung der übergeordneten Behörden nachvollziehen.

Art. 19 PolVo-E Weiach: Schiessen

«1 Hantieren und Schiessen mit Schusswaffen jeglicher Art, auch mit so genannten Soft-Guns, Paint-Ball-Waffen und waffenähnlichen Attrappen ist auf öffentlichem Grund verboten.

2 Schiessübungen mit Pulvermunition, mit Armbrust und Sportpfeilbogen dürfen nur in Anlagen, die für diesen Zweck besonders eingerichtet sind, durchgeführt werden. Der Gemeinderat kann Ausnahmen bewilligen.

3 Luft- und Gasdruckwaffen dürfen nur auf Privatgrund verwendet werden und nur, wenn eine Gefährdung oder Belästigung Dritter ausgeschlossen ist.

4 Vorbehalten bleiben die besonderen Bestimmungen über die Schiesszeiten, die militärischen Pflichten, die Jagd und die Tätigkeit der Polizeiorgane.
»

Missverständnisse vermeiden

Der Sinn der Bestimmungen in Absatz 1 ist klar. Es soll vermieden werden, dass Unbeteiligte erschreckt werden. Und dass die uniformierte Polizei von Dritten fälschlicherweise auf Platz gerufen wird.

Deshalb stehen die Bestimmungen über Waffen und das Schiessen auch unter dem Titel «III. Schutz der Personen sowie der öffentlichen Sicherheit». Der Grundsatz von Art. 18 lit. a ist klar:

«Die öffentliche Sicherheit und Ordnung darf nicht gestört werden. Es ist insbesondere verboten: a) Personen zu belästigen, zu erschrecken oder zu gefährden;».

Dass die präzisierende Bestimmung bezüglich Waffenattrappen in Art. 19 Abs. 1 aufgenommen wurde, zeigt deutlich, wie stark mittlerweile der negative Einfluss der Agglomeration Zürich mit all ihren Sicherheitsproblemen geworden ist.

Freitag, 6. Mai 2011

Von der «guten policey» zur kommunalen Polizeiverordnung

Nach den beiden Artikeln über den Entwurf einer neuen Polizeiverordnung für die Gemeinde Weiach (WeiachBlog vom 4. Mai und 5. Mai) gehen wir heute auf die Hintergründe ein. Und stellen uns die Frage:

Wie kommt eine Gemeinde mit knapp 1000 Einwohnern überhaupt dazu, Polizeibelange in sage und schreibe 76 Artikeln (den noch zu erstellenden Anhang mit Bussenverzeichnis noch gar nicht eingerechnet) regeln zu wollen?

Gemeinde für Ortspolizei zuständig

Freiwillig macht sie das nicht. Das Gemeindegesetz (GG) vom 6. Juni 1926 verpflichtet in § 74 GG mit dem Titel «Ortspolizei» jede zürcherische Gemeinde dazu, eine Polizeiverordnung zu erlassen:

«1 Dem Gemeinderat steht neben den ihm durch andere Gesetze überwiesenen Aufgaben insbesondere die Besorgung der gesamten Ortspolizei zu. Er sorgt für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung und für die Sicherheit von Personen und Eigentum gegen Schädigungen und Gefahren jeder Art und trifft alle Vorkehren für die richtige Erfüllung der Aufgaben der Ortspolizei auf allen Verwaltungsgebieten.

2 Die Gemeinde erlässt zu diesem Zwecke eine Polizeiverordnung.
»

«Gute Policey»

Was hier als «Polizei» bezeichnet wird, ist nicht die heute im landläufigen Sinne des Wortes gemeinte uniformierte Truppe mit Blaulicht und Sirene. «Polizei» wird hier in einem viel umfassenderen Sinne verstanden:

«In der Frühen Neuzeit erließen die Obrigkeiten in Europa eine Vielzahl von Gesetzen, die unter dem Begriff der "guten Policey" die Ordnung des Gemeinwesens herstellen sollten. Dieser neue Typus staatlicher Ordnungsgesetzgebung reglementierte nahezu alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft und zielte auf soziale Kontrolle und Disziplinierung.[...]

Im Zusammenwirken mit informellen Kontrollmechanismen konstituierten Policey und Strafjustiz in der Vormoderne ein System formeller Sozialkontrolle, das die flexible Sanktionierung devianten Verhaltens ermöglichte und damit die "gute Ordnung des Gemeinwesens" sicherstellte.» (Max-Planck-Inst. f. europ. Rechtsgesch.)

Es geht also um den Versuch der in der Neuzeit ab 1500 aufkommenden Territorialstaaten, von der gewünschten Norm deviantes, d.h. abweichendes Verhalten mittels Sanktionen zu unterbinden. Für die Durchsetzung dieses Willens brauchte die Obrigkeit Funktionäre, eben Polizisten. Deshalb spricht man auch von Feuerpolizei, Gewerbepolizei, etc.

Zweck und polizeiliche Generalklausel

Ganz im Sinne der Vorgabe, für die Durchsetzung von law and order zu sorgen, ist auch der Zweckartikel der neuen Weiacher Polizeiverordnung formuliert:

«1 Diese Verordnung dient der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, der Wahrung der Sicherheit von Personen, Tieren und Eigentum sowie dem Schutz der Umwelt auf dem Gebiet der politischen Gemeinde Weiach.

2 Sie ergänzt die Gesetzgebung von Bund und Kanton. Weitere Vorschriften des eidgenössischen und kantonalen Rechts bleiben vorbehalten.
» (Art. 1 PolVo-E Weiach: Zweck)

Damit diesem Zweck entsprechend bei Auftauchen unerwarteter, in der Verordnung nicht explizit erwähnter Gefährdungen von Ruhe und Ordnung diesen sofort entgegengetreten werden kann wird - eben im Sinne der «guten Policey» - eine generelle Ermächtigung für die Funktionäre der Ortspolizei erteilt:

«1 Die Polizei trifft auch ohne besondere gesetzliche Grundlage unaufschiebbare Massnahmen, um unmittelbar drohende oder eingetretene schwere Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abzuwehren oder zu beseitigen.

2 Der Austausch von Daten zwischen kommunalen Amtsstellen und den Polizeiorganen ist gestattet, soweit es für die Erledigung ihrer Aufgaben erforderlich ist.
» (Art. 3 PolVo-E Weiach: Polizeiliche Generalklausel)

Quellen

Donnerstag, 5. Mai 2011

Wildpinkeln und Spucken verboten - auch im Wald!

Mit der neuen Polizeiverordnung der Gemeinde Weiach (vgl. den Hinweis auf den Entwurf im WeiachBlog von gestern) soll rigoros die Schraube angezogen werden.

Die Gemeindepolizeibehörde will ein griffiges Mittel in die Hand bekommen, um bei Bedarf durchgreifen zu können. Und das ganz nach dem Muster der Nachbarn. Konkret, dem Vorbild der Nachbargemeinde Glattfelden:

«1 Das Verrichten der Notdurft auf öffentlichem Grund oder an einem von der Öffentlichkeit einsehbaren Ort ist verboten.
2 Das Spucken auf öffentlichem Grund im Siedlungsgebiet ohne Not ist verboten.
» (Art. 33 PolVo Glattfelden: Notdurft, Spucken)

Verbot soll nicht nur im Siedlungsgebiet gelten

Die Weiacher Version gibt noch eins drauf, indem sie die beiden Absätze des Glattfelder Artikel 33 massiv verschärft.

«Das Spucken auf öffentlichem Grund und auf öffentlich zugänglichem Grund ohne Not ist untersagt.» (Art. 30 Abs. 4 PolVo-E Weiach)

Die Notdurft erhält in Weiach gar einen eigenen Artikel:

«Das Verrichten der Notdurft an anderen als den dafür bestimmten Orten ist untersagt.» (Art. 31 PolVo-E Weiach)

In Weiach soll also künftig wildes Spucken, Pinkeln und Scheissen (man entschuldige die derbe Wortwahl) weitgehend untersagt sein.

Das alles darf man künftig auch im Wald nicht mehr. Egal ob nun Gemeindewald oder Privatwald, denn letzterer ist gemäss Gesetz öffentlich zugänglich. Das Verrichten der Notdurft wäre nur noch auf einem mit Toilette und Lavabo ausgerüsteten WC erlaubt. Spucken dürfte man allenfalls noch im eigenen Garten.

In Glattfelden nicht durchgekommen

Ob der Gemeinderat damit an der Gemeindeversammlung vom 16. Juni 2011 durchkommt, wird sich weisen. Die Glattfelder wollten den Geltungsbereich nicht so weit fassen wie ihr Gemeinderat. Das berichtete der Tages-Anzeiger am 1. April 2010 (kein Aprilscherz!):

«Leicht geändert wurde jedoch die Formulierung: Anstatt «auf öffentlichem und öffentlich zugänglichem Grund» wird Spucken und Verrichten der Notdurft nun «auf öffentlichem und öffentlich einsehbarem Grund» verboten. «Sonst dürfte niemand mehr im Wald hinter einen Baum pinkeln», begründete Sicherheitsvorsteher Thomas Steiner (SP) die Änderung und löste damit Heiterkeit aus.»

Eine Formulierung wie im Zurzibiet?

In Glattfelden hat man darum die weniger weit gehende Formulierung in Kraft gesetzt, wie sie auch im Zurzibiet gilt:

«Es ist untersagt, auf öffentlichem Grund oder an einem von der Öffentlichkeit einsehbaren Ort die Notdurft zu verrichten.» (§ 27 PolRegl Zurzibiet: Verrichten der Notdurft)

Damit ist implizit auch gleich der Tatbestand der Erregung öffentlichen Ärgernisses eingeschlossen - und nicht nur die Förderung der Hygiene, wie sie in § 1 der kantonalen Verordnung über allgemeine und Wohnhygiene vom 20. März 1967 als Gemeindeaufgabe definiert wird.

Am 26. Mai 2011, 19.30h, findet im Gemeindesaal Weiach ein Informationsabend statt: Thema ist u.a. die neue Polizeiverordnung. Es wird interessant sein zu verfolgen, welche Argumente unser Gemeinderat für seine harte Linie vorbringt - und was die Weiacher davon halten.

Quelle

Mittwoch, 4. Mai 2011

Entwurf der neuen Weiacher Polizeiverordnung online

Mit Datum vom 1. Mai stellte die Gemeinde Weiach heute den Entwurf zu einer Polizeiverordnung der Politischen Gemeinde Weiach ins Internet (es handelt sich um eine korrigierte Version der Fassung, die schon am 29. April 2011 publiziert worden war). Sie wird hier künftig als «PolVo-E Weiach» bezeichnet.

Der amtierende Weiacher Gemeinderat fand eine Neufassung überfällig, was Gemeindepräsident Paul Willi in seiner Begrüssung zum aktuellen Mitteilungsblatt (Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Mai 2011, S. 4) so andeutet:

«Die Polizeiverordnung stammt aus dem Jahr 1968. Sie wurde vollständig überarbeitet und den heutigen Bedürfnissen und Situation angepasst.»

Wo im folgenden von der aktuellen Verordnung die Rede ist, wird deshalb das Kürzel «PolVo-68» verwendet. In früheren Beiträgen (z.B. Bussen für Sauereien auf den Strassen, WeiachBlog Nr. 637 vom 15. August 2008) wird sie noch «PolVo Weiach» genannt.

Bei den Nachbarn abgeschaut

Woher die Regulierungsfreude unseres Gemeinderates kommt, zeigt sich bei einem Blick auf die entsprechenden Erlasse der Nachbargemeinden, die mehrheitlich erst wenige Monate alt sind. So wurden in Kraft gesetzt:

Nur der entsprechende Erlass der Gemeinde Stadel ist nicht auf dem Internet verfügbar.

Dienstag, 3. Mai 2011

Blueschtfahrt statt 1.-Mai-Demonstration

Weil Walter Zollinger in seiner Chronik über das Jahr 1961 den 1. Mai explizit erwähnt, soll mit ein paar Stunden Verspätung doch noch kurz auf den 50sten Jahrestag eingegangen werden. Zollinger schreibt:

«Der Nachmittag des 1. Mai, ein Montag, verzeichnete einen abnormal starken Auto- und Motorradverkehr, grösser z.B. als der gestrige Sonntag [gemeint: der 30. April 1961]. Man ist geneigt, daraus folgende Schlüsse zu ziehen:

1. die Arbeitnehmerschaft interessiert sich wohl nicht mehr sonderlich stark um Maifeiern und Maiumzug.

2. ein ansehnlicher Teil derselben ist anscheinend immer mehr "motorisiert".
»

Auf den zunehmenden Motorfahrzeugverkehr nahm Zollinger in seinen Jahreschroniken oft Bezug, vgl. z.B. WeiachBlog Nr. 921 vom 5. Oktober 2010: «Arger Motorverkehr wegen Sonntagsfahrern».

Vor allem im Kanton Zürich ein Feiertag

Bei den motorisierten Ausflüglern dürfte es sich vor allem um Zürcher gehandelt haben. Im Gegensatz zu angrenzenden Kantonen war der 1. Mai im Kanton Zürich wohl bereits damals, d.h. nach dem (1961 geltenden) «Gesetz über die öffentlichen Ruhetage und über die Verkaufs- und Arbeitszeit im Detailhandel» vom 3. April 1949 ein gesetzlicher Feiertag.

Das «Gesetz über die öffentlichen Ruhetage und über die Verkaufszeit im Detailhandel» vom 14. März 1971 legt jedenfalls fest:

«§ 1. Öffentliche Ruhetage sind: a) Die Sonntage; b) Neujahrstag, Karfreitag, Ostermontag, 1. Mai, Auffahrtstag, Pfingstmontag, 1. August, Weihnachtstag und Stephanstag (26. Dezember).»

So ist der 1. Mai auch im aktuellen Ruhetagsgesetz des Kantons Zürich noch festgeschrieben. Die SVP will das ändern, was die linken Parteien ärgert.

Warum in diesem Fall der kantonale Schauplatz matchentscheidend ist, sieht man u.a. im Artikel über den 1. Mai auf der deutschsprachigen Wikipedia. Die Frage, ob dieser Tag ein Ruhetag sei oder nicht, wird in der Schweiz föderalistisch gehandhabt. Jeder Kanton darf selber entscheiden.

Quelle
  • Zollinger, W.: Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1961 - S. 15. [Original in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach 1961].

Montag, 2. Mai 2011

Tausendundein Artikel

Gestern, am diesjährigen Tag der Arbeit, ist auf WeiachBlog der 1000ste Artikel veröffentlicht worden. Nach dem Start am 31. Oktober 2005 hat es etwa fünfeinhalb Jahre - oder genau 2009 Tage - gedauert, bis diese Marke erreicht war.

Man rechnet und stellt fest: im Schnitt ist für jeden zweiten Tag ein Beitrag erschienen. Für mehr Statistik sei auf den Artikel Nr. 946: WeiachBlog wird fünf Jahre alt vom 31. Oktober 2010 verwiesen.

Lebt Emmanuel Goldstein noch?

Demzufolge ist dieser Artikel die Nummer 1001. Und in der Tat fühle ich mich heute etwas in die Geschichten von 1001 Nacht versetzt, hört man doch, der langgejagte Terroristenfürst sei zur Strecke gebracht und die Leiche alsogleich im Meer versenkt worden.

So er es denn gewesen ist, fragt man sich, warum die Führungsriege des Weltpolizisten ein innenpolitisches Erfolgsstrohfeuer gerade jetzt so dringend braucht, dass sie ihr zum Teil selber aufgebautes personifiziertes Feindbild Nr. 1 einfach so verschwinden lässt. Wo doch perfekt personifizierte Feindbilder im Allgemeinen viel besser wirken als eine anonyme Organisation, ein blosser Name, der für ein Franchising-System zum Vertrieb von Terroranschlägen steht.

Sind wir den Zuständen des dystopischen Romans «1984» von George Orwell, der Emmanuel Goldstein als perfektes nebulöses Feindbild ewig leben lässt, doch nicht so nahe? Hoffen wir es zumindest.

In eigener Sache

Doch zurück zur Bauchnabelschau. In Zukunft werde ich sicher weniger Zeit übrig haben für dieses zeitaufwendige Hobby namens WeiachBlog.

Dichtmachen mag ich den Blog trotzdem nicht. Es gibt schliesslich aktuell 905 Entwürfe für weitere Beiträge - und auch in der geschlossenen Werkstatt namens «Weiacher Geschichte(n)», einer Artikelserie, die im November 2009 beim Stand von 120 Artikeln abgebrochen wurde, sind noch rund 350 unvollendete Werkstücke in unterschiedlichen Stadien der Fertigstellung vorhanden.

Material gibt es genug. Nur Zeit nicht. Ich bitte daher alle Leserinnen und Leser weiterhin um Nachsicht. Sie sind sich ja längere Pausen gewohnt.

Ausserdem kann man heutzutage Blogs ohne Probleme abonnieren und erhält dann eine Nachricht, wenn es Neues gibt. Auch wenn es nicht gerade so spannend ist wie das neuste Märchen aus 1001 Nacht.

Sonntag, 1. Mai 2011

Die Brodtaustheilung 1795 und 1796

Gestern wurde auf WeiachBlog erklärt, wie Johann Conrad Fäsi, Professor der Geschichte und Erdbeschreibung, als Toter noch wissenschaftliche Artikel schreiben konnte. Heute spüren wir der Weiacher Geschichte in der dort erwähnten «Bibliothek der schweizerischen Staatskunde, Erdbeschreibung und Litteratur» von 1796 nach.

Das von Google Books am 28. April 2010 digitalisierte Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek enthält auf den Seiten 785-793 den Artikel «Brodtaustheilungen im Canton Zürich in den Jahren 1795 und 1796», den der mutmassliche Herausgeber und Sohn von Professor Fäsi, Johann Kaspar Fäsi sen. (1769-1849) verfasst hat (vgl. Quellen unten).

Staatlich garantierte Höchstpreise für Getreide

Fäsi erklärt in diesem Artikel, welche Art von wirtschaftlicher Landesversorgung die Zürcher Obrigkeit als Nachfolgerin der mildtätigen Klöster betrieb:

«In die gleiche Classe [gemeint: der Wohltaten gegenüber den eigenen Untertanen], wie die Leibeigenschaftsbefreyung der Solothurnischen Regierung gehören, die Brodtaustheilungen, welche die Zürcherische Regierung bey jeder Theurung der ersten Lebensbedürfnisse Ihren Angehörigen angedeyen ließ.

Schon im Jahr 1540, also zu einer Zeit wo das Magazinieren noch unter die grösten Seltenheiten gehörte, sammelte man in Zürich einen beträchtlichen Getreydvorrath den man von Zeit zu Zeit, theils durch Ankauf, theils durch die Natural-Einkünfte vom Kornmarkt vermehrte, und dadurch in den Stand gesetzt wurde, verschiedene Mahle schon im vorigen Jahrhundert, Bürger und Landleute, durch Ueberlassung von Getreyde in geringen Preisen zu unterstüzen.

In diesem Jahrhundert suchte die Regierung vornemlich in den Jahren 1712, 1713, 1739, 1749, 1770, 1771, 1772 und 1789 *), theils dadurch, daß sie die geringe Zufuhr der Fremden auf die hiesigen, Wochenmärkte durch eigenes in geringern Preisen erlassenes Getreyde ersetzte, theils durch wöchentliche Austheilung an Mehl, Brodt und Reis, die allgemeine Theurung zu mildern suchte, und auch dießmahl ergreiffe sie ähnliche Maaßregeln.

*) Leser welche etwas mehreres über diese Jahre zu erfahren wünschen , verweise ich nuf Werdmüllers Memorab. Turic., und von Moosen astronomisch-politisch-historisch-kirchlichen Calender von Zürich. T. III.
»

Keine Spekulation mit Grundnahrungsmitteln

Die Regierung übte also eine preisstabilisierende Funktion aus, indem sie bei Bedarf eigenes Getreide zu tiefen Preisen auf den Zürcher Markt warf. Faktisch garantierte der Zürcher Staat einen Höchstpreis. Soziale Unruhen als Folge von Preisschwankungen konnten so verhindert werden:

«Sobald der Preis 1794 über 8 fl. stieg, wurde dem Oberkeitlichen Comite, welchem die Aufsicht über den wöchentlichen Getreydemarkt aufgetragen ist, Vollmacht ertheilt, je nach Beschaffenheit der Umständen, ein grösseres oder geringeres Quantum von Getreyde aus den öffentlichen Vorraths-Häusern zu nehmen, und dasselbe den Müllern und Bäckern aus der Stadt und der Landschaft, welche ihr wöchentliches Bedürfnis genau angeben mußten, in solchen Preisen zu überlassen, daß sie den Mütt Mehl um 9 fl. geben konnten.

Durch diese Hülfe galt also ein Brodt von 2 Pf. [Pfund] im Canton Zürich nicht mehr als 9 ß. da es hingegen zu gleicher Zeit anderwärts 15 und 16 ß. kostete.
»

Anmerkung zur Geldeinheit: 1 Gulden (fl.) war in 40 Schilling (ß.) unterteilt.

Sparen angesagt: Höchstpreise nur noch für wirklich Bedürftige

Diese Staatseingriffe kosteten enorm viel, denn das Getreide war natürlich für alle Käufer günstig - auch für diejenigen, die sich höhere Preise durchaus leisten konnten. Deshalb änderte man das System der staatlichen Maximalpreise so ab, dass es von März 1795 an nur noch für die wirklich darauf Angewiesenen galt:

«Indessen zeigte doch die Erfahrung, daß durch dieß Hülfsmittel die öffentlichen Vorräthe (besonders da die fremde Zufuhr immer mehr abnahme) allzusehr erschöpft werden könnten, daher wurde vom 24 Merz an[Anno] 1795 nur bey ausserordentlich geringer Zufuhr oberkeitliches Getreyde auf dem Kornmarkt verkauft, hingegen wurde an gedachtem Tage mit der Austheilung von Mehl, Brodten und Reis der Anfang gemacht.

Zu diesem Ende mußten die Herren Pfarrer ein genaues Verzeichniß 1) der in ihrem Kirchspiele anwesenden Personen, und 2) der bedürftigen Haushaltungen und Seelen eingeben. — Jeder Person wurde nun wöchentlich entweder 2 Pf. Mehl, oder ein Brodt von 2 Pf. am Gewicht oder 2 Pf. Reis um 6 ß. überlassen. Alle Wochen wurde ein Tag festgesezt, an welchem das Quantum für eine Gemeinde abgehollt, und die Bezahlung dagegen eingeliefert werden mußte.
»

Gute Ernten: Unterbruch der Nahrungsmittelhilfe

Dass die Abgabe von subventioniertem Mehl, Broten und Reis nur als Überlebenshilfe und zur Linderung der grössten Not gedacht war, zeigt Fäsi ebenfalls auf:

«Die Austheilung daurte vom 24ten Merz bis zum 28 August 1795 mithin volle 23 Wochen, während welchem Zeitraum (...) Summa. Mt. Mehl 14743, Brodt 187979, Reis Pf. 40664, An Werth 119704 fl. 26 ß ausgetheilt wurden.

Wegen der reichlichen Getreyd-Erndte, und dem noch reichlichern Ertrag der Kartoffelfelder wurde mit der Austheilung erst wieder den 3ten May 1796 der Anfang gemacht, und fünfzehn volle Wochen (bis den 9ten August) fortgefahren. In diesem Zeitraum wurden in gleichem Preise wie das vorige Jahr, 36048 Armen 10'905 Mütte Mehl, 95'170 Brodte, und 18'900 Pf. Reis ausgetheilt, deren Werth 111'108 Gulden betrug.
»

Die eingebrachte Ernte reichte also bei den Bedürftigen trotz guter Ernten nur grad bis in den Frühsommer. Dann war bereits wieder Nothilfe nötig.

«Mt.» steht übrigens als Abkürzung für das Getreidemass «Mütt», wobei dieses selbst innerhalb des Zürcher Gebiets höchst unterschiedlich war:
  • Winterthur: 1 Mütt = 4873 Pariser Kubikzoll = 96 2/3 Litre
  • Zürich: 1 Mütt = 4140 Pariser Kubikzoll = 82 Litre
  • Eglisau: 1 Mütt = 4646 Pariser Kubikzoll = 91 31/40 Litre
(Quelle: Wikipedia-Artikel Mütt). Es ist also nicht ganz klar, um welches Mütt es bei dieser Rechnung ging. Das der Stadt Zürich mit 82 Litern Fassungsvermögen?

Für jeden Bedürftigen genau gleich viel Geld

Schliesslich liefert der Autor auch noch Zahlen auf Gemeindeebene: «Ich füge hier die Austheilungs-Tabelle vom Jahr 1795 bey, weil dieselbe zugleich eine genaue und zuverläßige Angabe aller anwesenden Einwohner der Landschaft Zürich enthält (...)»

Auf Seite 792 findet man unter Nr. 144 auch die Ortschaft Weyach:


Zahl d Einwoh.: 544
Zahl d Bedürf.: 180
Mehl: 3 Mtt.
Brod: 50 [Stck.]
Reis: 20 Pf.
Werth: 27 fl. -- ß


Wenn man nachrechnet stellt man fest: Ein Drittel (!) der vor Ort anwesenden Bevölkerung von Weyach (180 von 544) galt offiziell als bedürftig, war also unverschuldet in Armut geraten und nicht in der Lage diesen Zustand zu ändern. Heute würde man dieses Drittel wohl «Working Poor» nennen.

Was bei einem Vergleich der Zahlen zwischen den Gemeinden ebenfalls auffällt: Pro bedürftige Person gab es 1795 aus staatlichen Mitteln überall genau die gleiche Unterstützung, nämlich 6 Zürcher Schilling, entsprechend 0.15 Gulden.

Diese Lieferungen erhielten die Gemeinden übrigens nicht automatisch. Sie mussten die Subventionen beantragen. Sonst gab es nichts.

Quellen
  • Fäsi, J. C.: Johann Conrad Fäsis [...] genaue und vollständige Staats- und Erd-Beschreibung der ganzen Helvetischen Eidgenossenschaft, derselben gemeinen Herrschaften und zugewandten Orten. 2. und verbesserte Aufl.; Band 1-4, Zürich 1765-1768 - Bd. 1, S. 311. (vgl. erste Zitierung in den «Mitteilungen für die Gemeinde Weiach», Juli 2009: «Die Collatur gehört dem kleinen Rath zu Zürich». Weiach in Standardwerken von 1742 bis 1820. Weiacher Geschichte(n), Nr. 116; Gesamtausgabe S. 482)
  • Fäsi, J. C. (formell): Bibliothek der schweizerischen Staatskunde, Erdbeschreibung und Litteratur. Dritter Band, mit Johann Conrad Fäsis Bildniß. IX Stük. September 1796. September, October, November und December. Zürich, Im Verlag des Herausgebers, 1796 [Eigentlicher Herausgeber war wohl der Sohn des Genannten, der Geograph und Historiker Johann Kaspar Fäsi sen.].