Montag, 9. März 2020

Woher kommt der Weiacher Stern? Hat er Schaffhauser Wurzeln?

In der älteren Literatur zum Weiacher Wappen wird der Stern in der Regel mit dem ehemaligen Gasthof Sternen in Zusammenhang gebracht. Zuweilen wird gar gemutmasst, es handle sich um eine einfache Verzierung (so im Februar 1936 in der Zeitung «Der Wehnthaler», vgl. WeiachBlog Nr. 1476).

In Gasthöfen werden nicht nur Speisen und Getränke aufgetischt. Da kann man auch übernachten. In früheren Zeiten wurde nur bei Vorliegen eines solchen Bedürfnisbündels der Betrieb eines Gasthof erlaubt. Das Gebäude (und nicht etwa sein Eigentümer bzw. Besitzer) war mit einer staatlichen Konzession versehen. Im Gegensatz dazu durften Speisewirtschaften und Weinschenken keine Fremden beherbergen.

In Weiach gab es genau EIN obrigkeitlich bewilligtes Gasthaus, den «Sternen», der bis 1829 an der Verzweigung Oberdorfstrasse/Winkelstrasse stand. Dort, mitten im Dorfkern, wurden nachweislich regelmässig Verhandlungen des Dorfgerichts abgehalten, Zwangsversteigerungen durchgeführt, etc.

Und deshalb ist es nicht ganz abwegig anzunehmen, dass der Name und das dazugehörende Wirtshauszeichen etwas mit dem Gemeinwesen zu tun haben könnten.

In WeiachBlog Nr. 1476 habe ich die Veröffentlichung einer «schlüssigen These» angekündigt, «die einen Zusammenhang mit früheren Machtverhältnissen und deren Wappenmotiven aufzeigt». In diesem und dem folgenden Beitrag (Nr. 1481 und 1482) werden zwei mögliche Verbindungen des Weiachersterns mit der politischen Vergangenheit der Gemeinde aufgezeigt. Konkret: mit Familien, die während Jahrhunderten Macht und Einfluss auf das Dorf ausübten.

Herren zu Weiss- und Schwarzwasserstelz

Die eine Verbindung hat Schaffhauser Wurzeln. Diejenigen der Familie Heggenzer, auch Heggenzi genannt. Dieses Schaffhauser Geschlecht hatte ab 1363 die Vogtei Fisibach samt dem Schloss Schwarzwasserstelz inne. Mitte des 15. Jahrhunderts erlangte es überdies die Kontrolle über Weisswasserstelz auf dem Nordufer des Rheins. Zu letzterem gehörten die Vogtei, der Kirchensatz sowie der Zehnten über Lienheim (vgl. Aargauer Urkunden XIII, S. 12). Die Heggenzer hatten also eine in der Umgebung von Kaiserstuhl nicht zu unterschätzende Machtstellung inne und behielten diese bis zum ausgehenden 16. Jahrhundert.

Erwerbszeitpunkt liegt im Dunkeln

Seit wann die Patrizierfamilie Heggenzer im Besitz der halben Niedergerichtsherrschaft zu Weiach war, ist unbekannt. Die von Zollinger in seiner 1972 publizierten Monografie (S. 20) genannte exakte Jahreszahl 1450 beruht jedenfalls auf einem Irrtum (Vermischung mit dem Erwerb von Weisswasserstelz).

In der Urkunde von 1295 (UBZH VI, 289; N° 2323) zwischen dem konstanzischen Fürstbischof Heinrich und dem Freiherrn Jakob von Wart werden die übertragenen Gerichtsrechte mit «getwinch et ban» umschrieben. Sollte diese Formulierung nur die grundherrlichen Rechte umfasst haben, nicht aber die eigentlichen Niedergerichtsrechte, dann könnte es durchaus sein, dass die Heggenzer ihre Niedergerichtsrechte schon einige Zeit vor 1363 erworben haben, beispielsweise über eine Frau aus aussterbendem Geschlecht, die einen Heggenzer heiratete. Und, dass sie später eine Hälfte an das Fürstbistum abtraten.

Sollte «getwinch et ban» aber auch das Niedergericht umfasst haben (was die in der Literatur implizit vertretene Auffassung ist), dann ist es umgekehrt: die Heggenzer hätten demnach nach 1295 eine Hälfte aus der Hand des Konstanzer Fürstbischofs empfangen. In einem Pfandbrief über die Vogtei Fisibach von 1460 war das Niedergericht Weiach jedenfalls nicht erwähnt (vgl. Aargauer Urkunden XIII, Nr. 211).

Heggenzer waren auch fürstbischöflich-konstanzische Obervögte

Da die Heggenzi nicht allein Schwarz- und Weisswasserstelz sowie Teile des Weiacher Niedergerichts besassen, sondern sich zeitweise auch noch die Funktion eines fürstbischöflichen Obervogts über das Amt Kaiserstuhl sichern konnten, waren sie einerseits aus eigenem Recht (Lehennehmer) und andererseits in Vertretung des Fürstbischofs (Amtsträger) für das Weiacher Niedergericht verantwortlich. In ihrem Namen sass dann ein aus dem Kaiserstuhler Bürgertum ernannter Gerichtspräsident dem Weiacher Dorfgericht vor.

Wann die Heggenzer zu ihrem Adelstitel gelangt sind, ist für die Weiacher Geschichte nicht von Belang. Wichtig ist hingegen, dass Johann Melchior Heggenzer von Wasserstelz im 16. Jahrhundert «ein gar fürnemer Herr» und kaiserlicher Rat war (Kindler v. Knobloch S. 9), der sich in juristischen Belangen auskannte und auch nicht vor gerichtlichen Auseinandersetzungen zurückschreckte, wenn er die Rechte seiner Familie tangiert sah (so z.B. 1553/54 im Streit um die Niedergerichtsbarkeit über Weiach, vgl. Aargauer Urkunden XIII, Nr. 211).

Auch wenn die Heggenzer mit dem Tod dieses Johann Melchior bereits 1587 im Mannesstamm ausgestorben sind und ihre Rechte über die Heirat seiner Töchter Ida und Clara an die Herren von Landsberg übergingen, so darf angenommen werden, dass dieser jahrhundertelang andauernde Einfluss nicht spurlos am kollektiven Gedächtnis der Weiacher vorübergegangen ist. Zumal die von Landsberg ihre Hälfte am Niedergericht bereits 1605 an den Fürstbischof verkauft haben und somit vergleichsweise wenig Spuren in Weiach hinterlassen haben.

Das Wappen der Heggenzer

Als adelige Familie führten die Heggenzer natürlich auch ein eigenes Wappen: ein sechsstrahliger Stern in Silber auf rotem Feld über einem blauen Dreiberg. Zuweilen fehlte dieser Berg auch: das Siegel des Hans Heggenzi von 1461 zeigt einen Stern ohne den Dreiberg.

Im Oberbadischen Geschlechterbuch, publiziert im Jahre 1905, ist folgende Darstellung des Heggenzer-Wappens zu finden (Bd. 2, S. 10):


Das entscheidende Element prangt auch über dem Helm: der Stern! Ein solcher sechstrahliger Stern ist aber auch das alte Dorfzeichen von Weiach (so zu sehen am Wirtshausschild des Gasthofs Sternen, auf der grossen Glocke von 1843 sowie auf der Gesangvereinfahne mit der Jahrzahl 1860).

Haben die Weiacher ihr Dorfzeichen also von den Heggenzern übernommen? Möglich wäre es.

Vergleich mit dem Dekanatsbuch

Im Dekanatsbuch des Kapitels Regensberg (fol. 98; vgl. WeiachBlog Nr. 1478 für ein Bild) ist der Weiacher Stern zwar nicht in Silber, sondern in Gold gehalten, aber eben auch sechsstrahlig.

Man könnte dies so lesen, dass die Wappen-Figur des einen Niedergerichtsherrn (Heggenzer) auf dem Schild des Hochgerichtsherrn (der Stadt Zürich) ruht.

Interessanterweise verwendeten die Weiacher aber im 19. Jahrhundert dennoch nur den sechsstrahligen Stern allein, ohne geteilten Zürcherschild darunter (vgl. vorstehenden Abschnitt).

Heggenzerstern weniger heikel als Konstanzerkreuz?

Klar ist, dass das Weiacher Dorfgericht Ausfluss des Niedergerichtsrechts war und aufgrund seines Weiterbestehens bis 1798 durch den Zürcher Staat nicht abgeschafft werden konnte (wie das in anderen Gemeinden des Neuamts zugunsten des Amtsgerichts in Niederglatt der Fall war, wo das Niedergericht sich in Zürcher Hand befand).

Klar ist auch, dass die Zürcher Obrigkeit spätestens ab der Reformation mit dem Fürstbischof von Konstanz mehr Reibungsflächen hatte als mit einer Schaffhauser Patrizierfamilie (auch wenn diese wohl beim katholischen Glaubens blieb; Agathe Heggenzer v. Wasserstelz, die Schwester des oben genannten Johann Melchior, war ab 1550 Äbtissin des Damenstifts Säckingen, vgl. Bild ihres Wappens).

Falls die Weiacher also tatsächlich den Heggenzerstern als ihr Dorfzeichen übernommen haben, dann wäre dies aus Zürcher Sicht weniger provozierend gewesen, als wenn sie das Konstanzerkreuz (rotes Kreuz auf silbernem Grund, vgl. Wappen von Hohentengen am Hochrhein) gewählt hätten.

Soweit die Ausführungen zur These von den Schaffhauser Wurzeln. Die andere mögliche Verbindung des Weiacher Sterns mit mächtigen Familien vergangener Jahrhunderte, eine mit Kaiserstuhler Wurzeln, wird im folgenden Artikel erörtert.

Quelle
  • Kindler von Knobloch, Julius; Badische Historische Kommission  [Hrsg.]: Oberbadisches Geschlechterbuch (Band 2): He - Lysser, Heidelberg 1905 – S. 7-10.
    https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kindlervonknobloch1898bd2/0009

Keine Kommentare: