Dienstag, 30. Juni 2020

«...und ebenso die Aufbauung eines Schulhauses zu verweigern.»

Als «schallende Ohrfeige» für Gemeinderat und Primarschule bezeichnet Martin Liebrich, stellvertretender Chefredaktor und Redaktionsleiter des «Zürcher Unterländer», das Resultat der Urnenabstimmung vom 28. Juni 2020. Etwas gar dick aufgetragen, findet WeiachBlog. Von einem Misstrauensvotum zu reden wäre wohl eher angebracht.

Den Behörden zum Trost sei gesagt: Dass die Weiacher Stimmbürger nicht so wollen wie ihre Schulpflege, das ist keineswegs aussergewöhnlich. Blenden wir zurück in die Zeit kurz nach der liberalen Revolution von 1830/31, als sich die Gemeinden von der Stadt Zürich emanzipierten. Die Landbewohner wollten nun das Heft selber in die Hand nehmen. Zu 100% – vor allem bei der Bildung. Da mussten sie ja schliesslich (fast) alles selber zahlen. Und wer zahlt, der befiehlt – oder etwa nicht?

Alternativloses Vorhaben

Noch am 10. Oktober 1833 hatten die Weiacher akzeptiert, ein neues Schulhaus bauen zu müssen. Die Schulpflege begründete das Vorhaben mit folgenden Worten: «Wenn die gegenwärtigen Schuhlgeseze und die Forderungen derselben mit unserm gegenwärtigen Schulhause in Vergleichung gegen einander gesezt werden, so wird die absolute Nothwendigkeit der Aufbauung eines neuen Schuhlhauses wohl Niemand in Abrede sein können». (Traktandum 5; vgl. Weiacher Geschichte(n) 107, s. unten). Opposition gab es keine, zumindest steht im Gemeindeprotokoll nichts davon.

Unter Gewühl und Beschimpfung

Aber schon am 30. November 1833 kassierte die kommunale Schulbehörde in einer Gemeindeversammlung eine krachende Niederlage. Nachdem man den Anwesenden erläutert hatte, dass sie sich dem neuen, von der Obrigkeit festgelegten Lehrplan samt neuen Lehrbüchern zu beugen hätten, reagierten die Weiacher höchst ungnädig, wie dem Bericht an die Bezirksschulpflege zu entnehmen ist:

«Wann die unterzeichnete Gemeindschulpflege es sich zur Pflicht machte, den gesezlichen Anordnungen zu Erzwekung eines guten Schulunterrichts möglichst Folge zu leisten und die vorgeschriebenen Lehrmittel anschaffte, bey der widrigen Volksstimmung und da die Lehrer selbst nicht die gehörige Kenntniß besizen, nicht die erwünschte Frucht davon einzuerndten, und deshalb vorher bei einer abzuhaltenden Gemeinde die Bürgerschaft nicht nur von dem Nuzen der zwekmäßigen Anwendung dieser Lehrmittel, sondern auch daß jeder Staatsbürger vermöge Eid und Pflicht schuldig sey, sich den Gesezen und Verordnungen des Gesezgebers und der Regierung zu unterziehen, und dieses in heutiger Gemeindsversammlung geschehen – der Erfolg davon war dieser:

Mit großer Mehrheit ward unter Gewühl und Beschimpfung beschloßen, den Gebrauch des ersten Lesebüchleins und des Scherrischen Tabellenwerks nicht anzunehmen, noch den Gebrauch derselben an hiesiger Schule zu gestatten, und ebenso die Aufbauung eines Schulhauses zu verweigern.
» (Protokoll der Schulpflege zu Weÿach, 1831-1852 – S. 9)

Vor allem der Weyacher Gemeinderat Rudolf Bersinger soll sich an dieser tumultartigen Versammlung mit der Behauptung hervorgetan haben, Ignaz Thomas Scherr, den die Zürcher Regierung mit der Schulreform beauftragt hatte, wolle «mit der neuen Lehre die Religion hinwegthun».

Ursachenforschung, neuer Anlauf und dickes Lob

Die Weigerung, ein neues, den Anforderungen gerecht werdendes Schulhaus zu bauen, war also vor allem dem Ärger über den neuen Lehrplan geschuldet. Kurz darauf wurde das vorher abgelehnte Bauvorhaben offensichtlich dennoch bewilligt. Denn am 24. November 1836 weihte der Weyacher Pfarrer (und Bezirksschulinspektor) Johann Heinrich Burkhard ein neu errichtetes Gebäude ein: Das heutige Alte Schulhaus (Schulweg 2). Wenig verwunderlich: Gemeinderat Rudolf Bersinger war nicht in der Baukommission.

Die Weiacher erhielten 1839 aus der Feder des von ihnen heftig kritisierten Scherr trotzdem ein durch die Druckerpresse öffentlich verbreitetes, dickes Lob. Für ihre aufgeschlossene Haltung nach dem Stadlerhandel von 1833/34. Und nicht zuletzt für ihren Schulhausbau:

«Man muß namentlich den Gemeinden Stadel und Weiach die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie von nun an kräftig zur Schulreform mitwirkten. So hat Stadel mit nicht unbedeutenden Opfern eine Sekundarschule gegründet und Weiach ein sehr schönes Schulhaus erbaut.» (Scherr 1839 – S. 271)

Wie es die damalige Weiacher «Gemeindschulpflege» zustande gebracht hat, den Stimmungsumschwung hinzubekommen, das ist leider (noch) nicht bekannt – vielleicht findet sich ja dereinst in von WeiachBlog noch nicht gesichteten Unterlagen ein Hinweis.

Der heutigen Behörde ist zu wünschen, dass sie a) zeitnah herausfindet, an welchen Hürden sie diesmal gescheitert ist, b) genügend Gegner ins Boot holt, um eine neuerliche Abstimmung zu gewinnen und dann c) rasch ein mehrheitsfähiges, abgerundetes Projekt aufs Gleis bringen kann. Eines, aus dem ein Bau entsteht, der dann ähnlich lange Bestand habe möge wie unser Altes Schulhaus.

Quellen und Literatur

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