Sonntag, 16. August 2020

Unternehmerpech. Auf die falsche Linienführung gesetzt.

Diese schön kolorierte Karte des Kantons Zürich wurde 1869 von Heinrich Keller jun. (1829-1911), dem Inhaber des Landkartenverlags Keller in Zürich, herausgegeben. Es handelt sich um eine Ausgabe der seit 1828 vom Vater des Verlegers immer wieder neu aufgelegten und berichtigten «Carte vom Canton Zürich mit seinen nähern Angränzungen».  Aussen ist allerdings der Titel ein anderer, da wird das Werk «Keller's grössere Wegekarte des Kantons Zürich mit Kirch-Ansichten.
Zürich, Verlag von Hch. Keller» genannt.



Der Ausschnitt zeigt die Nordwestecke des Kantons mit «Weyach», «Zweidlen» und «Rath» (man beachte die Schreibweisen, Weiach mit -y-, Zweidlen mit -i-!). Die Karte verzeichnet «Sanzen-Berg», «Hacken-Bg.», «Stadler-Berg», «Fasnachtfluh» und «Steinberg», sogar den Dorfteil «Källen». Auf der badischen Seite des Rheins: «Röteln», «HochThengen», Herdern und Günzgen.

Die versprochenen «Kirch-Ansichten» findet man auch: kleine Zeichnungen der jeweiligen Pfarrkirche in Hohentengen, Weiach, Glattfelden, Stadel und Bachs, ja sogar der Fisibacher Kapelle, die auch dort eingezeichnet sind, wo sie im jeweiligen Ort tatsächlich stehen, inklusive korrekter Ausrichtung. Sogar die Schlösser Schwarzwasserstelz und Rötteln haben eine eigene detailverliebte Miniaturzeichnung erhalten.

Alles ist in korrekten Proportionen und schon fast so exakt wie wir es heute gewohnt sind. Und doch: so ganz nach den tatsächlichen Gegebenheiten geht diese Karte nicht.

Eine projektierte Linie für existent verkauft

Wer die heutige Linienführung der Eisenbahn im Kopf hat, dem ist nicht entgangen, dass das Trassee ab Weiach-Kaiserstuhl nach Osten einen sehr seltsamen Verlauf nimmt. Da gibt es eine «Station Aarüti», eine an der Wagenbreche (dem Übergang in den untersten Abschnitt des Tösstals) und schliesslich eine in Rorbas, bevor sich die Strecke weiter nach Winterthur schwingt.

Ja, diese Streckenführung war seitens der Stadt Winterthur tatsächlich einmal so geplant, bis dann die Bülacher (sinnigerweise blau unterliniert auf diesem Exemplar) mit massivem Lobbying (dem sog. Dettenbergkrieg von 1871 bis 1873) dafür gesorgt haben, dass die Linienführung durch den Dettenberg und über Eglisau zur Ausführung kam. Deshalb wurde der Bahnhof östlich des Tunnels in Embrach gebaut, Glattfelden erhielt gleich zwei Stationen, eine unter eigenem Namen (die aber weit östlich auf Bülacher Boden steht) und eine mit dem Namen Zweidlen, die aber näher bei Rheinsfelden platziert ist.

Dumm gelaufen für den Unternehmer Keller. Da hatte er auf das falsche Pferd gesetzt und bereits ab 1874 war diese Karte offensichtlich nicht mehr à jour.

Ehafte Taverne und Grenzverlauf

Es gibt allerdings noch zwei weitere Fehler, die aus Weiacher Sicht auffallen.

Zum einen der bereits seit 1830 (!) falsch eingezeichnete Standort des Gasthofs Sternen, dessen damaliger Standortwechsel von der Verzweigung Oberdorfstrasse/Winkelstrasse an den Beginn der Kaiserstuhlerstrasse vom Kartenverlag Keller auch nach fast vierzig Jahren nicht erkannt worden war. (vgl. WeiachBlog Nr. 944)

Zum andern der Verlauf der Kantonsgrenze bei Kaiserstuhl, die auf der Karte eindeutig zu nahe an der östlichen Stadtmauer vorbeiführt, ein Umstand, der durch Zusammenlegung von Gemeinde- und Kantonsgrenze 1859/60 behördlicherseits neu reguliert worden war, sodass nun kein Kaiserstuhler Gebiet mehr im Kanton Zürich lag (vgl. Brandenberger 2016).

Quelle und Literatur
  • Keller, Hch. jun.: Keller's grössere Wegekarte des Kantons Zürich mit Kirch-Ansichten. Zentralbibliothek Zürich, Kartensammlung, Signatur: 16 Kb 06: 4 -- http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-32233
  • Hildebrandt, W.: Der “Dettenbergkrieg”, 1871-1873. Band 7. Neujahrsblatt 1930 für Bülach und das Zürcher Unterland. Hrsg. v. der Lesegesellschaft Bülach. Bülach 1929.
  • Brandenberger, U.: Wo der «Sternen» und die Ziegelhütte standen. WeiachBlog Nr. 944 vom 29. Oktober 2010.
  • Brandenberger, U.: Grenzen der Stadt Kaiserstuhl gestern und heute. Vortrag vor der Generalversammlung Pro Kaiserstuhl, 26. Februar 2016 – S. 50 u. 55-57.

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