Donnerstag, 15. Juli 2021

Emigranten und Flüchtlinge. Ein rechtlicher Unterschied

Im Verlauf des Jahres 1945 wechselte der Status des Lagers Zweidlen/Weiach nahe dem Ofenhof vom Emigrantenlager zum Flüchtlingslager, wie man dem O-Ton in den Monatsberichten der Zentralleitung der Arbeitslager entnehmen kann:

«Im Arbeitslager für Emigranten Zweidlen/Weiach sind derzeit ca. 50 jugoslavische Flüchtlinge untergebracht». (WeiachBlog Nr. 1688)

Und wie wir gestern gesehen haben (WeiachBlog Nr. 1695), war es selbst dem federführenden Apparat in Bern manchmal nicht so ganz klar, was Zweidlen/Weiach denn nun aktuell gerade sei, wie man an den Fahndungs-Einträgen im Schweizerischen Polizei-Anzeiger (SPA) von Ende September/Anfang Oktober 1945 deutlich ablesen kann. 

Nehmen wir die Polen, die am 15./16. September aus dem Lager abgehauen sind. In den SPA-Meldungen vom 28. September war vom Arbeitslager für Flüchtlinge Zweidlen-Weiach/ZH die Rede. In denen vom 29. September, 3. und 6. Oktober hingegen vom Arbeitslager für Emigranten Zweidlen-Weiach/ZH.

Eine Frage der Definition

Damit fiel der Verwaltungsapparat sozusagen über die eigenen Füsse. Denn es war Bundesbern, das kurz nach Kriegsausbruch aus der Angst vor Überflutung mit Geflüchteten heraus (Stichwort: Das Boot ist voll) an den Definitionen geschraubt hatte, wie Koller/Roschewski darlegen: 

«Das Rechtsverhältnis der „Emigranten“ wurde mit dem BRB vom 17. Oktober 1939 geregelt. [BRB: Bundesratsbeschluss]  Bis dahin waren die Begriffe „Flüchtlinge“ und „Emigranten“ gleichbedeutend verwendet worden. Von nun an galten nur noch diejenigen Flüchtlinge als „Emigranten“, die unter die Vorschriften des BRB vom 17. Oktober 1939 fielen. Die Eidg. Fremdenpolizei bestimmte dies im Einzelfall. Faktisch umfassten die „Emigranten“ alle Personen, die aus politischen, rassischen oder wirtschaftlichen Gründen vor dem Kriegsausbruch in die Schweiz geflohen waren und eine kantonale Toleranzbewilligung erhalten hatten.»

Ausführlich kann man die Bestimmungen ab Seite 170 des 420-seitigen sog. Ludwig-Berichts von 1957 nachlesen. Diese Beilage zum Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Flüchtlingspolitik der Schweiz seit 1933 bis zur Gegenwart stellt der Historiker Thomas Huonker auf seiner Website zur Verfügung (vgl. Quellen).

Die Politik ergriff diese Massnahmen nicht einfach aus purer Lust am Kontrollieren. Nein, da hatte man die Erkenntnis vor Augen, wie 1939 rund 400'000 Flüchtlinge aus Spanien das doch wesentlich grössere Frankreich völlig überfordert hatten.

Stark eingeschränkte Rechte

Flüchtlinge mussten sich daher (wie Ausländer ganz generell) an strikte Regeln halten, die darauf ausgelegt waren, einerseits die Gefahr durch eingeschleuste feindliche Agenten zu minimieren, andererseits aber auch aufkommenden Unmut bei der einheimischen Bevölkerung unter Kontrolle zu behalten. 

Auch wer nicht in einem Lager interniert war, sondern in einer privaten Unterkunft: Flüchtlinge mussten sich auf dem Polizeiposten periodisch melden (vgl. Pt. 1), durften das Gebiet der politischen Gemeinde, in der ihre Unterkunft lag, nicht verlassen (Pt. 2), mussten sich nachts in der Unterkunft aufhalten (Pt. 4), durften keine Bars und dergleichen besuchen (Pt. 5) und nicht in Gruppen von mehr als 5 Personen ausgehen (Pt. 9). Politische Tätigkeit war verboten, öffentliches Auftreten (selbst durch Publikationen) ebenfalls (Pt. 8). Vor allem aber: es galt ein generelles, striktes Arbeitsverbot (vgl. Pt. 10):

Aus dem Dossier einer durch Heirat Italienierin gewordenen jungen Schweizerin,
ab August 1944 interniert im Gasthof zum Bahnhof, Zweidlen-Station.

Insgesamt war alles darauf ausgerichtet, die Geflüchteten zur möglichst raschen Weiterreise (oder Heimreise) zu bewegen (vgl. auch Pt. 14 im Bild oben):

«Dieser starke Druck zur Weiterreise entsprach dem politisch breit abgestützten Konzept, dass die Schweiz nur Transitland für die Flüchtlinge sein konnte. Deshalb war mit der Toleranzbewilligung ein Arbeitsverbot verknüpft, das nur für einzelne Spezialisten aufgehoben wurde.» (Koller/Roschewski)

Für die Geflüchteten war dieses Arbeitsverbot wohl die belastendste Auflage überhaupt. Am 12. März 1940 beschloss der Bundesrat deshalb, das Verbot der Erwerbstätigkeit für männliche Emigranten und Flüchtlinge insofern zu modifizieren, als man für sie Arbeitslager unter der Leitung der Polizeiabteilung einrichtete (vgl. S. 177ff im Bericht Ludwig).

Quellen

  • Schweizerisches Bundesarchiv, Signatur: BAR E4264#1985/196#20784* (Subdossier 2) 1943-1945.
  • Bericht Ludwig: Beilage zum Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Flüchtlingspolitik der Schweiz seit 1933 bis zur Gegenwart. (PDF, 25.2 MB; THATA, Thomas Huonker Archiv Texte Anderes).
  • Koller, G.; Roschewski, H.: Flüchtlingsakten 1930–1950. Thematische Übersicht zu Beständen im Schweizerischen Bundesarchiv. Bern 1999 – S. 15.

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