Mittwoch, 30. Januar 2019

Landrecht für die Lieberts

Landrecht? Das war früher die Bezeichnung für das Kantonsbürgerrecht:

«Ein gemeinsames Bürgerrecht gab es nicht. Die Landleute besassen das sog. Landrecht, das im 16. Jh. aus der hoheitl. Schirmgewalt entstanden war und durch die Land- und Obervögte, im 18. Jh. durch den Kl. Rat erteilt wurde. Der Besitz des Landrechts war Voraussetzung, um auf der Landschaft Gemeindegenosse zu werden. Die Stadtbürger besassen ihr eigenes Stadtbürgerrecht.» (Suter 2017)

Es war vor dem Ende des Ancien Régime also anders als heute, wo zwar die Gesetze die Voraussetzungen festlegen, aber formell der Erwerb des Gemeindebürgerrechts das Kantonsbürgerrecht und auch die Staatsbürgerschaft als Schweizer begründet.

Der Kleine Rat wurde seit der liberalen Staatsreform von 1831 als Regierungsrat bezeichnet. Ihm kam dieses Recht auch in den Jahrzehnten darauf zu.

Ein Handwerker aus dem Süddeutschen

Die Familie der letzten Eigentümerin des Ortsmuseums Weiach, Luise Liebert, stammt ursprünglich aus Süddeutschland. Heute vor 150 Jahren erteilte der Regierungsrat des Kantons Zürich das Zürcher Landrecht an: «Liebert, Vater nebst Ehefrau u. Jb. Liebert, Sohn v. Schneitheim». Jakob Liebert jun. war der Vater von Luise und wurde erst im Alter von über 35 Jahren eingebürgert.


Der vollständige Protokolleintrag lautet wie folgt:

«Die Bürgerversammlung der Gemeinde Weiach hat unterm 15. November v. Js. dem Jb. Liebert, Vater, seiner Ehefrau u. seinem majorennen unverehelichten Sohn Jb. Liebert, Geschirrhändler, von Schneitheim Kgrch. Württemberg, welche sich schon seit dem Jahr 1834 in der dortigen Gemeinde als Niedergelassene aufgehalten haben, das Gemeindsbürgerrecht ertheilt.

Der Gemeindrath Weiach stellt nun mit Zuschrift vom 25. Januar d. Js. das Gesuch, daß denselben das Landrecht ertheilt werden möchte, indem er erklärt, daß die gesetzlichen Ausweise geleistet worden seien, namentlich, daß die Familie Liebert sich immer unklagbar betragen habe u. daß die gesetzliche Einkaufsgebühr bezahlt worden sei. Dem Gesuche ist eine Urkunde beigelegt, woraus sich ergibt, daß die Familie Liebert aus ihrem heimatlichen Bürgerrechtsverbande entlassen worden sei.

Der Regierungsrath, auf den Antrag der Direktion des Innern, beschließt:

1. Sei den beiden Jakob Liebert, Vater u. Sohn das Landrecht ertheilt u. deren Aufnahme in das Bürgerrecht der Gemeinde Weiach bestätigt, in der Meinung, daß von den Petenten innert Monatsfrist eine Landrechtsgebühr von Frk. 200 bezahlt werde.

2. Sei nach Erfüllung dieser Bedingung von der Staatskanzlei die Landrechtsurkunde auszufertigen.

3. Mittheilung an die Finanzdirektion im Auszuge, an den Gemeindrath Weiach, an die Gesuchsteller, sowie an die Direktion des Innern.
»


Man beachte, dass die Ehefrau Lieberts nicht einmal namentlich erwähnt wurde, denn ihr neues Bürgerrecht war von dem ihres Ehemannes abhängig. Umgekehrt war das auch bei Frauen so, die einen Ausländer heirateten. Sie verloren mit der Heirat ihr Landrecht und auch das Gemeindebürgerrecht. Waren also keine Schweizerinnen mehr.

Kriegerische Umstände in der alten Heimat

An diesem 30. Januar 1869 also wurden die Lieberts auch mit offiziellem Segen aus Zürich zu Schweizern – und hörten auf Württemberger zu sein. Schneitheim wird heute übrigens Schnaitheim genannt und gehört zur Stadt Heidenheim an der Brenz in Baden-Württemberg, ca. 30 km nördlich von Ulm nahe der bayrischen Grenze.

Die Lieberts schätzten sich wohl doppelt glücklich, Schweizer geworden zu sein. Denn noch 1866 führte ihre alte Heimat Württemberg zusammen mit Nassau und Hessen und in einer Koalition mit Österreich-Ungarn Krieg mit Preussen, was dazu führte, dass die Württembergische Armee bei Tauberbischofsheim (drei Wochen nach der kriegsentscheidenden Schlacht bei Königgrätz) eine empfindliche Niederlage erlitt.

Ausländische Handwerksmeister hatten ein Problem

In Weyach hatte sich Jakob Liebert sen. als Hafner betätigt. 1835, 1841 und 1845 wurde seine Niederlassungsbewilligung vom Regierungsrat bestätigt, ebenso 1848 und 1850, allerdings nur unter der Bedingung. dass ihm die Ausübung eines selbstständigen Handwerks verboten sei und bei Zuwiderhandlung der Entzug der Niederlassung drohe. Bemerkenswert ist unter diesen Umständen, dass es in der Sammlung des Ortsmuseums eine Ofenkachel von 1834 mit Lieberts Namen gibt. Waren die Vorschriften 1834 noch liberaler? Man muss es annehmen. Und versteht, warum sich die Lieberts auf den Handel mit Geschirr verlegt haben. Nun, mit dem Bürgerrecht in der Tasche, war ihnen auch die volle Gewerbefreiheit gegeben.

Quellen
  • Regierungsrat des Kantons Zürich: Landrechtsertheilung, 30. Januar 1869. Signatur: StAZH MM 2.183 RRB 1869/0171 - S. 176-178.
  • Suter, M.: Artikel «Zürich (Kanton)». Kapitel 2.3.1 Das Zürcher Regiment, der Staat und die Staatsverwaltung. In: Historisches Lexikon der Schweiz (e-HLS), Version vom 24.08.2017.
  • Brandenberger, U.: 50 Jahre Ortsmuseum Weiach. Wiachiana Dokumentation Nr. 4, September 2018 – S. 28. (Bild des Grabsteins von Jakob Liebert jun. oben)
[Veröffentlicht am 16. Juni 2019 um 18:54 MESZ]

Mittwoch, 16. Januar 2019

Wie die Weiacher Jungbürger vom Bundesrat empfangen wurden

Vor kurzem ist Mauro Lenisa von uns gegangen (vgl. WeiachBlog Nr. 1384). In seiner Funktion als Gemeindepräsident hat er mehreren Jahrgängen von Weiacher Jungbürgerinnen und Jungbürgern zu einem staatsbürgerlichen Aha-Moment verholfen. Alle zwei Jahre reiste er mit den frisch in die vollen Bürgerrechte Aufgenommenen in die Bundesstadt und erklärte ihnen dort den Parlamentsbetrieb und die hohe Politik.

So auch dem Schreibenden, der sich noch gut an die Verwunderung seiner Jahrgangskollegen erinnert, die angesichts der Verhältnisse im Nationalraatssaal Platz griff. Denn da hörte von den wenigen Anwesenden kaum jemand zu. Viele lasen sogar Zeitung, während sich am Rednerpult ein anderer Politiker ins Zeug legte.

Jean-Pascal Delamuraz hautnah erlebt

Beim Durchblättern der ersten Ausgaben der von Mauro Lenisa gegründeten «Mitteilungen für die Gemeinde Weiach» ist mir deshalb der nachstehend abgedruckte Beitrag von Karin Klose besonders aufgefallen. Denn die Jahrgänge 1965 und 1966 sassen nicht nur auf den Tribünen der heiligen Hallen der Bundespolitik, sie kamen sogar in den Genuss einer Privataudienz bei Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz, der zu diesem Zeitpunkt seit etwas mehr als zwei Jahren Vorsteher des Eidg. Militärdepartements war (EMD 1984-1986; EVD 1987-1998).

Karin Klose ist in Weiach keine Unbekannte. Sie war Präsidentin der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde und ist seit Jahren Präsidentin der Rechnungsprüfungskommission der Gemeinde Weiach. In den Kontrollen von Karin und ihren RPK-Kollegen ist schon mancher Punkt ans Tageslicht befördert worden, der dann in einer Gemeindeversammlung zu mehr als nur kritischen Bemerkungen geführt hat.

Nachstehend der Beitrag von Karin in der Juli-Ausgabe 1986 der MGW im vollen Wortlaut samt Bildern. Bemerkungen des WeiachBlog-Autor sind in eckigen Klammern gesetzt.

Jungbürgerfeier 1986, Jahrgänge 1965 + 1966

Mittwoch, 4. Juni, 6.30 Uhr, Bahnhof Weiach: 12 Regenschirme mit ihren Besitzern warten auf die Abreise. Der Zug kommt - wir steigen ein. Nun konnte unsere Jungbürgerfeier beginnen.

Bei Kaffee und Gipfeli fuhren wir über Winterthur - Zürich nach Bern. Kurz nach 9 Uhr kamen wir in der Bundeshauptstadt an und schlenderten gemütlich Richtung Bundeshaus. Mit gemischten Gefühlen traten wir in den bekannten und doch unbekannten Tempel der Demokratie.

Ein Weibel führte uns in den linken Flügel, wo wir auf Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz warteten. [Das Bundeshaus Ost ist traditionell der Sitz des EMD] Kurz nach 10 Uhr betrat der EMD-Vorsteher das Sitzungszimmer. In sehr gutem Deutsch erklärte er uns in einer kurzen Ansprache die Aufgaben des Bundesrates und verglich unsere föderalistische Staatsform mit der des Auslandes.

Für Fragen blieb uns leider nur sehr wenig Zeit; es reichte nur für die drei folgenden:
- Was halten Sie von einer Frau im Bundesrat?
- Haben Sie noch Zeit für Hobbies, wenn ja, für welche?
- Was geschieht nun bezüglich des neuen Kampfpanzer Leopard II?

Er finde es positiv, dass auch eine Frau im Bundesrat vertreten ist. [Die erste Bundesrätin, Elisabeth Kopp, wurde im Dezember 1983 zusammen mit Otto Stich und Delamuraz gewählt]

Bei der Frage nach seinen Hobbies antwortete er: "Mein grösstes Hobby ist meine Familie!" Sehr gerne entspannt er sich bei klassischer Musik. Ein grosser Teil seiner Zeit gehöre natürlich auch seinem Boot auf dem Lac Leman

Auf die letzte Frage folgte eine lange, ausführliche Antwort, welche ohne militärische Kenntnisse nur sehr schwer zu verstehen ist.

Anschliessend knipste unser Gemeindepresi noch ein Foto. Super, oder?



[Delamuraz mit Krawatte in der Mitte, rechts aussen Pfr. Koelliker]

Nachdem wir Monsieur Delamuraz "au revoir" gesagt hatten, ging es weiter in den National- und Ständerat. Amüsant war es, die Nationalräte zu beobachten, wie "interessiert" sie dem Referenten "zuhörten". Im Ständerat war das Klima schon ein wenig anders - sympathischer. Vielleicht war aber auch nur das Thema "packender".

Um ca. 11 Uhr verliessen wir das Bundeshaus und genehmigten uns ein Gläschen Wein. Nach einem kurzen Spaziergang an der Zytgloggen vorbei kamen wir beim Restaurant "Casino" an. Beim gemütlichen Beisammensein erklärte uns Herr Lienhard die Pflichten gegenüber der Gemeinde, wie Wegzug, Neuzuzug, Heirat, Geburt, u.s.w.

Darauf wurde dann endlich unser langersehntes Mittagessen aufgetischt. Nach Stroganoff mit Reis, Salat, Suppe und zum Dessert Zwetschgenmousse, sahen wir uns frisch gestärkt die Altstadt an.

Manche suchten eine der gemütlichen Beizli auf, anderen gefiel das "Lädele" besser, und einige bestaunten, wie das Foto zeigt, die schönen Brunnen.
Ungefähr eine Stunde später fanden wir uns beim abgemachten Treffpunkt wieder ein, und schon ging es weiter Richtung Münster.

In 1 1/2 Stunden erzählte uns der Münsterpfarrer allerlei Wissenswertes über "sein" Gotteshaus.

Der Münsterbau begann 1421 nach Plänen und unter der Leitung von Matthäus Ensinger im spätgotischen Flamboyant-Stil. Der Einbau der komplizierten Netzgewölbe im Mittelschiff erfolgte erst nach der Reformation in den Jahren 1573-1575. Beim Turmbau stellte der wenig druckfeste Melassesandstein [Molassesandsteinunlösbare Probleme. Man liess es daher auf der 1521 erreichten Höhe von rund 61 m bewenden. Erst die moderne Bautechnik erlaubte die Vollendung des Turmes in den Jahren 1889-1893 bis zu einer Höhe von ca. 100 m. Vielleicht hatten [sic!] wir etwas weniger gekeucht, wenn es bei der alten Höhe geblieben wäre... Dafür wurden wir mit einem wunderschönen Ausblick über die Stadt Bern belohnt.

Nach einem kurzen Abschiedstrunk in einem der vielen gemütlichen Cafés verabschiedeten wir uns von der Bundeshauptstadt.

Nach dem Nachtessen im Zürcher "Chropf" schnappten wir uns den letzten Zug nach Weiach. [Der fuhr damals noch vor 22 Uhr!] Dort war es dann ziemlich ruhig, und alle stellten fest, dass diese Jungbürgerfeier etwas ganz tolles und eindrückliches gewesen ist. Eine Möglichkeit mehr, sich wieder einmal zu sehen.

V.l.: I. Troxler, R. Willi, S. Meierhofer, R. Angst, K. Klose, H. Lienhard, A. Schmid, M. Lenisa, M. Baltisser, F. Duttweiler, R. Baltisser  [Foto: Pfr. Koelliker]

Im Namen aller Jungbürger möchte ich mich recht herzlich bei Herrn Lenisa, Herrn Pfarrer Kölliker und Herrn Lienhard bedanken.

Leider war trotz des Top-Programms die Zahl der Teilnehmer sehr bedenklich. Es wird für Jungbürger etwas organisiert, und die Gelegenheit etwas Einmaliges zu erleben, wird nicht wahrgenommen. Wirklich schade.

K.K. [Karin Klose]

Quelle
  • Jungbürgerfeier 1986, Jahrgänge 1965 + 1966. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Juli 1986 - S. 19-21
[Veröffentlicht am 10. April 2019 um 13:00 MESZ]

Dienstag, 1. Januar 2019

Jahrzehntelange Kontinuität auf dem Orgelbänkli

Im Jahre 1969 wurde die aktuelle Orgel auf der Empore der evangelisch-reformierten Kirche Weiach, ein Instrument der neuenburgischen Orgelmanufaktur Neidhart & Lhôte, eingeweiht. Aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums unserer Orgel wird WeiachBlog 2019 diverse Artikel zur Orgel und den Personen veröffentlichen, die mit ihr zu tun hatten und haben.

Es gibt wenige Ämter, die in Weiach in den letzten 125 Jahren mit einer derartigen zeitlichen Ausdauer ausgeübt wurden, wie gerade das des Organisten. Gerade einmal 3 (!) Amtsinhaber gab es in dieser langen Zeit:
  • Albert Griesser 1891-1946 (Jahrzahlen erschlossen aus Maurer 1966)
  • Walter Harlacher 1946-1997 (Jahrzahlen aus Gesprächen mit Willi Baumgartner-Thut und Claire Griesser erschlossen)
  • Lydia Kellenberger 1997-2019 (amtierend)
Mit Walter Harlacher, der im September 1996 (vgl. MGW 09/1996, S. 20) für 50 Jahre treue Dienste geehrt wurde, hat die damalige Kirchenpflegerin Regula Brandenberger zum 40sten Dienstjubiläum im September 1986 ein Interview geführt. Es enthält auch Informationen zur Orgel sowie ein paar Anekdötchen des Kirchenmusikers Harlacher.

Seltenes Dienstjubiläum. Seit 40 Jahren amtet Herr Walter Harlacher (geb. 1927) als Organist in der Kirche Weiach.

R.B. - Erinnern Sie sich, wann Sie zum ersten Male in Weiach Orgel gespielt haben?

W.H. - Ja, das war am 1. oder 2. Juni 1946.
[Was stimmen kann: der 2. Juni 1946 war ein Sonntag; gemäss http://www.ewigerkalender.de/]

R.B. - Bei welchem kirchlichen Anlass war das?

W.H. - Bei einem gewöhnlichen Gottesdienst.

R.B. - Haben Sie vorher in der Kirche geübt?

W.H. - Ja, ich war damals mit meiner zukünftigen Braut (sie 17 1/2, ich 19) von Schöfflisdorf per Velo zum damaligen Kirchenpflegepräsidenten, Herrn Zollinger gefahren, um mich vorzustellen, und anschliessend habe ich zum ersten Mal auf der Orgel geübt.

R.B. - Wie sind Sie zum Orgelspiel gekommen?

W.H. - Mein Vater war 30 Jahre lang Organist in Schöfflisdorf. Bereits mit 7 Jahren durfte ich in Niederweningen bei Frau Schultheiss Klavier spielen lernen. Vater nahm mich aber auch oft mit in die Kirche und liess mich Choräle und Choralvorspiele ausprobieren. Im Krieg bat mich dann unser Kirchenpflegepräsident, doch den Vater bei Bedarf zu vertreten.

R.B. - Orgelspielen ist Ihr Nebenamt, Ihr Hobby. Welches ist denn Ihr Brotberuf?

W.H. - Ich habe bei meinem Vater das Handwerk des Sattler/Tapezierers erlernt. Eigentlich hätte ich Lehrer werden wollen. Eine ledige Tante hatte den grössten Teil meiner musikalischen Ausbildung bezahlt: Im Konservatorium zB Harmonielehre und Komposition bei Ernst Hörler und Heinrich Funk, an der Musikakademie eine Ausbildung zum Blasmusikdirigenten. (Mit 20 Jahren habe ich die Blasmusik Niederhasli übernommen und 19 Jahre lang geleitet. Im ganzen habe ich 36 Jahre lang Blasmusiken dirigiert.)

Da ich in meinem erlernten Beruf nicht glücklich war, besuchte ich in Zürich eine kaufmännische Abendschule und wechselte 1963 zur Firma Elco, wo ich heute noch arbeite, als Geschäftsführer.

Mein Traumberuf wäre aber Kapellmeister gewesen. Heute würde ich mich nicht mehr von meinem Ziel abbringen lassen, denn damals hiess es, Musiker sei eine gar zu unsichere Existenz.

R.B. - Sie üben zuhause. Wie lange pro Woche?

W.H. - Eine halbe bis eine ganze Stunde pro Tag, oder einen ganzen Samstagnachmittag.

R.B. - Auf welcher Art Instrument spielen Sie zuhause?

W.H. - Auf zwei elektronischen Orgeln: eine speziell für geistliche Musik; eine grosse Konzertorgel, die alle möglichen Stile, Mixturen und Klangfarben erlaubt. [Und] auf einem Klavier.

R.B. - Hatten Sie nie den Wunsch nach einer schönen, alten Toggenburger Hausorgel?

W.H. - Doch, sehr. Das ist ein ganz riesiger Wunsch! Und auch einen Flügel wünsche ich mir, einen 2.80 m langen mindestens ...

R.B. - Ich nehme an, unsere Orgel hier wurde bei der letzten Kirchenrenovation 1968 auch revidiert.

W.H. - Ja, sie wurde 1969 gebaut. Die alte Orgel aus dem Jahre 1930 stand vorne im Chor[,] stammte von Orgelbauer Kuhn aus Männedorf. Sie hatte nur verzinkte Pfeifen.

Architekt Hintermann aus Zürich liess sich von Jakob Kobelt beraten. Da die Orgelbauer Metzler (in Dietikon) und Kuhn (in Männedorf) Lieferfristen von 7 und 8 Jahren hatten, entschloss man sich für ein Instrument des Orgelbauers Neidhardt aus St. Martin, Kt. Neuenburg. Entsprechende Orgeln hat es in Windisch und Mettmenstetten. Sie sind grösser, haben mehr Register, sind aber auch zweimanualig (dh zwei Tastaturen übereinander). Ich durfte jene Orgeln ausprobieren, hatte aber eigentlich keinen Einfluss auf den Entscheid.

Die Weiacher Orgel hat folgenden, guten und geschickten Aufbau:
- Hauptwerk als Brustwerk, mit eingebautem Spieltisch
- in die Empore eingebautes Rückpositiv
- hinter dem Brustwerk separat aufgestelltes Pedalwerk.

R.B. - Hat diese Orgel bestimmte Vorzüge, oder auch Nachteile, Eigenheiten?

W.H. - Sie ist sehr gut disponiert, sie hat eine klare Führung in hohen Tonlagen, keine Verzögerungsmechanik. Sie gehe fast zu leicht, sagt Jakob Kobelt. Hingegen sind die Mixturen zu stark, zu wenig differenzierbar. Der Klang wird zu dünn und es fehlt ihm an Wärme.

R.B. - Haben Sie einen ganz speziellen, vergleichweise "einfachen" Verbesserungswunsch für diese Orgel - irgend etwas, das Sie schon lange stört?

W.H. - Das Trompetenregister ist zu laut und zu scharf, man kann es nur gekop[p]elt, also nie allein für einen strahlenden Cantus firmus einsetzen. Man müsste es umintonieren, gewissermassen umstimmen, und das wäre kein gar so gewaltiges Unterfangen.

R.B. - Erinnern Sie sich an die erste Hochzeit, bei der Sie gespielt haben, vielleicht sogar an den Namen des Paares?

W.H. - Das war am 17. August 1946: Edwin Baltisser (Weiach) und Lina Fröhlich (Neerach).

R.B. - Könnten Sie überschlagsweise sagen, wievielen heute hier wohnenden Weiachern Sie zur Hochzeit gespielt haben?

W.H. - Nein! Das sind gar zu viele! Einzelne weiss ich schon noch. Da sind eben gar viele, denen ich zur Taufe, zur Konfirmation und zur Hochzeit gespielt habe! - Bei wenigen sogar auch schon zur Abdankung.

R.B. - Wieviele Pfarrer haben Sie miterlebt in diesen 40 Jahren?

W.H. - Pfr. Hauser, Pfr. Ryhiner, dann Pfr. Schäppi (Verweser), der unseren jüngsten Sohn getauft hat vor gut 24 Jahren, Pfr. Wyss, Pfr. Bär (Verweser) und jetzt Pfr. Koelliker.

R.B. - Haben Sie zu diesen Amtszeiten irgend eine besondere Erinnerung?

W.H. - Pfr. Weiss von Bachs
[sic!] ist mir in Erinnerung als kauziger Naturmensch, ich kannte ihn etwas besser, weil er hin und wieder meine Fahrdienste brauchte. Bei unseren jetzigen Pfarrersleuten schätze ich, dass sie allezeit ain [sic!] offenes Haus haben.

R.B. - Wieviele Sigristen, wieviele Kirchenpflegepräsidenten waren es?

W.H. - Sigristen: Robert Meierhofer, Albert Erb, Ernst Baltisser, Werner Attinger.
- Kirchenpflegepräsidenten: Walter Zollinger, Rudolf Meierhofer (alte Post), Emil Maurer (Station), Hans Griesser, Ruth Hauser, Rosa Baumgartner[-Thut].

R.B. - Erzählen Sie doch einige Begebenheiten aus Ihrer langen Organistenzeit!

W.H. - Da wäre einiges zu erzählen vom Weg hierher, jeweils am Sonntagmorgen! Von Schöfflisdorf her fuhr ich jeweils mit dem 6.45 Uhr-Zug bis Oberglatt, von dort nach Büli. Dort musste ich immer eine ganze Stunde warten auf den Weiacher Zug und habe im Wartsaal oft düstere und traurige Existenzen angetroffen. Oft fuhr ich aber auch mit dem Velo, später mit dem Töffli, und bin unzählige Male jammervoll verregnet worden. In solchen Fällen pflegte ich meinen nassen Kittel hinten in der Kirche, bei der Heizung unter der Empore aufzuhängen. Da kam es oft vor, dass die Läutbuben (die damals mit dem Mei[e]rhofer Robert in den Turm stiegen und beim Läuten halfen) mir aus meiner Jackentasche Zigaretten filzten und im Turm oben rauchten. Ein späterer Kirchenpfleger war auch dabei!

R.B. - Gibt es bestimmte Sonntage, Festtage im Kirchenjahr, die Ihnen besonders am Herzen liegen?

W.H. - Ja: alle Abensmahlgottesdienste [sic!] und Weihnachten.

R.B. - Eine Frage nun, den Kirchengesang betreffend: Empfinden Sie unsere Form des Gemeindegesanges als bemühend und "renovationsbedürftig", oder ist Ihnen wohl in unserer jetzigen Praxis?

W.H. - Es ist mir soweit durchaus wohl. Ich bin aber immer aufgeschlossen für Anderes, Neues. Beispielsweise würde ich gerne bei der Begleitung der Kirchenlieder die Registerfarben bei den einzelnen Versen varieren [sic!], ich weiss aber nicht, ob das bei den Kirchgängern zu grosses Befremden auslösen könnte.

R.B. - Gab es Zeiten, da Ihr Orgelamt Ihnen zur Last wurde? Im Krieg etwa?

W.H. - Ja, am Anfang meiner beruflichen Karriere, vor allem, weil ich damals noch kein eigenes Instrument hatte zum Ueben und es in Wettingen äusserst schwierig war, Uebungszeit an einer Orgel zu bekommen. Hingegen im Krieg war das Orgelamt keine Belastung - im Gegenteil. Probleme gab es aber etwa an Weihnachten.

R.B. - Womit wir bei Ihrer Familie wären. Wieviele Kinder haben Sie?

W.H. - Vier: Zuerst eine Tochter (Coiffeuse), dann einen Sohn (Förster), dann eine Tochter (Sekretärin) und wieder einen Sohn (Gartenbauer).

R.B. - Seit 40 Jahren lebt nun Ihre Frau mit dem klar profilierten Hobby ihres Gatten, "immer" lebten Ihre Kinder mit Vaters Orgeln. Gab das nicht oft Engpässe und Schwierigkeiten?

W.H. - Doch, ab und zu schon. Am schwierigsten war es immer an Weihnachten: Früher war am zweiten Weihnachtstag auch noch Gottesdienst, und so war ich oft beide Weihnachtstage eigentlich nicht zuhause.

R.B. - Könnten Sie sich eine andere Art von Amt vorstellen, das Sie ebenso treu über so viele Jahre hätten ausüben können?

W.H. - Ja: Chorrepetitor, dh einen Chor bei den Proben begleiten auf dem Klavier. Das ist übrigens etwas, das ich gerne tun möchte in den nächsten Jahren: ich denke nicht, dass ich in der ständig zunehmend härteren Arbeitswelt ausharren werde bis 65. Ich möchte mich vorher teilweise zurückziehen und mehr Zeit haben für mein Hobby.

R.B. - Wir gratulieren Ihnen (und uns!) ganz herzlich zu Ihrem seltenen Dienstjubiläum! Wir wünschen Ihnen recht gute Gesundheit, und viel Freude für die musikalischen Aufgaben, die Sie in den nächsten Jahren vermehrt übernehmen möchten. Wir wünschen uns, dass wir weiterhin auch zu Ihren musikalischen Aufgaben zählen werden.

Vielen Dank für Ihre langjährige Arbeit und die ausdauernde, gar nicht selbstverständliche Diensttreue!

Pfarramt und Kirchenpflege


Quellen
  • Maurer, E.: Eine neue Orgel für die Kirche Weiach. Weiach, 1966 - S. 8
  • Unter uns... Seltenes Dienstjubiläum. Seit 40 Jahren amtet Herr Walter Harlacher (geb. 1927) als Organist in der Kirche Weiach. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Oktober 1986 - S. 30-34.