Donnerstag, 31. Oktober 2019

Der Briefträger des Oberstkorpskommandanten

Zum 14. Geburtstag des WeiachBlog (vgl. Nr. 1) eine kleine Anekdote aus den Erinnerungen unseres Dorfkünstlers Hans Rutschmann-Griesser. Er war bekanntlich über Jahrzehnte hinweg als Briefträger in Bülach tätig - und deshalb passt es auch perfekt, dass er seit den 50er-Jahren an der Alten Poststrasse 4 in Weiach wohnt.

Als Briefträger war Hans für das Quartier Niederflachs zuständig, das zwischen der Kaserne und der Bülacher Altstadt liegt. Schon Ende der 60er-Jahre gab es da viele Wohnblöcke, in denen vornehmlich Arbeiterfamilien lebten. Die Väter verdienten in der Glasindustrie, bei Sulzer, Landert Motoren, etc. den Lebensunterhalt.

Hans erzählte dem Redaktor des WeiachBlog, er habe letzthin von «Oberstkorpskommandant» Aldo Schellenberg gelesen. Und sich erinnert, dass in seinem Zustellbereich auch die Familie Schellenberg-Forlin (Nachname der Ehefrau nach Gehör notiert) gewohnt habe.

Einmal habe er einen eingeschriebenen Brief abgeben müssen. Mutter Schellenberg habe diesen gleich vor ihm aufgerissen und gelesen. Dabei sei sie in Tränen ausgebrochen. Tränen der Freude:  «Aldo hat die Aufnahmeprüfung in die Kantonsschule bestanden!». Ja, und jetzt sei aus dem Arbeiterbub Aldo ein Oberstkorpskommandant geworden.

Gradkenntnisse aus der RS bleiben im Gedächtnis

Von der seit 1977 veralteten Bezeichnung «Oberstkorpskommandant» ist unser mittlerweile 91-jähriger Mitbürger nicht abzubringen. Die ist fest im Gedächtnis verankert. Gelernt ist gelernt. Denn wahrscheinlich hat die Schweizer Armee ihren Rekruten schon in den Nachkriegsjahren als erste Lektion Gradkenntnisse und militärisches Grüssen beigebracht. Wie das noch heute am ersten Tag der RS der Fall ist.


Dass es sich bei diesem Buben aus dem Quartier Niederflachs tatsächlich um Korpskommandant Aldo C. Schellenberg, Chef Kommando Operationen und Stellvertreter des Chefs der Schweizer Armee (Bild: vtg.admin.ch) handelt, legt die Formulierung «Schellenberg besuchte die Schulen in Bülach, zuletzt die Kantonsschule Zürcher Unterland, die er 1979 mit der Matura Typus C abschloss» im Wikipedia-Artikel zu seiner Person nahe. Der Wikipedia-Autor mit dem Pseudonym «=» verweist in der Quellenangabe zu seinem Eintrag auf den Lebenslauf in Schellenbergs Dissertation von 1991.

Fazit: in unserem Land ist die soziale Durchlässigkeit von unten nach ganz oben Realität. Ein Arbeitersohn kann es via Studium, Doktorat und Generalstabskarriere bis in die oberste Armeespitze schaffen, vgl. das Curriculum Vitae Schellenbergs.

Mittwoch, 30. Oktober 2019

Ein Telefon in jeder Küche - wegen Einweihung der Wasserversorgung

Die nachfolgende Kurzmeldung wurde im Spätherbst 1897 vom Redaktor ohne weiteren Kontext in sein nach ihrem wöchentlichen Erscheinungstag «Freitagszeitung», vom Volksmund «Bürkli-Zeitung» genanntes Blatt gesetzt:

«Eine Wasserversorgung wurde am Sonntag in Weiach eingeweiht. Das Plauderstündchen am Dorfbrunnen soll künftig durchs Telephon, das in jeder Küche anzubringen wäre, ersetzt werden.»

Diese Zeilen werfen Fragen auf.

1. Die erste Haus- und Löschwasserversorgung der Gemeinde Weiach stammt aus dem Jahr 1877. Sie wurde völlig unabhängig vom Leitungs- und Reservoir-System der Dorfbrunnen konzipiert und gebaut. Zwanzig Jahre später kann es also nur um eine Erweiterung der Kapazität, bzw. eine Druckerhöhung gegangen sein, z. B. mit einem zusätzlichen Reservoir für die Hauswasserversorgung. Was da genau eingeweiht wurde? Bleibt einstweilen im Dunkeln.

2. Aus welcher Feder die scherzhaft gemeinte Ankündigung stammt, dass nun jede Küche mit einem Telefonanschluss ausgerüstet werden müsste, ist ebenfalls nicht bekannt. Dass das Telefon ausgerechnet in der Küche platziert werden sollte (also dort, wo die Frauen hingehörten...), ist ein deutlicher Seitenhieb auf den Dorfklatsch, der beim Wasserholen an den Laufbrunnen ausgetauscht werden konnte. Diese Tätigkeit war nun einmal weitgehend Frauensache, vor allem wenn es um Wasser für Wasch- und Kochzwecke ging.

Dass die Zeilen aus Weiach oder der unmittelbaren Nachbarschaft eingesandt wurden, ist nicht unwahrscheinlich, zumal die erste öffentliche Telephon- und Telegraphenstation in Weiach 1895 eingerichtet wurde. Die Idee eines privaten Telefons in jeder Küche einer Landgemeinde erschien wohl damals derart absurd, dass man auch in der Stadt Zürich (Telefonsystem ab 1880 im Aufbau) beim Lesen schmunzelte.

Noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein waren Telefone in Weiacher Privathaushalten keineswegs selbstverständlich. Da musste man schon auf der Post oder in einer Gastwirtschaft anrufen. Und der Gesprächspartner wurde dann ans Telefon gerufen.

Quelle

Montag, 28. Oktober 2019

Der Storch im Stall

Es sind nicht nur Unglücksfälle und Verbrechen oder die eine oder andere Sportnachricht, die den Ortsnamen Weiach in Massenmedien verbreiten. Manchmal sind es auch Kuriosa. In früheren Zeiten allerdings eher als heutzutage. Anfangs des 20. Jahrhunderts brachte der Bote vom Untersee, eine Thurgauer Regionalzeitung, die folgende Kurzmeldung:

«Zürich. In Weiach ließ sich laut "L.-B." ein Storch, der wahrscheinlich die Südreise mit seinen Kameraden nicht mehr mitmachen konnte und von denselben verstoßen wurde, von einem Bürger ganz willig fangen. Er fühlt sich seither ganz heimelig neben den andern Haustieren im Stalle und erfreut sich der besten Gesundheit. Bei warmem Wetter macht er seine Promenaden.»

Mit «"L.-B."» ist ziemlich sicher der «Lägern-Bote» gemeint, der 1949 mit der «Bülach-Dielsdorfer Wochen-Zeitung» zum «Zürcher Unterländer» fusioniert hat.

Die zitierte Kurzmeldung war in der Rubrik «Kantone» eingefügt. Sie folgte nach dem Leitartikel auf Seite 1 und den Rubriken «Eidgenossenschaft» und «Thurgau». Über das «Ausland» wurde erst nach den Kantonen berichtet.

Unfreiwillig komisch wirkt der Titel des Leitartikels derselben Ausgabe, in dem sich der Weiacher Stall-Storch findet: «Die Gefährlichkeit der Haustiere für die Gesundheit des Menschen»!

Damals problemlos, heute nur mit obrigkeitlicher Bewilligung und Ausbildung erlaubt

Heutzutage müsste jeder, der einem Storch in seinem Stall einfach so Asyl gewährte, damit rechnen, ins Fadenkreuz des Kantons zu geraten, der dann mit der Tierschutzverordnung (TSchV) wedelt.

Der Storch gilt als nicht domestiziert und damit gemäss Art. 2 Abs. 1 Bst. b TSchV als Wildtier. Stelzvögel, wozu auch die Störche zählen, dürfen von Privaten gemäss Art. 89 Bst. d TSchV nur mit einer Bewilligung (des Kantons) gehalten werden.

Dann schlägt Art. 85 Abs. 1 TSchV zu: «In bewilligungspflichtigen Wildtierhaltungen müssen die Tiere unter der Verantwortung einer Tierpflegerin oder eines Tierpflegers betreut werden

Unser Bauer von 1902 hätte aber Glück, dass es nur um diesen einen Storch geht. Nach Art. 85 Abs. 2 TSchV muss er deswegen keinen ausgebildeten Tierpfleger anstellen. Aber er braucht wohl noch eine «fachspezifische berufsunabhängige Ausbildung» gemäss Art. 197 TSchV. Ich würde aber fast wetten, dass es einen solchen Kurs nicht gibt.

Wie das Bewilligungsverfahren abläuft, lässt Art. 94 erahnen: «Für das Gesuch ist die Formularvorlage des BLV nach Artikel 209a Absatz 2 zu verwenden.» Artikel 209a derselben Tierschutzverordnung natürlich.

Damit aber nicht genug. Die Räume, in denen der Storch lebt, müssen nicht nur für ihn geeignet sein. Auch ein Entweichen muss ausgeschlossen sein (Art. 95 TSchV). Also nix mit freien Spaziergängen bei schönem Wetter. Und: es muss eine Tierbestandeskontrolle geführt werden (Art. 93 TSchV).

O, sankta Bürokrazia!

Quellen
  • Bote vom Untersee. Publikations-Organ für den Bezirk Steckborn (späterer Titel: Bote vom Untersee und Rhein), 19. November 1902 - S. 2 (Link auf: e-newspaperarchives.ch)
  • Schweizerischer Bundesrat: Tierschutzverordnung (TSchV) vom 23. April 2008 (Stand am 27. November 2018; PDF)

Samstag, 26. Oktober 2019

Die Einweihung unserer Neidhart&Lhôte-Orgel

Am heutigen Tag vor genau 50 Jahren wurde die gegenwärtige Orgel in der Reformierten Kirche Weiach offiziell eingeweiht.

Nach dem 1866 beschafften Trayser-Harmonium und der 1930 erbauten Kuhn-Orgel (Opus 648) ist es das dritte der Kirchenmusik gewidmete fixe Instrument in diesem Gotteshaus (das von erst dem zweiten von der Kirchgemeinde angestellten Organisten gespielt wird, vgl. WeiachBlog Nr. 1385).

Im Jahre 2020 soll die neobarocke Neidhart-Orgel totalrevidiert werden. Das bedeutet, dass man sie zu Beginn der Renovation der Kirche komplett demontieren wird, Einzelteil für Einzelteil. Diese werden dann alle gründlich unter die Lupe genommen, wo nötig aufgefrischt und schliesslich bis zum Abschluss der im Innern der Kirche erforderlichen Bauarbeiten extern eingelagert.

Ende 2020 (oder Anfang 2021) soll die wieder am alten Platz montierte Orgel erneut in alter Pracht erstrahlen - samt dem hölzernen Schleiergitter des Rückpositiv-Prospekts mit dem Weiacher Wappen, das farblich mittlerweile doch ziemlich gelitten hat.

Festgottesdienst am Morgen, Barock-Konzert am Nachmittag

Nachstehend soll es um die beiden zur Einweihung der Orgel organisierten Anlässe gehen. Zur Einweihung hat die Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Weiach ein Faltblatt drucken lassen (Bild des Titelblatts nachstehend), welches das Programm des Tages wiedergibt, zu den technischen Details jedoch fast vollständig schweigt.



Die nachfolgende Transkription der Seiten 2 bis 4 ist für diesen Artikel mit Links auf die Komponistenartikel der Wikipedia sowie Interpretationen der aufgeführten Werke von Youtube angereichert. Auffallend an den gewählten Werken ist ihre durchgehende Verankerung in der Zeit des Barocks. Mit Ausnahme von Bach und Händel haben diese Kirchenmusiker und Komponisten ihre aktive Zeit vor dem Bau der Weiacher Kirche gehabt.

Den Vormittag bestritt an der neuen Orgel der Weiacher Organist Walter Harlacher, den Nachmittag der Orgelexperte Jakob Kobelt.

[Seite 2]

Gottesdienst

09.30-09.45 Uhr: Einläuten zum Familiengottesdienst

Eingangsspiel der Orgel

Eingangswort

Kirchenchor: «Schaffe in mir Gott, ein reines Herze»
[Melodie von:] Georg Winer, 1583-1651 [auch bekannt als: Johann Georg Wiener]

Psalmgebet und Loblied der Gemeinde: 52, 1. 5.  «Lobe den Herren»

Bittwort, Schriftlesung

Kirchenchor: Das geistliche Konzert Nr. 75 (Magnificat)
Andreas Hammerschmidt, 1612-1675 [Evangelisch-lutherischer Kirchenkomponist]
Gemeint ist wohl: Der Lobgesang der Maria  Meine Seele Gott erhebt (Magnificat), 1962 erschienen in der Serie Geistliche Chormusik des Stuttgarter Hänssler-Verlags.

Predigt über Psalm 150: «Alles, was Odem hat, lobe den Herrn»

Lied der Gemeinde: 53, 1. 9. 10. «O dass ich tausend Zungen hätte»

Anzeigen

Fürbitte und Gebetsstille

Segen

Schlusslied der Gemeinde: 213, 1. 5. «Brunn allen Heils, dich ehren wir»

Ausgangsspiel der Orgel

Walter Harlacher, Orgel
Kirchenchor Weiach
Solisten, Instrumentalisten
Leitung: Herbert Rumhold

[Seite 3]

Konzert zur Einweihung der neuen Orgel

Einläuten: 14.30-14.45 Uhr

Ausführende:
Hans Suter, Bass
Kammerorchester Kobelt
Jakob Kobelt, Orgel

Programm

Dietrich Buxtehude: Präludium, Fuge und Ciacona in C-Dur für Orgel  [BuxWV 137; Tonbeispiel]

Johann Pachelbel: Partita über «Was Gott tut das ist wohlgetan» für Orgel  [Tonbeispiel]

Dietrich Buxtehude: Kantate «Mein Herz ist bereit» für Bass, Streichinstrumente und Orgel
[Tonbeispiel]

Gerolamo Frescobaldi: Toccata in g für Orgel  [Tonbeispiel]

Domenico Zipoli: Versetten und Pastorale für Orgel [Tonbeispiel]

Arcangelo Corelli: Conterto [sic!] grosso in g-moll für Streichorchester und Orgel  [sog. Weihnachtskonzert; Tonbeispiel]

Johann Sebastian Bach: Drei Orgelchoräle  [gemeint sind wahrscheinlich die Choralvorspiele für Orgel]
a) Komm Schöpfer, Geist  [BWV 631; Tonbeispiel 1; Tonbeispiel 2Tonbeispiel 3]
b) Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ  [BWV 639; Tonbeispiel]
c) Vater unser, im Himmelreich [unklar ob BWV 636, 682 oder 737]

Tripelfuge in Es-Dur  [BWV 552; Tonbeispiel]

Georg Friedrich Händel: Rezitativ und Arie für Bass, Streichorchester und Orgel aus dem «Messias»
Rezitativ und Arie für Bass, Streichorchester und Orgel aus dem «Messias»
Rezitativ: «Denn blick auf, Finsternis deckt das Erdreich»
Arie: «Das Volk, das im Finstern wandelt»

Konzert für Orgel und Orchester in F-Dur  [Aufgrund dieser Angabe kommen mind. 3 Werke in Frage: HWV 292: Orgelkonzert in F-Dur, Op 4 No 4; HWV 293: Orgelkonzert in F-Dur, Op 4 No 5; sowie HWV 295: Orgelkonzert in F-Dur, Der Kuckuck und die Nachtigall]

Eintritt frei -- Kollekte für die Mission

Wie man den obigen Angaben in eckigen Klammern entnehmen kann, ist aufgrund der Angaben im Programm nicht bei jedem aufgeführten Werk zweifelsfrei eruierbar, um welches es sich genau gehandelt hat.

[Seite 4]

Unsere neue Orgel

Im November 1966 hat die Kirchenpflege Weiach eine kleine Schrift herausgegeben mit dem Titel: «Eine neue Orgel für die Kirche Weiach». Am Schluss derselben heisst es: «Wenn alles gut geht, wird die Orgel auf den Advent 1970 in unserer Kirche sein.»

Zu unserer grossen Freude ist alles über Erwarten gut gegangen. Am 1. Oktober dieses Jahres war unsere Orgel fertig eingebaut und gestimmt. Sie besteht aus 3 Teilen: Hauptwerk, Rückpositiv und Pedal. 16 klingende Register mit mehr als 1000 Pfeifen sollen die Ehre Gottes preisen.

Erfreulich gross war das Echo auf die Bitte der Kirchenpflege. Mehr als 200 Gaben im Gesamtbetrag von über 40 000 Fr. sind eingegangen. Der Kreis der Spender erstreckt sich weit über die Grenze unserer Kirchgemeinde hinaus.

Glaubensgenossen von nah und fern bekundeten auf diese Weise ihre stille Verbundenheit mit unserer Dorfkirche. Besonders möchten wir die kräftige Mithilfe der reformierten Kirchgenossenschaft Kaiserstuhl-Fisibach erwähnen.

Im Namen der ganzen Gemeinde möchten Kirchenpflege und Pfarramt allen Spendern von Herzen danken. Viele haben die äussere Gestalt unserer neuen Orgel auf der Empore schon gesehen. Alle sind freundlich eingeladen, ihre Stimme zu hören. Möge sie mit der gewaltigen Fülle ihrer Töne und der Reinheit ihrer Harmonie uns allen helfen, dass wir zusammenfinden und einstimmen in das Lob Gottes.

Experte: Jakob Kobelt, Mitlödi
Gestaltung: Paul Hintermann, Rüschlikon
Ersteller: Neidhart und Lhôte, St. Martin NE

Bereits einige Tage vor der Einweihung (am 22. Oktober 1969) erschien in den Regionalzeitungen Zürcher Unterländer und Zürichbieter der nachstehende Artikel:



[Veröffentlicht am 28. Oktober 2019]

Mittwoch, 23. Oktober 2019

Wahlsiegerin: die Partei der Stimmabstinenten (PdSa)

Eine Zahl ist in Weiach exakt gleich wie vor 4 Jahren. Bei den Nationalratswahlen 2015 wurden gleich viele gültig eingelegte Wahlzettel gezählt wie in diesem Jahr. Nämlich 355.

Damals waren allerdings erst 869 Wahlberechtigte zur Urne gerufen. Dieses Jahr 1114, ein Zuwachs von 28.2%. Bei gleichbleibender Anzahl Stimmzettel stürzt natürlich die Wahlbeteiligung ab. Und zwar massiv. Von 40.8% auf nur noch 31.9%.

Platzhirsch hält sich gleichem Niveau

Vordergründig hat in Weiach die SVP ihren Platzhirsch-Status verteidigt, so wie sie das seit vielen Jahren eindrücklich und mit fast gleichbleibenden Prozentwerten tut. Was bei dem in den letzten Jahren erfolgten massiven Bevölkerungszuwachs doch einigermassen erstaunt.

Nationalratswahlen 2003:
SVP 51.5 %, SP 15.9 %, FDP 7.7 %, EVP 6.8 %, GP 6.3 %, CVP 4.5 %.

Nationalratswahlen 2007:
SVP 54.8%; SP 12.9%; FDP 8.0%; GP 5.9%; GLP 5.1%; CVP 4.7%; EVP 4.3%.

Nationalratswahlen 2011:
SVP 49.9 %, SP 10.3 %, FDP 9.7 %, BDP 7.1%; GLP 5.9%, EVP 4.4 %; CVP 3.7 %, GP 1.9 %. Im Wahljahr 2011 war die SVP erstmals nicht mehr mit absoluter Mehrheit der abgegebenen Stimmen vertreten. Der Grund ist in der Abspaltung der BDP zu suchen.

Nationalratswahlen 2015:
SVP 56.4%, SP 12.1%, FDP 8.2%, EVP 4.7%, GLP 4.7%, BDP 4.5%; GP 2.4%, EDU 2.5%, CVP 2.0%.

Nationalratswahlen 2019:
SVP 55.6%, SP 10.0%, FDP 9.5%, GLP 6.9%; GP 4.8%, CVP 4.7%, EVP 4.0%, BDP 2.7%.

Die heimliche Siegerin

Berechnet man nun aber die tatsächlichen Prozentanteile an allen Wahlberechtigten, dann versammeln die Nichtwählenden in Weiach eine immer stärkere absolute Mehrheit hinter sich. Da kann auch die SVP glatt einpacken. Die Zahlen 2019: Stimmabstinente: 68.1%; SVP: 17.7%; SP: 3.2%; FDP: 3.0%; etc. In anderen Gemeinden ist das Resultat kaum anders. Nur die Reihenfolge hinter den Stimmabstinenten variiert.

Die Partei der Stimmabstinenten (PdSa) ist also eine extrem mächtige Gruppierung. Sie besteht mutmasslich aus Dutzenden von Splittergruppen, die eine geheime Nicht-Listenverbindung eingegangen sind. Darunter der aus dem Süden inspirierte «Movimento Tutti Ladri» (zu deutsch: SaGP; Sowieso-alles-Gauner-Partei), die Bürgerunbewegung «Mir-isch-glich», das Bündnis «Chume-nöd-druus» und weitere, lediglich Soziologen, Meinungsforschern und dem einen oder andern nicht auf den Kopf gefallenen Journalisten zugängliche Gruppen.

Trotzdem gut, dass es Parlamente gibt

Die PdSa zeigt ihre Macht in unserer direkten Demokratie vor allem bei Sachvorlagen. Da erwischt es die Etablierten regelmässig auf dem linken Fuss. Nicht nur die Parteien, den Bundesrat gleich mit.

Und das ist gut so, sonst könnte unsere Landesregierung glatt auf die Idee kommen, sich des lästigen Parlaments zu entledigen. Und nur noch mittels Dekreten und dem einen oder anderen Volksentscheid durchzuregieren (vgl. WeiachBlog Nr. 1410).

Ohne die manchmal als Schwatzbude und Lobbyisten-Karussell verschrieene Institutition Bundesversammlung, welche die Vielfalt der Meinungen zumindest in Ansätzen abbildet, könnte sich die Regierung wie weiland zu Zeiten der Helvetik ganz einfach auf die schweigende Mehrheit abstützen.

So wie bei der Abstimmung zur Zweiten Helvetischen Verfassung von 1802: Wer nicht abstimmte, dem wurde unterstellt, er sei für die Regierungslinie. Und so sagten die Weiacher im Mai 1802 geschlossen Ja (weil 100% PdSa!, vgl. WeiachBlog Nr. 663).

Freitag, 18. Oktober 2019

Neidhart&Lhôte-Orgel Weiach: Nur ein Rückpositiv bringt's!

Gegen Ende Oktober vor 50 Jahren konnte die gegenwärtige Weiacher Orgel als eines der letzten Elemente der Gesamtrestauration festlich eingeweiht werden. Dass sie so aussieht, wie wir sie heute kennen, nämlich mit einem Rückpositiv (RP), das über der Emporenbrüstung platziert ist, ist keineswegs selbstverständlich.

Eidgenössische Kommission droht mit Entzug aller Bundesubventionen

Die Eidgenössische Kommission für Denkmalpflege (EKD) sowie die Kantonale Denkmalpflege Zürich waren erklärte Gegner eines Rückpositiv. Dieses würde den bisherigen optischen Eindruck der Empore massiv beeinträchtigen, fanden sie.

Der Orgelexperte Jakob Kobelt, die Orgelbaufirma Neidhart & Lhôte, der Architekt der Gesamtrestaurierung, Paul Hintermann sowie die Kirchenpflege Weiach hingegen wollten nicht auf ein zweites Manual verzichten und argumentierten u.a., ein Oberwerk statt eines Rückpositivs würde mehrere Monate im Jahr unbenutzbar sein (vgl. unten).

Dieser Streit mit verhärteten Fronten dauerte mehrere Monate lang an und blockierte den Bau unserer Orgel. Aus den handschriftlichen Unterlagen des Orgelexperten, die als Teil seines Nachlasses in der Musikabteilung der Zentralbibliothek Zürich liegen, geht hervor, dass die Denkmalpfleger der Kirchgemeinde Weiach im Sommer 1966 mündlich gar den vollständigen Entzug aller Bundessubventionen angedroht hatten, sollte man auf dem Bau eines Rückpositivs beharren!

Sechs bis sieben Monate im Jahr unbrauchbares Oberwerk?

Dieses Rückpositiv war aber aus Sicht der Gemeinde unverzichtbar, wie nach Versuchen und Nachforschungen von Georges Lhôte klar wurde.

Lhôte schrieb im Januar 1967 an den Architekten Hintermann, am gegebenen Standort auf der Empore ein Oberwerk einzubauen, führe zu grossen Problemen:

«L’OW se trouve beaucoup trop près du plafond de l’église, à un niveau où il se produit toujours une couche de concentration de la chaleur. Ce clavier sera injouable pendant 6 ou 7 mois par an!» (Brief Nr. 8 im Nachlass Kobelt, Dossier Weiach; Signatur: ZBZ Mus NL 118: W6, Fasz. 1)

Technisch sei ein Oberwerk zwar realisierbar, aber in allen anderen Aspekten völlig unbefriedigend. Ein Unterwerk sei auch keine Lösung, da man es nicht mehr höre, wenn Sänger auf der Empore darum herum gruppiert seien. Seiner Meinung nach gebe es deshalb keine andere Lösung als ein Rückpositiv, wenn man eine zweimanualige Orgel wolle.

Und die Kirchgemeinde Weiach wollte unbedingt wieder eine zweimanualige Orgel, um neben der Gottesdienstbegleitung auch das ein oder andere Konzert veranstalten zu können.

Vier Varianten zur Diskussion

Am 22. Mai 1967 schliesslich schrieb der von der Kirchgemeinde Weiach beauftragte Orgelexperte Jakob Kobelt, der gleichzeitig auch Konsulent der EKD war, aus Mitlödi GL an die Eidgenössische Kommission für Denkmalpflege (Sekretariat an der Gasometerstrasse in der Stadt Zürich), vertreten durch den Kommissionspräsidenten, Prof. Dr. A. Schmid (Brief Nr. 10 im Nachlass Kobelt, Dossier Weiach; Signatur: ZBZ Mus NL 118: W6, Fasz. 1):

Betrifft: Orgel, Kirche Weiach

Sehr geehrter Herr Professor,

Die Angelegenheit mit dem Einbau einer neuen Orgel in der Kirche Weiach wurde vom Orgelbauer Georges Lhôte, vom Architekten Paul Hintermann, von Herrn Dr. Albert Knöpfli
[Mitglied der EKD] und mir nochmals gründlich beraten. Verschiedene Vorschläge und Projekte wurden einander gegenübergestellt, und vor allem wurde die von der EKD empfohlene Lösung (HW+OW, ohne Rückpositiv) geprüft.

Von verschiedenen Vorschlägen wurden Plan-Skizzen angefertigt, ich beziehe mich im folgenden auf die diesem Schreiben beiliegenden Pläne.

1. Plan A    Orgel mit reduziertem Rückpositiv
2. Plan A1  Orgel wie in Projekt
3. Plan B    Orgel mit Oberwerk, über geteiltem Hauptwerk
4. Plan C    Orgel mit Oberwerk, hinter Hauptwerk zurückgesetzt






Alle vier Lösungen sehen eine zweimanualige Orgel mit Pedal vor. Die Forderung der Gemeinde Weiach auf ein Orgelwerk mit zwei Manualen und Pedal ist berechtigt, ein einmanualiges Instrument kommt nicht in Frage.

Der Vorschlag der EKD und die Forderung der Kant. Denkmalpflege, auf das Rückpositiv zu verzichten, wurde eingehend geprüft und in den Plänen B und C aufgezeichnet.

Zu den Vorschlägen sei folgendes bemerkt:

I. Die Lösungen mit Oberwerk (Pläne B und C)

Beide Lösungen haben folgende Nachteile:

a) Das Oberwerk kann aus Platzgründen nur 2-füssig gebaut werden. Da das HW auf 8'-Basis steht, stehen die beiden Werke nicht im richtigen Verhältnis zueinander. Die 8'-Basis für das HW ist durch die Grösse des Raumes gegeben. Die klangliche Relation zwischen HW und OW ist gestört.


[Seitenwechsel]

b) Steht das OW in der gleichen Front wie das HW (Lösung B), so muss das HW geteilt werden, eine für diesen Raum unbefriedigende Lösung: der Klang des HW wird gespalten.

c) Steht das OW hinter dem HW (Lösung C), dann kann das HW wohl zusammengebaut werden, optisch gibt es keine befriedigende Lösung, das zurückgesetzte OW stört das Bild.

d) Während der ganzen Heizperiode kann die Orgel nicht in Stimmung gehalten werden. Das OW steht unmittelbar unter der Decke und ist mit seinen kleinen Pfeifen ausserordentlich heikel in Bezug auf Stimmungsschwankungen, hervorgerufen durch die wärmere Temperatur unmittelbar unter der Decke. Das Spiel auf dem OW wäre während der ganzen Heizperiode, also gut ein halbes Jahr lang, in Frage gestellt.

Beide Lösungen können vom Orgelbaulichen her nicht verantwortet werden. Als Orgelbauberater der Gemeinde Weiach muss ich die Lösungen mit einem OW ablehnen. Zum gleichen Standpunkt sind die Herren Dr. A. Knöpfli, Architekt Hintermann und vor allem auch der Orgelbauer gekommen.

II. Die Lösungen mit dem Rückpositiv (Pläne A und A1)

Bei A 1 handelt es sich um die von der Denkmalpflege angefochtene Lösung. HW und RP stehen auf der Basis 8' bzw 4'. HW- und RP-Prospekt beginnen mit C.

Demgegenüber schlagen wir als Lösung die Orgel nach Plan A vor. Die Prospekte beginnen ab E, die Gehäuse werden also reduziert. Nur die Lösung mit dem RP kann als werkgerecht und orgelbaulich in jeder Beziehung befriedigend bezeichnet werden.

Das RP kann ohne konstruktive Störung der Empore und Brüstung eingebaut werden.

Die oben genannten Herren sind einhellig der Ansicht, dass nach ernsthafter Prüfung der verschiedenen Vorschläge nur die Lösung nach Plan A in Frage kommen kann. Ich beantrage daher, die Denkmalpflege möchte die Sache nochmals prüfen und auf ihren Beschluss (kein Rückpositiv!) zurückkommen. Der berechtigte Wunsch der Gemeinde, eine gute Orgel zu erhalten, ein Instrument, das der kirchenmusikalischen Praxis in allen Belangen gerecht werden kann, sollte nicht einfach übergangen werden. Der restaurierte Kirchenraum soll dem lebendigen Gottesdienst der heutigen Gemeinde dienen, und an diesem hat die Kirchenmusik doch einen wesentlichen Anteil.

Mit vorzüglicher Hochachtung

[Durchschlag nicht unterzeichnet]

Beilagen
Kopie mit Plänen A, A1, B, C an Herrn Dr. A. Knöpfli, 8355 Aadorf
Kopie ohne Beilagen an Herrn Paul Hintermann, Architekt, 8803 Rüschlikon

Donnerstag, 17. Oktober 2019

Fehler in Blasers Bibliographie der Schweizer Presse

Am 12. September diesen Jahres zeigte sich wieder einmal, dass die einfachste Erklärung meist die beste ist. Und vor allem: dass man oft viel zu weit sucht.

An diesem Tag war der Bülacher Ortschronist Fabio Padrun in der Zentralbibliothek Zürich und konnte sich dort einen ganz speziellen Band ansehen. Den, in der die Zeitung «Bülacher Volksfreund» ihren Titel auf «Bülach-Regensberger Volksfreund» geändert hat.

Mehr als einen Monat keine Zeitung publiziert?

In WeiachBlog Nr. 443 vom 1. Mai 2007 (Komplizierte Zeitungsnamen-Geschichte) hatte ich – gestützt auf die entsprechenden Einträge in Blasers Bibliographie der Schweizer Presse (s. Bild unten) – geschrieben:

«Der erste Name des am 20. Juni 1866 erstmals erschienenen heutigen «Neuen Bülacher Tagblatts» war lediglich «Bülacher Volksfreund». Diesen Titel behielt das Blatt immerhin vier Jahre bei, nämlich bis am 15. Juni 1870. Von Mitte Juli 1870 bis Mitte Juni 1872 hiess die Zeitung dann «Bülach-Regensberger Volksfreund».»

Und ich fand schon damals, das sei doch eine seltsame Lücke im Jahr 1870, die sich da zwischen der Benennung bis 15. Juni 1870 und ab Mitte Juli 1870 auftut (vgl. den Eintrag unter dem grauen Strich mit dem obersten Eintrag im Bild aus: Blaser Bd. 1, 1956, S. 198-199).


Erklärung der Zahlen in den Kreisen (Bd. 1, S. XVI, Details auf den Seiten XVII bis XX, vgl. Link zu Scan in Quelle unten):

Hat Blaser sich geirrt (wie ich vermutete) oder war tatsächlich einen ganzen Monat lang keine Zeitung erschienen (eher unwahrscheinlich, man will ja seine Leser bei der Stange halten)?

Da die entsprechenden Nummern in der Sammlung der Lesegesellschaft Bülach fehlen, hat sich Padrun freundlicherweise bereit erklärt, zur Klärung dieser Frage den Weg an den Zähringerplatz in die Stadt Zürich auf sich zu nehmen.

Auch in den Bibliothekskatalogen drin

Ich war wirklich gespannt, ob diese Lücke nur in der Beschreibung der Bibliothekskataloge auftaucht (vgl. Abbildung unten) und aus der Bibliographie von Blaser entnommen ist, oder sich tatsächlich in den vorhandenen Ausgaben des Jahres 1870 widerspiegelt.


Meine Frage an Padrun: «Sollte es sich wie beschrieben verhalten (d.h. Lücke von einem Monat), dann wäre es - wo Sie dann schon vor Ort sind - von Interesse, die letzten Ausgaben des "Bülacher Volksfreunds" (bis 15. Juni 1870) und die ersten des "Bülach-Regensberger Volksfreunds" (ab 17. Juli 1870) nach Erklärungen dafür zu untersuchen, bspw. ein Editorial, in dem der Redaktor/Herausgeber sich dazu äussert. Denn wahrscheinlich hat sich auch Blaser bei seiner Bibliographie-Arbeit auf ebendiesen Bestand der ZBZ gestützt.»

Anmerkung: Es ist nicht nur wahrscheinlich, sondern sogar ziemlich sicher, wenn man die Einträge unter den Nummern 14: «Zh: Z» berücksichtigt (Blaser Bd. 2, S. 1440). Das ist nämlich der Hinweis auf den Bestand der Zentralbibliothek Zürich.

Eine 6 statt einer 7. Simpler Tippfehler im Standardwerk

Am eingangs dieses Artikels erwähnten Tag schrieb mir Padrun:

«Endlich habe ich es in die ZB geschafft. Es besteht keine Lücke. Nach dem 15.6.1870 erschienen folgende Ausgaben des Bülacher Volksfreunds:

18.6., 22 6., 25.6., 29.6., 2.7., 6.7., 9.7., 13.7., 16.7. etc.

Ab der Ausgabe vom 16.7.1870 heisst die Publikation Bülach-Regensberger Volksfreund.»

Und in einer weiteren mail fügte er hinzu:

«Noch ein Nachtrag: Erklären kann ich mir nicht wirklich, weshalb es zu einer vermeintlichen Lücke gekommen ist. Die Publikation ist jahrgangsweise gebunden. Die einzige Erklärung für mich ist, dass beim Zitieren des Datums der Umbenennung sich der Fehler eingeschlichen hat (bis 15.6. Bülacher Volksfreund anstatt bis 15.7. Bülacher Volksfreund).»

Genau so ist es. Fall gelöst! Merci an den Bülacher Ortschronisten!

Und wieder einmal zeigt sich: Auch (und gerade) die Autoren von Standardwerken machen Fehler. In diesem Fall hätte Blaser schreiben sollen: «15.7.1870». Oder noch besser (unter Verwendung des letzten Publikationsdatums unter dem ursprünglichen Namen): «13.7.1870».

WeiachBlog Nr. 443 ist korrigiert. Jetzt müssen nur noch die Bibliothekskataloge korrigiert werden.

Quelle
  • Blaser, F.: Bibliographie der Schweizer Presse. Erschienen in der Reihe: Quellen zur Schweizer Geschichte. Hrsg. v. d. Allgemeinen Geschichtforschenden Gesellschaft der Schweiz. Neue Folge, IV. Abteilung: Handbücher; Band VII. 1. Halbband, Basel 1956; 2. Halbband, Basel 1958 (beide im Birkhäuser Verlag). Online als PDF-Datei verfügbar in der Sammlung E-Helvetica: NBDIG-59378