Samstag, 31. Juli 2021

Niederlassungsbewilligung, regierungsrätlich bestätigt

Als es den Bundesstaat noch nicht gab, da hatte man als kantonsfremder Schweizerbürger seine Niederlassungsbewilligung vom Gemeinderat alle paar Jahre erneuern zu lassen. Die galt nicht unbefristet. Und die gemeinderätliche Bewilligung war auch nicht einfach so rechtsgültig. Sie wurde von der Kantonsverwaltung geprüft und musste vom Regierungsrat bestätigt werden. 

So behandelte die Zürcher Regierung am heutigen Datum vor 180 Jahren insgesamt 129 Niederlassungen von Schweizerbürgern und «Landesfremden» (Ausländer). Und genehmigte sie alle, teils mit Auflagen. Eine Sonderbehandlung erfuhr ein ganz bestimmter Schweizerbürger: der «Israelit» David Ries, Händler von Lengnau AG wurde in der Stadt Zürich nur «unter den für den Verkehr der Juden bereits bestehenden und allfällig künftigen gesetzlichen Beschränkungen» akzeptiert.

Hafner sind willkommen

Im Bezirk Regensberg hatte der Weyacher Gemeindrath einem Schweizerbürger und zwei Landesfremden samt deren Frauen und allfälligen Kindern die Niederlassung gewährt:

«96.) Bohni, Jacob, aus Fränkendorf, Canton Baselland, verh: Hafner.» 

«101.) Liebert, Jacob, aus Schneitheim, Königreich Würtemberg, verh:, Hafner.» 

«102.) Peter, Jacob, aus Wellendingen, Königreich Würtemberg, verh:, Güterarbeiter:»

Das Hafnergewerbe war also durchaus erwünscht in Weiach, wie man an den beiden aus Frenkendorf BL (nahe Liestal) und dem süddeutschen Schnaitheim stammenden Handwerkern sehen kann. 

Schnaitheim liegt ca. 30 km nördlich von Ulm nahe der bayrischen Grenze und ist heute ein Ortsteil der Stadt Heidenheim an der Brenz. Und dieser Jacob Liebert war der Grossvater der letzten Bewohnerin des heutigen Weiacher Ortsmuseums.

Ein weiterer Württemberger, der landwirtschaftlich tätige Jacob Peter, stammte aus Wellendingen, einer Nachbargemeinde der Stadt Rottweil (einst ein zugewandter Ort der Alten Eidgenossenschaft). Es gibt in Baden-Württemberg noch ein weiteres Wellendingen, ein kleines Dorf, nahe der Schaffhauser Grenze, das zur Stadt Bonndorf im Schwarzwald gehört. Das wäre aber damals als Wellendingen im Grossherzogtum Baden bezeichnet worden.

Heimatschein nicht ganz in Ordnung

Der Regierungsratsbeschluss hebt wie folgt an: «Es hat der Regierungsrath auf den Bericht und Antrag des Rathes des Innern vom 22. hujus [des laufenden Monats Juli], beschlossen, die von den betreffenden Gemeindräthen der Bezirke Zürich, Affoltern, Meilen, Regensberg, Winterthur und Andelfingen, nachstehenden Cantons- und Landesfremden [...] ertheilten Niederlaßungsbewilligungen einfach zu bestätigen. Davon sind jedoch ausgenommen: [...]

No. 102. [also Jacob Peter] bey welchem das Statthalteramt Regensperg [sic!] beauftragt wird, durch den betreffenden Gemeindrath dem Petenten aufzugeben, seinen Heimathschein nachträglich vom Ministerium legalisiren zu lassen.»

Da fehlte wohl irgendein königlich-württembergischer Stempel. Und wenn es derselbe Heimatschein war, der schon 1837 die Grundlage für die erste Niederlassungsbewilligung für den Wellendinger war, dann hätte man das bei der Zürcher Verwaltung reichlich spät bemerkt.

Quelle

  • Niederlaßungsbewilligungen in den Bezirken Zürich, Affoltern, Meilen, Regensperg, Winterthur und Andelfingen. Regierungsratsbeschluss vom 31. Juli 1841. Signatur StAZH MM 2.64 RRB 1841/1221

Freitag, 30. Juli 2021

In welche Kassen die Bussgelder fliessen (Art. 31 GO 1596)

Können Sie sich noch erinnern, wie der Autor dieser Sommerserie in WeiachBlog Nr. 1665 etwas maliziös das Verhalten der Niedergerichtsherren ganz zu Beginn der Verhandlungen über die künftige Holzordnung kommentiert hat? Bevor überhaupt klar war, dass dieser multilaterale Vertrag zustande kommt, brachten sie die Verteilung der Bussgelder aufs Tapet. Und verlangten, dass sämtliche Bussgelder bis 9 Pfund Pfenning ihnen gehören sollten. 

Demarkationslinie 9 Pfund Pfenning

Das war die Grenze, die gemeinhin zwischen Niedergericht und Hochgericht eingezogen war. Nur Inhaber der Hochgerichtsbarkeit, die über sog. Malefitz-Sachen entscheiden durften (d.h. Verbrechen und Vergehen mit Strafandrohungen bis hin zur Todesstrafe), durften Bussen höher als 9 Pfund verhängen. Was Neuamtsobervogt Stampfer auch getan hatte, um die Verhandlungen punkto Weiacher Wälder in Gang zu bringen.

In einigen der im Rahmen der Sommerserie 2021 in den letzten Wochen besprochenen Artikeln der Holzordnung sind Bussgeld-Beträge mit Destinatärangaben versehen, so z.B. bei der Bestimmung zum Gemeinwerk (wo die Busse vollumfänglich in die Gemeindekasse floss; vgl. WeiachBlog Nr. 1707 vom Mittwoch) oder bei der Fridhäg-Bestimmung (wo zwei Drittel an die Gerichtsherren und ein Drittel an die Gemeindekasse ging; vgl. WeiachBlog Nr. 1691).

Vertragliche Sicherung der Scheidelinie 9 Pfund

Als letzten Artikel der Holzordnung, Art. 15 HO, haben die drei Vertragsparteien (Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich, Fürstbischof v. Konstanz, Freiherr zu Wasserstelz) einen Auffangparagraphen gesetzt, der diejenigen Fälle regeln sollte, wo die Zuteilung nicht aus dem Text einer Bestimmung hervorgeht.

Bei Weibel liest sich die Transkription der Urkunde in diesem Punkt wie folgt:

«[15.] Alles mit dem wytern bescheid unnd erlütherung, was fürterhin obgerürter massen für buossenn gefallen unnd nit antzeigt worden, wem dieselben heimbdienen unnd gefolgen, da sölle hiemit angesechen unnd beschlossen syn, was biß uff die nün pfund pfenning oder darunder sige, das sölle unns, den nidernn grichtsherren, was aber ob den nünen biß uff die achtzechen pfund pfenning oder darob jst, unns, denen von Zürich als der hochen oberkeit zuo gehören unnd blyben, unnd unnder uns dhein [kein] theil den andern daran sumen noch verhindern jnn dheinen weg.»

Hier wird sie also feierlich festgehalten, die von den Niedergerichtsherren geforderte 9-Pfund-Regel.

Mit dieser Regel ist auch gleich festgeschrieben, wer in einem Fall von Missachtung einer der Regelungen der Holzordnung die Strafverfolgung an die Hand nehmen musste. Bei Bussandrohung bis 9 Pfund ging der Fall vor den fürstbischöflichen Obervogt bzw. das Dorfgericht Weiach, das von einem Abgesandten dieses Vogts präsidiert wurde (i.d.R. ein Kaiserstuhler). Alles, was darüber lag, landete beim zürcherischen Obervogt des Neuamts.

Bei Renitenten müssen die Zürcher in die Hosen

In der Bussgeldbestimmung Art. 15 HO ist als Absatz 2 auch gleich ein Wiederholungstäter-Passus eingebaut:

«Unnd das ouch wir, die grichtsherren, mit nammen unsere verfalne buossen mit unnsern gepotten biß uff die nün pfund jntzüchen mogen; unnd wann dieselben nützit verfachen weltint, alß dann erst unnser, dero von Zürich, vogt zuo Wyach, umb die pott der achtzechen pfunden antzerüffen schuldig syn söllen.»

Warum hier 18 Pfund explizit genannt werden? Das hängt möglicherweise damit zusammen, dass dies die Maximalbusse für Widersetzlichkeit gegen niedergerichtliche Vorgaben darstellte.

Die Fassung nach Art. 31 GO

In der Gemeindeordnung von 1596 erhielten die oben aufgeführten Bestimmungen den Titel «Wem die Bußen zugehören» und der Text liest sich wie folgt:

«Was obgerürter Maßen für Bußen gefallen und nit anzeigt worden, wem dieselben heimb dienen und gevolgen, da ist angesehen und beschlossen, was biß uf die nün Pfund Pfenning oder darunter ist, das soll den nideren Grichtsherren, was aber ob den nünen bis uf die achtzehen Pfund Pfenning oder darob ist, minen Herren von Zürich als der hohen Oberkeit zugehören und beliben, und kein Theil den anderen daran sumen noch verhinderen in keinen Weg; und das auch die Grichtsherren ire verfallenen Bußen mit iren Gebotten biß uf die nün Pfund inzüchen mögen. Und wann dieselben nützit verfahren [wohl verschrieben v. verfahen] weltind, alsdann erst miner Herren von Zürich Vögt zu Wyach umb die Pott der achtzechen Pfunden anzerüfen schuldig sin söllint.»

Interessant ist, dass hier bei der Renitenzklausel der Plural Vögt verwendet wird, in der Urkunde (nach Weibel) jedoch der Singular Vogt. Korrekt ist wohl der Singular, wie sich aus dem Kontext ergibt, denn der zürcherische Untervogt (der Einsitz im Weiacher Dorfgericht hatte) musste seinem Vorgesetzten, dem zürcherischen Obervogt, in einem solchen Fall Meldung erstatten. Dazu kommt, dass der Neuamts-Obervogt ja nicht in Weiach ansässig war, sondern in der Stadt Zürich seinen Amtssitz hatte (wie bei allen sog. inneren Vogteien üblich; nur Landvögte residierten auf der Landschaft draussen, wie in Regensberg, Eglisau oder auf der Kyburg)

Ratifikationsvermerk

In der Urkunde von 1567 folgt dem Text des letzten Artikels noch eine Ratifizierungs- und Gewährleistungsfloskel, d.h. die Bekräftigung der Annahme der vorstehenden Bestimmungen durch die Vertragspartner, verbunden mit der Aufforderung an die Rechtsunterworfenen (wer auch immer das im Einzelfall konkret war), diesen Vorgaben nachzuleben:

«Unnd wann nun wir, obgemelten vordern [!; nicht «hohen»] unnd nidern grichtsherren, obgenanter unser verordneten ansechen unnd gestelte ordnung verhört unnd darjnne nützit untzimlichs, sonnder alle billigckeit befunden, so habennt wir die zuo gefallen angenommen, die zuo chrefften erkent, bestät unnd wellennt, das hinfüro allem dem, so obstat, thrüwlich gelept unnd nachkommen, unnd dawider niemer nichts fürgenommen noch gehanndlet werde jnn dheinen [keinen] weg, alles gethrüwlich unnd ungefarlich.»

Am Falz unter diesem Text hängen die Siegel der drei Vertragsparteien.

Dass sich kurz darauf sowohl die Kaiserstuhler, sowie im Gefolge auch die Weiacher nicht wirklich an diese Vorgaben gehalten haben (jedenfalls aus Sicht der Zürcher bzw. des Herrn zu Wasserstelz) geht aus Interventionen vom September 1568 bzw. April 1570 hervor (vgl. letzten Abschnitt von WeiachBlog Nr. 1347, s. RQNA Nr. 180, Bemerkungen 1 u. 2, S. 392.)

Quellen
  • Ott, F.: Offnung der Gmeind Weyach von Anno 1596 [14. Wintermonat 1596]. In: Zeitschrift für schweizerisches Recht, Alte Folge Bd. 4 (1855) – II. Rechtsquellen, S. 183. [vgl. RQNA 180: Holzordnung].
  • Weibel, Th.: Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Zweiter Teil: Rechte der Landschaft; Erster Band: Das Neuamt [=RQNA]. Aarau 1996 – S. 391-392.

Inhaltsübersicht zu Gemeindeordnung und Holzordnung

Donnerstag, 29. Juli 2021

Privilegierte Herbstweide für Gemeinwerk-Zugvieh

Der Einsatz von Körperkraft war vor Jahrhunderten entscheidend, wenn es um die Instandhaltung von Wegen, Brücken, Zäunen, etc. in Frondiensten und Gemeinwerk ging. Gemeindebürger ohne Zugvieh (Tauner, Tagner oder Taglöhner genannt) setzten ihre Körperkraft ein. Solche mit Zugvieh (Bauern) konnten dieses arbeiten lassen, wie man im Beitrag von gestern (WeiachBlog Nr. 1707) feststellen kann.

Auch nach dem Erlass der Holzordnung (von 1567) durch den Hoch- und die Niedergerichtsherren gemeinsam, einem Schiedsspruch von 1594 über die Weiderechte von Kaiserstuhl auf Weiacher Gebiet, der von den Zürchern dekretierten Weiacher Gemeindeordnung von 1596, sowie einer ebenfalls von Zürich herausgegebenen Regelung des Weidgangs «jn Großen Wißen» von 1598 (wohl nur die Rechte der Weiacher untereinander betreffend, vgl. auch letzten Abschnitt unten) waren die Ressourcenkonflikte keineswegs gelöst.

Das Weidgangsdekret von 1682

Einer im Staatsarchiv des Kantons Zürich erhalten gebliebenen Urkunde (StAZH C II 6 Nr. 604.12; RQNA 194) ist zu entnehmen, weshalb es in den 1680er-Jahren wieder einmal Streit gab:

«Kund und zue wüßen sey hiermit, demnach sich ein streit von deß weidgangs wegen under einer ersammen gemeindt undt burgerschafft zue Weyach erhebt, deßendtwegen eß einer weithläuffigkheit rechtenß und einer gantzen verwirung bethrowet, [...]»

Der Streit war so heftig, dass Gerichtsverfahren und Schlimmeres zu befürchten waren. Um «dem unheil aber vor zue komen,» griff «der wohlgeboren herr Frantz Ernst, freiherr Zweyer von Evebach, der röm[schen] kay[serlichen] may[estät] rath und zue mal hochfürstl[icher] bischofflicher constantzischer obervogt der statt Kayserstuel und deß ambts Röttellen» in dieser letzteren Funktion ein und erliess anlässlich des Herbstgerichts am 28. September 1682 eine Regelung (da vom katholischen Amtsuntervogt zu Kaiserstuhl aufgesetzt, datiert wohl nach gregorianischer Zeitrechnung).

Die Hofwiese wird reserviert

Als Artikel 3 dieser Regelung wird verordnet, dass die Hofwiese, also das Stück Land zwischen Chälen, Büel und Oberdorf, auf dem sich heute das Schulareal befindet, wie folgt genutzt werden solle:

«Zum dritten. Erstlich solle man fahren in die Hoffwißen auff stund und tag, wie eß vor der gmeind ermeret worden, aber eintzig und allein mit dem zug vich, so da sind mit namen roß und stieren, auch die s[alvo] h[onore] khüö, welche den oberkheitlichen fron dienst verrichtet und der gemeind werckh erstadtet, auch alß zugvich durch den winter und summer gebrucht worden, aber darin nüt lenger beleiben sollen, alß abenß von drey uhren biß am morget umb sechs uhren wider darauß fahren sollen.

Allß dan, so mag der khüö hirt mit der allgemeinen s[alvo] h[onore] vich herd darin fahren und weiden, will er mit dem vich zue eäßen findt.»

An einer Gemeindeversammlung sollte also darüber abgestimmt werden, ab welchem Zeitpunkt man die Herbstweide auf der Hofwiese beginnen wolle. Zwischen nachmittags um drei Uhr und dem folgenden Morgen um 6 Uhr durfte dann das Zugvieh dort grasen. 

Allerdings nur Pferde, Stiere (wohl auch Ochsen) und Kühe, die in Frondiensten für die Gerichtsherren oder im Gemeinwerk zugunsten der Gemeinde selber als Zugtiere eingesetzt worden waren.

Weitere Einschränkung: Diese Tiere mussten im verflossenen Winter und Sommer von ihren Eigentümern schon als Zugtiere eingesetzt worden sein. Ein Zukauf im Hinblick auf die Herbstweide sollte so verhindert werden.

Den Tag über (also von 6 bis 15 Uhr) durfte dann das übrige Rindvieh auf der Hofwiese sein Futter suchen.

Zeitlich befristet und lokal eingeschränkt in Kraft

Die oben aufgeführte und alle weiteren Regelungen dieses fürstbischöflichen Dekrets hatten interessanterweise ein Ablaufdatum, nämlich 1691 und waren überdies auf ganz bestimmtes Wiesland beschränkt, wie der abschliessende Artikel 8 festhält: 

«Soll diße erleütherung neün jahr jn krefften verbleiben und auff die Groß Wißen, Hoff-, Leweren- und Klein Wißen gemeindt und verstanden werden

Untergegangene Urkunde

Interessant ist, dass der fürstbischöfliche Obervogt das Basisdokument, nämlich «den brieff, so von lobl[icher] statt Zürich anno 1598 auffgericht wegen weidgangs jn Großen Wißen und der gmeind Weyach übergeben worden», nicht angetastet hat. Der solle (so Artikel 2) «gentzlich in seinen krefften verbleiben».

Thomas Weibel, der dieses Herbstweide-Dekret Zweyer von Evebachs für den Rechtsquellenband Neuamt transkribiert hat, vermerkt in einer Fussnote (S. 441), dieser «brieff» von 1598 sei «nicht erhalten». Wir haben also leider keine Ahnung, was genau der Inhalt dieser Weideregelung gewesen ist. 

Was Weibel nicht erwähnt, ist, wo er überall gesucht hat, um zu diesem Fazit zu kommen, z.B., ob er auch die Missiven (durch die Stadtkanzlei erstellte Kopien ausgehender Briefe) durchforstet hat.

Dass das Dokument im Weiacher Gemeindearchiv nicht mehr vorhanden ist, dürfte (wie schon mehrfach erwähnt) am während der Einquartierung von Truppen entstandenen Brand des Gemeindehauses liegen (vgl. WeiachBlog Nr. 1441 für die Diskussion des Brandzeitpunkts).

Quelle

  • Weibel, Th.: Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Zweiter Teil: Rechte der Landschaft; Erster Band: Das Neuamt [=RQNA]. Aarau 1996 – Nr. 194. Nutzung der Herbstweide. S. 440.

Mittwoch, 28. Juli 2021

Kommunales Gemeinwerk und Fronarbeiten (Art. 30 GO 1596)

Eine Bestimmung in der ältesten Weiacher Gemeindeordnung, Art. 2 GO 1596, befasst sich mit dem Thema Strassen (vgl. WeiachBlog Nr. 887). Für deren Unterhalt waren die Anstösser zuständig und die geschworenen Dorfmeier hatten «Ufsehens und Acht» darauf zu haben, dass die nötigen Arbeiten auch tatsächlich ausgeführt wurden.

Bereits im zweitletzten Artikel der Holzordnung von 1567 (Art. 14 HO), der als Artikel 30 in die Gemeindeordnung übernommen wurde, ist hingegen festgelegt, dass Unterhalt an der dörflichen Infrastruktur mittels im Gemeinwerk zu verrichtender Arbeit bewerkstelligt werden soll. 

Wie die Abgrenzung zwischen diesen beiden Bestimmungen funktioniert hat, ist unklar. Bei den in Art. 2 GO erwähnten Arbeiten dürfte es sich wohl um die kleineren Angelegenheiten gehandelt haben, bei den in Art. 30 GO um die umfangreicheren, wie sich aus dem nachstehend diskutierten Wortlaut ableiten lässt.

Arbeiten und arbeiten lassen. Der Unterschied zwischen Bauern und Tagnern

Die Holzordnung äussert sich jedenfalls sehr ausführlich zu Gemeinwerk und Fronarbeit für öffentliche Zwecke, die mit den Waldungen direkt nichts zu tun haben. In der Transkription Weibel (erstellt ab der Originalurkunde) liest sich Art. 14 HO wie folgt:

«Sovil dann die bruggen, stäg, weg unnd der gmeind zünung zuo verbessern antrifft, da söllinnt die puren, so roß- oder rinder züg habent, jeder zyt zuo demselben allem alle nothurfft zuohin zefüren schuldig syn, unnd dann die tagner alle gmeinlich mit jren lyben jre tagwan unnd jr bests thuon.»

Hier ist er wieder deutlich zu erkennen, der Unterschied zwischen Bauern und Taunern (vgl. WeiachBlog Nr. 1675). Ein Tagner, Tauner oder Taglöhner wird hier geradezu dadurch definiert, dass er aus eigenen Mitteln kein Gespann (ob mit Kühen oder gar Pferden) zusammenstellen kann. Deshalb muss er seinen Anteil am Gemeinwerk mit eigener Körperkraft leisten. Die Bauern waren nach diesem Absatz nur zu Transportdienstleistungen verpflichtet, diese allerdings in unbegrenzter Höhe. Von eigener körperlicher Arbeit steht da gar nichts.

Es galt die Gemeinwerk-Ersatzpflicht

Man konnte sich aus dieser Fronarbeit auch befreien, wie die weiteren Absätze des Artikel 14 HO erläutern:

«So aber einer söllichen tagwan selbs nit thuon köndte oder möchte, das dann einer dermassen einen knecht dahin stellen, der den tagwan wol versechen unnd vollstrecken möge; unnd sy die strassen all, so jnen zemachen zuostand, dermaßen machen unnd bessern, das die guot unnd wol zewandlen sigen.»

Dieser zweite Satzteil kommt einem nach Lektüre des Strassenartikels (Art. 2 GO 1596) ziemlich bekannt vor. Der Strassenzustand musste so sein, dass man darauf gut gehen, reiten und fahren konnte. Dass es auch anders sein kann, sieht man heute noch in den weiten Ebenen Russlands, wo regelmässig die Rasputiza (Schlammzeit) zuschlägt: Liegenbleibendes Wasser aus Schneeschmelze und Regenfällen, das die Strassen unpassierbar macht. Zum Glück ist die Landschaft bei uns nicht so topfeben. In Weiach hat man die Möglichkeit, Niederschlagswasser Richtung Rhein abzuleiten.

Zu wenig arbeiten können oder nur anwesend sein? Reicht nicht!

Zurück zur Ersatzpflicht. Ein selbst nicht anwesender Gemeinwerkpflichtiger konnte auch einen Dritten (z.B. einen seiner Knechte) zum Gemeinwerk abkommandieren. Der musste allerdings nicht nur körperlich in der Lage sein zu arbeiten, sondern auch tatsächlich arbeiten wollen:

«Wann aber einer einen knaben dahin schickte, der den tagwan nit volbringen möchte, oder einer von puren ald tagneren nit an das werch keme, oder ob sy glych daselbs weren unnd aber nit werchen weltind, alßdann sölle die gmeind gwalt haben, knecht an derselben statt an das werch zestellen, volgentz die ungehorsammen denselben heissen den lon geben, unnd wer derselben stucken eins übersicht, umb ein pfund pfenning zestraffen, unnd dieselb buoß jnen, der gmeind, belyben.»

Die Gemeinde konnte somit auf Kosten nicht arbeitender Gemeinwerkpflichtiger (aus welchen Gründen auch immer die Arbeit von ihnen nicht erledigt wurde) Realersatz organisieren und den Pflichtigen zur Bezahlung desselben zwingen. Darüber hinaus war dann noch eine Busse von 1 Pfund fällig, welche vollumfänglich in die Gemeindekasse floss. Damit war eine der «Unordnungen», die zur Gemeindeordnung geführt hatten, erneut adressiert und bekräftigt (vgl. WeiachBlog Nr. 883, Beschwerde Nr. 6).

Die Bestimmungen als Art. 30 GO

In der Mitte des 19. Jahrhunderts von Friedrich Ott publizierten Transkription einer Abschrift der Weiacher Gemeindeordnung ist der Artikel mit der Überschrift «Bruggen, Stäg und Wäg sc.» versehen. Hier der gesamte Text ohne zwischengeschaltete Kommentare:

«So vil die Bruggen, Stäg und Wäg und der Gemeind Zünung zu verbeßeren antrifft, da söllent die Puren, so Roß oder Rinder Züg habent, jederzit zu demselben allem alle Nothurfft zuhin ze führen schuldig sin, und dann die Tagner alle gmeinlich mit iren Liben ire Tagwen und ihr bests thun; so aber einer sollichen Tagwen selbst nit thun köndte oder möchte, das dann einer dermaßen einen Knecht dahin stellen, der den Tagwen wol versehen möge; und si die Straßen all, so inen zu machen zustand, dermaßen machen und beßeren, daß die gut und wol ze wandlen sigen. Wann aber einer einen Knaben dahin schickte, der den Tagwen nit vollbringen möchte oder einer von Puren ald Tagneren nit an das Werk keme oder ob sie glich daselbs weren und aber nit werchen weltind, alsdann solle die Gmeind Gwalt haben, an derselben Statt Knecht an das Werk ze stellen, volgents die unghorsamen denselben heißen den Lohn geben; und wer derselben Stuken eins übersicht, umb ein Pfund Pfenning ze straffen und dieselb Buß der Gmeind beliben.»

Quellen
  • Ott, F.: Offnung der Gmeind Weyach von Anno 1596 [14. Wintermonat 1596]. In: Zeitschrift für schweizerisches Recht, Alte Folge Bd. 4 (1855) – II. Rechtsquellen, S. 183. [vgl. RQNA 180: Holzordnung].
  • Weibel, Th.: Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Zweiter Teil: Rechte der Landschaft; Erster Band: Das Neuamt [=RQNA]. Aarau 1996 – S. 391.

Inhaltsübersicht zu Gemeindeordnung und Holzordnung

Dienstag, 27. Juli 2021

Tigerhund mit Glasauge zugelaufen

Etliche Beiträge in der Facebook-Gruppe Du bisch vo Weiach, wenn... betreffen vermisste Katzen. Seltener werden Schildkröten oder Hunde vermisst oder laufen zu. Aber auch das kommt vor, samt entsprechendem Video, das die glückliche Wiedervereinigung von Frauchen und Hund dokumentiert.

Wie ein Weiacher im Jahre der Gründung unseres Bundesstaates auf die Suche nach dem Eigentümer eines ihm zugelaufenen Hundes ging, das ist in der «Züricher Freit.Zeitung» vom 6. Oktober 1848 festgehalten: 

«Zugelaufen. Lezten Zürich-Schließmarkt ein großer Tigerhund, männlicher Art, mit Halsband ohne Zeichen, einem Glasaug und langem Schwanz. Der Eigenthümer kann diesen Hund gegen Ein[r]ückungsgebühr und Futtergeld innert 8 Tagen abholen, ansonst er als Eigenthum betrachtet würde. Weyach, den 2. Oktober 1848. Heinrich Näf.»

Was ist unter der Bezeichnung «Schließmarkt» zu verstehen? Ein abgeschlossener Markt? Sozusagen, ja. Gemäss dem Deutschen Rechtswörterbuch bezeichnet der Begriff den «letzten Tag eines mehrtägigen (Jahr-)Marktes». 

Nicht ganz klar ist, ob nur das Datum des letzten Markttages gemeint ist (der Hund wäre also in Weiach zugelaufen), oder tatsächlich der Zürcher Herbstmarkt als Ort. Wenn letzteres der Fall ist, dann könnte Heinrich Näf als Verkäufer anwesend gewesen sein. Und der erwähnte Hund wäre dann einem anderen Marktfahrer oder einem Marktbesucher verloren gegangen.

Ein Tiger?

Wie dem auch sei und ob Näf den Hund am Schluss behalten hat, oder nicht: unter diesem «Tigerhund» ist wohl ein Hund mit geschecktem, getupftem oder gepunktetem Fell (damals als Tigerung bezeichnet) aus der Gruppe der Altdeutschen Hütehunde gemeint. Tiger des süddeutschen Typs werden als vergleichsweise häufig bezeichnet (vgl. Wikipedia-Artikel, s. Quellen).

Besonders auffällig ist einerseits das Glasauge (!), ein Merkmal, das man bei einem Arbeitshund eines Schäfers nicht unbedingt erwarten würde, das aber auch für die Wertschätzung seitens seines Eigentümers spricht.

Hundemarke und Leinenpflicht. Schon im Ancien Régime Vorschrift.

Andererseits ist der Umstand bemerkenswert, dass der Hund kein Zeichen trug. Es ist damit durchaus möglich, dass es kein Hund eines Zürchers war. Denn im Staate Zürich war es damals schon seit Jahrzehnten Pflicht (spätestens ab 1787), jeden Hund behördlich anzumelden und mit einer Marke zu kennzeichnen. Wurden Hunde ohne diese Marke auf der Strasse angetroffen, so durfte der Wasenmeister (Abdecker) sie einfangen. War der Hund dann nicht im Verzeichnis eingetragen (und nicht bloss ohne Marke unterwegs), dann musste der Wasenmeister dieses Tier töten. 

Neuer Hund? Anmeldung innert 4 Wochen

Nach der regierungsrätlichen Verordnung von 1835 (s. Quellen) hatte der «Zeichenaustheiler» ein Tierarzt zu sein, der verpflichtet war, über die verabgabten Hunde ein genaues Verzeichnis zu führen, das «die Nummer des Zeichens, eine Beschreibung des Hundes, nahmentlich in Bezug auf Race und Farbe, nebst dem Nahmen des Eigenthümers» beinhalten sollte (§ 5).

Jeweils in der ersten Hälfte des Monats Mai musste jeder Hundehalter beim zuständigen Tierarzt eine neue Marke lösen. «Wer in der Zwischenzeit der jährlichen Bezeichnung durch Kauf, Tausch, oder auf andere Weise Eigenthümer eines Hundes wird, ist gehalten, ihn vor Abfluß von 4 Wochen auf seinen Nahmen einschreiben und, wofern er nicht bereits mit einem Zeichen versehen ist, auch bezeichnen zu lassen, wofür die im §. 6 genannten Gebühren ebenfalls zu bezahlen sind.» (§ 8). Für einen neu angemeldeten Hund waren das 4 Batzen, entsprechend 40 Rappen. Nach Swistoval.ch sind das je nach verwendetem Index in heutigen Geldwerten 7 Franken (KPI) bzw. 46 Franken (HLI).

Quellen

Montag, 26. Juli 2021

Fluch über dem Platz wegen illegaler Rodungsaktion?

Etliche (vor allem ortsfremde) Besucher des römischen Wachtturms im Weiacher Hardwald kennen die Hintergründe des dortigen Flurnamens «Verfluchter Platz» nicht. Da kommen dann schon einmal Vermutungen auf, dass da Hexen und Zauberer oder gar die Römer selber dahinterstecken könnten (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 108, S. 432-433).

Es dürften aber wohl profanere Gründe vorliegen. 1850 wurde die Herkunft des Flurnamens in der Weiacher Ortsbeschreibung (Edition: Wiachiana Fontes Bd. 3) überzeugend hergeleitet. Alt Zunftgerichtspräsident Baumgartner erklärt ihn mit einem «verfehlten Cultur-Plane» (d.h. falscher Anbaustrategie nach der Rodung). Diese Kultivierungsbemühungen seien, so Baumgartner, «vor 80 Jahren» erfolgt, also um das Jahr 1770 herum.

Nun sass zu diesem Zeitpunkt das Ancien Régime der Gnädigen Herren zu Zürich, bzw. für die fürstbischöfliche Verwaltung zu Meersburg am Bodensee, noch im Sattel und die alte Weiacher Holzordnung von 1567 (HO 1567) war noch in Kraft. Folgt man den noch vorhandenen Unterlagen im Staatsarchiv des Kantons Zürich, dann wurde nämlich erst 1796 durch die (zürcherischen) Neuamtsobervögte eine neue Holzordnung erlassen (vgl. Weibel 1996; Bemerkung 3 zu RQNA Nr. 180, S. 392). Inwiefern die hochobrigkeitlichen Waldschutzverordnungen des 18. Jahrhunderts Einfluss hatten (vor allem das Erneuerte Waldungs-Mandat von 1773), ist bislang nicht geklärt.

Nach Art. 13 HO 1567 (Zählung n. Weibel 1996, vgl. WeiachBlog Nr. 1704 von gestern) war es explizit verboten, Wald zu roden, jedenfalls «one unnser, der ober unnd nidern grichtsherren, wüssen unnd erlouptnuß, by achtzechen pfunden buoß», eine hohe Geldstrafe, die bei Verhängung vollumfänglich in die Zürcher Staatskasse floss. Wir haben vor einigen Tagen gesehen, dass dies 36 Tageslöhnen eines Handwerkers entsprach (vgl. WeiachBlog Nr. 1692). Und wenn man die heutige Praxis beachtet, dass der Tagessatz bei einem Strafbefehl nicht auf dem Bruttoeinkommen, sondern auf dem steuerbaren Einkommen abgestützt wird, dann sind 18 Pfund Busse schon sehr viel.

Dass auf Weiacher Gemeindegebiet im 17. und 18. Jahrhundert Wald gerodet wurde und dies mit dem Wissen und der Bewilligung der Obrigkeiten erfolgte (oder zumindest bestraft wurde), ist erwiesen, sonst hätte der Weiacher Pfr. Wolf 1740 nicht erfolgreich den Zehnten auf sogenanntem «Neugrüt» im Sanzenberg beziehen können, also kürzlich gerodeten Flächen, wie aus einem im Archiv der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Weiach liegenden Dokument (ERKGA II.A.3) hervorgeht.

Könnte es sein, dass man da im Hardwald nahe des Rheins illegalerweise Waldflächen gerodet und einen Anbauversuch gemacht hat? Und als das dann nicht klappte, sich wie der Fuchs in der Äsopschen Fabel verhielt, der die für ihn zu hoch hängenden Trauben hocherhobenen Hauptes als sauer diffamiert?

Selbst wenn die Rodung mit Bewilligung erfolgte: Der Frust über den Fehlschlag war dadurch nicht kleiner. Die Verminderung des Verlustgefühls durch die Herabsetzung der Qualität des Bodens ist in der Psychologie bekannt: als Saure Trauben-Effekt. Ist immer noch besser als den Misserfolg dem eigenen Versagen zuordnen zu müssen.

Sonntag, 25. Juli 2021

Rodung und Holzverkauf nur mit Bewilligung! (Art. 29 GO 1596)

Nach zwei Wochen mit anderen Themen geht es nun weiter mit der Sommerserie zum zweiten Teil der ältesten Weiacher Gemeindeordnung (GO 1596), der die Bestimmungen der Holzordnung von 1567 enthält, vgl. letzten Beitrag Nr. 1691 zum Schutz der Fridhäge.

Der Artikel 13 HO 1567 nimmt wieder das Kernanliegen der forstpolizeilichen Stossrichtung der Vereinbarung zwischen den drei Obrigkeiten auf. Er stipuliert ausdrücklich und strikte
  • einerseits die Genehmigungspflicht für Urbarmachungen jeglicher Art, sowie 
  • andererseits die Bewilligungspflicht für alle Arten, Holz an Dritte abzugeben (ob gegen Entgelt oder gratis).

Ausdrücklich!!

Diese Vorschrift liest sich in der Transkription von Weibel wie folgt:

«Unnd ouch mit namlichen worten unnd heiterm geding von der gmeind hinfüro dhein holtz mer ußgrüt noch weder gegenn jrem ziegler noch jemant anderm, darinne niemant ußgenommen, verkoufft, verschenckt oder annderer gestalt hingeben werden one unnser, der ober unnd nidern grichtsherren, wüssen unnd erlouptnuß, by achtzechen pfunden buoß. Sy, die gmeind, möchte sich ouch harjnne dermassen so unghorsam unnd ungepürlich ertzeigen, man wurde sy höcher unnd wyter nach der gepür straffen.» 

Was ist mit dem «heitern geding» gemeint? Da hilft das Schweizerische Idiotikon weiter. Im 1891 gedruckten zweiten Band wird das Wort heiter erläutert: «von Gegenständen der Erkenntniss und von sprachlicher Darstellung derselben: klar, ausdrücklich, offen» (Id. 2, 1768 Ziff 3). Der Begriff G(e)ding konnte vielerlei bedeuten. Im obigen Zusammenhang ist wohl das Ergebnis einer Rechtssetzung (d.h. der Abmachung zwischen den drei Obrigkeiten) im Sinne einer Einschränkung, Auflage oder Forderung gemeint (Id. 13, 519 Ziff 2c).

Zürcher Einfluss auf den Energiehunger der Ziegelhütte

Das Verbot, ohne Bewilligung Holz aus Gemeindewäldern abzugeben, betrifft also explizit auch den Ziegler, d.h. den jeweiligen Pächter der fürstbischöflichen Ziegelhütte zu Weiach. Dass dies so im Vertrag drinsteht ist wohl hauptsächlich den Zürchern zu verdanken. Sie hatten ja auch wenig davon, wenn Weiacher Holz in Rauch aufging, um Ziegel und Kalk für die Stadt Kaiserstuhl oder die Wasserstelz-Schlösser zu brennen. Sollen die ihren eigenen Wald dafür verheizen. Davon hatten sowohl die Stadt wie der Herr von Wasserstelz auch nicht wenig.

Schuldendeckung bewilligungsfähig

Der Artikel 13 HO wird in der Urkunde von 1567 immerhin mit dem Zusatz versehen:

«Doch mit dem anhang, diewyl sy, die gmeind, (wie wir berichtet) vil schuldig, wellenn wir jnen hiemit zuogelaßen haben, an ettlichen unschädlichen ordten ein antzal holtzes ab dem boden zuo verkouffen unnd uß dem erlößten gelt die schulden zuo betzalen, doch das sy das mit unserm wüssen thuon, unnd dieselben höw ouch widerumb als obstat jnschlachen söllint.»

Hier wird also der Hinweis gegeben, dass zur Deckung der Schulden der Gemeinde (die sich auf über 200 Gulden beliefen) mit einer Holzschlag- und -verkaufsbewilligung gerechnet werden könne, sofern die Holzschläge an dazu geeigneten Orten erfolgten und man sie ordnunggemäss einzäunte um den Wiederaufwuchs sicherzustellen.

In der GO 1596 blieb nur die Bewilligungspflicht

Von dieser Schuldendeckungsoption ist in die von Friedrich Ott verwendete Abschrift der Gemeindeordnung nichts übernommen worden. Bei Ott trägt Artikel 29 GO 1596 den Titel «Die Gmeind soll für sich selbs kein Holz ußrüten noch sonst hingeben» und liest sich wie folgt:

«Und mit namlichen Worten und heiterem Geding soll von der Gmeind hinfüro kein Holz mehr ußgrüt noch weder gegen dem Ziegler noch jemand anderen, darin niemand ußgenommen, verkauft, verschenkt, oder anderer Gstalt hingeben werden, ohne der oberen und nideren Grichtsherren Wüßen und Erloubtnus, bi achtzehn Pfünder Buß; die Gmeind mochte sich auch hierinn so unghorsam und ungebürlich erzeigen, man wurde si höher und witer nach der Gebür straffen.»

Hochobrigkeitliche Drohkulisse

Diese Busse von 18 Pfund war die Drohkulisse des Hochgerichtsherrn, in dessen Kasse sie bei Verhängung auch vollumfänglich floss. Die Zürcher Regierung setzte damit die Bussandrohung fort, mit welcher der Obervogt des Neuamts im Vorfeld der Vertragsverhandlungen zwischen den drei Obrigkeiten jede Art von Holzerei untersagt hatte, um die Parteien an den Verhandlungstisch zu zwingen und so endlich Ordnung in die Angelegenheit bringen zu können (vgl. WeiachBlog Nr. 1665, Abschnitt Absolutes Holzschlagverbot! Paukenschlag und Canossagang).

Die Gemeinde Weiach selber wurde durch den letzten Absatz des Artikels 29 besonders unter Druck gesetzt und in die Pflicht genommen. Denn es wird ausdrücklich festgehalten: bei Fehlverhalten durch Amtsträger der Gemeinde ist die mögliche Busse nach oben nicht begrenzt!

Quellen
  • Ott, F.: Offnung der Gmeind Weyach von Anno 1596 [14. Wintermonat 1596]. In: Zeitschrift für schweizerisches Recht, Alte Folge Bd. 4 (1855) – II. Rechtsquellen von Zürich, S. 182-183. [vgl. RQNA Nr. 180: Holzordnung].
  • Weibel, Th.: Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Zweiter Teil: Rechte der Landschaft; Erster Band: Das Neuamt [=RQNA]. Aarau 1996 – S. 391.

Inhaltsübersicht zu Gemeindeordnung und Holzordnung

Freitag, 23. Juli 2021

Einbruch im Weiacher Pfarrhaus, Anno 1760

In den «Mit Hoher Verwilligung von Zürich auszugebenden Donnstags-Nachrichten», einem Anzeigeblatt ohne eigentlichen redaktionellen Teil, ist am 11. und 18. September 1760 ein Inserat des damaligen Weiacher Pfarrers Junker Hartmann Escher erschienen. 

Der Herr Pfarrer wurde nämlich kurz zuvor Opfer eines Einbruchs in seiner gleich neben der Kirche von 1706 stehenden Wohnstätte und avisierte die Leserschaft des Zürcher Blattes in der Rubrik «Verlohrne und gefundene Sachen» wie folgt: 

«Da den 8. dises Monats in dem Pfarrhof zu Weyach ein gewaltthätiger nächtlicher Einbruch geschehen, und von Kleidern, meistens Weiberkleidern und hausräthlichen Sachen, viles weggeraubt worden; als wird jedermann, deme Kleider von verdächtigen Leuten angetragen würden, und sonderheitlich die Herren Goldarbeiter, denen silberne Löffel zu kaufen gebracht würden, ehrerbietig ersucht, solche Leute, wo möglich, anzuhalten, und dise Stüke an benanntem Ort güetigst bekannt zu machen, wofür man alle geziemende Dankbarkeit erzeigen wird.» [Inserat 5 der Rubrik]

Hier nahm der Herr Pfarrer die polizeilichen Ermittlungsarbeiten also sozusagen in die eigenen Hände.

Quelle
  • Donnstags-Nachrichten, No. XXXVII, 11. Herbstmonat 1760   [1760.09.11]
  • Donnstags-Nachrichten, No. XXXVIII, 18. Herbstmonat 1760   [1760.09.19]

Donnerstag, 22. Juli 2021

Das Gesangfest in Zeiten der Cholera

Die Cholera war im 19. Jahrhundert so etwa das, was wir heute mit SarsCov2 erleben. Ein Einschnitt im Leben der Menschen. Und eine heftige Kontroverse dazu.

Wie die Medizinhistorikerin Ritzmann im Historischen Lexikon der Schweiz schreibt (vgl. Quellen), habe es von ihrem ersten Auftreten an (in den 1830er-Jahren) bis über die Entdeckung des Erregers durch Robert Koch im Jahre 1883 hinaus einen heftigen «Streit über die Ursache der Cholera und die davon abgeleiteten medizinischen, wirtschafts- und sozialpolitischen Strategien zu ihrer Bekämpfung» gegeben.

«Die Kontagionisten gingen von einem ansteckenden Keim aus; die vorgeschlagenen Massnahmen lauteten deshalb Quarantäne, Isolierung, Meldepflicht und Grenzsperren. Die Miasmatiker postulierten dagegen ein ortsgebundenes Gift und beschränkten ihre Forderungen auf hygienische Verbesserungen. Insbesondere stellten sie sich vehement gegen jede Einschränkung des Handels und der individuellen Freiheit. Während die Bevölkerung mit Panik und Flucht reagierte, versuchten die Regierungen häufig, ihr epidemisches Auftauchen möglichst lange zu verschweigen.»

Der dritte Seuchenzug von 1867 erfasste auch den Kanton Zürich (der damals rund 280'000 Einwohner zählte) mit ziemlicher Wucht und tötete 500 Menschen, wobei offenbar vor allem die Ärmeren starben. Das verwundert nicht weiter, wenn man sich die hygienischen Verhältnisse der damaligen Zeit (insbesondere punkto Abwasserentsorgung) vor Augen führt.

Trotz dieser Seuchenlage liess sich Weiach offenbar nicht davon abbringen, ein Gesangsfest durchzuführen, wie die in Bern erscheinende Zeitung «Der Bund» am 17. September 1867 mitteilte:

«Zürich. Der Wohlthätigkeitsverein konnte bereits die Summe von Fr. 2281 (für heimgesuchte Familien, Cholerakranke u. s. w.) sammt vielen Gaben an Kleidung, Wein und Nahrungsmitteln verdanken.» [...]

«Wir freuen uns, aus diesem schwer heimgesuchten Kanton auch noch von einem Gesangfeste zu hören, welches in Weiach trotz Seuche und Ungewitter gefeiert wurde. 

Freitags war der Bestand der Cholerakranken 97; vom Freitag auf den Samstag kamen von neuen Fällen hinzu: in Zürich 14, in Außersihl 10, in Unterstraß 5, in Oberstraß 4, in Altstetten 3, in Stadel 2, in Riesbach, Wiedikon, Oerlikon, Adlischweil und Adlikon je 1. Todesfälle fanden 3 im Absonderungshaus, 11 auswärts statt. Es werden 7 Genesungen angegeben. Samstag Mittags war der Bestand 119, wovon 30 im Absonderungshaus.»

Was für ein Unterschied zwischen damals (Gesangsfest wurde durchgeführt) und heute (Dorffest 750 Jahre Weiach im September ist abgesagt).

Quellen

  • Der Bund, 18. Jahrgang,  N° 255, 17. September 1867
  • Ritzmann , I.: Cholera. In: Historisches Lexikon der Schweiz (e-HLS), Version vom 23.02.2005.

Mittwoch, 21. Juli 2021

Gegen den Willen der Armenpflege entlaufen

«Die E. Gemeindsbehörden werden ersucht, dem Felix Baumgartner von hier, 20 Jahre alt, der sich gegen den Willen der unterzogenen Behörde von Hause entfernte, keine Aufenthaltsbewilligung zu ertheilen, sondern denselben in seine Heimatgemeinde zurückzuweisen. 

Weiach, den 22. Januar 1844.   Im Namen der hiesigen Armenpflege.»

Sie mag etwas seltsam erscheinen, diese Kurzmitteilung an die ehrenwerten Gemeindebehörden im Einzugsgebiet der Zeitungen, in welche dieses Inserat eingerückt wurde. So etwas war aber damals gang und gäbe. Denn für Sozialhilfe war immer die Heimatgemeinde zuständig. Auf diese konnte eine Wohngemeinde Rückgriff nehmen. 

Der Stillstand (der gleichzeitig als Armenpflege amtierte), hatte also wohl seine Gründe, diesen Rückruf gerade so zu formulieren, wie er hier steht. Welche das genau sind, müsste dem Armenprotokoll 1838-1885 zu entnehmen sein, vgl. AGA Weiach IV.B 1a, nach dem Verzeichnis von 1935 (StAZH GA 157.8).

Zu vermuten ist, dass die Sozialbehörde befürchtete, der (wohl bisher schon armenrechtlich unterstützte) junge Gemeindebürger werde andernorts mehr Kosten verursachen als in heimatlichen Gefilden, wo man annehmen konnte, ihn besser unter Kontrolle halten zu können.

Quelle

Dienstag, 20. Juli 2021

Luftaufklärung. Zum Flurnamen «Rodig» im Hard

Der heutige Weiacher Hardwald ist punkto Fläche nur noch ein kümmerlicher Rest dessen, was er noch vor zwei Jahrhunderten dargestellt hat.

Man vergleiche nur einmal die beiden nachstehenden topographischen Karten. Oben die sog. Wildkarte, die vor 1846 aufgenommen worden sein muss. Und unten die sog. Siegfriedkarte, die in den 1870ern im Auftrag der Eidgenossenschaft messtechnisch erfasst wurde. Der Unterschied ist augenfällig.


Zwischen dem heutigen Restbestand des im 17. Jahrhundert noch viel grösseren Weiacher Hardwaldes und dem Standort des Ofenhofs («Hint. Ofen» auf den obigen Karten) liegen zwei Ackerfluren, die in den nächsten Jahren unseres 21. Jahrhunderts durch den Kiesabbau beansprucht werden. 

Die ältere (d.h. früher gerodete) dieser Fluren heisst «Hardrütenen» und weist eine Art L-Form auf. Die jüngere, nördlich des Ofen gelegene nennt man «Rodig». In den unterschiedlichen Namen zeigt sich der Wandel der Sprache in den letzten zweihundert Jahren. 

Denn die Hardrütenen ist kurz vor der Mitte des 19. Jahrhunderts zu Ackerland umgewidmet worden, als sogenanntes «Armenland» (ca. 39 ha; der Umfang erschliesst sich aus dem Vergleich der beiden Karten oben). 

Letzte Rodungsaktion im Rahmen der Anbauschlacht

Die Rodig hingegen datiert kurz vor Mitte des 20. Jahrhunderts. Sie ist im Rahmen des Schweizer Anbauwerks entstanden (martialischer unter dem Namen «Anbauschlacht» oder «Plan Wahlen» bekannt). In beiden Fällen wurde zum jeweiligen Zeitpunkt dringend benötigtes Ackerland urbar gemacht.

In der LUBIS-Datenbank von Swisstopo findet man eine Luftaufnahme von 1940, die den Hardwald noch in dem Umfang zeigt, den er seit Mitte des 19. Jahrhunderts hatte (am unteren Bildrand der Ofenhof):


Die zweite Luftaufnahme, von der gestern bereits ein kleiner Ausschnitt vorgestellt wurde, stammt vom Sommer 1944 und zeigt den Zustand kurz nach den Rodungen, die durch Insassen des Arbeitslagers Zweidlen/Weiach ermöglicht wurden. Den Verlauf des alten Waldwegs (Rheinsfelderweg), der die direkte Verbindung ins Dorf Weiach darstellt, sieht man noch deutlich:


Anhand dieses Bildes wird der Zusammenhang zwischen dem Standort des Arbeitslagers und der sich in unmittelbarer Nähe befindlichen Rodungsfläche sehr deutlich.

Rodungsarbeiten erstreckten sich über einen längeren Zeitraum

Und noch etwas fällt auf, wenn man den Zustand vom 26. Juli 1944 mit dem heutigen Stand vergleicht. Das ehemalige Waldstück im Umfang von ca. 10 Hektaren, das heute Rodig genannt wird, ist nicht (wie von Willi Baumgartner-Thut in seiner Chronologie des 20. Jahrhunderts angegeben) bereits 1942/43 vollständig gerodet worden. 

Die westliche Ecke im Umfang von ca. 2.2 Hektar hat man erst nach Juli 1944 in Angriff genommen. Auf einer weiteren Luftaufnahme vom 28. Mai 1946 (vgl. Link in den Quellen) ist dann auch diese Fläche als gerodet erkennbar.

Und so präsentiert sich die Situation heute (mit nach Süden verlegter Hauptstrasse):

Quellen

  • Topographische Karte des Kantons Zürich (sog. Wildkarte), 1852-1867, StAZH PLAN A 4
  • Topographischer Atlas der Schweiz (sog. Siegfriedkarte), 1870-1926. [Hintergrundinfo Swisstopo]
  • Bundesamt für Landestopographie swisstopo (Hrsg.): 19405898010628  Luftaufnahme vom 10. Oktober 1940; 19440380030951  Luftaufnahme vom 26. Juli 1944; 19460020020024 Luftaufnahme vom 28. Mai 1946.
  • Baumgartner-Thut, W.: Chronologie des 20. Jahrhunderts. In: Weiach – Aus der Geschichte eines Unterländer Dorfes, Sechste, erweiterte Auflage. Ausgabe V6.36, April 2021 – S. 92. (PDF, 2.88 MB)
  • Situationsplan ARV Zürich, Stand 20.7.2021 [Link auf GIS ZH].

Montag, 19. Juli 2021

Arbeitslager Zweidlen/Weiach. Der Luftbildbeweis von 1944

Gestern Sonntag, 18. Juli um 10:26 landete Christian Sieber auf WeiachTweet per Kommentar einen Volltreffer. Der als Abteilungsleiter Nacherschliessung und Digitalisierung im Staatsarchiv des Kantons Zürich tätige Historiker hat im Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 2009 bereits zum Thema Arbeitslager publiziert (dazu in einem späteren WeiachBlog-Beitrag).

Sein Hinweis ging auf ein erst in den letzten Jahren in den Werkzeugkasten der Historiker einsortiertes Tool von Swisstopo namens LUBIS, das treuen Lesern dieses Blogs nicht unbekannt vorkommen dürfte (vgl. WeiachBlog Nr. 1167 und 1168 von April 2014).

Sommer 1944

Sieber schreibt: «Im LUBIS-Viewer von swisstopo gibt es eine Luftaufnahme des fraglichen Gebiets vom 26. Juli 1944, auf der das Lager zu erkennen sein müsste

Und in der Tat: Eigentlich hätte ich schon aufgrund des Beitrags Nr. 1168 – mit Luftbild des Bunkers West (noch heute vorhanden) mitsamt Schützengrabensystem (längst wieder eingedeckt) – auf die Idee kommen können, das LUBIS zu Rate zu ziehen.

Es zeigt sich gerade bei Ereignissen der jüngeren Geschichte, dass Luftbilder auch heute noch aufklären können (und nicht nur damals einen zeitnahen militärischen Nutzen hatten). 


Auf der von Sieber erwähnten Aufnahme ist die Infrastruktur des Arbeitslagers Zweidlen/Weiach tatsächlich scharf abgebildet. Das Foto wurde am 26. Juli 1944 aus einer Flughöhe von 2600 Metern aufgenommen und hat eine so gute Auflösung, dass selbst ein kleiner Ausschnitt (wie der oben) noch viele Details zeigt. 

Wir sehen quer durchs Bild die Hauptstrasse Nummer 7 Basel-Winterthur mit ihrem damaligen Verlauf (2001 durch die Weiacher Kies AG nach Süden verlegt). Südlich der Hauptstrasse der Ofenhof mit seinen Wirtschaftsgebäuden und den Baumgärten. Und nördlich der Hauptachse – wie von Willi Baumgartner-Thut richtig verortet (vgl. WeiachBlog Nr. 1688) – die Baracken des Arbeitslagers. Nur die Gemüsebeete des Lagers liegen westlich des damaligen Verlaufs des Feldwegs Richtung Hardwald. Nach dem Krieg wurde der Feldweg dem Verlauf der Ackerflächen angepasst (vgl. Swisstopo-Karten 1956-1965 auf maps.zh.ch).

Herbst 1941

Wenn wir jetzt noch das Luftbild vom 16. September 1941 (Flughöhe 2550 Meter) zu Rate ziehen, dann wird klar, warum das Lager ausgerechnet an diesem Platz errichtet wurde. Denn diese Fläche war nicht intensiv landwirtschaftlich genutzt. Dort wo man die Baracken draufstellte, ging also wenig Anbaufläche verloren, was voll im Sinne des «Plan Wahlen» und seiner «Anbauschlacht» war.


Interessant ist das kleine Gebäude westlich der Stichstrasse nach Süden. Das war 1941 vorhanden, 1944 aber bereits nicht mehr. Worum es sich gehandelt hat, steht noch in Abklärung.

Quellen und Literatur

  • Luftaufnahmen 19410660210421 v. 16-09-1941 und 19440380030951 v. 26-07-1944. In: Bundesamt für Landestopografie Swisstopo (Hrsg.): LUBIS-Viewer.
  • Bach, M.: Polizeifotos und Flüchtlingsschicksale: Eine Spurensuche zu den Flüchtlingslagern im Kanton Zürich während des Zweiten Weltkriegs. In: Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 2009. Zürich 2008 – S. 103-160.
  • Sieber, Ch.: Internierten-, Arbeits-, Emigranten- und Flüchtlingslager im Kanton Zürich 1933–1950. Eine Übersicht. In: Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 2009. Zürich 2008 – S. 161-175. Aktualisierte Version vom 18. April 2009 auf der Website des Geschichtsvereins Adliswil.
  • Brandenberger, U: «Jugoslaven». Das Arbeitslager Zweidlen/Weiach im Jahre 1945. WeiachBlog Nr. 1688 v. 7. Juli 2021.
  • Brandenberger, U: Aus dem «Arbeitslager Zweidlen/Weiach» Entwichene. WeiachBlog Nr. 1695 v. 14. Juli 2021.
  • Brandenberger, U.: Emigranten und Flüchtlinge. Ein rechtlicher Unterschied. WeiachBlog Nr. 1696 v. 15. Juli 2021.

Sonntag, 18. Juli 2021

Bei den Sozialhilfekosten fiel Weiach nicht auf

Vor rund 150 Jahren hatte Weiach 742 Einwohner (gemäss Volkszählung 1870). Im selben Jahr zählte man in der Kirchgemeinde Weiach insgesamt 41 unterstützte Arme. Das ergibt also eine Sozialhilfequote von rund 5.5 Prozent. Wie man der nachstehenden Tabelle entnehmen kann, war das ein Wert knapp über dem Bezirksdurchschnitt von 5.3 Prozent.


Die Unterschiede innerhalb des Bezirks, der damals nur noch für wenige Monate den Namen des Städtchens auf dem Lägernsporn trug, sind allerdings gross. Auffallend vor allem die sehr tiefen Zahlen für Hüttikon und Otelfingen (mit Boppelsen). Sowie die sehr hohe von Niederweningen.

Wie man in der Tabelle sieht, fehlt u.a. die Politische Gemeinde Neerach. Die Armenpflege war damals noch eine Domäne des Stillstandes (also der Ortskirche). Neerach hat ja bis heute keine eigene Kirche, sondern gehört zu Steinmaur.

Weiacher Armengut 1870

Einer Zusammenstellung über die Armenausgaben aller Gemeinden des Kantons (vgl. Quelle unten) kann man entnehmen, wie die finanziellen Verhältnisse aussahen. Das Weiacher Armengut verfügte 1870 über ein Reinvermögen von 25600 Franken (ca. 1.8 Mio. CHF nach heutigen Werten, wenn wir den Historischen Lohnindex HLI von Swistoval zur Umrechnung verwenden). Das sogenannte Steuerkapital für Armensteuern belief sich auf 713300 Frkn.

Im genannten Jahr wird der Gesammtbetrag der Armenausgaben für Weiach mit 2355 Frkn. angegeben (ca. 170'000 CHF). Der Ueberschuss der Armenausgaben über den Ertrag des Armengutes, der Rückerstattungen, Bußen und Gebühren belief sich auf 1057 Frkn. Abzüglich eines allfälligen Staatsbeitrag musste diese Summe durch das Erheben von Armensteuern finanziert werden.

Über den Stadlern wurde das Füllhorn ausgeschüttet

Für den ordentlichen Staatsbeitrag hatte der Kanton 60'000 Franken zur Verfügung. Davon wurde Weiach 50 Frkn. zugeteilt. 

Aus dem sog. Kredit für außerordentliche Unterstützungen sprach der Kanton den Stadlern (als einzigen im Bezirk) einen Zusatzbeitrag. Damit erhielt die Kirchgemeinde Stadel (bestehend aus damals drei politischen Gemeinden: Stadel, Raat-Schüpfheim und Windlach) immerhin 36 Prozent der ungedeckten Kosten als Staatsbeitrag. Bachs bekam immerhin noch 20 Prozent. Weiach hingegen nur 5 Prozent. Den Rest mussten sie selber aus Armensteuern decken. 


Ein Sozialfall kostete 4750 Franken pro Jahr

Es wird auch damals schon so gewesen sein wie heute: Nämlich, dass halt der eine Unterstützungsbedürftige stärker gestützt werden musste, als die andere. Dennoch lohnt sich ein Blick auf die Durchschnittskosten in den Gemeinden des Bezirks (vgl. Tabelle unten, sortiert nach Durchschnittskosten in der letzten Spalte). Die sind nämlich recht unterschiedlich:


Regensdorf gab fast das Doppelte von dem aus, was ein Sozialhilfeempfänger in Rümlang gekostet hat (und das bei vergleichbaren Grössenordnungen in der Anzahl der Bezüger). Durchschnittlich kostete ein Sozialfall im Bezirk 65.93, umgerechnet v. Swistoval 4750 CHF pro Jahr. In Weiach lediglich 57.44 Frkn., also indexiert 620 CHF weniger).

Auffallend ist der extrem tiefe Wert von Hüttikon. Da würde man auf den ersten Blick einen statistischen Ausreisser nicht ausschliessen. Hier dürfte es sich aber um einen anderen Effekt handeln. Hüttikon gehört nämlich erst seit 1868 zur evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Otelfingen-Boppelsen. Vorher war Hüttikon (das erst 1803 zum Kanton Zürich gekommen war) zur reformierten Kirchgemeinde Würenlos AG pfarrgenössig. Es kann gut sein, dass die 1870 für Hüttiker Arme bereits nichts mehr zahlten und Otelfingen es noch nicht tat, man hatte sich dort schliesslich lange dagegen gewehrt, die finanzschwachen Hüttiker aufnehmen zu müssen (vgl. HLS-Artikel Hüttikon). Interessant ist auch, dass sowohl Hüttikon wie auch Otelfingen-Boppelsen sehr tiefe Sozialhilfquoten hatten. Sie bestritten ihre Sozialhilfeausgaben aus dem Kapitalertrag des Armengutes und mussten somit auch keine Armensteuern erheben.

Steuersatz auf 2.4 Promille plafoniert

Warum die Stadler so viel Geld erhielten? Das wird klar, wenn man sich ansieht, wie hoch die Steuersätze ohne Staatsbeitrag ausgefallen wären. Sie lagen bei 0.45 Promille des Steuersubstrats für Dällikon, hingegen bei 3.74 Promille für Stadel! Die Bachser hätten 2.68 Promille bezahlt, die Weiacher 1.48 Promille. Dank den Staatsbeiträgen reduzierte sich der Satz für die Stadler auf 2.39, für die Bachser auf  2.14 und für Weiacher auf 1.41 Promille. In Neerach zahlte man den Steinmaurer Ansatz: 1.30 Promille.

Quellen

  • Regierungsrat des Kantons Zürich (Hrsg.): Zusammenstellung der Armenausgaben der Gemeinden des Kantons Zürich während des Jahres 1870 und der dießfälligen Beiträge des Staates 1871. Zürich 1871 – S. 9.
  • Bundesamt für Statistik (Hrsg.): Daten der Eidgenössischen Volkszählungen ab 1850 nach Gemeinden.

Freitag, 16. Juli 2021

Schule Weiach an den Synodenpranger gestellt

Wenn man Reformen durchziehen will, dann werden zuweilen die Samthandschuhe weggelassen und das Problem an der Wurzel angepackt. Das konnte man nach der Machtübernahme durch die Radikal-Liberalen im Jahre 1831 am Beispiel der Reform des Schulsystems im Zürcher Staate beobachten.

Lehrkräfte, die den neuen Anforderungen nicht genügten, wurden kurzerhand abgesetzt und in die Pension geschickt. So erging es auch dem Weiacher Lehrer Rudolf Meierhofer (damals ca. 51 Jahre alt; vgl. WeiachBlog Nr. 1538).

Gerade in der Nordwestecke des Kantons gab es Widerstand gegen die schulischen Neuerungen. Konservative Kräfte bekämpften die Schulreformer mit dem Argument, sie wollten die Religion hinwegtun. An die Oberfläche gekommen ist dieser Widerstand anlässlich des Stadlerhandels 1834 (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 114 für diesen und seine Vorgeschichte) und nochmals anlässlich des Züriputsches 1839 (bei dem auch der Weiacher Pfarrer Keller eine Rolle spielte).

Letztlich aber waren die neuen Lehrkonzepte nicht mehr aufzuhalten, da konnte 1840 auch die Absetzung von Ignaz Thomas Scherr, streitbarer Direktor des Lehrerseminars Küsnacht, durch die nach dem Putsch installierte neue Regierung, das Rad nicht mehr zurückdrehen.

Ein Ratingsystem für die Primarschulen

Die fortschreitende Konsolidierung des neuen Schulsystems zeigt sich auch in den Berichten der Zürcher Schulsynode, an der die in Küsnacht ausgebildeten Lehrkräfte regelmässig zusammenkamen.

Die Schulreformer installierten schon früh ein datengetriebenes Controlling. Bereits 1836 wurden die Schulen in einer Art Selbstdeklaration eingestuft, wie man einer erziehungsrätlichen Beilage zum Bericht zur dritten Synode entnehmen kann: 

«Ganz gegen die Absicht des Erziehungsraths geschieht es, daß einige Bezirksschulpflegen die Klassifikationen der Schulen "gut, mittelmäßig, geringe" in die Haupttabelle bloß nach der Angabe der Gemeindsschulpflegen eintragen, da dieß nothwendig nach der Berathung und Beurtheilung der Bezirksschulpflege geschehen sollte.» (Beilage IX zum dritten Bericht 1836, S. 50-51)

In den darauffolgenden Jahren wurden die Schrauben sukzessive angezogen, wie der Bericht zum Schuljahr 1846/47 erwähnt:

«Es darf auch beigefügt werden, daß bei dieser Taxation von Jahr zu Jahr ein strengerer Maßstab angelegt wird, wie dieß aus den Berichten vieler Bezirkschulen erhellt.» Gemeint sind die Bezirksschulpflegen. (Vgl. Bd. 14-15, Heft 1, S. 43-44).

Jetzt werden Namen genannt

Im Bericht über das Schuljahr 1847/48 liess der Erziehungsrat dann sozusagen den Knüppel aus dem Sack. Nun wurden die schlechten Schulen namentlich aufgeführt (Bild: Bd. 14-15, Heft 2, S. 107):

Auch in der vom Erziehungsrat verfassten Beilage zum 16. Bericht für das Schuljahr 1848/49 wird das Ergebnis der «Klassifikation der Schulen» rapportiert. Die Daten dafür lieferten wie bisher die Bezirkschulpflegen, welche die von ihnen visitierten Schulen einstufen mussten in «sehr gut», «gut», «mittelmässig» und «schlecht», wobei nicht alle Bezirke vier Stufen verwendeten (einige weigerten sich bspw., das Prädikat «sehr gut» zu vergeben).

Das Resultat: 

«1847/48 wurden 41 als "sehr gut", 280 als "gut", 128 als "mittelmäßig", 10 als "schlecht" bezeichnet;» [Total: 459 Schulen; vgl. Bild oben]  

«1848/49 werden 46 als "sehr gut", 278 als "gut", 126 als "mittelmäßig", 12 als "schlecht" angegeben.» [Total: 462 Schulen]

Negativranking mit Prangerwirkung, auch für Lehrer

Was bereits im Vorjahr mit einem Lehrer aus Höngg eingeführt wurde, ist diesmal ausgeweitet: die Namensnennung. Die rund 2.5 Prozent in der tiefsten Stufe wurden öffentlich an den Pranger gestellt. Da heisst es:

 «Als schlechte Schulen werden bezeichnet:» [...]  «im Bezirk Regensberg: Bachs im Thal, Weiach (Willi, jetzt resignirt).»

Der Weiacher Lehrer Willi, bereits zurückgetreten, wurde also in der Synode (sozusagen coram publico)  beruflich mit einem Fusstritt verabschiedet.

Ähnlich erging es dem Lehrer Illi von Aesch (bei Birmensdorf). Hinter dessen Name steht der Zusatz «der nun resignirt». Wenigstens nicht namentlich genannt wurde der aus seiner Stelle ausgeschiedene Lehrer der Gemeinde Ellikon an der Thur («jetzt mit einem Vikar»). Nur der Höngger Lehrer Wehrli ist der einzige namentlich Aufgeführte, der gemäss Erziehungsratsbericht immer noch im Amt war. Die Gemeinde Höngg sah die Causa Wehrli offensichtlich ganz anders als die Bezirksschulpflege.

Pranger schnell wieder abgeschafft

In den darauffolgenden Berichten ist die Namensnennung wieder verschwunden. Offenbar wurde die Neuerung dann doch nicht so gut aufgenommen. 

Der Erziehungsrat (heutige Bezeichnung: Bildungsrat) musste auch einräumen, dass (wie es bei dieser Materie unvermeidlich vorkommt) die Bezirksschulpflegen höchst unterschiedliche Masssstäbe anlegten, diejenigen des Bezirks Regensberg galten dabei als eher milde. Es lasse sich «nicht verkennen, daß diese Taxationen insofern einen etwas unsichern Maßstab zur Beurteilung des Zustandes der Schulen darbieten, als die Bezirksschulpflegen selbst dabei in ungleicher Weise zu verfahren pflegen.» (Bericht über die 24. Schulsynode 1857, S. 16).

Transparenz «unstatthaft»?

Übrigens fanden auch einige Gemeindeschulpflegen, ihre eigenen Einschätzungen würden zu wenig berücksichtigt. An der Schulsynode 1860 kam aus dem Bezirk Pfäffikon der Antrag «daß in den Berichterstattungstabellen der Bezirksschulpflegen neben den Klassifikationen der Schulen durch die letzteren auch diejenigen der Gemeinds- und Sekundarschulpflegen in einer besondern Rubrik möchten aufgeführt werden. Nachdem in der Diskussion das Unstatthafte und unter Umständen selbst Gefährliche des gewünschten Verfahrens in der Berichterstattung klar hervorgetreten war, wurde der Antrag zurückgezogen.» (Bericht über die 27. Schulynode 1860, S. 4)

Was daran unstatthaft oder gefährlich sein soll, wird leider nicht erörtert. Offenbar hatte man Angst, die Problematik der zuweilen etwas stark auseinanderklaffenden Einschätzungen allzu offen zutage treten zu lassen.

Quellen und Literatur

  • Berichte über die Verhandlungen der Zürcherischen Schulsynode. [Wie im Lauftext referenziert. Titel am Beispiel Bd. 16 - Beilage VI: Bericht des Erziehungsrathes über den Zustand des Volksschulwesens im Schuljahr 1848-1849. S. 50-51  In: Bericht über die Verhandlungen der sechszehnten Schulsynode des Kantons Zürich im Jahr 1849. Zürich 1850]
  • Brandenberger, U.: Unfähige Lehrer zu Dutzenden in den Ruhestand versetzt. WeiachBlog Nr. 1538 vom 2. Juli 2020.

Donnerstag, 15. Juli 2021

Emigranten und Flüchtlinge. Ein rechtlicher Unterschied

Im Verlauf des Jahres 1945 wechselte der Status des Lagers Zweidlen/Weiach nahe dem Ofenhof vom Emigrantenlager zum Flüchtlingslager, wie man dem O-Ton in den Monatsberichten der Zentralleitung der Arbeitslager entnehmen kann:

«Im Arbeitslager für Emigranten Zweidlen/Weiach sind derzeit ca. 50 jugoslavische Flüchtlinge untergebracht». (WeiachBlog Nr. 1688)

Und wie wir gestern gesehen haben (WeiachBlog Nr. 1695), war es selbst dem federführenden Apparat in Bern manchmal nicht so ganz klar, was Zweidlen/Weiach denn nun aktuell gerade sei, wie man an den Fahndungs-Einträgen im Schweizerischen Polizei-Anzeiger (SPA) von Ende September/Anfang Oktober 1945 deutlich ablesen kann. 

Nehmen wir die Polen, die am 15./16. September aus dem Lager abgehauen sind. In den SPA-Meldungen vom 28. September war vom Arbeitslager für Flüchtlinge Zweidlen-Weiach/ZH die Rede. In denen vom 29. September, 3. und 6. Oktober hingegen vom Arbeitslager für Emigranten Zweidlen-Weiach/ZH.

Eine Frage der Definition

Damit fiel der Verwaltungsapparat sozusagen über die eigenen Füsse. Denn es war Bundesbern, das kurz nach Kriegsausbruch aus der Angst vor Überflutung mit Geflüchteten heraus (Stichwort: Das Boot ist voll) an den Definitionen geschraubt hatte, wie Koller/Roschewski darlegen: 

«Das Rechtsverhältnis der „Emigranten“ wurde mit dem BRB vom 17. Oktober 1939 geregelt. [BRB: Bundesratsbeschluss]  Bis dahin waren die Begriffe „Flüchtlinge“ und „Emigranten“ gleichbedeutend verwendet worden. Von nun an galten nur noch diejenigen Flüchtlinge als „Emigranten“, die unter die Vorschriften des BRB vom 17. Oktober 1939 fielen. Die Eidg. Fremdenpolizei bestimmte dies im Einzelfall. Faktisch umfassten die „Emigranten“ alle Personen, die aus politischen, rassischen oder wirtschaftlichen Gründen vor dem Kriegsausbruch in die Schweiz geflohen waren und eine kantonale Toleranzbewilligung erhalten hatten.»

Ausführlich kann man die Bestimmungen ab Seite 170 des 420-seitigen sog. Ludwig-Berichts von 1957 nachlesen. Diese Beilage zum Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Flüchtlingspolitik der Schweiz seit 1933 bis zur Gegenwart stellt der Historiker Thomas Huonker auf seiner Website zur Verfügung (vgl. Quellen).

Die Politik ergriff diese Massnahmen nicht einfach aus purer Lust am Kontrollieren. Nein, da hatte man die Erkenntnis vor Augen, wie 1939 rund 400'000 Flüchtlinge aus Spanien das doch wesentlich grössere Frankreich völlig überfordert hatten.

Stark eingeschränkte Rechte

Flüchtlinge mussten sich daher (wie Ausländer ganz generell) an strikte Regeln halten, die darauf ausgelegt waren, einerseits die Gefahr durch eingeschleuste feindliche Agenten zu minimieren, andererseits aber auch aufkommenden Unmut bei der einheimischen Bevölkerung unter Kontrolle zu behalten. 

Auch wer nicht in einem Lager interniert war, sondern in einer privaten Unterkunft: Flüchtlinge mussten sich auf dem Polizeiposten periodisch melden (vgl. Pt. 1), durften das Gebiet der politischen Gemeinde, in der ihre Unterkunft lag, nicht verlassen (Pt. 2), mussten sich nachts in der Unterkunft aufhalten (Pt. 4), durften keine Bars und dergleichen besuchen (Pt. 5) und nicht in Gruppen von mehr als 5 Personen ausgehen (Pt. 9). Politische Tätigkeit war verboten, öffentliches Auftreten (selbst durch Publikationen) ebenfalls (Pt. 8). Vor allem aber: es galt ein generelles, striktes Arbeitsverbot (vgl. Pt. 10):

Aus dem Dossier einer durch Heirat Italienierin gewordenen jungen Schweizerin,
ab August 1944 interniert im Gasthof zum Bahnhof, Zweidlen-Station.

Insgesamt war alles darauf ausgerichtet, die Geflüchteten zur möglichst raschen Weiterreise (oder Heimreise) zu bewegen (vgl. auch Pt. 14 im Bild oben):

«Dieser starke Druck zur Weiterreise entsprach dem politisch breit abgestützten Konzept, dass die Schweiz nur Transitland für die Flüchtlinge sein konnte. Deshalb war mit der Toleranzbewilligung ein Arbeitsverbot verknüpft, das nur für einzelne Spezialisten aufgehoben wurde.» (Koller/Roschewski)

Für die Geflüchteten war dieses Arbeitsverbot wohl die belastendste Auflage überhaupt. Am 12. März 1940 beschloss der Bundesrat deshalb, das Verbot der Erwerbstätigkeit für männliche Emigranten und Flüchtlinge insofern zu modifizieren, als man für sie Arbeitslager unter der Leitung der Polizeiabteilung einrichtete (vgl. S. 177ff im Bericht Ludwig).

Quellen

  • Schweizerisches Bundesarchiv, Signatur: BAR E4264#1985/196#20784* (Subdossier 2) 1943-1945.
  • Bericht Ludwig: Beilage zum Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Flüchtlingspolitik der Schweiz seit 1933 bis zur Gegenwart. (PDF, 25.2 MB; THATA, Thomas Huonker Archiv Texte Anderes).
  • Koller, G.; Roschewski, H.: Flüchtlingsakten 1930–1950. Thematische Übersicht zu Beständen im Schweizerischen Bundesarchiv. Bern 1999 – S. 15.

Mittwoch, 14. Juli 2021

Aus dem «Arbeitslager Zweidlen/Weiach» Entwichene

Es gibt Schriftwerke, die nur ausgewählten Personen zugänglich sind und die überdies nach ihrem Erscheinen noch jahrzehntelang unter Verschluss bleiben. Dazu gehören die Einträge in Datenbanken der Polizeiinformatik von Bund und Kantonen. Praktisch das gesamte 20. Jahrhundert hindurch nannte sich dieses strafverfolgungsinterne gedruckte Periodikum noch «Schweizerischer Polizei-Anzeiger» (SPA).

Normalerweise ist unser Dorf darin kaum zu finden gewesen, vielleicht ein- oder zweimal pro Jahr. Und dann auch noch oft, weil halt ein Gesuchter den Bürgerort Weiach im Zivilstandsregister stehen hatte. Im Jahre 1945 war das allerdings ganz anders. Der Grund: das Arbeitslager Zweidlen/Weiach in unmittelbarer Nachbarschaft zum Ofen-Hof.

Achtzehn Einträge vermeldet der Anzeiger im «Kriminellen Teil» unter dem Titel «Verhaftsbefehle» mit der Rubrik «Entweichung». Und zwar samt und sonders aus den Monaten nach dem Waffenstillstand am 8. Mai 1945.

Wie wir in WeiachBlog Nr. 1688 gesehen haben, stammte die Mehrheit der im letzten Kriegsjahr im Arbeitslager Zweidlen/Weiach internierten Flüchtlinge aus Jugoslawien. Aber es gab immer noch Angehörige anderer Nationen (belegt: Polen, Tschechen, Italiener), die sich dort aufhalten mussten. 

Sich aus dem Lager zu entfernen, ohne eine schriftliche Erlaubnis eingeholt zu haben, brachte einen Internierten in ziemliche Schwierigkeiten. Wer Militärdienst geleistet hat und das Urlaubssystem kennt, der kann sich in etwa vorstellen, wie das funktionierte.

Zuerst gehen die Kopfarbeiter...

Etliche der mit landwirtschaftlichen Arbeiten beschäftigten Insassen des Weiacher Lagers hielt nach Kriegsende nicht mehr viel zurück. Die Androhung von handfesten Nachteilen (besonders der Landesverweis) verlor ihren Schrecken je länger, desto mehr. 

Am 29. Mai machten sich der Student Branivoj K., *12.9.21 («Jugoslave») und der Flugingenieur Karl S., *27.3.21, Tscheche, buchstäblich vom Acker (SPA, Nr. 130, 9. Juni 1945 / S. 1071, Lnr. 9845 und 9853.).

Kurz darauf, am 3. Juli, taten es ihnen Branislav I., *31.12.16, «Jugoslawe, Beamter» (SPA, Nr. 157, 12. Juli 1945 / S. 1337, Lnr. 12 415), sowie Ratimir, P., *27.1.13, «Jugoslawe, Rechtsanwalt», gleich (SPA, Nr. 158, 13. Juli 1945 / S. 1350, Lnr. 12 571). Auch sie entwichen aus dem Lager und landeten auf der Fahndungsliste.

Eine nächste Welle folgte anfangs August: Am 5.8. genehmigte sich Georg, S., *9.2.15, «Jugoslawe, Kfm., Flüchtling» den Abgang aus dem Lager, wurde aber erst nach fast einem Monat (!) im Polizei-Anzeiger ausgeschrieben (SPA, Nr. 202, 3. September 1945 / S. 1805, Lnr. 17 001). 

Am 6. August haute der nächste jugoslawische Beamte aus dem Lager ab: der Flüchtling Ivan Hans B., *24.3.19 (SPA Nr. 197, 28. August 1945 / S. 1749, Lnr. 16 387). Auf denselben Tag datiert machte sich Marijan N., *16.8.20, «Jugoslawe, Stud., Flüchtling» auf den Weg in die Heimat. (SPA, Nr. 197, 28. August 1945 / S. 1751, Lnr. 16 406)

Und am 7. August türmte Otmar L., *10.9.18, «Jugoslawe, Kfm., Flüchtling» (SPA, Nr. 190, 20. August 1945 / S. 1669, Lnr. 15 602) aus dem Lager für Emigranten, wie es die federführende Polizeiabteilung im EJPD  bis dahin nannte.

... dann die Handwerker

Ende September firmierten die Baracken dann sowohl unter dem Namen Arbeitslager für Flüchtlinge Zweidlen-Weiach/ZH, wie unter dem alten Namen Arbeitslager für Emigranten.

Am 15 und 16. September verschwanden gleich zehn polnische Staatsangehörige:

  • Henryk L., *13.9.26, Landarb. (LNr. 19 426); 
  • Bogumil O., *27.3.26, Metzger (Lnr. 19 427); 
  • Eduard P., *26.12.26, Schlosser (Lnr. 19 429);  
  • Felix S., *16.10.27, Stud. (Lnr. 19 436); 
  • Waclaw (Wenzel) T., *13.7.27, Schüler (Lnr. 19 437); 
  • Florian W., *23 2.28, Kfm. (Lnr. 19 439); 
  • Ireneusz K., *2.1.27 (4.1.23), Automech., Flüchtling (Lnr. 19 551); 
  • Witold B., *28.6.26, Arb., Flüchtling (Lnr. 19 857) 
  • Feliks R., *18.11.28, Lehrling, Flüchtling (Lnr. 20 223), sowie
  • Pawel K., *26.6.27, Handl. (Lnr. 26 146).

Im Fahndungsregister erschienen diese Männer zwischen dem 28. September und 14. Dezember (!). Kam ja auch nicht mehr so darauf an. Die meisten waren nicht gemeingefährlich, wollten heim und nicht in der Schweiz untertauchen...

Quelle und Literatur

  • Schweizerischer Polizei-Anzeiger, 1945. Signatur: BAR E4260D-01#1000/838#30*
    Ab 1803; bis 1864 Allgemeines Signalement-Buch für die schweizerische Eidgenossenschaft, 1864-1904 Allgemeiner Polizeianzeiger der schweizerischen Eidgenossenschaft, ab 1905 Schweizerischer Polizei-Anzeiger (2 Bände pro Jahr).
  • «Jugoslaven». Das Arbeitslager Zweidlen/Weiach im Jahre 1945. WeiachBlog Nr. 1688 v. 7. Juli 2021.

Dienstag, 13. Juli 2021

An die Weiacher Kirchentür genagelt

Der deutsche Reformator Luther soll seine 95 Thesen ja bekanntlich eigenhändig an die Türe der Schlosskirche zu Wittenberg genagelt haben. Ob dieser Vorgang erfunden ist oder nicht: Es gab zu dieser Zeit wohl keinen geeigneteren Ort, um ein Schriftstück einem möglichst breiten Kreis öffentlich zur Kenntnis zu bringen. Denn zur Kirche musste jede(r). 

Diesen Umstand nutzte auch die Zürcher Regierung, wenn sie einen Gesetzeserlass unter die Leute bringen wollte. In einem dieser Erlasse, dem Mandat vom Samstag, 16. April 1586 (st.v.; d.h. 26.4.1586 greg.) steht diese Publikationsform sogar explizit drin: «Und by yeder Kilchen offentlichen an die thüren [...] anschlachen zelassen» war der offizielle Auftrag an die Amtsträger vor Ort.

Am Ort der Verkündigung

Zu diesem Zeitpunkt hatten die Weiacher bereits seit über dreissig Jahren eine eigene Kirche (vgl. WeiachBlog Nr. 1555), an deren Türen das Mandat angeschlagen werden konnte. Nur noch keinen Pfarrer, der vor Ort lebte (das war erst ab 1591 der Fall). Umso wichtiger diese Art der Publikationsform.

Der Inhalt dieses Mandats war den Untertanen keineswegs fremd. Sie konnten sich an frühere Erlasse dieser Art erinnern. Anlass dazu boten Liegenschaftskäufe und -verkäufe (Häuser und Landwirtschaftsland) ohne genügende finanzielle Unterfütterung. 

Solche weitreichenden Entscheidungen sollten nur in nüchternem Zustand, mit einem ordentlichen Aufgebot an Zeugen und auf keinen Fall beim abendlichen Schlummertrunk in einer Weinschenke abgeschlossen werden, dekretierte die Obrigkeit.

Zu viel Risikofreude wird als Betrugsabsicht gewertet

Mit Strafe bedroht wurden alle, die Zahlungsversprechungen machten, von denen sie bei genauem Hinsehen zugeben mussten, dass sie, wenn sie das Geld dafür schon nicht hatten, doch immerhin zu viel Vertrauen darauf setzten, es auf den Fälligkeitszeitpunkt schon noch erwirtschaften zu können. Wer so geschäftete, dem wurde Betrugsvorsatz vorgeworfen. 

Die Obrigkeit zu Zürich machte auch unmissverständlich klar, dass Verkäufer, die nicht nachhakten, woher denn das Geld für den Kauf kommen sollte, nicht damit rechnen konnten, dass sie in jedem Fall vor Gericht recht erhalten würden. 

Darüber hinaus wurde den Verwandten eines allzu Risikofreudigen, der in Konkurs fiel und mit Frau und Kind an den Bettelstab kam, angedroht, dass sie dessen Kinder bis zur Volljährigkeit versorgen müssten, sollte man ihm nachweisen können, dass er bei dieser Art von Geschäft in irgendeiner Form Beihilfe geleistet hatte.

Das Mandat im vollen Wortlaut

«Wir Burgermeister und Raht der Statt Zürych / thuond kundt offentlich hiemit

Wiewol wir hievor mehrmalen maengklichen der unseren vermanen lassen / Das niemandts unbedachter wyß / ald hinderm wyn / in schlaaftrüncken / oder zuo unzyten / umb ligende güter oder sonst eehaffte köuff thuon / sonders sich zevor / wie er sin zuosag halten welle / und zalen möge / wüssentlich umb:und versähen sölle. So befindend wir doch noch täglichen / daß sölliches von etlichen schlächtlichen betrachtet wirt / und aber augenschynlich der unsern höchstes verderben ist / so sy also unbedächtlicher wyßz / um ligende güter / und sonst köuff / zum thüristen thuond / uff Gotts bratt (wie man spricht) ouch guot glück / hoffnung / und selbs machende rächnung hin / jnen syge sovi früchten im väld zewerden. Daruß sy dann zalung machen / und zuo bestimpten zil unnd tagen / die zuo erleggen verheissend. Und so dann die selben kommend / dhein gält / nach frücht daruß sy gält zelösen habend / vorhanden / mögend sy ir zuosag nit halten: Daher dann zuon zyten volget / Ob sy glych wol etliche zalungen an kouff vom anfang erlegt / und aber die dennmals gegenwürtig nit zeleisten haben / das sy von gütern wider staan / unnd das sy daran gewärt / dahinden lassen unnd verlieren / oder mit grossem schaden / vech / gält / wyn als andere frücht uff sich nemmen müssend / und die güter träffenlichen versetzend und beschwärend / und letstlichen sich also mit wyb und kinden / in bättelstab selbs gar richtend / sc.  

Und diewyl wir vil lieber der unseren wolstand und ufgang sähend / und deßhalben jnen das / so zuo jrem nachteil reichen thuot und mag (sovil müglichen) zuoweeren von Oberkeits wägen schuldig und geneigt sind: Hat uns für hoch erforderlich / und gantz thuonlich bedunckt / obangeregt unser vornaher ußgangen gebott und warnung / hiemit widerumb im truck zuoernüweren. Und by yeder Kilchen offentlichen an die thüren / zuo meerer gedechtnuß / weß sich einer selbs besinnen und halten sölle / anschlachen zelassen.»

Nach diesen ausführlichen Erwägungen kommt die Regierung nun endlich zur Sache:

«Und ist hieruf unser ernstliche unn vätterliche vermanung / ouch will und meinung / an mengklichen der unseren / Das ein yeder der unsern / so er umb ligend güter / oder sonsten köuff thuon will / sich vor und eemalen wol umbsähe / und syn gwüsse rächnung habe und mache / wie unnd womit / ouch woruß er den vorhanden habenden kouff / bezalen und halten könne und möge / und dheinen kouff beschliesse / er wüsse und zeige dann zevor wo er jn zalen wölle / unnd kein gfaar darinne bruche. Deßglychen der verköuffer / in söllichen köuffen / eigentliche nachfrag habe / wie er möge bezalt werden / und nit nun etwan uff guot glück hin / dem gmeinen mann köuff gäbe / sinen nutz darmit zefürderen / wie es joch dem köuffer hernach gange. 

Noch ouch yemandts die köuff / in voller wyß / oder in den schlafftrüncken / sonders zuo rächter zyt / in bysyn biderber lüten / für hand nemme und thüyge. Dann wellicher angezeigter köuffen / sich wyter beladen / und uff ungewüsse ding hin / mercktete und kouffte / inmassen er sinem zuosagen / und versprochnen bezalungen / fälen sölte / unnd nit halten köndte: Den unnd die selben wöllend wir / oder unsere Vögt in unserm nammen (denen wir das hieby mit ernst yngebunden habend) jres betruglichen mercktens / kouffens und handlens / nach gstaltsamme straffen / und ouch dem verköuffer / in sinen sachen im rächten wenig gestands gäben / das ein yeder wölte / er wäre rüwig gwäsen. 

Und ob yemandts under eines söllichen köuffers gfründten und verwandten / zuo söllichen ungwüssen köuffen hilff und raht thete / und hernach der Köuffer zuo armuot keme / und kinder hette / sol er der gfründt / derselben kinden erzühung und erhaltung / wyl er sinem verwandten nit vor schaden gsyn / zuoerwarten haben / Darnach mag sich ein yeder zerichten / und jm selbst vor schaden zesyn wüssen. 

Deß zuo urkundt habend wir unser Statt Zürych Secret ynsigel offentlich hieryn lassen trucken / Sambstags den sechszehenden tag Aprellens. Nach der geburt Christi / unsers lieben Herren / gezalt / fünffzehen hundert achtzig und sechs jar.»

Dank einem Pfarrer erhalten geblieben

Auf dem Druckexemplar der Zentralbibliothek Zürich ist dieses Siegel nicht aufgedrückt, aber dafür ist uns der Einblattdruck erhalten geblieben. Und zwar in einem Sammelband, der sich in der Handschriftenabteilung befindet (ZBZ Ms B 74, fol. 52):

Gagliardi/Forrer: Katalog, Sp. 201

Wie man an der Nr. 5 vom 7. Januar 1551 in diesem Sammelband sieht, mussten die Pfarrer die gedruckten Mandate auch öffentlich verlesen. Es konnten schliesslich nicht alle das Gedruckte entziffern. Und doppelt genäht hält sowieso besser. 

In Weiach war das zu diesem Zeitpunkt entweder noch Pfr. Hans Heinrich Blass (1586 nach Eglisau gewählt) oder sein Nachfolger Pfr. Josias Wirz, der schon am 17. August nach St. Johann im Obertoggenburg berufen wurde.

Quellen

  • Mandat der Stadt Zürich betreffend Käufe und Verkäufe von Liegenschaften. 16. April 1586.  StAZH III AAb 1.1, Nr. 40 sowie ZBZ M&P 2: 17
  • Gagliardi, E.; Forrer, L.: Neuere Handschriften seit 1500 (ältere schweizergeschichtliche inbegriffen). Katalog der Handschriften der Zentralbibliothek Zürich, Bd. 2. Zürich 1982.
  • Brandenberger, U.: «Aller gattig himmlischs Bodepersonal...». Pfarrer zu Weiach – 1540 bis 2021. Unveröffentlichte Materialsammlung.
[Veröffentlicht am 14. Juli 2021 um 00:35 MESZ]