Mittwoch, 16. Januar 2019

Wie die Weiacher Jungbürger vom Bundesrat empfangen wurden

Vor kurzem ist Mauro Lenisa von uns gegangen (vgl. WeiachBlog Nr. 1384). In seiner Funktion als Gemeindepräsident hat er mehreren Jahrgängen von Weiacher Jungbürgerinnen und Jungbürgern zu einem staatsbürgerlichen Aha-Moment verholfen. Alle zwei Jahre reiste er mit den frisch in die vollen Bürgerrechte Aufgenommenen in die Bundesstadt und erklärte ihnen dort den Parlamentsbetrieb und die hohe Politik.

So auch dem Schreibenden, der sich noch gut an die Verwunderung seiner Jahrgangskollegen erinnert, die angesichts der Verhältnisse im Nationalraatssaal Platz griff. Denn da hörte von den wenigen Anwesenden kaum jemand zu. Viele lasen sogar Zeitung, während sich am Rednerpult ein anderer Politiker ins Zeug legte.

Jean-Pascal Delamuraz hautnah erlebt

Beim Durchblättern der ersten Ausgaben der von Mauro Lenisa gegründeten «Mitteilungen für die Gemeinde Weiach» ist mir deshalb der nachstehend abgedruckte Beitrag von Karin Klose besonders aufgefallen. Denn die Jahrgänge 1965 und 1966 sassen nicht nur auf den Tribünen der heiligen Hallen der Bundespolitik, sie kamen sogar in den Genuss einer Privataudienz bei Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz, der zu diesem Zeitpunkt seit etwas mehr als zwei Jahren Vorsteher des Eidg. Militärdepartements war (EMD 1984-1986; EVD 1987-1998).

Karin Klose ist in Weiach keine Unbekannte. Sie war Präsidentin der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde und ist seit Jahren Präsidentin der Rechnungsprüfungskommission der Gemeinde Weiach. In den Kontrollen von Karin und ihren RPK-Kollegen ist schon mancher Punkt ans Tageslicht befördert worden, der dann in einer Gemeindeversammlung zu mehr als nur kritischen Bemerkungen geführt hat.

Nachstehend der Beitrag von Karin in der Juli-Ausgabe 1986 der MGW im vollen Wortlaut samt Bildern. Bemerkungen des WeiachBlog-Autor sind in eckigen Klammern gesetzt.

Jungbürgerfeier 1986, Jahrgänge 1965 + 1966

Mittwoch, 4. Juni, 6.30 Uhr, Bahnhof Weiach: 12 Regenschirme mit ihren Besitzern warten auf die Abreise. Der Zug kommt - wir steigen ein. Nun konnte unsere Jungbürgerfeier beginnen.

Bei Kaffee und Gipfeli fuhren wir über Winterthur - Zürich nach Bern. Kurz nach 9 Uhr kamen wir in der Bundeshauptstadt an und schlenderten gemütlich Richtung Bundeshaus. Mit gemischten Gefühlen traten wir in den bekannten und doch unbekannten Tempel der Demokratie.

Ein Weibel führte uns in den linken Flügel, wo wir auf Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz warteten. [Das Bundeshaus Ost ist traditionell der Sitz des EMD] Kurz nach 10 Uhr betrat der EMD-Vorsteher das Sitzungszimmer. In sehr gutem Deutsch erklärte er uns in einer kurzen Ansprache die Aufgaben des Bundesrates und verglich unsere föderalistische Staatsform mit der des Auslandes.

Für Fragen blieb uns leider nur sehr wenig Zeit; es reichte nur für die drei folgenden:
- Was halten Sie von einer Frau im Bundesrat?
- Haben Sie noch Zeit für Hobbies, wenn ja, für welche?
- Was geschieht nun bezüglich des neuen Kampfpanzer Leopard II?

Er finde es positiv, dass auch eine Frau im Bundesrat vertreten ist. [Die erste Bundesrätin, Elisabeth Kopp, wurde im Dezember 1983 zusammen mit Otto Stich und Delamuraz gewählt]

Bei der Frage nach seinen Hobbies antwortete er: "Mein grösstes Hobby ist meine Familie!" Sehr gerne entspannt er sich bei klassischer Musik. Ein grosser Teil seiner Zeit gehöre natürlich auch seinem Boot auf dem Lac Leman

Auf die letzte Frage folgte eine lange, ausführliche Antwort, welche ohne militärische Kenntnisse nur sehr schwer zu verstehen ist.

Anschliessend knipste unser Gemeindepresi noch ein Foto. Super, oder?



[Delamuraz mit Krawatte in der Mitte, rechts aussen Pfr. Koelliker]

Nachdem wir Monsieur Delamuraz "au revoir" gesagt hatten, ging es weiter in den National- und Ständerat. Amüsant war es, die Nationalräte zu beobachten, wie "interessiert" sie dem Referenten "zuhörten". Im Ständerat war das Klima schon ein wenig anders - sympathischer. Vielleicht war aber auch nur das Thema "packender".

Um ca. 11 Uhr verliessen wir das Bundeshaus und genehmigten uns ein Gläschen Wein. Nach einem kurzen Spaziergang an der Zytgloggen vorbei kamen wir beim Restaurant "Casino" an. Beim gemütlichen Beisammensein erklärte uns Herr Lienhard die Pflichten gegenüber der Gemeinde, wie Wegzug, Neuzuzug, Heirat, Geburt, u.s.w.

Darauf wurde dann endlich unser langersehntes Mittagessen aufgetischt. Nach Stroganoff mit Reis, Salat, Suppe und zum Dessert Zwetschgenmousse, sahen wir uns frisch gestärkt die Altstadt an.

Manche suchten eine der gemütlichen Beizli auf, anderen gefiel das "Lädele" besser, und einige bestaunten, wie das Foto zeigt, die schönen Brunnen.
Ungefähr eine Stunde später fanden wir uns beim abgemachten Treffpunkt wieder ein, und schon ging es weiter Richtung Münster.

In 1 1/2 Stunden erzählte uns der Münsterpfarrer allerlei Wissenswertes über "sein" Gotteshaus.

Der Münsterbau begann 1421 nach Plänen und unter der Leitung von Matthäus Ensinger im spätgotischen Flamboyant-Stil. Der Einbau der komplizierten Netzgewölbe im Mittelschiff erfolgte erst nach der Reformation in den Jahren 1573-1575. Beim Turmbau stellte der wenig druckfeste Melassesandstein [Molassesandsteinunlösbare Probleme. Man liess es daher auf der 1521 erreichten Höhe von rund 61 m bewenden. Erst die moderne Bautechnik erlaubte die Vollendung des Turmes in den Jahren 1889-1893 bis zu einer Höhe von ca. 100 m. Vielleicht hatten [sic!] wir etwas weniger gekeucht, wenn es bei der alten Höhe geblieben wäre... Dafür wurden wir mit einem wunderschönen Ausblick über die Stadt Bern belohnt.

Nach einem kurzen Abschiedstrunk in einem der vielen gemütlichen Cafés verabschiedeten wir uns von der Bundeshauptstadt.

Nach dem Nachtessen im Zürcher "Chropf" schnappten wir uns den letzten Zug nach Weiach. [Der fuhr damals noch vor 22 Uhr!] Dort war es dann ziemlich ruhig, und alle stellten fest, dass diese Jungbürgerfeier etwas ganz tolles und eindrückliches gewesen ist. Eine Möglichkeit mehr, sich wieder einmal zu sehen.

V.l.: I. Troxler, R. Willi, S. Meierhofer, R. Angst, K. Klose, H. Lienhard, A. Schmid, M. Lenisa, M. Baltisser, F. Duttweiler, R. Baltisser  [Foto: Pfr. Koelliker]

Im Namen aller Jungbürger möchte ich mich recht herzlich bei Herrn Lenisa, Herrn Pfarrer Kölliker und Herrn Lienhard bedanken.

Leider war trotz des Top-Programms die Zahl der Teilnehmer sehr bedenklich. Es wird für Jungbürger etwas organisiert, und die Gelegenheit etwas Einmaliges zu erleben, wird nicht wahrgenommen. Wirklich schade.

K.K. [Karin Klose]

Quelle
  • Jungbürgerfeier 1986, Jahrgänge 1965 + 1966. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Juli 1986 - S. 19-21
[Veröffentlicht am 10. April 2019 um 13:00 MESZ]

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