Susanne Lehmann hat auf der Facebook-Gruppe Du bisch vo Weiach, wenn... mit einem Foto des Gedenksteins bereits daran erinnert: Heute vor 35 Jahren um exakt 20:11 mitteleuropäischer Zeit (UTC 19:11) ist die DC-9-32 der Fluggesellschaft Alitalia im Gebiet Surgen in den Haggenberg geprallt.
Controlled flight into terrain (CFIT), so wird diese Art von «Absturz» in der Fachsprache der Flugunfalluntersuchungsbehörden genannt. Am Abend des 14. November 1990 und am Tag danach wusste man das aber noch nicht. Es kursierten die wildesten Gerüchte: Die Maschine habe gebrannt, wollten einige Dorfbewohner wissen. Hat sie nicht, sagt der Untersuchungsbericht.
Leben in der Anflugschneise der Piste 14
Ja, diese Katastrophe hat sich unauslöschbar ins individuelle Gedächtnis vieler Weycherinnen und Weycher eingebrannt. Und sie ist bis heute Teil des kollektiven Gedächtnisses der Dorfgemeinschaft.
Das in den Titel dieses Beitrags übernommene Zitat auf der hintersten Seite der Berner Tageszeitung «Der Bund» vom 16. November 1990 trifft das damals vorherrschende Gefühl recht gut.
Wenige Monate nach Vollendung des 14. Betriebsjahrs der V-Piste 14/32 rief sich ausgerechnet an einem 14. das berüchtigte Restrisiko ins Bewusstsein: Leben in der Anflugschneise ist auch für die unter ihr Wohnhaften nicht ganz ungefährlich. Denn die meisten Flugunfälle ereignen sich statistisch gesehen nun einmal bei Start und Landung.
Aus unserer eigenen Gemeindesicht ist vor allem der vom Zürcher Korrespondenten des «Bund» verfasste Kasten von Interesse. Er umfasst Originalzitate und übermittelt den persönlichen Eindruck seines Autors Arthur Schäppi:
Von unserem Zürcher Mitarbeiter Arthur Schäppi
«Vielen im Dorf hier steckt noch immer der Schreck in den Knochen», sagt eine junge Frau, die gerade von der Weiacher Post durch den strömenden Regen nach Hause geht. Ihr Mann kam erst um drei Uhr in der Früh nach Hause und musste um 6 Uhr bereits wieder ausrücken. Er ist bei der Dorffeuerwehr, die an diesem traurigen Donnerstagmorgen nach dem Absturz der DC-9 am Stadlerberg zwischen Weiach und Stadel noch immer bei den Bergungsarbeiten mithilft.
Riesiger Medientross
Während über der von düsteren Wolken umhüllten Unglücksstelle am waldigen Hügel noch immer ein Helikopter kreist und Tote und Trümmer geborgen werden, herrscht an diesem Donnerstagmorgen nach der Schreckens[n]acht [sic!] gedrückte Stimmung in der nur gut einen Kilometer (Luftlinie) vom Abstzurzort [sic!] entfernten Zürcher Unterländer Gemeinde Weiach.
Je nach Position im Dorfkern bzw. dem Messpunkt an der Unfallstelle, einer mehrere Dutzend Meter langen, vom Flugzeug geschlagenen Schneise, beträgt der Abstand einiges mehr als 1 km. Zwischen dem Alten Schulhaus, das am 14. November 1990 zum Medienzentrum wurde (vgl. nächsten Abschnitt), und der Einschlagstelle liegen bspw. rund 1.35 Kilometer.
Ums Schulhaus, wo sich das Informationszentrum der Einsatzleitung befindet, stehen Militär[-] und Polizeifahrzeuge, tummeln sich ein riesiger Tross von Journalisten und italienische, deutsche und französische Kamerateams. Die kleine Kiesgemeinde Weiach mit ihren 750 Seelen und der Nachbarort Stadel geraten unfreiwillig ins grelle Rampen- und Blitzlicht der Medien. Nur die Gaffer vermochte die nasskalte Witterung an diesem trüben Morgen fast gänzlich vom Dorfbild fernzuhalten.
Schäppi ist also der Ansicht, es seien nur wenige Gaffer gewesen. Und dennoch mussten die Einsatzkräfte offenbar eine ganze Anzahl an Katastrophentouristen daran hindern, an die Absturzstelle vorzudringen. Sie ist noch in der Nacht in weiser Voraussicht grossräumig abgesperrt worden. – Bei den Militärfahrzeugen handelte es sich wohl mehrheitlich um Transportmittel des Heerespolizeibataillons 1 (HP Bat 1; vgl. die Zeitschrift Schweizer Soldat 2/91 – S. 36).
«Zweites Leben geschenkt»
«Ich habe gestern abend ein zweites Leben geschenkt bekommen», sinniert ein Bauer ernst. «Zum guten Glück ist uns hier nichts passiert», meint auch eine Hausfrau, die unter einem breiten Tenndach Schutz vor dem Regen sucht. So wie sie denken viele in Weiach, weiss der Postverwalter, der gerade von einer Briefträgertour zurückgekommen ist. In der Tat: Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn die Maschine auf ihrer Todesfahrt von Mailand etwas früher niedergegangen und statt im abgelegenen Wald des Stadlerbergs bereits über dem Wohngebiet von Weiach explodiert wäre.
Der namentlich nicht genannte Posthalter war Walter Meierhofer-Albrecht (1929-1998), der letzte Amtsinhaber der Dynastie der Poscht-Meierhofer (vgl. Abschn. Nr. 5 in WeiachBlog Nr. 1897).
Vom etwas seltsam anmutenden Begriff Todesfahrt (statt -flug) einmal abgesehen: Man erkennt an der Schilderung deutlich, dass die Medienvertreter noch von einer Explosion als Absturzursache ausgingen. Was angesichts der schon eingangs erwähnten Erzählungen nicht verwundert.
«Unheimliches Aufheulen»
Ein Rentner schildert vor laufender Kamera einer französischen TV-Station, wie er das schreckliche Ereignis erlebt hat: «Ich hörte über meinem Haus ein unheimliches Aufheulen der Flugzeugmotoren und sah sofort, dass die Maschine viel zu tief geflogen kam. Noch bevor das Flugzeug abstürzte, kam es zu einer Explosion und der linke Flüge[l] brach ab.» Solche und ähnliche, manchmal allerdings auch ziemlich divergierende Schilderungen des Unglückhergangs, das 46 Menschenleben gekostet hat, bekommt man an diesem tristen Donnerstagmorgen in Weiach etliche zu hören. Und fast immer enden sie mit dankbaren Feststellungen wie: «Gottlob sind wir noch einmal davongekommen.»
Fragt man die Augen- und Ohrenzeugen heute, dann erinnern sich viele – auch Susanne Lehmann – vor allem an die akustischen Begleiterscheinungen: An das Aufheulen der Triebwerke, verursacht durch den Durchstartversuch des Copiloten, noch über dem Dorfkern (vgl. WeiachBlog Nr. 1610). Und an einen lauten Knall, der wohl durch das explosionsartige Abbrennen des Kerosins beim Aufprall verursacht worden ist.
Quellen und Literatur
- Associated Press (ed.): Bestürzung und offene Fragen nach DC-9-Absturz bei Zürich. In: Der Bund (Bern), Nr. 269, 16. November 1990 – S. 52.
- Schäppi, A.: «Weiach ist noch einmal davongekommen». [Kasten zum Hauptartikel auf der hintersten Seite]. In: Der Bund (Bern), Nr. 269, 16. November 1990 – S. 52.
- Brandenberger, U.: Nur 150 Meter tiefer und die DC-9 hätte den Wingert gestreift! WeiachBlog Nr. 1610, 13. November 2020.
- Brandenberger, U.: Weiacher Posthalter-Familien (1842-2009). WeiachBlog Nr. 1897, 13. Februar 2023.









