Donnerstag, 12. Juni 2025

Tierarzt Lienhard verkauft seine Irländer-Stute

Eine fünfjährige dunkelbraune Irländer-Stute, «perfekt geritten und gefahren, auch gut im Zug» wurde heute vor 125 Jahren in der NZZ zum Kauf angeboten. «Umständehalber», so der Verkäufer Lienhard in Weiach verklausuliert, sei das Tier «für nur Fr. 1200» abzugeben:


Mit 5 Jahren ist eine Stute noch vergleichsweise jung. Ihre Fähigkeiten hängen stark von der bisherigen Ausbildung ab. Eine gut angerittene Stute, wie Lienhard sie anpreist, ist daher vielseitiger einsetzbar als eine, die gerade erst eingeritten wurde.

Swistoval.ch gibt folgende Angaben zur Umrechnung damaliger Geldwerte in heutige:

1'200.00 Franken von 1900 entsprechen im Jahr 2009:
Konsumentenpreisindex (KPI)14'998 CHF
Historischer Lohnindex (HLI)52'462 CHF


In diesem Fall ist wohl eher der Konsumentenpreisindex zu verwenden, denn der geforderte Preis von umgerechnet etwas über 15'000 CHF liegt im Mittelfeld dessen, was in heutiger Zeit für den Ankauf eines solchen Pferds ausgelegt werden muss.

Bei diesem Lienhard dürfte es sich übrigens um den in Weiach praktizierenden Veterinärmediziner Hans Lienhard handeln, der einige Jahre später zum Bezirkstierarzt gewählt wurde, vgl. Literatur unten.

Quelle und Literatur

Montag, 9. Juni 2025

Das «Mangoldsfest» am Pfingstmontag

Die Weisungen der Hohen Obrigkeit zu Zürich waren eindeutig (vgl. den WeiachBlog-Beitrag von gestern Pfingstsonntag). Auch am Pfingstmontag durfte man nicht arbeiten! 

Für unsere handwerklich und landwirtschaftlich tätigen Vorfahren grenzte das schon fast an Körperverletzung. Der reinste Horror. Wenigstens etwas feiern sollte man dann doch noch dürfen, oder? Das sahen die im Auftrag ihrer Regierung tätigen, gestrengen Pfarrherren dann allerdings erst recht nicht gern. 

Ein Frauen misshandelnder Ritter?

Wie man auf der Website der altehrwürdigen Lesegesellschaft Bülach erfährt, gab es dort einen alten Brauch, das «Fest des Ritters Mangold», das jeweils am Pfingstmontag mit einer Art Theateraufführung stattfand: 

«Das Pfingstspiel bildete eine Erinnerung an die Ermordung eines Frauen misshandelnden Ritters durch die Bürger von Bülach. Das heidnische und «schnöde Spiel», das jüngere Bewohner von Bülach jährlich dort vermutlich trieben, war den Kirchenherren aber ein Dorn im Auge und sie verlangten deshalb von der Zürcher Kirchensynode, diesem Treiben ein Ende zu bereiten.» (Website Lesegesellschaft)

Traktandum an der Synode

Bei den Synoden der Zürcher Kirche handelt es sich um die in der Regel zweimal jährlich durchgeführten Generalversammlungen aller Zürcher Pfarrer. Laut den Protokollen, den sog. Acta Synodalia, war dieses «an etlichen Orten noch übliche sogenannte Mangoldsfest an Pfingstmontagen» ein offizielles Traktandum an einer der beiden Synoden des Jahres 1568. 

Zwar ein paar Jahre nach dem Grossen Bauernkrieg 1524/25. Die Regierenden in Zürich waren aber nicht so naiv zu glauben, dass ihre Untertanen auf dem Land die damals erhobenen Forderungen einfach so vergessen hätten (vgl. WeiachBlog Nr. 2222 u. Nr. 2232). Und da hatte ein solches Pfingstspiel, bei dem aktiver Widerstand gegen den Staat in Gestalt eines bösen Adeligen sozusagen szenisch samt Tyrannenmord ausgeschmückt wurde, ohne Zweifel etwas Bedrohliches. 

Ein Brandis oder ein Nellenburger?

Nun war der Vorname Mangold im Mittelalter in Adelskreisen durchaus geläufig, auch in unserer Gegend. So hiessen mehrere Namensträger des ursprünglich aus dem Emmental stammenden Geschlechts der Brandis (mit Stammburg bei Lützelflüh, 1798 abgebrannt). Sie konnten sich dank Finanztransaktionen und geschickter Heiratspolitik u.a. 1377 die Herrschaft Küssaburg gleich ennet dem Rhein sichern. Der Familie gelang es auch, einzelne ihrer Leute in den Rang von Äbten und den des Bischof von Konstanz zu befördern. Ausserdem waren sie ab 1399 Vorgänger der heutigen Fürsten von Liechtenstein, indem sie die Herrschaften Vaduz und Schellenberg über ein Jahrhundert lang inne hielten. Auch bei den Grafen von Nellenburg war der Vorname Mangold in Gebrauch. 

Zur Frage, weshalb der böse Ritter im Pfingstspiel ausgerechnet Mangold genannt wurde, gibt es jedoch bislang keinerlei Hinweise. Vgl. die Interpretation von Utzinger im weiteren Verlauf des Beitrags.

Trotzdem hat sich der Name «Mangoldsburg» gerade in Bülach und Umgebung eingebürgert: für eine Wall-Graben-Anlage, deren Reste heute zwischen der Bahnlinie Bülach-Eglisau und der Glatt zu finden sind, noch auf Bülacher Boden, aber nahe beim Bahnhof Glattfelden (der ebenfalls auf Bülacher Territorium liegt!).

Die «Alte Burg» über der Glatt zwischen Hochfelden und Glattfelden

Der Bülacher Ortshistoriker Joseph Utzinger (1821-1879) hat im Jahr der Eröffnung der Bahnlinie nach Koblenz im Anzeiger für Schweizerische Alterthumskunde einen Artikel über diese «Mangoldsburg» veröffentlicht, den wir hier mit Ausnahme des letzten Abschnitts im vollen Wortlaut wiedergeben [Zwischentitel durch Redaktion WeiachBlog]:

«Diese theils von der Natur, theils von menschlicher Hand interessant geformte Stelle hat durch die gegenwärtig im Bau begriffene Eisenbahnbaute Winterthur-Koblenz solche Veränderungen erlitten, dass ihre bis vor wenige Monate bestandene Anlage der Geschichte aufzuzeichnen am Platze sein wird. Gerade derjenige Theil, auf dem sie zugänglich, aber eben darum um so mehr verschanzt war, ist durch einen 14 Meter tiefen Einschnitt durchgraben und so auf diesem Punkte Wall und Graben weggeschnitten.

Wall-Graben-Anlagen häufig in dieser Gegend

Es ist diese Gegend, man darf wohl sagen, so reich an künstlichen Erdwerken, dass ihr in kriegerischer Hinsicht eine nicht zu unterschätzende Geschichte zugeschrieben werden darf. Nicht nur das linke Rheinufer trägt auf seinen Höhen, selbst die demselben entfernter in der grossen Ebene und auf Anhöhen, aber günstig gelegene Stellen, bieten eine erhebliche Anzahl von Verschanzungen aus keltischer Zeit, wie wir sie sowohl im Allgemeinen wie einzeln durch Herrn Dr. Ferd. Keller in Zürich in den Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft, Band XVI, Abtheilung II, Heft 3 ganz getreu beschrieben finden. Dort sind sie als Refugien, von Cäsar als Castelle bezeichnet und dienten als Zufluchtsstätten gegen kriegerische Ueberfälle. So finden wir ausser unserer näher zu beschreibenden Stelle auf dem Rheinsberge, auf dem Ebnet, dem Wörndel, bei Bachs, bei Niederhasle, bei Birchweil, Pfungen etc. zu gleichem Zwecke bestimmte Werke.»

Ebnet und Wörndel befinden sich auf dem Gemeindegebiet von Weiach, östlich des Dorfkerns, vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 76 und 77 (Internetlinks s. unten).

«Ueber die alte Burg nun wurde schon früher eine Skizze in den "Anzeiger" gewünscht, solche aber verschoben in der Hoffnung, der Bahnbau konnte irgend etwas zu Tage fördern, das der Aufzeichnung würdig gewesen wäre. Allein rein nichts zeigte sich, obschon die neue Böschung sich bis auf die Höhe der Burg erstreckt. Schon dieses, und dass die Geschichte gar nichts von der Burg aufzuweisen vermag, bürgen dafür, dass dieselbe spätestens keltisches Werk sei, zumal in nicht grosser Entfernung an der Strasse ein keltischer Grabhügel sich befand und weiter westlich durch den Bahnbau, im sog. Zelgli, in einem wohl an offenem Feuer gebrannten Topfe ein bronzener Schmuck, bestehend in Armringen und Haarnadeln, ausgehoben wurde.»

Zumindest für die beiden Weiacher Anlagen ist die Kantonsarchäologie etwas vorsichtiger mit der historischen Verortung. Sie verwendet den Begriff «unbekannte Zeitstellung».

Schlösslibuk, nennen sie die Glattfelder und Eglisauer

«Nehmen wir Blatt X der zürch. topopraphischen Karte [sog. Wildkarte 1850, in obiger Abbildung rechts der senkrechten roten Linie] zur Hand, so finden wir nördlich von Bülach "das Bülacher Hard", dessen nordwestliches Ende "in Buchen" heisst. Diese Fläche hat eine Höhe von circa 425 Meter aber Meer und streckt sich in zickzackartigen Vorsprüngen in das etwa 35 Meter tiefer liegende Gebiet der in vielen Krümmungen und bedeutendem Gefälle dem Rheine zufliessenden Glatt hinaus. Der grösste dieser Vorsprünge, der auf dem höchsten Punkte 435 Meter hat, also nicht nur vorspringt, sondern noch 10 Meter über seine höchste Umgebung oder von der Thalsohle aus 45 Meter oder 150 Fuss sich erhebt, finden wir als "Alte Burg" im Volksmunde, in Glattfelden und Eglisau "Schlösslibuk", im Kirchenurbar von Bülach als "Mangoldsburg" bezeichnet. Diese beiden Benennungen gaben der Vermuthung, man könnte hier mit einem alamannischen Werke zu thun haben, etwelchen Raum. Die Beschaffenheit desselben, sowie gänzlicher Mangel an Spuren von baulichen Einrichtungen lenkten aber wieder ganz davon ab. Der Name Mangoldsburg dürfte seine Entstehung einem andern blossen Zufall verdanken.»

Mangoldsfest auch in Glattfelden

«Es zeigte nämlich in dem Jahre 1562 und 1568 der Dekan des Regensberger Kapitels der Synode an, wie in Bülach, Oberglatt, Glattfelden, Embrach ein heidnisch Fest der Mangold, ein unflätig Spiel, getrieben wurde und verlangte beide Male von der Regierung Abhülfe. Was diese gethan hat, ist unbekannt; aber leicht möglich wäre es, dass das Spiel seines Charakters wegen sich auf diese abgelegene Stelle zurückgezogen und desshalb die Burg vorübergehend den Namen "Mangoldsburg" erhalten hatte, die ihr bei der bald (1599) erfolgten Anfertigung des neuen Kirchenurbars als nähere Bezeichnung gegeben worden wäre. Mit ihrem Ursprung hat dieser Name jedenfalls nichts zu schaffen.»

So weit weg von zuhause war dann das Glattfelder Mangoldsfest für die Weyacher auch nicht, sodass gewiss auch sie zu den Besuchern dieses bei der Obrigkeit verpönten Anlasses gehörten. Dass sich der Dekan eines benachbarten Pfarrkapitels namens seiner Prädikanten (darunter auch der von Weiach, der jeweils aus Zürich dorthin marschieren musste), über dieses Fest beschwert haben, ist indirekt der Beleg für diese unerwünschten Festbesuche.

Ein Pavillon der Nordostbahn auf dem Burghügel

«Der Hügel selbst, dessen Höhe wir bereits angegeben haben, ist eine 450 Fuss lange Spitze und wird am Fusse ihres südlich sehr steilen, mit verkrüppeltem Laubholz überwachsenen Abhanges von einem hart neben der Glatt liegenden Bewässerungsgraben bespült. Süd- und Westseite sind abgerieselte Nagelfluh, aus welcher die ganze Umgebung besteht und in welche eine von der in der Thalsohle liegenden Wiesen (- Heeren wiesen, die zum Theil der Kirche zinspflichtig waren, Herrenwiesen, wie sie in Glattfelden, als am Schlösslibuk liegend, bezeichnet werden) um die Burg herum auf die Ebene führende Strasse sich zog, welche durch den Bahnbau eingeht. Von der abschüssigen Stelle im Westen, zog auf der Nordseite dem Hügel nach bis wieder zur unzugänglichen Stelle, im Osten ein 25 Fuss weiter und 350 Fuss langer Graben, dem nach Aussen ein 22 Fuss breiter und 10 Fuss hoher Wall und ferner ein zweiter etwa 6 Fuss tiefer liegender, 500 Fuss langer Graben folgte, von dessen Aushub ein zweiter, wenn auch nur unbedeutender Wall gebildet wurde. In halber Höhe des Hügels ist eine etwas verrutschte Terrasse. Ob dieselbe als ein Weg oder eher als Mittel, um von der Ebene aus die Ersteigung zu erschweren, angelegt war, ist nicht bestimmt zu erkennen. Der Hügel ist somit zur Hälfte unzugänglich, zur Hälfte verschanzt. Gegen Westen läuft derselbe in einen spitzen Grat aus, auf dem sich nur ein schmaler Fussweg in eine von der Glatt umflossene Wiesenfläche zieht. Diese Fläche "im grauen Stein" kann somit als Bestandtheil der Burg betrachtet werden. Das Plateau des Hügels erreicht eine Breite von circa 90 Fuss, senkt sich dann in einem Gefälle von 60 bis 70 % gegen den Burggraben ab und hält ungefähr in der Mitte einen 7 Fuss hohen und 40 Fuss breiten runden Hügel, auf welchem die Ingenieure der Nordostbahn ein einfaches Pavillon erstellt haben.

Wie im Eingange bemerkt, ist die Burg im Osten abgeschnitten und steht nun nicht mehr als Zunge, sondern als ganz isolirter, 14 Meter höher gewordener, also 24 Meter über die Bahnlinie sich erhebender Burghügel da, dem zwar zur Stunde ein passender Zugang mangelt. Von Bülach aus gelangt man auf angenehmem Wege, ungefähr in einer guten halben Stunde, an ihren Fuss und wenn die Ersteigung dann auch etwas mühevoll ist, so sind die Abwechslung im Spaziergange, das schöne Wiesenthal und auf der Burg die freundliche Aussicht sehr lohnend, auch andere Punkte in der Nähe interessant und die neue Bahnstation Glattfelden höchstens 10 Minuten entfernt. Der Besuch der Burg wird somit mit Eröffnung der Bahnlinie Bülach-Eglisau sehr erleichtert.»

Quellen und Literatur

  • Acta Synodalia 1568, Frühlingssynode und Herbstsynode, Signatur: StAZH E I 2.2, Nr. 2
  • Utzinger, J.: Nr. 278. Die "Alte Burg" bei Bülach. In: Anzeiger für Schweizerische Alterthumskunde. Bd. 3, Heft 9 N°3, Juli 1876 - S. 684-686.
  • Brandenberger, U.: Die Helvetier-Hypothese. Wie alt sind die Wallanlagen im Ebnet und auf dem Wörndel? (Teil 1). Weiacher Geschichte(n) Nr. 76. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, März 2006.
  • Brandenberger, U.: «Unbekannte Zeitstellung». Wie alt sind die Wallanlagen im Ebnet und auf dem Wörndel? (Teil 2). Weiacher Geschichte(n) Nr. 77. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, April 2006.
  • Lesegesellschaft Bülach (Hrsg.): Kraft des Wasssers. Kulturhistorischer Weg Bülach. Tafel:  Wasser schützte Zufluchtsort. Die «alte Burg», die vermutlich keine war. Ein Refugium aus der älteren Eisenzeit.

Sonntag, 8. Juni 2025

«Unnd uff sollich tag niemandts [...] wercken noch arbeiten»

Der Pfingstsonntag gilt als ein hoher Feiertag und steht unter besonderem staatlichen Schutz. Das hat nicht zuletzt historische Gründe.

Die Schweiz sei ein säkulares Land, hat der Historiker Dr. Markus Schär vor kurzem im Gespräch mit einem Internetradio gesagt (vgl. WeiachBlog Nr. 2245). Dass dies so nicht ganz stimmt, zeigt sich an den kantonalen Ruhetags-Gesetzgebungen. Diese Erlasse heissen in jedem eidgenössischen Stand anders, haben aber eines gemeinsam: die christlichen Ruhe- und Feiertage stehen unter dem besonderen Schutz des Staates.

So nachzulesen (und zu befolgen) im Ruhetags- und Ladenöffnungsgesetz des Kantons Zürich vom 26. Juni 2000. Da lernt man, dass nicht alle Ruhetage gleichwertig sind: Neben den normalen gibt sogenannte Hohe Feiertage. Und die haben allesamt eine dezidiert christliche Grundierung. Also von wegen säkular.

Hier der Volltext der ersten drei Paragraphen des vom Kantonsrat verabschiedeten Erlasses:

Öffentliche Ruhetage und Hohe Feiertage

§ 1. Abs. 1: «Öffentliche Ruhetage sind: a. Sonntage,  b. Neujahrstag, Karfreitag, Ostermontag, 1. Mai, Auffahrtstag, Pfingstmontag, 1. August, Weihnachtstag und Stephanstag (26. Dezember).»

§ 1. Abs. 2: «Hohe Feiertage sind: Karfreitag, Ostersonntag, Pfingstsonntag, Eidgenössischer Bettag und Weihnachtstag.»

§ 1. Abs. 3: «Die in Abs. 1 lit. b genannten öffentlichen Ruhetage werden im Sinne des Arbeitsgesetzes den Sonntagen gleichgestellt.»

Allgemeine Vorschrift

§ 2. «An öffentlichen Ruhetagen sind alle Tätigkeiten untersagt, die geeignet sind, die dem Charakter des jeweiligen Ruhetages angemessene Ruhe ernstlich zu stören.»

Besondere Vorschriften für die hohen Feiertage

§ 3. Abs. 1: «An den hohen Feiertagen sind insbesondere untersagt: a. Schiessübungen, b. Umzüge und Demonstrationen, c. Schaustellungen, d. kommerzielle Ausstellungen, e. öffentliche Versammlungen nicht religiöser Natur, f. Sportveranstaltungen, Tanzveranstaltungen, Konzertveranstaltungen, Theatervorstellungen und Filmvorführungen; ausgenommen sind Veranstaltungen, die in geschlossenen Räumen stattfinden.»

§ 3. Abs. 2: «Besondere Anlässe und Veranstaltungen, welche dem Charakter des hohen Feiertages nicht widersprechen, können durch die Gemeinde bewilligt werden.»

Das Vorbild ist schon ein halbes Jahrtausend alt

Als der Zürcher Stadtstaat samt seinen Untertanengebieten tatsächlich noch durch und durch ein christliches Land war  man könnte auch sagen, eine Art theokratisch fundierter Oligarchie  da wurde den Leuten in Stadt und Land regelmässig von der Kanzel herab verkündet, was in Sachen Sonntagsheiligung zu gelten habe.

Als Beispiel greifen wir die Almosenordnung von 1572 heraus, in der es primär um die krisenbedingt überhand nehmende Bettlerei und damit verbundene Sachbereiche ging. 

Bei dieser Gelegenheit packte der Zürcher Rat hinter den eigentlichen Erlass zur Erinnerung auch gleich weitere, schon bisher bestehende Bestimmungen in den im Druck und gesprochenem Wort zu verbreitenden Text hinein. Kann nie schaden, wenn es die Leute regelmässig hören. Und so tönte das dann kurz nach dem 10. September 1572: 

«Es soͤllen ouch die unsern von Statt und Land den Sonntag / darzuͦ den heiligen Wienacht und den volgenden tag daruf / deßglychen die beschnydung / unnd Uffart Christi / ouch den Ostermentag und den Pfingstmentag / so wir by unsern Kilchen / von waͤgen deß Nachtmals deß Herren unnd verkündigunt sines Goͤttlichen worts / angenommen / glych fyren / unnd uff sollich tag / niemandts weder durch sich selbs nach sine dienst unnd gesind / wercken noch arbeiten / deßglychen die kraͤmer / glesserfuͤrer / handwerckßlüt noch andere / es sygen froͤmbd oder heimbsch uff dieselben tag / ire laͤden zuͦhalten / und darin nit feylhaben noch verkouffen / sonders mengklich in Christenliche liebe halten / unnd einandern bruͦderlich verschonen soͤllind: dann welliche daß / es werind wyb oder mann / jung oder alt / übersehind / von den unnd den selben jeden insonderheit woͤllen wir so offt unnd dick es beschicht / ein halb March silbers / zuͦ  buͦß unnd straaff inzühen lassen / und gebietend daruf daß ein jeder den andern darumb unsern Voͤgten und amptlüten leyden und anzeigen solle.»

Dass Gläserführer hier explizit genannt werden – gemeint sind fliegende Händler, die Glaswaren in ihren Kräzen von den Waldglashütten zu den Kunden brachten und ihnen verkaufen wollten, – das hing wohl mit in nahem zeitlichen Zusammenhang festgestellten konkreten Verstössen zusammen. 

Kochen dürfte gerade noch erlaubt gewesen sein, man muss ja schliesslich auch an Feiertagen etwas essen und ganz so streng waren die Zürcher dann auch nicht. Aber Arbeiten ausserhalb des Hauses, in Wald und Feld, das lag nicht drin.

Wir sehen in diesem Erlass einen direkten Vorläufer unserer heutigen, für alle geltenden Gesetzgebung: Ruhetage sind verbunden mit einem Arbeitsverbot. In der heutigen Ausprägung wirkt sich dies insbesondere auf Ladengeschäfte aus, was die Titel von Gesetz und zugehöriger Verordnung im Zürichbiet adäquat zum Ausdruck bringen.

Quellen

Samstag, 7. Juni 2025

Weiach subventioniert keine Arbeitslosenunterstützungen

Wussten Sie, dass es die eidgenössische ALV als je hälftig durch Lohnprozente von allen Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanzierte Arbeitslosenversicherung noch kein halbes Jahrhundert gibt? Sie wurde erst 1976 beschlossen (vgl. den Artikel im Historischen Lexikon der Schweiz).

In den Jahrzehnten davor wurde die Unterstützung über ein System aus eidgenössischen, kantonalen und kommunalen Leistungen sowie privater Initiativen und Versicherungslösungen bewerkstelligt.

Kantonssubvention beschlossen

So berichtete beispielsweise die Volkswirtschaftsdirektion zuhanden des Regierungsrates (vgl. RRB 1929/0402):

«Die Kälteperiode der Monate Januar und Februar 1929 zeigt ein starkes Ansteigen der Arbeitslosenziffern. Die Bautätigkeit wird gegenüber den Vorjahren mit Verspätung einsetzen. Die Notstandsarbeiten sind eingestellt. Schneeräumungsarbeiten, Wachtdienst an den gefrorenen Seen, sowie die üblichen Winterbeschäftigungen bringen geringen Ersatz für den ausfallenden Verdienst.

Glücklicherweise kann von einer allgemeinen Krisis der zürcherischen Industrien und Gewerbe nicht gesprochen werden. Es handelt sich um lokale Stockungen in einzelnen Zentren, wo hauptsächlich das Baugewerbe und verwandte Gebiete durch den Kälterückfall in ihrer Entwicklung gehemmt sind.

Zur Bekämpfung der Folgen von Winter-Arbeitslosigkeit bei Bauleuten und dem großen Kontingent ungelernter Erdarbeiter und Handlanger ist in erster Linie die Versicherung gegen Arbeitslosigkeit vorgesehen und ausgebaut. Wo die Notlage sich verschärft hat, ist bereits von einzelnen Gemeinden durch Bewilligung von Zuschüssen in Form von Weihnachtszulagen und Kältebeihülfe etc. eingegriffen worden. Auch private Fürsorge-Institute und Hülfsaktionen stellen neuerdings Mittel zur Verfügung.»

Der Regierungsrat beschloss daraufhin in seiner Sitzung vom 4. März 1929, den Gemeinden zwischen 15 und 25 Prozent ihrer kommunalen Arbeitslosenzulagen zuzusichern.

Weiach ist traditionell unterwegs

Das wenige Jahre später (1934) in die Stadt Zürich eingemeindete Affoltern beantragte kurz darauf eine solche Subvention ihrer an Arbeitslose ausbezahlten Zulagen und erhielt sie auch, samt Bewilligung der ausserordentlichen Budgetüberschreitung (StAZH MM 3.43 RRB 1929/0464).

Im landwirtschaftlicher geprägten Weiach war aber nach wie vor das alte Modell der Absicherung innerhalb des Familienverbands die Regel. Erst wenn dieses Netz reisst, dann wird im minimalen Umfang Sozialhilfe ausgerichtet. Die Mittel dafür sind in einer weitgehend subsistenzbasierten Ökonomie aber begrenzt. Arbeitsfähige sind damit schon einmal nicht unterstützungswürdig.

Getreu dieser Maxime hielt der Weiacher Gemeinderat alles vom Gemeindesäckel fern, was nach Arbeitslosenunterstützung aussah.

Wer den im gestrigen Beitrag bereits erwähnten Protokollband durchsieht, der findet auch Spuren dieser Haltung.

Keine Winterzulage für Arbeitslose

«Als letztes Geschäft folgte die Bekanntgabe eines Kreisschreibens der Volkswirtschaftsdirektion betreffend Winterzulage für Arbeitslose. Wurde beschlossen in unserer Gemeinde keine Winterzulage auszuzahlen.» (Sitzung 9. März 1929, Geschäft Nr. 6)

Diese Politik zog sich auch nach dem Börsencrash vom Oktober 1929 und der daraufhin mit voller Wucht ausbrechenden Weltwirtschaftskrise durch die Weiacher Behördenentscheide. So in einem Entscheid vier Jahre später:

Gewerkschaft blitzt mit Rückforderungsbegehren ab

In der 6te. Sitzung den 29. März 1932, entschied der Gemeinderat abschlägig auf ein Begehren einer Vorgängerorganisation der heutigen Unia zu reagieren:

«Lt. Schreiben des Schweiz. Metall-Arbeiter-Verbandes Sektion Oerlikon verlangt dieselbe an die an Meierhofer Eugen ausbezahlte Arbeitslosenunterstützung im Betrage von Frk. 150.- eine Subvention aus der Gemeindekasse. Wurde beschlossen denselben mitzuteilen, dass die Gemeinde Weiach für Arbeitslosenunterstützungen keine Subventionen auszahlen werde.» (29. März 1932, Geschäft Nr. 4)

Quellen

  • Protokoll des Gemeinderates 1928-1934 [Archiv der Politischen Gemeinde Weiach; Signatur: IV B 02.11] – S. 57 & S. 208-209.
  • Winterzulage für Arbeitslose. Protokoll des Regierungsrats des Kantons Zürich vom 4. März 1929. Signatur: StAZH MM 3.43 RRB 1929/0402.

Freitag, 6. Juni 2025

Reaktionen des Weiacher Gemeinderats auf «Bettelbriefe»

Wenn sich etwas in der Arbeit von Gemeindebehörden in den letzten hundert Jahren nicht geändert hat, dann sind es Beitragsgesuche aller Art von nah und fern. 

Landläufig und etwas abschätzig nennt man sie «Bettelbriefe». Mit den historisch ebenso bezeichneten obrigkeitlichen Genehmigungen (ausgestellt in Form einer Art Urkunde, dem Brief), die dem Inhaber das Recht verliehen, innerhalb eines bestimmten Kreises um Almosen, etc. betteln zu gehen, hat die neue Begrifflichkeit demnach wenig zu tun.

Quizfrage: Welche Berufsgattung war bei Gemeinderäten vorherrschend?

Dem Protokollband des Gemeinderats Weiach der Jahre 1928 bis 1934 kann man entnehmen, für welche Zwecke und Anliegen die damaligen Behördenmitglieder entschieden haben, mehr oder weniger – und zuweilen auch gar nichts – springen zu lassen. Innerhalb von fünf Monaten sind da folgende Einträge zu finden:

15. Dezember 1928, Traktandum 9: «Als letztes Geschäft wurde dem Gesuche der kant. Zürcher Vereinigung für sittliches Volkswohl um einen Beitrag aus der Gemeindekasse mit Frk. 5 entsprochen.»

Worum es dieser Vereinigung ging? Der Begriff «Sittenpolizei» dürfte auch heute noch halbwegs geläufig sein. Die hatte sich auch um Ware zu kümmern, die nur unter der Hand gehandelt werden durfte, wenn überhaupt. Vgl. den Lapsus der genannten Vereinigung, den die Satirezeitschrift Nebelspalter im Oktober 1932 genüsslich aufs Korn genommen hat:

(Quelle: Nebelspalter, 7. Oktober 1932, S. 2)

22. Dezember 1928, Traktandum 3: «Dem Gesuche des Männerchors Weiach um einen Beitrag aus der Gemeindekasse auf Jahreswechsel wurde mit Frk. 20.- entsprochen.»

23. März 1929, Traktandum 4: «Als letztes Geschäft wurde dem Gesuche des Komitee [sic!] für den Wiederaufbau der Lehr- und Kulturfilmarbeit des Schweizer Schul- und Volkskino in Bern um einen Beitrag aus der Gemeindekasse nicht entsprochen.»

6. April 1929, Traktandum 3: «Dem Gesuche des Bezirksvereins um einen Beitrag an die Jungviehprämierung pro 1929 wurde mit Frk. 50.- entsprochen.»  Gemeint ist wohl der Landwirtschaftliche Verein des Bezirks Dielsdorf, eine Sektion des heutigen Zürcher Bauernverbands.

27. April 1929, Traktandum 5: «Dem Gesuche des schweizerischen Blindenverbandes um einen Beitrag aus der Gemeindekasse wurde mit Frk. 5.- entsprochen.»

Wenn Sie die Zahlen dieser fünf Entscheide analysieren, dann fällt es leicht, darauf zu schliessen, dass Weiach damals wirklich noch ein Bauerndorf war. Und die Herren Gemeinderäte sich mehrheitlich als Landwirte betätigt haben.

50 Franken im April 1929, das wären übrigens umgerechnet nach dem Landesindex der Konsumentenpreise (LIK; LIK-Rechner BfS) heutzutage rund 350 Franken, nach dem Historischen Lohnindex (Swistoval Uni Bern) noch um einiges mehr.

Quellen
  • Protokoll des Gemeinderates 1928-1934. -- Archiv der Politischen Gemeinde Weiach; Signatur: IV B 02.11.
  • Haga [Autorenkürzel]: Für sittliches Volkswohl. In: Nebelspalter, 7. Oktober 1932.
    DOI: https://doi.org/10.5169/seals-465453

Sonntag, 1. Juni 2025

«Wir liegen nicht als Gläubige auf dem Friedhof...»

Der Historiker Markus Schär hat sich in seinen universitären Promotionsarbeiten auch mit Weiacher Themen befasst, so beispielsweise mit dem Eklat in unserer Dorfkirche, als Pfr. Johann Růdolf Wolf im Jahre 1734 einen hiesigen Bürger indirekt als Hund bezeichnete, ihn aus dem Gottesdienst verwies und damit faktisch exkommunizierte (vgl. WeiachBlog Nr. 728). 

Mathis Meyerhofer beging unmittelbar danach Suizid und die Gemeinde stand damit vor der Frage, ob man seinen Leichnam auf dem Friedhof beerdigen dürfe (und ihn nicht irgendwo im Gestüd verscharren sollte, wie in solchen Fällen noch im 17. Jahrhundert üblich) und wenn ja, in welcher Ecke des ummauerten Kirchenbezirks und nach welchem Prozedere.

Gleiche Regeln für alle, keine Extrawürste! Oder jetzt doch nicht?

Heutzutage kann das nicht mehr passieren. Unabhängig von der Todesursache, dem Lebenswandel oder der Konfession: Wer als Einwohner der Gemeinde stirbt und für seinen Todesfall keine anderslautenden Anordnungen getroffen hat, der bekommt seinen Platz auf dem Weiacher Friedhof. Und dort gelten für alle die gleichen Regeln. Nicht jeder findet das angebracht.

Letzte Woche kam Schär zum Thema des Weinfelder Friedhofsstreits auf dem in der Ostschweiz ansässigen Online-Radio Kontrafunk zu Wort (vgl. zum Thema u.a. Dominik Feusi im Nebenspalter).

Nachdem auf diesem Blog auch schon Fragen der Friedhofsordnung besprochen wurden (s. Literatur unten), wird hier das Transkript der jüngsten Sendung Kontrafunk AKTUELL, Wochenrückblick eingerückt. Die Zwischentitel sind vom Redaktor des WeiachBlog.

Transkript Kontrafunk

Ansage Moderator: «Das Stadtparlament der Schweizer Kleinstadt Weinfelden wollte es ermöglichen, dass auch Muslime nach islamischen Riten bestattet werden können. Grund für diesen Vorschlag sei die Tatsache, dass immer mehr Muslime in der Schweiz sterben und nach eigenen religiösen Gepflogenheiten beerdigt werden möchten. 

Deshalb sollte per Volksentscheid festgelegt werden, ob das Friedhofsreglement der Kleinstadt zugunsten der Muslime geändert werden soll. Die Gegner verhinderten mit 51,6 Prozent der Stimmen eine Anpassung des Friedhofsreglements. Die Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz [FIDS] erklärte daraufhin, dieser Entscheid verletze, grenze aus und widerspreche dem Geist einer offenen Schweiz. 

Die Einzelheiten erläuterte der Journalist Dr. Markus Schär [https://x.com/SchaerWords]:»

O-Ton Schär: «Das Stadtparlament hat beschlossen, einen abgegrenzten Bereich für Bestattungen nach islamischer Tradition zu schaffen, also mit Gräbern, die nach Mekka ausgerichtet sind, sodass der Verstorbene Richtung Mekka schaut, korrekt, und die Gräber sind auch länger als normal, damit die Leute auf den Wegen nicht über die Leichen laufen, wie das bei allen anderen üblich ist. 

Auf dem Friedhof sind alle gleich

Der entscheidende Punkt für uns war, dass das ein abgegrenztes Grabfeld nur für eine Religion werden sollte. Die Bestattungen sind aber seit 150 Jahren eine Sache des Staates, der Gemeinden konkret. 1874 gab es eine Totalrevision der Bundesverfassung, da wurde als Wichtigstes das Referendum eingeführt, also die direkte Demokratie auf Schweizer Art, wo eben die Bürger am Schluss das letzte Wort haben. Und andererseits [wurde] die Religion vom Staat getrennt, also das Zivilstandswesen, unter anderem eben auch Friedhöfe, wurden eine Sache der Gemeinden. Und das heisst: Wir liegen nicht als Gläubige auf dem Friedhof, sondern als Einwohner der Gemeinde, in der wir lebten. Also sind alle gleich und es liegen alle gleich nach Todeszeitpunkt in der Reihe. Das gab vor 150 Jahren schwere Kämpfe zum Beispiel im Thurgau, wo jahrhundertelang Reformierte und Katholiken zusammenlebten und das wollen wir nicht mehr. Also: organisierte Religion hat eigentlich auf dem Friedhof nichts mehr zu suchen. Das war der Punkt. 

Das Bundesgericht als alleinige Richtschnur?

Und jetzt kommen die islamischen Organisationen und Bundesrichter und Rechtsprofessuren, die sie in der Gesellschaft "Minderheiten in der Schweiz" unterstützen. Die sagen jetzt einfach: Ewige Grabesruhe, das geht nicht, das hat das Bundesgericht gesagt. Aber alles andere ist auch heilig, also aufgrund der Religion geboten. Und das ging so weit, dass in Weinfelden sogar geplant war, auf die Sargpflicht zu verzichten, die ja eigentlich implizit selbstverständlich ist, also steht in den meisten Reglementen gar nichts davon. In einem Zürcher Reglement, das ausdrücklich für muslimische Bestattungen geschaffen worden ist, steht es sogar explizit! Und da sollte das in Weinfelden auf einmal möglich sein, muslimische Verstorbene nur im Leichentuch zu begraben, "auf eigene Gefahr der Angehörigen", wie dann noch in den Ausführungsbestimmungen steht. Also eben: die wichtigste Forderung - ewige Grabesruhe - geht nicht, aber dann sagt man einfach: Alles andere MUSS dann sein, und das ist dann der Kompromiss. 

Das säkulare Friedhofsverständnis der Schweiz

Die Schweiz ist ein offenes Land, aber sie ist halt ein säkulares Land. Die Befürworter dieser Muslimgräber sagten immer: Wir können den Leuten dabei helfen, sich echt zu integrieren. Das ist richtig, das sind Leute, die schon lange hier leben, arbeiten, Steuern zahlen, unsere Nachbarn sind. Aber wir sagen ihnen: Was ist das für eine Integration, wenn wir unsere Regeln anpassen müssen, damit sich diese Leute in unsere Ordnung eingliedern können? Der Friedhof ist säkular in der Schweiz, ist eine Sache der Gemeinde und wer das nicht akzeptieren kann, wie die Juden zum Beispiel, die ewige Grabesruhe wollen, der muss eine private Lösung suchen.»

Man wollte bewusst vom theokratischen Staatsverständnis weg

Zu Zeiten Pfr. Wolfs war Zürich für die Untertanen auf dem Land ein absolutistischer Staat mit zwinglianisch geprägter theokratischer Grundlage. Für den ab 1848 aufgebauten Schweizer Bundesstaat waren konfessionelle Spannungen ein potentiell lebensbedrohlicher Spaltpilz. Zu oft hatten sich die bis dahin noch selbstständigen Stände seit der Reformation aus religiösen Anlässen gegenseitig das Leben schwergemacht, ja sich gar mit Krieg überzogen.

Um dieses inhärent konfliktbeladene Feld einzuhegen, das im Gefolge des Kulturkampfs um 1870 herum erneut aufgeladen wurde (vgl. Unfehlbarkeitsanspruch des Papstes), ist die Bundesverfassung 1874 ganz bewusst mit säkularem Gepräge versehen worden: zum Schutze des Zusammenlebens im Gemeinwesen der modernen Schweiz.

Dazu gehören auch die noch lange in Kraft stehenden Artikel der Bundesverfassung, in denen es um das Jesuitenverbot sowie das Verbot der eigenständigen Errichtung von Bistümern durch die katholische Kirche auf Schweizer Gebiet ging. Auch die Unwählbarkeit von Geistlichen jeglicher Konfession als Mitglieder der eidgenössischen Räte beruhte auf dieser Grundlage.

Quelle und Literatur

Freitag, 16. Mai 2025

Der Fürschlag an den Rat

Im Beitrag WeiachBlog Nr. 2239 von gestern wurden die Belege aus dem Ratsmanual präsentiert, die zeigen, wie rasch die Zürcher Regierung zu einem neuen Weiacher Pfarrer gekommen ist.

Auch das Antragsschreiben der «Examinatores [...] sammt den Verordneten zur Lehr» ist für diese Pfarrerwahl erhalten geblieben, und zwar in den sog. «Pfrundakten» zur Pfarrstelle Weiach (StAZH E I 30.136, Nr. 24).

Sie seien dem Auftrag der Regierung «nach hüttiger morgen-Predig[t] gehorsammlich nachkommen», schrieb die Wahlkommission, und schlug dem Rat zwei Kandidaten vor (interessanterweise nicht wie sonst üblich drei): Neben «Rudolf Ernj, Diacon zu Bülach» wurde «Johannes Lavater, Exspectant» in die Auswahl geschickt.

Erni war zu diesem Zeitpunkt bereits 45-jährig und Familienvater. Exspectanten hingegen waren in der Regel junge Theologen, die ihre Ausbildung abgeschlossen hatten und nun darauf warteten, bis eine Pfarrstelle frei wurde. In dieser Zeit mussten sie sich andere Erwerbsmöglichkeiten suchen, oft als Lehrkraft, Assistent eines gewählten Pfarrers und dergleichen.

Wie gross das Mehr für Ernj gewesen ist, ist unbekannt

Nach der Ratssitzung gelangte das Schreiben offenbar wieder an den Absender zurück, der es sorgfältig zu den Akten gelegt hat, sodass es bis heute überdauern konnte. 

Auf dem Dokument wurde von anderer Hand notiert: «Diser wards mit mehrern Stimmen», dazu Wochentag, Datum und Jahr, sowie die Angabe des Entscheidkörpers: «Coram Senatu», deren ersten Bestandteil wir Heutigen eher aus der Wendung «coram publico» kennen, die deutlich macht, dass etwas vor aller Augen geschehen sei: «vor aller Welt, öffentlich». Das war hier nicht der Fall, denn Ratssitzungen wurden in geschlossener Runde gehalten.

Erni war also von Bürgermeister und Rat mit zumindest relativem Mehr gewählt worden. Mit wievielen Stimmen, das wissen wir nicht. Die Stimmenzahlen der einzelnen Kandidaten, die man auf anderen Wahlvorschlägen vermerkt findet, fehlen hier.

Quelle

  • Vorschläge Ersatz für Pfr. Bluntschli, 5. Mai 1637. In: Pfrundakten Weiach, 1544-1796, Signatur: StAZH E I 30.136, Nr. 24.

Donnerstag, 15. Mai 2025

Pfarrwahlverfahren für Wÿgach 1637 dauerte nur vier Tage

Seit dem Weggang von Pfr. Christian Weber vor rund 13 Jahren hat Weiach keinen gewählten Pfarrer mehr, der im Pfarrhaus Wohnsitz genommen hat. Eine Dauersedisvakanz sozusagen.

Mit Michael Landwehr, der seine Stelle am 1. Juni 2025 antreten wird, sind Weber nun bereits 11 Personen (4 Pfarrstellvertreterinnen und 7 Pfarrstellvertreter) nachgefolgt! 

Die Findungskommission der Evangelisch-reformierten Kirchenpflege müht sich seit langer Zeit ergebnislos ab, jemanden zu finden, der ordentlicher Seelsorger unserer Gemeinde werden will.

Seit 1837, der Wahl von Pfr. Keller durch die Kirchgemeinde selber, fungiert der Souverän als Kollator, die Kirchgenossen wählen also ihren Pfarrer selber. In den Jahrhunderten davor aber war dies das Vorrecht der Zürcher Regierung.

Eingespielter Meccano

Als Hans Jakob Bluntschli, der 1629 gewählte Weiacher Pfarrer, im Alter von gerade einmal rund 47 Jahren verstarb, musste die Stelle zeitnah neu besetzt werden. Der Rat entschied daher, die oberste Kirchenleitung zu beauftragen, Kandidaten zu benennen:

«Mittwochs den 3.ten Maÿ, Prnt. Herr Brem, und beid Räth.» [Prnt. = presentibus, d.h. Anwesende]

«Es soll ein fürschlag gen Wÿgach beschehen.»

Diese Anordnung wurde am Freitag, 5. Mai ausgeführt (vgl. den Artikel von morgen), sodass die Regierung bereits in ihrer nächsten Sitzung (am Samstag!) zur Neubesetzung der erledigten Stelle schreiten konnte:

«Sambstags den 6.ten Maÿ, Prnt. Herr Burgermeister Brem und beid Reth.»

«Hr. Rudolff Ernj, Helffer zu Bülach, ward pfarrer gen Wÿgach.»

Mehr steht dazu im Regierungsprotokoll nicht. Eine reine Formsache, die keiner Erörterungen bedurfte.

Ab diesem 6. Mai 1637 war Ernj bis zu seinem Tod am 15. September 1659 der 73. Pfarrer von Weiach. (Zählung nach WPZ24). Johann Rudolf Erni ist einer der wenigen aus dieser Epoche, von dem wir die exakte Zahl der Amtstage wissen: Es sind 8167 ab dem Wahltag.

Quelle

[Veröffentlicht am 16. Mai 2025 um 23:34 Uhr MESZ]

Mittwoch, 14. Mai 2025

Legen von Geschossröhren im Wald, 1861

Vor etwas mehr als vier Jahren war in WeiachBlog Nr. 1648 von einer gefährlichen Jagdmethode im Weiacher Wald die Rede. Damals habe ich noch gemutmasst, da habe einer seine Schusswaffe mit einem Stolperdraht oder etwas dergleichen kombiniert.

Wenn man nun allerdings die NZZ-Meldung konsultiert, aus der die innerstädtische Konkurrenz von der Freitagszeitung die Nachricht entnommen haben könnte, dann ergibt sich da ein anderes Bild. Eines, das eher den Eindruck des Einsatzes einer improvisierten Schiessvorrichtung ergibt, als dass da ein von einem Büchsenmacher gefertigtes Gewehr für diesen Zweck missbraucht worden wäre:

«Bei Weyach ist durch das Legen von Geschoßröhren im Walde zum Erlegen von Gewild ein Unglücksfall vorgekommen, indem ein dortiger Bürger bei Besichtigung seines Holzes den verborgenen Schuß entladen und einen starken Schrotschuß in den Unterschenkel erhalten hat. Der Urheber ist entdeckt.» (Neue Zürcher Zeitung, Nummer 20, 20. Januar 1861, S. 73)

Tags darauf hat man diese Meldung mit Ausnahme des letzten Satzes 1:1 in der Berner Zeitung lesen können:

«Bei Weyach ist durch das Legen von Geschoßröhren im Walde zum Erlegen von Gewild ein Unglücksfall vorgekommen, indem ein dortiger Bürger bei Besichtigung seines Holzes den verborgenen Schuß entladen und einen starken Schrotschuß in den Unterschenkel erhalten hat.» (Berner-Zeitung, Band 17, Nummer 17, 21. Januar 1861, S. 2)

Man konnte sich als Waldeigentümer also nicht nur mittels Holzereiarbeiten in Lebensgefahr bringen. Diese Art der Gefährdung war aber offensichtlich auch damals ausreichend ungewöhnlich, um gleich in mindestens drei grossen Zeitungen erwähnt zu werden. 

Literatur

  • Brandenberger, U.: Gefährliche Jagdmethode im Weyacher Wald. WeiachBlog Nr. 1648, 30. April 2021.

Samstag, 10. Mai 2025

Ist ein Jagdhund steuerlich ein teurerer Hund?

Heute vor 125 Jahren befasste sich der Regierungsrat des Kantons Zürich mit einer sozusagen innerweiacherischen Auseinandersetzung.

Die Ursache für diesen Streit lag in einem nicht ausreichend deutlich formulierten Gesetzesartikel. 

Zum Sachverhalt sehen wir uns die Erwägungen an, die die Finanzdirektion ihrem Antrag vorangestellt hatte: 

«A. Herr Gemeindratspräsident J. Nauer in Weiach, als vom Gemeindrat Weiach bestellter Bezüger für die Hundesteuer, hatte den Herrn Adolf Baltisser, Jäger, in Weiach, zur Versteuerung eines Jagdhundes angehalten und die Bezahlung der Taxe für das ganze Jahr 1899 von ihm erwirkt.

B. Unterm 28. November 1899 beschwerte sich Herr Alexander Baltisser, Vater des obgenannten Adolf Baltisser, beim Statthalteramt Dielsdorf gegen die Erhebung der vollen Taxe für den betreffenden Hund, weil derselbe erst im August 1899 gekauft worden und deshalb nur die halbe Abgabe zu entrichten sei.

Das Statthalteramt erklärte die Beschwerde als begründet und sprach dem Beschwerdeführer den Anspruch auf Rückvergütung der Hälfte der bezogenen Steuer zu.

C. Gegen diesen Entscheid erhob Herr Präsident Nauer Rekurs an den Regierungsrat unter Berufung auf § 4 des Gesetzes betreffend das Halten von Hunden und deren Besteuerung, und ein Kreisschreiben des Regierungsrates vom 16. September 1897. Im letztern werde ausdrücklich bestimmt, daß bei Hunden, welche zur Jagd verwendet werden, von einer Ermäßigung der Abgabe überhaupt keine Rede sein könne.»

Was wollte der Gesetzgeber hier?

Man sieht, dass sich Präsident Jakob Nauer aus der unteren Chälen von einer statthalteramtlichen Entscheidung nicht so einfach beeindrucken liess, vor allem wenn es darum ging, eine Grundsatzfrage klären zu lassen. Der oben angeführte § 4 lautete nämlich wie folgt:

Abs. 1: «Der Gemeindrath ist berechtigt, die Abgabe für einen Hund, welcher zum Schutze eines einsam gelegenen Hofes oder Hauses oder von einer unvermöglichen Haushaltung für den Erwerb gehalten und nicht für die Jagd verwendet wird, auf gestelltes Gesuch hin um die Hälfte zu ermässigen.»

Abs. 2: «Für Hunde, welche von Blinden als Führer gehalten werden, ist keine Abgabe zu bezahlen.»

Adolf Baltissers Hund war eindeutig ein Jagdhund. Er diente weder zur Bewachung eines abgelegenen Anwesens, noch war er als Arbeitshund einzustufen (z.B. zum Ziehen eines Milchwägelis einer Familie, die sich kein Pferd leisten konnte). 

Ein Kreisschreiben kompliziert die Jagdhundfrage zusätzlich

Auch das von Nauer ins Feld geführte Kreisschreiben kann man für sich genommen als eindeutige Auslegung obigen Paragraphs 4 verstehen. Hier der volle Wortlaut in seiner ganzen amtlichen Herrlichkeit:

«Es hat sich seit Inkrafttreten des Gesetzes betreffend das Halten von Hunden und deren Besteuerung vom 20. August 1893 gezeigt, daß dessen § 4 Absatz 1 (betreffend Ermäßigung der Abgabe auf die Hälfte) von den Behörden, namentlich von den Gemeinderäten eine ganz ungleiche Auslegung und Anwendung gefunden hat. Auf die Anfrage eines Gemeindrates hin erließ der Regierungsrat schon 1894 interpretirende Bestimmungen zu diesem Paragraphen, durch welche der Begriff eines einsam gelegenen Hofes präzisirt und zugleich ausgesprochen wurde, daß nach diesem § 4 eine Ermäßigung der Abgabe für Hunde, welche zur Jagd verwendet werden, nicht eintreten dürfe.

In der Folgezeit haben sich jedoch die Beschwerden an die Statthalterämter gegen Verfügungen der Gemeindräte auf Grund dieses Paragraphen, Anfragen und Rekurse an die Finanzdirektion und an den Regierungsrat gemehrt. 

Diese Reklamationen beziehen sich namentlich auf die Praxis einzelner Gemeindräte, überhaupt die in § 4 vorgesehene Ermäßigung nicht mehr eintreten zu lassen. Es wird dieses Vorgehen damit begründet, daß bei der unbestimmten Ausdrucksweise des Gesetzes es schwer halte, zu unterscheiden, in welchem Falle die Abgabenermäßigung einzutreten habe. Da das Gesetz die Gemeindräte zu dieser Ermäßigung nur berechtige, nicht aber verpflichte, so halten sich dieselben für befugt, die Reduktion in allen Fällen zu versagen und dadurch der stetigen Zunahme der Zahl der Hunde zu begegnen.

Ferner geht aus diesen Anfragen hervor, daß das Gesetz eine Bestimmung darüber vermissen lasse, an welche Instanz sich die Abgabepflichtigen mit einem Rekurse gegen Verfügungen der Gemeindräte auf Grund von § 4 zu wenden haben.

Nach Einsicht eines Antrages der Finanzdirektion beschließt der Regierungsrat:

[..] Es wird an die Gemeinderäte und Statthalterämter folgendes Kreisschreiben erlassen:

Das Vorgehen einzelner Gemeindräte, in allen Fällen die in § 4 Absatz 1 des Gesetzes betreffend das Halten von Hunden und deren Besteuerung vom 20. August 1893 vorgesehene Ermässigung zu verweigern, scheint nicht der Ansicht des Gesetzes zu entsprechen.

Wenn auch das Gesetz sagt, der Gemeindrat sei „berechtigt“, unter gewissen Voraussetzungen auf gestelltes Gesuch hin die Abgabe für einen Hund auf die Hälfte zu ermässigen, so kann dies nur die Meinung haben, der Gemeindrat dürfe die in § 2 Absatz 1 des zitirten Gesetzes festgesetzte Taxe reduziren, wenn ein Abgabenpflichtiger das Vorhandensein der in § 4 Absatz 1 bezeichneten tatsächlichen Verhältnisse nachweist; denn es hätte keinen Sinn, einem Hundebesitzer die Befugnis einzuräumen, ein Gesuch im Sinne des § 4 an den Gemeindrat zu stellen, wenn der Gemeindrat ohne nähere Untersuchung das Gesuch einfach abweisen könnte.

Eine allgemein verbindliche Vorschrift zu geben, wann die Voraussetzungen des § 4 Absatz 1 vorliegen, erscheint angesichts der Verschiedenartigkeit der Terrainverhältnisse und aller übrigen zu berücksichtigenden Faktoren nicht tunlich, da eine solche Vorschrift nicht für alle Fälle zutreffen könnte. Es muss deshalb den Gemeindräten überlassen bleiben, nach Prüfung der Sachlage auf gestelltes Gesuch hin nach Ermessen die Ermässigung eintreten zu lassen oder zu verweigern – unter Beachtung der vom Regierungsrate unterm 27. März 1894 aufgestellten Normen, welche folgenden Wortlaut haben:

„1. Dem § 4 ist zu entnehmen, dass, wenn Hunde zur Jagd verwendet werden, von einer Ermässigung der Abgabe überhaupt keine Rede sein kann.

2. Als „Hof“ ist nur ein vereinzelt stehendes Wohnhaus mit oder ohne zugehörige Gebäude anzusehen, allfällig ein // [p. 588] Oekonomiegebäude allein, und die Ermässigung der Abgabe ist blos statthaft, wenn der betreffende Hof nicht von mehreren Familien bewohnt ist.

3. Einsam gelegen ist ein solcher Hof nur, wenn infolge der Entfernung oder der Bodenverhältnisse das nächstgelegene Wohnhaus als ausser Rufweite befindlich anzusehen ist.“

Wir ergänzen dieselben dahin, dass die Reduktion der Abgabe nur dann gewährt werden soll, wenn solche Hunde unausgesetzt der Bewachung des Hauses, Hofes, Fabrikgebäudes u. s. w. dienen, also auch während des Tages nicht freien Lauf haben und nicht zur Begleitung von Personen oder als Zugtiere verwendet werden.

Als erste Rekursinstanz gegen Verfügungen der Gemeindräte betreffend Abgabe für Hunde werden die Statthalterämter bezeichnet; gegen ihren Entscheid kann innerhalb 14 Tagen an den Regierungsrat rekurrirt werden.»

Wenn Sie nun den eingangs aufgezeigten Streit zwischen Baltisser senior und Präsident Nauer beurteilen und dazu das obige Meisterwerk kanzleilicher Formulierungskunst verstanden haben, ohne es mehrmals durchgelesen zu haben, dann darf Ihnen gratuliert werden.

Jedenfalls ist es dem damaligen Weiacher Präsidenten nicht vorzuwerfen, wenn er nach sorgfältiger Lektüre zum Schluss kam, er habe überhaupt keine andere Wahl, als den vollen Betrag einzufordern, zumal der Entscheid von 1894 ja explizit festhielt, wenn Hunde zur Jagd verwendet würden, könne von einer Ermässigung der Abgabe überhaupt keine Rede sein.

Regierungsrat weist Rekurs Nauer ab

Und trotzdem blitzte Nauer auch bei der Regierung ab. Die Finanzdirektion wies nämlich darauf hin, dass das Gesetz über dem Kreisschreiben stehe, welches überdies lediglich den Paragraphen 4 präzisiere, andere Gesetzesbestimmungen jedoch nicht tangiere:

«Der vom Rekurrenten angezogene § 4 des Gesetzes betreffend das Halten von Hunden und deren Besteuerung und das hierauf bezügliche Kreisschreiben des Regierungsrates regeln Verhältnisse, welche mit der vorliegenden Streitfrage in keinem Zusammenhange stehen.

Maßgebend für die Beurteilung der Steuerpflicht ist lediglich § 9 Abs. 1 leg. cit., wonach für Hunde, welche nach dem 1. Juli neu angeschafft worden sind, wie dies hier unbestrittenermaßen der Fall ist, blos die halbe Jahresabgabe bezahlt werden muß.»

Dieser § 9 (Hundegesetz 1893) lautet:  

Abs. 1: «Wer nach der ordentlichen Zeichenaustheilung einen noch nicht bezeichneten Hund neu anschafft, hat denselben gegen Entrichtung der vollen Abgabe binnen vier Wochen bei dem vom Gemeindrathe bezeichneten Einzüger und bei dem Zeichenaustheiler einschreiben und bezeichnen zu lassen.»

Abs. 2: «Von einem nach dem 1. Juli neu angeschafften oder von aussen her in den Kanton gebrachten Hund ist von der in § 3 bestimmten Abgabe nur die Hälfte zu entrichten.» 

Abs. 3: «In gleicher Weise ist zu verfahren mit Bezug auf Hunde, welche erst nach der ordentlichen Zeichenaustheilung ein halbes Jahr alt werden.»

Es galt also § 9 Abs. 2 und demzufolge musste Nauer dem Baltisser junior die Hälfte seiner Hundeabgabe pro 1899 zurückzahlen.

Für einen Hund wurde damals über 50 % mehr Abgabe kassiert

Dass der Staat die Hundehalter zumindest für den ersten Hund kräftiger als heute zur Kasse gebeten hat, wird schnell klar, wenn man den § 3 (Hundegesetz 1893) liest...

«Die jährlich zu entrichtende Abgabe für einen Hund beträgt 16 Franken. Für jeden weiteren Hund, welcher in derselben Haushaltung gehalten wird, muss überdies ein Zuschlag von 4 Franken bezahlt werden.»

... und dann mittels Swistoval.ch eine Umrechnung in heutige Geldwerte vornimmt.

16 Franken von 1899 entsprechen im Jahr 2009 nach dem Konsumentenpreisindex (KPI) 197 CHF und nach dem Historischen Lohnindex (HLI) 713 CHF.

Umgerechnet auf den heutigen Stand würde sich die Hundeabgabe vor 125 Jahren damit auf jährlich mindestens 211 Franken belaufen. 

Zum Vergleich: Weiach zieht aktuell für einen Hund lediglich 130 Franken ein. Für weitere Hunde gibt's dann allerdings keinen Rabatt.

Quellen

  • Kantonsrat Zürich: Gesetz betreffend das Halten von Hunden und deren Besteuerung vom 20. August 1893. Signatur: OS 23 (S. 247-250).
  • Regierungsrat des Kantons Zürich: Hunde. Kreisschreiben vom 16. September 1897. Signatur: StAZH MM 3.11 RRB 1897/1750.
  • Regierungsrat des Kantons Zürich: Hunde. Regierungsratsbeschluss vom 10. Mai 1900. Signatur: StAZH MM 3.14 RRB 1900/0817.