Montag, 30. September 2024

Unser Zuchtstier Bismarck wird prämiert, September 1924

«Noch bis in die 1860er Jahre waren die beiden Hauptrassen Braun- und Fleckvieh ziemlich getrennt. Während im Zürcher Oberland und in der Seegegend Braunvieh vorherrschte, hielten das Wehntal und die Bezirke Bülach, Winterthur und Andelfingen mehr Fleckvieh. Im Allgemeinen war der Viehstand aber buntscheckig, von allen möglichen Farben standen in demselben Stalle. Zuchtstiere hatte es viel zu wenig und zumeist minderwertige Ware. Man hielt das Vieh meist so lange, als es irgend möglich war.» (Der Freisinnige, 11. Oktober 1924)

Etwas mehr als ein halbes Jahrhundert später konnte man den Erfolg der Landwirtschaftlichen Vereine sowie grosser Züchter (Maggi-Gutsbetrieb Kemptthal, Kloster Einsiedeln, Strafanstalt Regensdorf, etc.) anlässlich verschiedener grösserer und kleinerer Viehschauen begutachten. 

Simmental rules!

Vor 100 Jahren war Weiach nicht zuletzt dank seiner Viehzuchtgenossenschaft (V.Z.G.) eine Fleckvieh-Gemeinde, die immer wieder Blutauffrischungen aus dem Bernbiet zugekauft hat. Dafür sorgte die 1909 gegründete V.Z.G. Weiach, die explizit den Zweck verfolgte, die «Simmenthaler Fleckviehrasse» voranzubringen (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 117).  

Im September 1924 wurde in Winterthur eine grosse kantonale Landwirtschaftsausstellung ausgerichtet. Aufgeführt wurden sowohl Braunvieh wie Fleckvieh, da beide Schläge im Zürichbiet ihre Anhänger hatten.

Die dort preisgekrönten Fleckvieh-Zuchtstiere trugen mehrheitlich traditionelle Männernamen wie Felix, Ferdi (Ferdinand), Franz (2x), Gerold, Hans/Hansli, Köbel (Jakob), Ruedi oder Sepp (Josef). Aber es gab auch ungewöhnlichere, wie Amor, Cyrus, Hektor, Mäder, Nero, Regent und Sultan. 

Bismarck und Hindenburg

Und wo wir schon bei mächtigen Männern sind, da konnten damals auch die Schwergewichte aus dem Deutschen Reich nicht fehlen: die Viehzuchtgenossenschaft Weiach führte ihren Stier «Bismarck» nach Winterthur und die Eglisauer VZG ihren «Hindenburg». Ob man in Grenznähe wohl auf Kundschaft aus dem Süddeutschen gehofft hat?

Jedenfalls hatten die Weycher und Eglisauer sich politische Schwergewichte ausgesucht: Otto von Bismarck (1815-1898), mit vollem Namen Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen, ab 1865 Graf von Bismarck-Schönhausen, ab 1871 Fürst von Bismarck, ab 1890 auch Herzog zu Lauenburg. Und Paul von Hindenburg (1847–1934), mit vollem Namen Paul Ludwig Hans Anton von Beneckendorff und von Hindenburg, deutscher Generalfeldmarschall und Reichspräsident.

Und dann sind da noch unspektakulärere, aber schweizerischere Namen wie «Demokrat» (VZG Brütten) und «Egal» (was uns die VZG Weiningen damit wohl sagen wollte?).

NZZ, 30.9.1924

Hauptsache kräftige Namen

Bei den Braunvieh-Zuchtstieren waren ebenfalls Bezeichnungen Trumpf, die Macht, Kraft und Herrschaft transportieren:  Attilla, Goliath, Hauptmann, Herold, Herzog, König, Prinz (2x), Sultan und Zar (2x). Die ganz konventionellen Männernamen sind ebenso gut vertreten: Noldi (Arnold), Egon, Frank, Hans, Joggi (Jakob), Kilian, Leo (2x), Max oder Willi.

Für heutige Ohren eher ungewöhnlich: Apollo, Bur, Dingo, Ebro, Falk, Fink, Fino, Hektor, Jodler (2x), Landenberg, Lenz, Liliput, Luchs, Madi, Mozzo, Naranco, Nelson, Nolli, Nudri, Pius, Roggen, Vebo und Wallo. Ganz unerwartet auch Namen, die man eher bei Kühen erwarten würde: Fortuna oder gar Venus.

2024 sind laut der Tierverkehrsdatenbank des Bundes übrigens die nachstehenden zehn Namen für Stierkälber schweizweit am häufigsten (in dieser Reihenfolge): Max, Leo, Bruno, Anton, Sämi, Hans, Paul, Fritz, Sepp, Emil.

Jeder Rasse ihre eigenen Kategorien-Grenzen

Wer sich den Bildausschnitt oben etwas näher angesehen hat, wird ob der Kategorien schon etwas ins Grübeln kommen. Wo für Braunvieh-Zuchtstiere noch folgende nachvollziehbaren Grenzen galten:

geb. nach 28. Februar 1923  
geb. vor 1. März 1923 und nach 31. Juli 1922
geb. vor 1. August 1922 und nach 30. Sept. 1921
geb. vor 1. Oktober 1921

da war (laut NZZ) für Fleckvieh-Zuchtstiere etwas Unordnung zu verzeichnen:

geb. nach 31. Dezember 1922 [wäre nach 1. Juni 1923 korrekt?]
geb. vor 1. Juni 1923 und nach 31. Oktober 1923 [recte: 1922]
geb. vor 1. Nov. 1922 und nach 28. Febr. 1921
geb. vor 1. März 1921

Es handelt sich wohl um ein Versehen, ob des Autors oder der Schriftsetzer sei dahingestellt.

Quellen

[Veröffentlicht am 8. Oktober 2024 um 23:55 MESZ]

Sonntag, 29. September 2024

Als das Weiacher Postbüro zum Bataillons-KP wurde

 Am Freitag, 1. September 1939 äusserte Adolf Hitler vor dem Reichstag die welthistorischen Worte: «Polen hat heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch mit bereits regulären Soldaten geschossen. Seit fünf Uhr fünfundvierzig wird jetzt zurückgeschossen!» (O-Ton des US-Senders CBS)

Da schon seit Wochen und Monaten gezündelt worden war und es nur eines Funkens bedurfte, um die hochbrisante Konstellation zur Explosion zu bringen, war auch dem Schweizer Bundesrat und der Armeeführung der Ernst der Lage nur allzu bewusst. 

Am 28. August 1939 ordnete der Bundesrat daher die Mobilmachung des Grenzschutzes (80'000 Mann) für den nächsten Tag an. 

Und da Weiach bekanntermassen direkt an der Grenze zu Deutschland liegt, war der Dienstag, 29. August, somit der erste Aktivdiensttag, den die Weycher Bevölkerung hautnah mitbekommen hat.

Frontrapport bitte!

Der Adjutant im Stab Grenzfüsilierbataillon 269 liess noch am selben Tag obigen Befehl (der erste erhalten gebliebene in einer ganzen Serie von über 500 Dokumenten aus den ersten drei Monaten Aktivdienst) an sämtliche Einheiten des Bataillons abgehen:

«Das Rgt. [Grenzregiment 54] resp. die Br. [Grenzbrigade 6] verlangt sofortigen genauen Frontrapport, mit allen Détails gemäss Frontrapport-Formular. Hilfsdienst (Mineure) separat. Den gleichen Rapport jeden Abend auf 1900 an Bat. Kdo.»

In diesem Bericht zuhanden der vorgesetzten Stelle waren die genaue Mannschaftsstärke zum Stichzeitpunkt (i.d.R. 14:00 Uhr des laufenden Tages), die Anzahl kranker und verletzter Wehrmänner, sowie die Anzahl an Karabiner und Maschinengewehre mitzuteilen. Diese Rapporte dienten den vorgesetzten Stellen als Überblick und Planungsgrundlage.

Dank Verstoss gegen TOZZA wissen wir's

In die Schreibmaschine getippt wurden diese Zeilen, wie aus der Ortsangabe hervorgeht, in der «Post Weiach». In den Räumlichkeiten der Posthalterfamilie Meierhofer (Alte Post-Strasse 2) war also der erste Aktivdienst-Standort des Kommandopostens des Grenzfüsilierbataillons 269.

Es sollte der letzte Befehl gewesen sein, der den Abgangsort nennt. Denn ab sofort galt aus Sicherheitsgründen: Keine Ortsangaben über Truppenstandorte! 

Diese Vorschriften sind auch heutigen Soldaten der Schweizer Armee wohlbekannt. Das Merkwort lautet TOZZA: Truppen (Wer?), Orte (Wo?, Wohin?), Zeiten (Wann?), Zahlen (Wieviele?), Absichten. All diese Informationen unterliegen der Geheimhaltung.

Quelle

  • Tagebücher Stab Gz Füs Bat 269, 1939-1940, Bd. 1-5. Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#1869*. Bild in Subdossier_0000004, Unterlagen_0000006, S. 1089

[Veröffentlicht am 7. Oktober 2024 um 00:20 MESZ]

Freitag, 27. September 2024

Ungefähr 40 Imbenstöcke. Bienenhaltung Mitte des 19. Jahrhunderts

Hans Conrad Hirzel, Weiacher Pfarrer von 1843 bis 1855, hat sich um seine Gemeinde nicht nur als Seelsorger, sondern insbesondere auch im Bereich der «Hebung der landwirthschaftlichen Verhältnisse» verdient gemacht. Er hat die sogenannte Ortsbeschreibung 1850/51 über Weiach verfasst, die mit folgenden Worten endet:

«Und schliesslich hat auch die hiesige Bienenzucht noch ein Anrecht auf diese Beschreibung; denn obschon nicht sehr bedeutend, kann doch der Erfolg als ein ziemlich günstiger bezeichnet werden, wozu Lage und Umgebung das meiste wohl beitragen mögen, da das nahe Wiesenthal auf der Einen und die waldigen Anhöhen auf der andern Seite nebst dem Eichen-Hochwald reichliche Ausbeute für die geschäftigen Sammler liefern. Man zählt gegenwärtig in der Gemeinde ca. 40 Imbenstöcke von verschiedener Güte und Schwere. –

Den Bienenfleiss indess pflegt man noch mehr an Menschen-Händen zu achten und will dabei gerne des Honigseims entbehren u. man thut auch daran nicht unrecht; denn noch keiner hat es hier bereut, dem Mutterwort gefolgt zu sein: „Seid fleissig wie die Bienen“!» (Wiachiana Fontes Bd. 3, S. 52)

Hier sieht man den Lokalbezug noch deutlich, indem Hirzel den Flurnamen Wiesental explizit erwähnt. Gemeint ist das Areal der ehemaligen Wässerwiesen westlich des heutigen Verlaufs des Dorfbachs. Interessanterweise erwähnt er keine ausgedehnten Obstbaumkulturen, wie sie noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein den Ortskern umgeben haben. Deren Ertrag steigt natürlich auch an, wenn man für eine genügende Anzahl an Bienen sorgt, die ihre Tracht in unmittelbarer Nähe finden.

Imben? Honigseim? Ein sprachlicher Exkurs

Laut dem Schweizerischen Wörterbuch Idiotikon (Id. Bd. 1, Sp. 233) stehen die Worte «Imb, Imbeⁿ,​ Imbi,​ Imd,​ Imi,​ Imm,​ Immeⁿ,​ Impeⁿ» für: «1. Bienenschwarm und -stock; 2. einzelne Biene; 3. «Imbeli», Bienenragwurz, ophrys apifera». 

Im Mittelhochdeutschen Handwörterbuch von Matthias Lexer (Bd. 1, Sp. 1421) findet man den Eintrag: «imbe-banc stm. bienenstand Gr.W. 5,105.»

Im Etymologischen Wörterbuch des Deutschen (das von der Akademie der Wissenschaften der DDR angestossen wurde) kann man folgende Zusammenhänge bis zurück an die indoeuropäischen Sprachwurzeln finden:

«sämig Adj. ‘dickflüssig’. Im 19. Jh. wird nd. sēmig ‘(von flüssigen Dingen) dick und aneinander hängend’ in die Literatursprache aufgenommen. Es handelt sich um die genaue lautliche Entsprechung von (heute unüblichem) nhd. seimig Adj. ‘dickflüssig’ (18. Jh., vgl. seimichte Brühe, um 1700), einer Ableitung von Seim m. ‘dickflüssiger Saft, Honig’, ahd. seim ‘Nektar, Honig (wie er aus der Wabe fließt)’ (9. Jh.; vgl. dazu die frühe, sich nicht fortsetzende Ableitung ahd. seimīg ‘wie Nektar, wie Honig’, 11. Jh.), mhd. seim, sein, asächs. mnd. sēm, mnl. seem, nl. zeem, anord. seimr, norw. (mundartlich) seima ‘Schleimschicht, zähe Flüssigkeit’ (germ. *seima-). Verwandt sind (mit m-Formans) kymr. hufen (aus *soimeno-) ‘Rahm’ und vielleicht auch griech. há͞ima (αἷμα) ‘(flüssiges) Blut’, (mit l-Formans) mir. silid ‘tropft, fließt, läßt fließen’, lit. séilė ‘Speichel, Geifer’, (älter, mit u̯-Formans) sývas ‘Saft’. Angesetzt werden kann eine Wurzel ie. *sē(i)-, *sei- ‘tröpfeln, rinnen, feucht’, zu der auch Seife, Sieb und seihen (s. d.) gehören. – Honigseim m. ‘ungeläuterter Honig’, mhd. honecseim, -sein.» (Pfeifer et al. 1993)

Rezeptionen der Weiacher Ortsbeschreibung

Johann Michael Kohler aus Thalheim (im heutigen Landkreis Sigmaringen, Baden-Württemberg) rezipiert diese Vorlage Hirzels mit nur wenigen Modifikationen:

«In Weyach stehen etwa 40 Bienenstöcke, und es finden diese fleißigen Thierchen im blumenreichen Wiesenthal und in den bewaldeten Anhöhen eine fette Weide. Der Erfolg der Bienenhalterei wird als ein ziemlich befriedigender bezeichnet.» (Kohler 1852, S. 147)

Fast acht Jahrzehnte später hat Gottlieb Binder, ein aus Windlach stammender Lehrer, diesen Abschnitt aus der Weiacher Ortsbeschreibung so formuliert: 

«Die Bienenzucht ist nicht von Belang. Sie wird nach uralter Methode betrieben, obgleich sie durch zweckmäßige Neuerungen schöne Erträgnisse abzuwerfen vermöchte. Weiach besitzt gegenwärtig 40 Bienenvölker in Körben, die im blumenreichen Wiesental, auf den sonnigen Bergwiesen und in den nahen Wäldern Blütenstaub und Honig in Menge finden.» (Binder 1930, BDW Nr. 89, 4. November)

Binder will also wissen, dass es sich um Körbe gehandelt hat! Walter Zollinger hingegen, der die Ortsbeschreibung transkribiert hat, zitiert sie wörtlich und schreibt in seinem blauen Büchlein mit dem Rückentitel Chronik Weiach:

«Es muss, wie aus einem Bericht der Gemeinnützigen Gesellschaft des Bezirkes Dielsdorf zu ersehen ist, der Bauernschaft in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nicht allzugut ergangen sein, sondern geradezu eine gewisse Notlage bei den Kleinbauern geherrscht haben. Deshalb wohl die geschilderten Bemühungen, um durch Nebenbeschäftigungen aller Art zusätzliche Verdienstmöglichkeiten zu schaffen. Die Haltung von Bienen war ebenfalls dazu angetan, und es gab im Dorfe zu jener Zeit ungefähr «40 Imbenstöcke».» (Zollinger 1972, S. 59-60)

Imbenstöcke, Bienenstöcke, Bienenkörbe

Wir sehen hier bei jedem dieser Autoren eine begriffliche Weiterentwicklung, bei der nicht ganz ausgeschlossen ist, dass Interpretationen eingeflossen sind, die die damalige Wirklichkeit verfälschen.

Ob die Imbenstöcke so ausgesehen haben wie auf dieser Druckgraphik aus der Zeit des 30-jährigen Kriegs, die im Hintergrund zufälligerweise eine Darstellung von Eglisau zeigt, können wir nicht sagen. 


Wenn es Körbe aus geflochtenem Stroh waren, dann ist allerdings die Platzierung in Schutzunterständen oder unter dem Dachvorsprung von Bauernhäusern anzunehmen. 

Über die bereits im 18. Jahrhundert bekannten Haltungsformen und Versuche berichten Johann Georg Krünitz (1774) und Jonas de Gélieu (1796), vgl. unten.

Quellen und Literatur

  • Aliter sentit, aliter loquitur. Eglißaw im Zürcher gebiet. [Frankfurt a. M.] : [Eberhard Kieser], [ca. 1626]. Zentralbibliothek Zürich. STF II, 38 [e-rara.ch 41434]
  • Krünitz, J. G.: Das Wesentlichste der Bienen-Geschichte und Bienen-Zucht für den Naturliebhaber, Landmann und Gelehrten. Berlin 1774. [e-rara.ch 23961]
  • Gélieu, J. de: Herrn J. von Gelieu Pfarrer der Gemeinden Colombier und Auvernier in der Grafschaft Neuenburg, der Oeconomischen Gesellschaft in Bern Mitglied &c. &c. Beschreibung der Cylinderförmigen Bienenkörbe von Stroh und der hölzernen mit doppeltem Boden. Aus dem Französischen übersetzt von Johannes Rißler. Basel 1796. [e-rara.ch 114088]
  • Kohler, J. M.: Landwirthschaftliche Beschreibung der Gemeinden Dettenriedt, Höngg, Thalweil-Oberrieden, Uitikon, Wangen, Weyach, bearbeitet nach den von genannten Orten eingegangenen Ortsbeschreibungen von J. M. Kohler, Seminarlehrer, und als Beitrag zur Kenntniß des Landbaues im Kanton Zürich, herausgegeben von dem Vorstande des landwirthsch. Vereines im Kanton Zürich. Druck von H. Mahler. Zürich 1852. [e-rara.ch 30931]
  • Lexer, M.: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bde. Leipzig 1872–1878.
  • Binder, G.: Die landwirtschaftlichen Verhältnisse der Gemeinde Weiach um 1850. In: Bülach-Dielsdorfer Wochen-Zeitung, 1930, Nr. 86-89 (5 Teile).
  • Zollinger, W.: Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach. (Chronik Weiach. 1271-1971). 1. Aufl. 1972, 2., ergänzte Aufl. 1984.
  • Pfeifer, W. et al.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache.  
  • Ortsbeschreibung Weiach Anno 1850/51. Weiacher Turmkugeldokumente Teil C. Historisch-kritische Ausgabe von Ulrich Brandenberger. Wiachiana Fontes Bd. 3. Quellenedition, 2. Aufl., V2.01, Juli 2024. (Kapitel IX  Ref. C. Hirzel). [PDF, 8.90 MB]

Dienstag, 24. September 2024

Der finanziell transparente Weycher, Anno 1945

Wieviel verdient mein Nachbar? Wieviel der hier stationierte Kantonspolizist? Was kassiert der Herr Pfarrer? Und wer hat das höchste steuerbare Vermögen in der Gemeinde?

Auf all diese Fragen war die Antwort einst einfach erhältlich. Man konnte sie Mitte der 1940er-Jahre dem Anhang zu den gedruckten Jahresrechnungen der verschiedenen Gemeinwesen auf dem Gebiet der Gemeinde Weiach entnehmen. 

Da gab es nicht nur volle Transparenz über alle Ausgaben und Einnahmen auf kommunaler Ebene, nein, hier war der Bürger in finanzieller Hinsicht bezüglich der Steuerfaktoren völlig gläsern, denn diese Steuerdaten waren öffentlich.

Lokaler Krösus war man bereits mit fünfstelligem Jahreseinkommen

In der Nationalbibliothek ist aus unerfindlichen Gründen die gedruckte Jahresrechnung 1945 verfügbar. Diesem Büchlein kann man entnehmen, dass es gerade einmal drei Steuerpflichtige mit einem Jahreseinkommen über 10'000 Franken gab:  

  • Meierhofer Robert, Sager: 14400
  • Landw. Genossenschaft: 12400
  • Baumgartner Hans, Metzger: 11200

Und nur eine Weiacher Steuerpflichtige verfügte über ein Vermögen im sechsstelligen Bereich, alle anderen hatten weniger bis gar nichts: 

  • Willi Albertina, zahlte bei 152'000 Fr. Vermögen und 4900 Fr. Jahreseinkommen insgesamt 321 Franken Staatssteuern.

Vergleichsweise hohe Einkommen von Staatsbediensteten

  • Hauser Theodor, Pfarrer:   7100      
  • Bill Otto, Polizist:   7600      
  • Zollinger Walter, Lehrer:  7400      
  • Vollenweider Luise:  6700  [Lehrerin, vgl. WeiachBlog Nr. 370]

Indexiert nach dem Landesindex der Konsumentenpreise auf heutige Geldwerte ergibt das nicht gerade berauschende Zahlen. Die 7600 Franken des Kantonspolizisten Bill entsprechen heute rund 40'000 Franken. Also hatte auch Sägereiunternehmer Robert Meierhofer (heutiges Holz Benz/Ärztehaus-Areal) nur gerade 75'000 Franken Jahreseinkommen. Man kann sich denken, wie tief die Kaufkraft der weniger auf Rosen gebetteten Weiacherinnen und Weiacher war.

Druckerei nur einen Katzensprung entfernt

Für die Produktion der 68-seitigen Broschüre musste der Gemeindeschreiber übrigens nur wenige Meter zurücklegen: vom Alten Gemeindehaus an der Friedhofmauer auf die andere Seite des Kirchenbezirks: Die Druckerei Kleiner befand sich im Erdgeschoss der Liegenschaft Winkelstrasse 7 (heutiges Wohnhaus von Willi Baumgartner-Thut).

Quelle und Literatur

  • Gemeinde Weiach (Hrsg.): Oeffentliche Guts-Rechnungen mit Steuerregister vom Jahre 1945. Buchdruckerei W. Kleiner - Weiach. Signatur: SNB OP 2214 (Schweiz. Nationalbibliothek, Bern) –  Staatssteuer-Register 1945 der Gemeinde Weiach, S. 59-67.
  • Öffentlichkeit der Steuerregister. Steuerinformationen herausgegeben von der Schweiz. Steuerkonferenz SSK, Januar 2019.
  • Audit Zug AG: Wie öffentlich sind Steuerdaten?  audit-info 87, 01.01.2022.
  • Aschwanden, E.; Fumagalli, A.: Mehr Steuerehrlichkeit oder billiger Voyeurismus? Wie unsere Steuerdaten zur Geheimsache wurden. Neue Zürcher Zeitung, 24. Mai 2022.

Sonntag, 22. September 2024

Im grossen Njet-Ozean mitgeschwommen

Heute war wieder einmal einer dieser Abstimmungssonntage, an denen Weiach nicht wirklich aufgefallen ist. In der Kantonsrangliste der Wahlkreise steht die Gemeinde zumindest nicht auf dem obersten Treppchen. Bei der kantonalen Vorlage aber immerhin auf dem Podest. Dieser Umstand hat auch für die Kommunalpolitik Gewicht.

Gesamtzahl hat Plafonds erreicht

Von insgesamt 1247 Stimmberechtigten (auf fast exakt demselben Wert wie schon letztes Jahr bei der immer noch vor Bundesgericht hängigen Infrastruktur-Abstimmung) haben sich gerade einmal 468 (37.53 %) dazu aufgerafft, ihre Stimmunterlagen bei der Gemeinde einzureichen. Damit ist Weiach zwar nicht das kantonale Schlusslicht, liegt aber auch deutlich unter dem nationalen Durchschnitt von rund 45 % Beteiligung.

Der Stadt-Land-Graben bei der Biodiversitätsinitiative
(Quelle: Statistisches Amt des Kantons Zürich)

Parteiparolen sind Nebensache

Die sog. Biodiversitätsinitiative wurde bei uns mit 362 Nein zu 105 Ja (77.52 % Nein-Stimmen) bachab geschickt. Im Njet-Gürtel zwischen tiefstem und höchstem Punkt des Kantons (Schnebelhorn, Gemeinde Fischenthal) belegt Weiach allerdings nur Platz 9 in der Nein-Anteil-Rangliste. – Eine Ohrfeige für die Linken und Grünen.

Auch die Reform der beruflichen Vorsorge fand bei den sich beteiligenden Weycherinnen und Weychern keine Gnade: 340 Nein zu 118 Ja ergibt immer noch einen Nein-Anteil von fast drei Vierteln. Und in der Wahlkreis-Rangliste Platz 4 beim Neinstimmen-Anteil. Bemerkenswert, wie hier das von den Grünen und Sozialdemokraten favorisierte Nein gegen die vereinigte bürgerliche Phalanx der Ja-Parolen so deutlich obsiegt hat. Denn immerhin ist Weiach nach wie vor eine SVP-Hochburg. – Eine Ohrfeige für die Bürgerlichen.

Überdeutliche Asylkritik

Bei der kantonalen Vorlage, einer Änderung des Bildungsgesetzes, wo es um Stipendien für vorläufig aufgenommene Ausländerinnen und Ausländer ging, folgten die 463 Stimmberechtigten deutlich der SVP-Parole: 369 Nein zu 94 Ja. Diese 79.70 % Nein ergeben Platz 3 auf der Nein-Rangliste der Wahlkreise.

Heisst: rund 30 Prozent aller Stimmberechtigten (also inklusive die Stimmabstinenten!) sind zumindest asylkritisch, wenn nicht gar -feindlich eingestellt. Im Hinblick auf die immer noch obschwebende Frage, wo und wie die unserer Gemeinde zugeteilten Asylanten untergebracht werden sollen, ist das ein Widerstandspotential, das der Gemeinderat auf der Rechnung haben muss.

Freitag, 20. September 2024

Auswandern nach Chile? Gemeinde Weiach zahlt Kopfprämie!

Im Jahre 2010 hat der Autor dieses Blogs den ersten Hinweis auf eine solche Wanderungsbewegung gefunden. Demnach hat ein Jacob Rüdlinger seine alte Heimat Richtung Südamerika verlassen, wie ein Nachkomme mit einem Eintrag im Besucherbuch der damals noch rund um die Uhr offenen Reformierten Kirche Weiach mitteilte.

In einer kürzlich digitalisierten Ausgabe der Zürcher Oberländer Zeitung «Der Freisinnige» findet man eine indirekte Bestätigung dieses Vorgangs. Und eine Angabe, wann diese Emigrationsbewegung sich abgespielt hat, nämlich in den 1880er-Jahren:

«Aus Weiach gedenken nach dem "Wehnthaler" mehrere Familien nach Chile auszuwandern, und hat die Gemeinde letzten Sonntag beschlossen, jedem der Auswanderer, groß und klein, eine Unterstützung von 50 Fr. mit auf den Weg zu geben

Der Beschluss wurde – wohl anlässlich einer Gemeindeversammlung – am 28. Oktober 1883 gefasst.

Die chilenische Regierung hat sich nach dem Sieg über die Spanier im Jahre 1866 sukzessive an die Binnenkolonisation der Gebiete südlich der Hauptstadt Santiago gemacht. 

Für das in einem blutigen Krieg unter Kontrolle gebrachte Gebiet der Mapuche-Indianer um Temuco herum suchte sie in Europa aktiv nach landwirtschaftlich ausgebildeten Fachkräften. 

So wurden neben vielen Deutschen auch Schweizer Bauern samt Familie angeworben, um das von der Armee erkämpfte Gebiet besser zu sichern und zugleich einen substantiellen Beitrag an die Volkswirtschaft des jungen südamerikanischen Staates zu leisten.

Und die Gemeinde Weiach war natürlich froh, potentiell oder tatsächlich armengenössige Personen in ferne Lande exportieren zu können. Eine Kopfprämie zur Ermunterung erschien wohl als gute Investition. Noch zu eruieren ist, ob die Auswanderer dafür auf alle Zeiten auf das Weiacher Gemeindebürgerrecht (und damit ihren Anteil am Holznutzen) verzichten mussten.

Quelle

Donnerstag, 19. September 2024

Das Lied der Schüler zur Schulhauseinweihung

In der Aufzeichnung der Weiherede des Weiacher Pfarrers Johann Heinrich Burkhard (1772-1837) steht am Schluss ein eigens gedichtetes (und möglicherweise auch komponiertes) Lied. 

Laut Burkhard haben es die Weiacher Schulkinder zum Anlass der Einweihung des auf der Hofwiese errichteten Gebäudes (des heutigen Alten Schulhauses am Schulweg 2) einstudiert. Und zum Abschluss der Feier aufgeführt.

Die Melodie ist leider nicht erhalten. Aber der Text. Hier der volle Wortlaut:

Lied, von den Kindern zu singen.

In eigener Melodie.

Auf Kinder! wir wollen uns freuen,
heut allzumahl.

Es tönet die Schule zu weihen
der Lieder Schall.

Uns ist nun der Tempel erbauet,
den Liebe giebt,

Und segnend vom Himmel her schauet,
der Kinder liebt.

Wir segnen voll Dankes die Theuern,
die uns geliebt,
[gemeint: Eltern und Mitglieder der Baukomission]

wir wollen die Schule hoch feyern,
die man uns giebt.

Der hoch von dem Sternen-Gewimmel
auf Unschuld blikt,

Er segne euch, Väter vom Himmel
mit reinem Glük!

Er rufte, was Väter begonnen,
zur schönen That.

Wie viel ward uns Kindern gewonnen,
zur Tugendsaat!

Jezt streben wir frölichen Muthes
zur Weisheit an.

Erringen uns Wahres und Gutes
auf schöner Bahn.

Ja – fröhlichen Muthes
wir streben zur Weisheit an!

Ja – Wahres und Gutes
wir suchen auf schöner Bahn!

Und heben zum Weltenregierer
gerührt den Blik:

Sey ferner, o Vater, uns Führer
zum wahren Glük!

Von der damaligen Volksfrömmigkeit, die die Väter dieser Kinder bereits im Stadlerhandel 1834 hier im Unterland und während des Züriputsches 1839 in der ihrer Ansicht nach vom rechten Weg abgekommenen Stadt Zürich sogar mit bewaffneter Hand verteidigt haben, hat sich die Schule in den letzten bald 188 Jahren radikal verabschiedet.

Quelle und Literatur

  • Auszug aus: Weiherede Altes Schulhaus Weiach, gehalten am 24. November 1836 durch Pfr. Johann Heinrich Burkhard. Nach der Transkription von W. Zollinger, 1969. Vorabdruck aus Wiachiana Fontes Bd. 2.
  • Brandenberger, U.: Aufstand wegen neumodischen weltlichen Schulbüchern. Die Weiacher im «Stadlerhandel» vor 175 Jahren. Weiacher Geschichte(n) Nr. 114. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Mai 2009.
  • Brandenberger, U.: «Wandelt allezeit selbst in frommer Reinheit der Sitten!». WeiachBlog Nr. 2129, 8. Juli 2024.

Dienstag, 17. September 2024

Ab in fremde Kriegsdienste – der Zwangsehe entflohen

Conrad Bersinger, Schmieds, Küfer von Weiach, geboren 1829. So wurde ein junger Mann im Dezember 1855 durch einen Beamten der Militärdirektion des Kantons Zürich identifiziert. Sein Fehler: Er hatte sich – ohne auf dem ordentlichen Weg Auslandurlaub eingegeben zu haben – für den Dienst bei einem Schweizerregiment im Königreich beider Sizilien anwerben lassen und war bereits auf dem Weg nach Neapel (für die Details: Weiacher Geschichte(n) Nr. 29). 

Sich als Schweizer Bürger für fremde Kriegsdienste anwerben zu lassen, das war damals noch nicht strafbar (erst seit 1927, vgl. Art. 94 MStG). Zu diesem Zeitpunkt war lediglich die Anwerbung auf Schweizer Gebiet verboten, weshalb es gleich ennet der Grenze in Hohentengen ein sogenanntes Werbdepot gab.

Bersinger flüchtete aus einer komplett gescheiterten Beziehung. Eine Fluchtursache, die man auch bei anderen Unterländer Männern in früheren Jahrhunderten feststellen kann.

Ein Eglisauer wird zum Heiraten gezwungen

Zeitgenössische Aufzeichnungen aus dem 17. Jahrhundert sind uns von Rudolf Wirz (1624-1682) überliefert, der von 1671 bis zu seinem Tod Pfarrer in Eglisau war. Er führte das sogenannte Stillstandsprotokoll, also die Amtsbücher der Sittenaufsicht und Kirchenpflege im reformierten Rheinstädtchen am Tor zum Rafzerfeld, das seit 1651 vollständig zu Zürich gehört:

«[Donnerstags] den 5. tag junii 1673 erschine vor einem ehrsammen stillstand aufm rahthauß Regula Gering von Rüdlingen, damahls bei eegaumer Hartmann dienend, fürgeben: Hanß Ulrich Hartmann, eegaumers sohn, habe ihro nit allein die ee versprochen, sonder sei auch geschwängeret, weliches gedachter Hartmann wider alles zusprëchen hartnäkig, auch zu Zürich vor eegricht verlaugnet, biß man im mit dem Wellenberg gethröüwt, da er bekendt, daß er sei geschwängeret habe. Darauff er sei eelichen müßen. Die copulation ist gschehen zu Weyach. NB. Wie es wyter gangen, vide in ao 1675 den 9. febr[uarii].»

Da war also eine Frau aus dem Schaffhausischen, die sich mit einem Sohn ihres Dienstherrn (und Funktionär der lokalen Sittenaufsicht!!) eingelassen hatte. Die daraus entstehende Schwangerschaft liess sich nach einigen Monaten nicht mehr leugnen. 

Geständnis unter Androhung der Folter

Regula Gehring gab, wie es die Vorschriften verlangten, gegenüber dem Pfarrer den Kindsvater bekannt, eine Eigenschaft, die Hans Ulrich Hartmann jedoch abstritt. Er knickte erst vor dem höchsten Zürcher Familiengericht ein, als man ihm schliesslich die Inhaftierung im Gefängnisturm mitten in der Limmat androhte (samt der dann dort folgenden Befragung unter Folter). Und er legte ein Geständnis ab: Ja, ich habe sie geschwängert.

Ob er nun der Vater war oder nicht: Rechtlich gesehen musste er die Gehring nun ehelichen, da führte kein Weg daran vorbei, denn das Kind musste einen Vater haben, der für seinen Unterhalt zahlt. Im Übrigen war diese Zwangsheirat auch erforderlich, um den Ruf seines Vaters nicht noch weiter zu beschädigen.

Kein Aufsehen erregen, deshalb Heirat in Weiach!

Unter dem Datum 9. September 1673 ist im Weiacher Kirchenbuch eingetragen, es sei (transkribiert in heutige Schreibweise) Hartmann, Hans Ulrich, Eglisau, getraut worden mit Gehring, Regula, Buchberg SH. Und zwar «absque sertis», wie der Weiacher Pfarrer Hans Rudolf Seeholzer ausdrücklich vermerkte, also «ohne Brautkranz». Dass Gehring diesen nicht tragen durfte, war eine Ehrenstrafe wegen des vorehelichen Beischlafs. 

Und der Transkribent, ein im Privatauftrag tätiger Genealoge, notierte auf der Karteikarte, die er zu dieser Hochzeit anlegte: «Sie sind auf Befehl der Herren Eherichter in Weiach, doch der Gemeinde ohne Schaden, eingesegnet worden.» (Quelle: StAZH E III 136.1, EDB 318)  Dieser Zusatz war wichtig, er bedeutete nämlich, dass der Gemeinde Weiach dadurch in keiner Art und Weise Kosten aufgebürdet werden konnten.

Im Eglisauer Kirchenbuch gibt es natürlich auch einen entsprechenden Eintrag von Pfarrer Wirz – unter demselben Datum wie oben: Hartmann, Hans Ulrich, Burg, getraut mit Gehring, Regula, Buchberg SH. Dazu die Notiz: «Diße Hochzeyt ist mit consens Unser Gn. Hrn. zsammen geben worden zu Weyach, weyl er sei haben müsßen, weyl er sei geschwächt und sich allhie zu copulieren asßen gschämbt.» (Quelle: StAZH E III 32.3, EDB 30)

Deutlicher kann man es kaum formulieren. Und es war das Ehegericht in Zürich selber, das die auswärtige Heirat angeordnet hatte.

N.B.: In den Kirchenbüchern wird die aus Rüdlingen stammende Gehring Buchberg zugeordnet, weil die beiden Gemeinwesen seit Jahrhunderten eine gemeinsame Kirchgemeinde bilden. Die Kirche Buchberg befindet sich zwar auf exponierter Höhe über dem Rhein, das Gotteshaus steht jedoch auf Rüdlinger Boden. 

Gebrochenes Versprechen, mit der Ehefrau einen Hausstand zu gründen

Nicht einmal anderthalb Jahre nach dieser Zwangshochzeit musste sich der Eglisauer Stillstand erneut mit dem Fall Hartmann-Gehring befassen – ordentlicher Sitzungstag war offenbar der Donnerstag (s. oben):

«[Donnerstags] den 9. febr[uarii] 1675 ist stillstand aufm rahthauß ghalten worden und erkendt, das obgenanter under dato 5. junii 1673 Hanß Ulrich Hartman eegaumers sohn bei der Burg sein haußfr[auw] Regula Gering soll ins vatters hauß nemmen oder mit ihro außhin zeühen und selbsten hauß halten oder für ein ehrsamm eegricht gwisen werden, weliches ehe er wollen thun, hatt er versprochen, wölle auf s. Margrethen tag mit ihro auß des vatters hauß und eigen hauß halten. Alß aber die hrn. von Straaßburg an unser gnedig hrn. und Bern volk begert und erlangt zur bsatzung in ihr statt, hatt diser Ulrich, der bishar nit können vom vatter kommen, jetz könen dingen und gen Straßburg zeühen, damit er nit mit der Geringin haußen müße etc.»

Dem Ehemann wider Willen war also befohlen worden, seine Angetraute ins elterliche Haus zu nehmen oder einen eigenen Hausstand zu gründen. Widrigenfalls wurde ihm eine erneute Vorladung vor das Ehegericht angedroht. Worauf Hartmann junior versprach, auf den Gedenktag der Heiligen Margareta mit Gehring aus dem väterlichen Haus auszuziehen und einen eigenen Hausstand zu gründen.

Interessant ist, dass der Gedenktag für eine Heilige auch fast anderthalb Jahrhunderte nach der Reformation noch ganz selbstverständlich im alltäglichen Sprachgebrauch erscheint. Es dürfte sich daher um die Märtyrerin Margareta von Antiochia (gest. 305) handeln, deren Gedenktag Mitte Juli den Beginn der Ernte markierte, im bäuerlichen Jahreslauf einer auf Flurzwang und Dreifelderwirtschaft eingerichteten Landwirtschaft ein Datum von entscheidender Bedeutung.

Neues Glück in der Fremde?

Diese Zukunftsaussichten scheinen Hans Ulrich Hartmann aber derart widerstrebt zu haben, dass er die günstige Gelegenheit ergriff und sich als Söldner in Diensten der Stadt Strassburg anwerben liess. Die Stadtherren hatten nämlich von den befreundeten Stadtstaaten Zürich und Bern Truppen angefordert, um sich gegen einen möglichen Angriff zu wappnen. Diese wurden auch bewilligt und so gelang es Hartmann durch den Soldvertrag der Zwangsehe zu entfliehen. Wie es ihm dort ergangen ist und was sein Vater (und seine Ehefrau!) dazu gesagt haben, das wird hier nicht weiter nachverfolgt.

Das Verhältnis von Strassburg zu den Eidgenossen

Die Reichsstadt Strassburg hatte sich mit den eidgenössischen Orten in mehreren Bündnissen abgesichert und bekam, wenn nötig, Schweizer Militärhilfe in Form von Truppenkontingenten. Nach der Reformation, die in Strassburg Erfolg hatte, kühlten sich die Beziehungen zu den katholischen Orten der Eidgenossenschaft ab. Die Stadt blieb jedoch ein enger Verbündeter der reformierten Orte, die immer wieder Söldner in den Dienst der Stadt stellten. Das lag in ihrem ureigenen Interesse, denn die wirtschaftlichen Beziehungen der Strassburger Kaufleute ins Gebiet der Eidgenossenschaft waren rege und lukrativ. N.B.: Die Urkunde des Bündnisses von 1588 zwischen Bern, Zürich und Strassburg kann man sich heute auf der Website des Zürcher Staatsarchivs ansehen (vgl. StAZH C I, Nr. 389).

Nach der 1681 erfolgten Eroberung der Stadt durch den französischen Sonnenkönig Ludwig XIV. wurde Strassburg zwar rekatholisiert und alle Reformierten verloren ihre öffentlichen Ämter. Trotzdem blieb das Elsass wirtschaftlich ein zum Heiligen Römischen Deutscher Nation gehörendes Gebiet, was sich bis 1789 an einer Zollgrenze manifestierte, die über die Vogesen verlief. Deshalb bewahrte das Gebiet auch seine deutsche Sprache und Kultur.

Quellen

Sonntag, 15. September 2024

Der Anschlagkasten vor dem VOLG, est. 1959

Wissen Sie, wann und von wem die Vitrinen linkerhand des Eingangs zum VOLG-Laden an der Stadlerstrasse 4 finanziert wurden? Anhand des Artikeltitels kann man in etwa erahnen, wer das gewesen sein könnte.

Wann, das sagt der Titel ohne Umschweife. Walter Zollinger hat in seiner Jahreschronik 1959 die folgende Fotografie eingeklebt:


Wenn man sechseinhalb Jahrzehnte später vor dem VOLG steht, dann erkennt man diese Vitrinen fast unverändert wieder. Lediglich etwas verkleinert kommen sie in der Nähe des Ablaufrohrs daher. Und rechts desselben gibt es heute eine weitere kleine Vitrine.

Gesamtrenovation des Milchlokals

Wie man der Bildlegende entnehmen kann, war der Anschlagkasten Teil eines Umbaus der Milchhütte. Die Motivation erläutert Zollinger auf derselben Seite des Typoskripts im Lauftext:

«Die Milchgenossenschaft Weiach war gezwungen, ihr Milchlokal zu vergrössern, da sich, vor allem abends zur Hüttenzeit zwischen 18.30 und 19.30 Uhr[,] die Milchlieferanten und die Milchkonsumenten nicht in die Haare, wohl aber in den Weg gerieten. Ende April bis Mitte Juli musste daher das Gemeindeschlachthaus als Provisorium herhalten. Ab 16.7. aber präsentierte sich dann das umgebaute u. vergrösserte, zugleich mit modernen Einrichtungen versehene "neue" Milchlokal wieder aufs Beste. Zudem wurde ein anderer "Fahrplan" eingeführt:

Milchkunden von 18.30 bis 19.00 Uhr

Milchlieferanten von 19.00 bis 19.30 Uhr, 

sodass nun für alle genug Platz vorhanden ist.» (G-Ch Weiach 1959, S. 12) 

Beleuchtete Informationsplattform für Behörden und Vereine

Die Milchgenossenschaft hat 2009 ihren Zweck geändert und nennt sich heute Bauerngenossenschaft Weiach. Und das Gemeindeschlachthaus musste 1974 dem Ausbau der Sternenkreuzung weichen. 

Die Gemeinde, genauer: das «politische Gemeindegut», war es auch, das den Kasten finanziert hat:

«Am Milcheinnahmegebäude wurden neue, nachts beleuchtete Anschlagkasten für Behörden und Vereine errichtet; Kosten Fr. 3030.»  (G-Ch Weiach 1959, S. 8) 

Umgerechnet nach dem Landesindex der Konsumentenpreise wären das heute ca. 13'500 Franken (vgl. LIK-Rechner).

Der Anschlagkasten diente zusammen mit dem Weibel-Amt der Information der Öffentlichkeit. War also ein Vorläufer der «Mitteilungen für die Gemeinde Weiach» bzw. der heutigen Website www.weiach.ch.

Quelle

  • Zollinger, W.: Jahreschroniken Weiach 1952-1967. Originale: Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Hier: Chronik des Jahres 1959. Signatur: G-Ch Weiach 1959 – S. 8 & 12.

Samstag, 14. September 2024

Ein schmaler Trottoirstreifen wird geteert

Zollingers Jahreschronik 1959, Typoskript abgeschlossen am 31. Juli 1961, an die Zentralbibliothek Zürich abgeschickt mit Brief vom 24. August 1962, lässt auch Rückschlüsse auf den Ausbauzustand der Strassen auf dem Gemeindegebiet zu. Wir erfahren so, dass ein unscheinbares Stück Asphalt ins AHV-Alter gekommen ist:

«In der Zeit von Mitte Juli bis Mitte August erhält das bisher nur kiesige und deshalb ungern benutzte Trottoir rechtseitig [sic!] der Strasse von der Brunngasse bis Raat hinauf einen guten Teerbelag. Nun wird es deutlich eher begangen, sogar hie und da noch als "Radfahrerweg" gebraucht.» (G-Ch Weiach 1959, S. 14)

Die Brunngass mündet etwa dort in die Stadlerstrasse, wo vis-à-vis der Müliweg mit Steinblöcken abgetrennt und nur für Fussgänger und Zweiradfahrer passierbar ist.

Wer die Stadlerstrasse (RVS 566) befährt, der kennt dieses schmale Band westlich der 1845/46 gebauten Kunststrasse Richtung Raat.

Viel Platz hat es nicht zwischen der Fahrbahn und der Pflanzlinie der Birkenallee. So ist es denn vor allem auch diese Baumreihe, die die Trottoirbreite definiert. Nicht ganz 100 Birken, die Automobilisten ab und zu zum Verhängnis werden:

Foto: Kantonspolizei Zürich, 31. März 2010

Quellen und Literatur
  • Zollinger, W.: Jahreschroniken Weiach 1952-1967. Originale: Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Hier: Chronik des Jahres 1959. Signatur: G-Ch Weiach 1959 – S. 14.
  • Steiner, B.; Eggmann, V.: Weiacher Tagebuch mit 99 Birken. (Reihe: Zürcher Baumgeschichten XXI.) In: Tages-Anzeiger, 23. April 1988 – S. 21.
  • Brandenberger, U.: VW Golf crasht in Birke bei Dorfeingang. WeiachBlog Nr. 810, 31. März 2010.