Sonntag, 31. Dezember 2023

Wie der wütende Müller auf die Riegelfelder kam

Im jüngst erschienenen Kunstdenkmälerband (vgl. WeiachBlog Nr. 2021) hat natürlich auch eins der markantesten Gebäude im Oberdorf einen kurzen Eintrag erhalten. Nämlich das bereits im Band 3 der Reihe Die Bauernhäuser des Kantons Zürich ausführlich beschriebene Haus mit bemalter Fassade. Die Legende zu Abbildung 551 (s. Bild unten) lautet:

«Weiach. Oberdorfstrasse 25/27/29. Vielzweckbauernhaus. Die Fassadenmalerei des linken Hausteils stammt vom Maler Eugène Fauquex, der 1955–1969 Eigentümer von Oberdorfstrasse 25 war. Dieser war u.a. als Plakatmaler für den Circus Knie tätig. Von ihm stammt auch die Wandmalerei am 1957 erbauten Lagerhaus der Landwirtschaftlichen Genossenschaft Kaiserstuhlerstrasse 44. Foto Urs Siegenthaler, Zürich, 2019.»


Fauquex links, Stöckli rechts

Wie sich in den Kommentaren zu einem Beitrag vom 9. Oktober auf der Facebook-Gruppe «Du bisch vo Weiach, wenn...» gezeigt hat, wird dieses Gebäude im Volksmund als «Stöckli-Huus» benannt, zuweilen auch als das Haus, in dem die «Fouqués» gewohnt hätten. Beide Bezeichnungen haben ihre Berechtigung und reflektieren ein Stück Eigentümergeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Zum Hausteil mit der bemalten Fassade hat Walter Zollinger unter der Rubrik Bautaetigkeit/Handaenderungen die folgende Notiz in seine Chronik des Jahres 1955 getippt:

«Bereits am 8.3. wurde der alte, wie man wähnte, abbruchreife Hausteil des Wilhelm Meier geb. 1888, da derselbe sich teilweise gelähmt im Altersheim Stadel befindet, durch die Armenpflege versteigert. Der Ersteigerer, ein Güterhändler aus Zürich, verkaufte den alten Riegelbau bald weiter. Nun ist mit dem 1. Juli der neue Besitzer, eine Familie Eugen Fauquex-Berto, Kunstmaler beim Zirkus Knie, eingezogen. Bereits hat eine fürchterliche Putzete und Userumete eingesetzt. Sie wollen den alten Bau nach Möglichkeit in seiner ursprünglichen Gestalt restaurieren. Einem spätern Bericht wird es vorbehalten sein, hierüber zu schreiben.» (G-Ch Weiach 1955, S. 14)

Entstehungsjahr noch unbekannt

Über diese Restaurierung und die bemalte Fassade verliert Zollinger leider in den folgenden Jahresbänden bis und mit 1966 kein Wort. Bislang ist nicht geklärt, in welchem Jahr der Hofgrafiker des Zirkus-Imperiums auf den Riegelfeldern seines Hauses der Nachwelt eine Bildergeschichte hinterlassen hat. 

Bild: David Randall Wilson und Linette B. Wilson, Riverton, Utah, USA, 1. Mai 2023

Die Wandmalerei erstreckt sich über die gesamte Fläche der oberen zwei Drittel der strassenseitigen Fassade und setzt sich über die Begrenzung der tragenden Elemente der Hauswand hinweg. Man könnte auch sagen, die gemalte Szene verstecke sich hinter der Riegelstruktur. 

Was macht das Kind auf dem Obstbaum?

Wenn man sich auf diese Szenerie einlässt (vgl. Bild unten), dann fallen überraschende Details auf. So ein fruchttragender Obstbaum, der zwischen den Doppelfenstern des oberen Stockwerks bis ins Dach hinaufreicht, wo sich weitere reife Früchte nur erahnen lassen. Gleich neben den Früchten hängt ein Kind über einer Astgabel. Was es da wohl gerade gemacht hat, wird klarer, wenn man die Hauptfigur analysiert.

Man sieht einen Mann in einer weissen geknöpften Bluse mit zurückgekrempelten Ärmeln und knielangen Hosen. Es könnte sich um einen Müller handeln. Diese männliche Figur fixiert das Kind auf dem Baum mit einem Blick, der alles andere als erfreut wirkt, im Gegenteil. Auffällig ist: Das Kind trägt Schuhe, der erwachsene Mann mit Zornesblick hingegen ist barfuss unterwegs!
 

Im Hintergrund sind dörfliche Gebäude zu sehen, die durchaus auch in Weiach stehen könnten. Nur die Kirche mit freistehendem Turm und vier- statt achteckigem Spitzhelm verweist auf eine fiktive Landschaft.

Pflanzen mit menschlichen Zügen

In mindestens zwei weiteren Riegelfeldern findet man knorrige Bäume, die wie regelmässig gestückte Weiden aussehen. In einem davon, im oberen Stockwerk ganz links, erkennt man, ohne allzu viel Fantasie aufbringen zu müssen, eine menschlich anmutende Figur in Baumesgestalt mit markanter Nase und hintergründig lächelnder Miene:

Eugen Ludwig Fauquex (1905-1987), der seinen ersten Vornamen später in Anlehnung an den Familiennamen in die welsche Form brachte, hat sein Wohnhaus auf einem 1968 entstandenen Entwurf für ein sogenanntes Fassaden-Panneau, das am Eingang des Kinder-Zoos in Rapperswil platziert werden sollte, als «Sunnehus» bezeichnet. Ein Name, der angesichts des südländisch-warmen Grundtons der strassenseitigen Fassade durchaus passend ist. 

Ungewöhnliche Gestalten. Am und im Haus.

Dass die mit diesem Haus verbundenen Gestalten alles andere als gewöhnliche Zeitgenossen waren (bzw. für die gemalten Figuren: sind) kann als gesichert angenommen werden. Das beginnt spätestens beim Grümpel-Meier (vgl. WeiachBlog Nr. 2006), der seine handwerkliche Kreativität im Erdgeschoss des späteren Fauquex-Hauses zum Ausdruck gebracht hat. Und es hört beim Künstler und seinen Figuren nicht auf. 

Auch seine Nachbarn, die Eheleute Stöckli, haben es in Weiach zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Denn sie hätten, so sagen es Unterlagen, die den aktuellen Eigentümern des Fauquex-Hauses vorliegen, darauf bestanden, dass ihnen die Mauer zwischen den beiden Hausteilen 25 und 27 allein gehöre. Und hätten gar verlangt, auch die Fauquex-Seite müsse ihnen jederzeit zugänglich sein!

Ganz aus der Luft gegriffen war diese Ansicht nicht, denn bis zur Errichtung des linken Hausteils (Assek.-Nr. 285), der dendrochronologisch auf 1812 datiert werden kann, dürfte die heutige Zwischenwand tatsächlich die nordwestliche Aussenmauer des 1647 erstellten Kerns gewesen sein (Assek.-Nr. 287 u. 288).

Dass die Stöcklis von dieser Forderung nicht abgehen wollten, geht allein schon aus einer bis heute bestehenden baulichen Massnahme hervor. Im Fauquex-Haus findet sich nämlich eine separat eingebaute Wand, die rund 20 cm Abstand von der alten Aussenmauer des 1647 erstellten Bauernhauses nimmt! Was macht man nicht alles dem nachbarlichen «Frieden» zuliebe... Aber so ganz liess Fauquex diese Angelegenheit nicht auf sich beruhen. Womit wir nun wieder bei der bemalten Fassade wären.

Künstlerische Rache

Laut den schon erwähnten Unterlagen trägt die von Fauquex gemalte wütende Person nämlich das Antlitz der Nachbarin, Frau Martha Stöckli. Die habe diesen Umstand sofort erkannt und den Künstler zur Rede gestellt, worauf dieser darauf verwies, dass es sich bei dieser Figur eindeutig um einen Mann handle, das sehe man doch!

Ob dieser männlich gelesenen Identitätszuschreibung (wie man das in unseren heutigen hyperwoken Zeiten nennen könnte) blieb wohl selbst der überaus streitbaren Frau Stöckli letztlich keine andere Wahl, als jahrelang die Faust im Sack zu machen.

Die bemalte Fassade war also sozusagen die Rache des Kunstmalers Fauquex für die wenig pflegliche Behandlung, die ihm und seiner Familie seitens der Stöcklis zugekommen war. 

Quellen und Literatur

  • Zollinger, W.: Chronik des Jahres 1955, Weiach 1957. Signatur: ZBZ Handschriftenabteilung G-Ch Weiach 1955 – S. 14.
  • Hermann, I.: Die Bauernhauser des Kantons Zürich, Bd. 3: Zürcher Weinland, Unterland und Limmattal (= Die Bauernhäuser der Schweiz, Bd. 11). Basel 1997 – S.274-277.
  • Brandenberger, U.: Der «Grümpel-Meier». Löter, Schirm- und Pfannenflicker. WeiachBlog Nr. 2006, 9. November 2023.
  • Persönliches Gespräch mit Beatrixe Kilchenmann, 1. Dezember 2023.
  • Crottet, R; Kerstan, A.; Zwyssig, Ph.: Der Bezirk Dielsdorf. Die Kunstdenkmäler des Kantons Zürich, Neue Ausgabe VII (= Die Kunstdenkmäler der Schweiz, Bd. 146). Bern 2023 – S. 491 u. 530 (Anm-142).
  • Brandenberger, U.: «Der Bezirk Dielsdorf». Rezension eines Weihnachtsgeschenks. WeiachBlog Nr. 2021, 26. Dezember 2023.
  • Eugène (Eugen Ludwig) Fauquex. Eintrag in: SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz (Hrsg. Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA), Zürich/Lausanne; abgerufen am 27. Dezember 2023)

Freitag, 29. Dezember 2023

Gut für die Gemeindekasse: Eichengant im Weiacher Hardwald

Heute vor 150 Jahren hat die Gemeinde Weiach eine Wertholzversteigerung durchgeführt. Holzhändler, Möbelschreiner und Sägereien sind bis heute Abnehmer, wenn es um solch hochpreisiges Stammholz geht. Und für gute Qualität werden zuweilen astronomisch hoch anmutende Preise bezahlt.

Damals waren auch noch die Einkäufer von Eisenbahngesellschaften im Bieterwettbewerb mit dabei. Denn sie brauchten für Neubaustrecken Eichenschwellen in sehr grossen Mengen (wie die gerade im zu Ende gehenden Jahr 1873 quer durchs Gemeindegebiet gebaute und 1876 eröffnete Linie; vgl. WeiachBlog Nr. 1651). Die Nachfrage war also da. Und das Wort Eiche geeignet, die Leute zu elektrisieren.

Eine überaus wichtige Einnahmequelle

Die «Eichengant Weiach» im gemeindeeigenen Hardwald stellte deshalb für die Gemeindekasse eine wichtige und lukrative Einnahmequelle dar. Da lohnte sich ein Inserat in der Neuen Zürcher Zeitung vom 27. Dezember allemal:


Der Ort, wo diese Eichen gewachsen sind, liegt östlich des Betriebszentrums der Weiacher Kies AG und umfasste damals immerhin noch rund 53 Hektaren (seit dem 2. Weltkrieg sind es rund 10.2 ha weniger, die im Rahmen der Anbauschlacht zwecks Gewinnung von Ackerland gerodet wurden). 

Und just zu dieser Zeit schlug der Eisenbahnbau eine schnurgerade Schneise quer durch unseren grossen Eichenwald (den also beileibe nicht nur die Franzosen auf dem Gewissen haben, vgl. WeiachBlog Nr. 1620).

Kleines Inserat mit Wirkung

Zwischen amtlichen Notariatsmitteilungen, Stelleninseraten für «Existenzlose Herren», die wie Staubsaugervertreter Druckerzeugnisse an den Mann bringen sollten, oder für einen «Cassier» einer nichtgenanntseinwollenden Bank, sowie dem Versuch, Kaufinteressenten für eine Gewerbeimmobilie zu finden (sinnigerweise ein «Sägewerk m. Dampfkraft»), ist da auch das Weiacher Angebot eingerückt:

«Die Gemeinde Weiach bringt Montag den 29. Dezember nächsthin von Vormittags 10 Uhr an in ihrer Hardwaldung 60 Eichenstämme von 50 - 150 Kubikfuß auf öffentliche Gant, wozu freundschaftlich einladet   Weiach, den 23. Dez. 1873   Der Gemeindrath.» (NZZ, 27.12.1873, Ausg. 02)

Ein Unterländer als Vizekanzler

Apropos Dauerhaftigkeit und Eisenbahn. Drei Tage später, am 30. Dezember 1873, druckte die NZZ die nachstehenden Gedenkworte an einen verstorbenen Bundesangestellten ab. 

Der am 21. Dezember Dahingeschiedene, Johann Jakob Kern (1810-1873), bekleidete während zwei Jahrzehnten (laut Historischem Lexikon der Schweiz von 1852 bis 1872) das Amt eines Vizekanzlers der Schweizerischen Eidgenossenschaft.

Kern war ein gebürtiger Bülacher, verheiratet mit einer Otelfingerin, der Pfarrerstochter Esther Germann. Also ein waschechter Zürcher Unterländer, der vor seiner Zeit beim Bund nicht nur als Lehrer tätig war, sondern auch als Buchhalter der Königlich Württembergischen Eisenbahnwaggonfabrik in Stuttgart (mutmasslich die Maschinenfabrik Esslingen)! 

Er wurde in diesen ersten, stürmischen Jahren des Bundesstaates (samt Säbelrasseln der Preussen, die der Schweiz 1856/57 wegen ihrer Haltung im Kampf um das Fürstentum Neuenburg ans Leder zu gehen drohten) zu so etwas wie einer «lebendigen Personalchronik des neuen Bundes», wie sich die von der NZZ zitierte «Grenzpost» ausdrückte.

Wenn «Bundesräthe, fremde Diplomaten, National- und Ständeräthe, Publizisten, sc.» eine Auskunft brauchten, dann standen sie rasch einmal in Kerns Arbeitszimmer im Rez-de-Chaussee des Bundesratshauses (heutiger Westflügel des Bundeshauses) «und brachten den guten Vice-Kanzler nicht selten zur Verzweiflung, wenn auf dem Pult ein Berg von Akten seiner Unterschrift harrte.» 

Über seinen Tisch ging natürlich auch die Korrespondenz zwischen dem Bundesrat und der Geschäftsleitung der Schweizerischen Nordostbahn sowie weiteren Beteiligten (Kantone und Gemeinden), wenn es um den Bau obenerwähnter Linie zwischen Winterthur und Koblenz (und viele weitere Eisenbahnprojekte) ging.

Doch lesen Sie selber:


Quellen und Literatur
  • Neue Zürcher Zeitung, 27. Dezember 1873, Zweites Blatt, Nr. 657, S. 4.
  • Neue Zürcher Zeitung, 30. Dezember 1873, Erstes Blatt, Nr. 661, S. 1-2.
  • Brandenberger, U.: Weisst Du, wieviel Eichen stehen... WeiachBlog Nr. 224, 16. Juni 2006.
  • Brandenberger, U.: Eichen für das Gemeinwohl. WeiachBlog Nr. 446, 4. Mai 2007.
  • Brandenberger, U.: Hard bedeutet Eichenwald. WeiachBlog Nr. 631, 8. August 2008.
  • Althaus-lten, S.: Kern, Johann Jakob. In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 14.10.2008. Konsultiert am 29.12.2023.
  • Brandenberger, U.: Nicht den ganzen Eichenwald abgeholzt! WeiachBlog Nr. 1620, 3. Februar 2021
  • Brandenberger, U.: Jakob Meyerhofer (13): «Ich freue mich sehr über die Eisenbahn.» WeiachBlog Nr. 1651, 13. Mai 2021.
  • Brandenberger, U.: In eichene Eisenbahnschwellen investiert. WeiachBlog Nr. 1849, 2. August 2022.

Dienstag, 26. Dezember 2023

«Der Bezirk Dielsdorf». Rezension eines Weihnachtsgeschenks

Was hatten Sie unterm Tannenbaum? Bei mir war schon kurz nach dem Chlaustag Weihnachten. Nämlich, als ich ein dickes Paket mit dem gerade erst erschienenen Band «Der Bezirk Dielsdorf» aus der Reihe «Die Kunstdenkmäler der Schweiz» aus dem Postfach ziehen konnte.

Seither ist jeder Tag, an dem ich drin gelesen habe, ein bisschen wie Geschenke auspacken. Und wie das so ist mit Geschenken: Die Reaktionen können frei variieren zwischen «Wow!!!» und «Ojee...». Diese Rezension gibt eine kurze «tour de livre», die natürlich vor allem den Weiacher Abschnitt abdeckt.

Gut Ding will Weile haben

Können Sie sich noch an den Sommer 2018 erinnern? Da hat die Gemeinde die beiden einzigen Seiten über Weiach aus dem 1943 publizierten Kunstdenkmälerband auf ihrer Website zum Download bereitgestellt. Versehen mit der Bitte, den Experten der Uni Zürich, die mit einer Neubearbeitung betraut wurden, wo möglich behilflich zu sein.

Dieses Projekt der Kunstdenkmäler-Inventarisation war eines, das unsere Gegend nur alle paar Jahrzehnte erlebt. Wann interessieren sich heutige Historiker schon für die Gemeinde Weiach? Mit Regula Crottet, Anika Kerstan und Philipp Zwyssig waren in den letzten Jahren drei Fachleute am Werk, die nicht nur das Wissen haben, sondern auch die Zeit zur Verfügung gestellt erhielten, gründlich und tief genug in die Materie einzutauchen. So tief, dass sie den Dingen auch wirklich auf den Grund gehen konnten.

V.l.n.r.: Anika Kerstan, Regula Crottet, Philipp Zwyssig (Bild: zvg GSK)

Minutiöse Arbeit im Feld, in Archiven und Labors

Vor Ort und in den Archiven ist an vorderster Front und hinter den Kulissen Detektivarbeit geleistet worden, die uns in der Forschung weitergebracht haben. Das sieht man dem Inhalt des 560 Seiten starken Werk auch an. Zwei Beispiele seien herausgegriffen:

Philipp Zwyssig hat Verbindungen zwischen der Baugeschichte der Bachser Kirche (1713/14) und derjenigen von Weiach (1705/06) nachgewiesen, deren Spuren man nur findet, wenn man alte Ratsprotokolle ausfindig machen, sie entziffern und richtig einordnen kann. Die Gemeinsamkeit liegt in der Konzeption der Anlagen, die sowohl bei uns wie in unserer Nachbargemeinde die Handschrift des Festungsingenieurs Oberstleutnant Hans Caspar Werdmüller trägt.

Auf Veranlassung der Denkmalpflege des Kantons Zürich wurde die tragende Holzkonstruktion unseres Ortsmuseums durch das Laboratoire Romand de Dendrochronologie beprobt und analysiert. Resultat: Das Kleinbauernhaus am Müliweg 1 ist um Jahrzehnte älter als man bis dahin angenommen hat (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 63 auf dem Stand April 2019).

Gliederung des Bandes

Was findet man in diesem dicken Buch? Zunächst eine Einführung zu Geografie, Siedlungs- und Herrschaftsgeschichte über den gesamten Bezirk hinweg; sie stammt von Zwyssig. Die ausführliche Übersicht zur Architekturgeschichte des Bezirks hat die Kunsthistorikerin Crottet verfasst.

Danach folgen dem Alphabet nach die Gemeindeabschnitte: Der Geschichtswissenschaftler Zwyssig gibt für jede der 22 Gemeinden des Bezirks in einer Einleitung einen Abriss zu Lage, Geschichte und Siedlungsentwicklung. Die in den jeweiligen Dokumentationslisten genannten Literatur- und Archivbestände lassen nur erahnen, wie viel bisher unerschlossenes Material er gesichtet und transkribiert hat. Einen kleinen Einblick in diese Fülle vermittelt der Beitrag WeiachBlog Nr. 1395 vom 30. April 2019.

Weiacher Kirchenbezirk kommt gross heraus

Für den Weiacher Teil beschreibt die Kunsthistorikerin Kerstan eine Auswahl der heute noch vorhandenen Objekte in ihrem Ortszusammenhang. Beginnend mit bäuerlichen Mehrzweckbauten, bei denen in Weiach das dreigeteilte, sogenannte Mitterstallhaus vorherrscht (im Süden des Bezirks ist das Tenn in der Mitte, nicht der Stall), über Wohn- und Gewerbebauten, Bauten mit öffentlicher Funktion (mit besonderer Berücksichtigung der Schulbauten) werden Geschichte und Gestalt in den Kontext gestellt. 

Besonderes Augenmerk gilt selbstverständlich dem sog. Kirchenbezirk. Nach Auffassung der Fachleute besteht er aus der Kirche, dem Pfarrhaus und der Pfarrscheune. Für die Weycher gehört natürlich auch das Alte Gemeindehaus dazu (das im Kunstdenkmälerband aber nur indirekt erwähnt wird, nämlich in seiner verschwundenen Form als Schulhaus von 1802 bis 1836). Die ausführliche Würdigung des Weiacher Baudenkmals par excellence erstreckt sich über mehr als fünf Seiten, was rund einem Drittel des unserer Gemeinde gewidmeten Raums entspricht.

Eingehender besprochen werden auch das Ortsmuseum, die ehemalige Mühle im Oberdorf sowie das dreigeteilte Bauernhaus Oberdorfstrasse 25/27/29 (Nr. 25 = sog. Fauquex-Haus mit bemalter Fassade).

Dreiunddreissig Gebäude erwähnt

Alles in allem sind es 33 Weiacher Bauwerke, die Erwähnung finden, darunter zwei der alten Waschhäuser (eins im Büel und eins im Oberdorf). Aber auch (für mich) eher unerwartete Bauwerke, wie das ehemalige Kleinbauernhaus der letzten Gemeindeweibelin Hildia Maag (Chälenstrasse 20).  Dessen Innenausstattung lässt einen staunen und führt zur Erkenntnis, dass das Gebäude wesentlich älter sein dürfte, als die Angaben der kantonalen Gebäudeversicherung es bisher vermuten liessen.

 Ausschnitt aus der dem Abschnitt Weiach vorangestellten Übersichtskarte (Bild: KdS 146, S. 475)

Nachstehend die vollständige Liste (in eckigen Klammern die auf dem Plan eingetragene Nummer):
  • Alte Poststrasse 2, Vielzweckbauernhaus  [17]
  • Chälenstrasse 19/21a/21b, Vielzweckbauernhaus  [27]
  • Chälenstrasse 20, Bauernhaus  [28]
  • Büelstrasse 3, Vielzweckbauernhaus  [10]
  • Büelstrasse 6, Bauernhaus  [11]
  • Büelstrasse 13, ehem. Schul-, Gemeinde- und Spritzenhaus  [6]
  • Büelstrasse 15, ref. Kirche  [1]
  • Büelstrasse 19, ehem. Pfarrscheune, Kirchgemeindehaus  [2]
  • Büelstrasse 17, ref. Pfarrhaus  [3]
  • Büelstrasse 17.1, Waschhaus  [4]
  • Büelstrasse 17.2, Gartenpavillon  [5]
  • Büelstrasse 18, Wohnhaus, ehem. Fachwerkspeicher  [8]
  • Büelstrasse 18.1, Waschhaus  [7]
  • Luppenstrasse 1a, Trafostation  [9]
  • Müliweg 1, Vielzweckbauernhaus, Ortsmuseum  [22]
  • Müliweg 3, ehem. Vielzweckbauernhaus  [23]
  • Müliweg 4, Wohnhaus  [26]
  • Müliweg 7a/7b/7c, Wohn- und ehem. Mühlengebäude  [25]
  • Müliweg 7.1, ehem. Ökonomiegebäude  [24]
  • Oberdorfstrasse 2, Vielzweckbauernhaus  [14]
  • Oberdorfstrasse 9, Vielzweckbauernhaus  [18]
  • Oberdorfstrasse 9.1, Waschhaus  [18]
  • Oberdorfstrasse 13, Vielzweckbauernhaus  [19]
  • Oberdorfstrasse 20c.1, Waschhaus  [20]
  • Oberdorfstrasse 22, Vielzweckbauernhaus  [20]
  • Oberdorfstrasse 25/27/29, Vielzweckbauernhaus  [21]
  • Schulweg 2, Schulhaus  [15]
  • Stadlerstrasse 2, Wohn- und ehem. Wirtshaus Sternen  [13]
  • Stadlerstrasse 3, Wohn- und ehem. Gewerbebau  [12]
  • Stadlerstrasse 16, ehem. Vielzweckbauernhaus mit Restaurant Linde  [16]
  • Im See 2, Fabrikgebäude  [29]
  • Kaiserstuhlerstrasse 48, alter Bahnhof  [30]
  • Kaiserstuhlerstrasse 56, ehem. Sägerei, Holzgrosshandel  [31]

Man sieht, dass auch die ehemalige Schäftenäherei Walder und spätere Sattlerei Fruet beim Alten Bahnhof sowie die Gebäude des Holzhändlers Heinrich Benz AG Aufnahme gefunden haben.

Moderne Mittel im Einsatz

Wer das Buch zur Hand nimmt, erhält noch viele weitere Einblicke. Einen interaktiven Vorgeschmack erhält man über: 

  • ein Kurzvideo auf Youtube, das die Publikation bewirbt und ein paar Seiten zeigt; 
  • die Website der Herausgeberin, der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte (GSK), wo man sich auf einen mit 360°-Kamera aufgenommenen virtuellen Rundgang durch zwei Zimmer des ehemaligen Amts- und Zeughauses Regensberg begeben kann (vgl. nachstehenden Screenshot)

Mit eindrücklichen Bildern illustrierte Einblicke in die Arbeit der drei Autoren gibt ein Artikel aus dem Hause TAmedia, verfasst von Sharon Saameli, ursprünglich wohl im Zürcher Unterländer erschienen. Er beschreibt den Wow-Effekt, den Regula Crottet hatte, als sie den Dachstuhl des Stadler Bauernhauses Bergstrasse 2 zu Gesicht bekam. Nun ist für dieses seltene Exemplar eines vor 400 Jahren weitverbreiteten Bautyps in unserer Gegend dendrochronologisch belegt, dass das Konstruktionsholz schon 1617, kurz vor dem Dreissigjährigen Krieg, aus dem Wald geholt worden ist.

Betonburgen? Auch «Göhnerswil» ist bauliches Kulturerbe

Neben diesen altehrwürdigen Zeugen der Baukultur haben aber auch neueste Erscheinungen der Architektur den Weg zwischen die Buchdeckel gefunden, wie man auf einer Website des Kantons Zürich herausfindet, die folgende Kurzbeschreibung des Werks gibt:

«Der Bezirk Dielsdorf im Nordwesten des Kantons Zürich zeichnet sich durch eine grosse baukulturelle Vielfalt aus. Das bauliche Kulturerbe der einst stark vom Acker- und Weinbau geprägten Region umfasst neben dem Landvogteistädtchen Regensberg mit dem Burgturm, dem Schloss und seinen ins 16./17. Jh. zurückreichenden Bürgerhäusern auch Wohnblocksiedlungen der 1960/70er-Jahre wie etwa die «Sonnhalde» der Ernst Göhner AG, neben dem Katzenrütihof (1563) des europaweit bekannten «philosophischen Bauern» Kleinjogg Gujer (1718–1785) und zahlreichen weiteren Vielzweckbauernhäusern des 16.–19. Jh. auch von der Expo 64 beeinflusste Aussiedlungshöfe, neben Chorturmkirchen mit bis ins Spätmittelalter zurückgehender Bausubstanz auch moderne Gotteshäuser von bekannten Architekten wie Ernst Gisel oder Justus Dahinden. [...]»

Einfach, standardisiert und doch höchst auffällig

In den Medienunterlagen findet man übrigens nicht etwa ein Bild der Bachser oder der Niederhasler Kirche. Obwohl es sich vom Prinzip her bei allen dreien um schlichte Saalkirchen mit Chorabschluss aus den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts handelt und sich die Dachreiter von Niederhasli (1703) und Weiach (1706) fast zum Verwechseln gleichen: ausgewählt wurde dieses Bild, das unsere Kirche vor der letzten Renovation 2020 zeigt (erkennbar am abblätternden Putz an der Giebelseite):

Weiach, Büelstrasse 15, ref. Kirche von 1705–06. Um den Kirchhof, der aufgrund seiner Lage an der Konfessionsgrenze als militärischer Stützpunkt mit wehrhaften Umfassungsmauern ausgestaltet wurde, gruppieren sich neben der Kirche das Pfarrhaus und die ehem. Pfarrscheune. Das Ensemble gilt schweizweit als seltenes Beispiel einer «Wehrkirche». 
(Bild: Urs Siegenthaler, Zürich, 2019.)

Wer etwas hat springen lassen. Und wer nicht.

Abschliessend sei hier noch eine Randnotiz angebracht. Die finanziell (noch) gut gepolsterte Politische Gemeinde Weiach hat sich nicht zu einem Beitrag an die Erstellungskosten durchringen können. Die nicht ansatzweise so auf Rosen gebettete Evang.-ref. Kirchgemeinde Weiach hingegen sehr wohl (wie man dem Impressum auf Seite 4 entnehmen kann):


Literaturhinweise und Materialien
  • Hermann Fietz: Die Kunstdenkmäler des Kantons Zürich. Band II: Die Bezirke Bülach, Dielsdorf, Hinwil, Horgen und Meilen (= Die Kunstdenkmäler der Schweiz, Band 15). Bern 1943 – S. 143-144.
  • Regula Crottet, Anika Kerstan, Philipp Zwyssig: Die Kunstdenkmäler des Kantons Zürich, Neue Ausgabe VII. Der Bezirk Dielsdorf (= Die Kunstdenkmäler der Schweiz, Band 146). Bern 2023 – S. 474-491. ISBN 978-3-03797-827-6; CHF 120; Bezug über shop.gsk.ch
  • Medienmitteilung und Materialien zur Buchvernissage vom 13. November 2023 in Dielsdorf.

Sonntag, 10. Dezember 2023

Butangasstrahler und Motorradtank verursachen Grossbrand

Heute vor 50 Jahren, einem Montag, berichteten Zeitungen quer durch die Schweiz über einen Grossbrand mitten im Dorfkern von Weiach, der sich am vorangegangenen Samstag ereignet hatte:


Diesen Kurzbeitrag brachte L'Impartial aus La Chaux-de-Fonds im Kanton Neuenburg, wohl basierend auf einer Agenturmeldung. Ebenfalls am 10. Dezember 1973 druckten die Freiburger Nachrichten die nachstehende Kurzmeldung der Schweizerischen Depeschenagentur (sda) ab:

Wohnhausbrand in Weiach 

«sda . Ein älteres Wohnhaus mit ehemaligem Oekonomiegebäude ist am Samstag abend im Dorfkern von Weiach ausgebrannt, wobei ein Schaden von 250 000 Franken entstand. In einer Werkstatt im einstigen Stall reparierte ein jüngerer Mann sein Motorrad mit offener Flamme neben einem mit Butangas betriebenen Strahler. Beim Montieren des Tanks, der teilweise noch mit Benzin gefüllt war, floss ein Teil des Brennstoffs auf den Werkstattboden und entzündete sich explosionsartig.»

Was sich hier primär entzündet haben dürfte, ist wohl nicht die Flüssigkeit am Boden, es waren eher die Benzindämpfe. Und die einzige Chance, diesen Brand noch löschen zu können, wäre ein griffbereiter Pulverlöscher gewesen.

Einen wortgleichen Beitrag findet man in der zweimal wöchentlich erscheinenden Zeitung Der Murtenbieter vom 12. Dezember 1973.

Zürcher Zeitungen berichten über den Einsatz der Feuerwehren

Schaut man sich die in der Stadt Zürich erscheinenden Publikationen an, dann stellt man fest, dass sie den Einsatz der Feuerwehren von Weiach, Glattfelden, Kaiserstuhl und Hohentengen lobenswert erwähnen. Nur ihrem Einsatz sei es zu verdanken, dass die Nachbarhäuser gerettet werden konnten:

Neue Zürcher Nachrichten, 10. Dezember 1973

Auch ein Redaktor der Neuen Zürcher Zeitung verfasste, wohl basierend auf denselben Nachrichtenagentur-Texten, die auch die Konkurrenz von der NZN vorliegen hatte, für die Rubrik Unfälle und Verbrechen einen Kurzbeitrag, überschrieben mit dem weniger dramatischen Titel «Brand in Weiach»: 

«Weiach, 8. Dez. fro. Am Samstag abend ist in Weiach bei Kaiserstuhl ein altes Bauernhaus im Dorfkern niedergebrannt. Ein Mechaniker, der die ehemalige Scheune als Werkstatt benutzt hatte, reparierte dort sein Motorrad. Als Heizung diente ihm ein Butangasstrahler mit offener Flamme, den er neben seinem Motorrad aufgestellt hatte. Bei der Montage des Benzintanks floß etwas Treibstoff auf den Boden und entzündete sich explosionsartig. Das Feuer breitete sich schlagartig aus und griff auf das ganze Gebäude über. Die Feuerwehren von Weiach, Glattfelden, Kaiserstuhl und das unaufgefordert angerückte Pikett aus dem deutschen Hohentengen konnten verhindern, daß der Brand sich auf die teilweise angebauten Nachbarliegenschaften des Bauernhauses ausweitete. Der Schaden beläuft sich auf rund eine Viertelmillion Franken.» (NZZ, Nr. 573, 10. Dezember 1973)

Einen aufschlussreichen Hinweis brachte die Zeitung Die Tat (einst von Migros-Übervater Gottlieb Duttweiler gegründet). Unter der Überschrift «Der Polizeireporter meldet» schreibt das Blatt:

Scheune in Brand gesteckt 
«Als am Samstag um 18.30 Uhr ein Mechaniker in einem Oekonomiegebäude im Dorfkern von Weiach sein Motorrad reparieren wollte, benutzte er einen Butangasstrahler. Im Tank des Motorrades befand sich jedoch noch Benzin, das bei der Arbeit teilweise ausfloss und mit dem Strahler in Berührung kam. Sofort breitete sich explosionsartig ein Brand aus und innert wenigen Minuten stand das Oekonomiegebäude lichterloh in Flammen. Der Mechaniker unternahm noch einen untauglichen Versuch mit Wasser, um die Flammen einzudämmen. Dabei erlitt er erhebliche Brandwunden. Die Feuerwehren von Weiach und Glattfelden konnten ein Uebergreifen des Brandes auf die angebauten Häuser verhindern. Zu Hilfe kam freiwillig noch das Pikett von Hohentengen von ennet dem Rhein, da der Brand weithin sichtbar war. Das Oekonomiegebäude wurde vollständig eingeäschert. Der Gesamtschaden wird auf 250 000 Franken geschätzt.»

Benzinbrand mit Wasser löschen? Sehr schlechte Idee!

Dieser Hinweis auf den Löschversuch ist besonders wertvoll. Dass der Versuch, den entstandenen Brand mit Wasser zu löschen, eine verheerende Wirkung haben musste, kann nicht verwundern. Denn: Brennendes Benzin kann man mit Wasser nicht löschen, es schwimmt auf ihm auf und verbreitet sich nur noch schneller! Das kann man einem Lehrvideo aus dem Chemiezimmer entnehmen, besonders eindrücklich aber einem Video einer deutschen Feuerwehr!

Am geeignetsten wäre hier wohl ein Pulverfeuerlöscher gewesen. Denn dieser kann für die Brandklassen A (Feste, glutbildende Stoffe, z.B. Holz, Textilien), B (Flüssig oder flüssig werdende Stoffe, z.B. Benzin, Öle) sowie C (Gasförmige, auch unter Druck stehende Stoffe, z.B. Propan od. Butan) zum Einsatz gebracht werden. Wäre ein solcher Löscher sofort zur Hand gewesen, dann würde das Gebäude wohl noch stehen.

Was der Tat-Redaktor in seinem Beitrag allerdings völlig unterschlagen hat, ist der Umstand, dass es sich um ein altes Bauernhaus mit Oekonomieteil gehandelt hat.

Betroffen: der Standort Oberdorfstrasse 3/5

Alteingesessene Weycherinnen und Weycher wissen natürlich noch, wessen Haus an diesem 8. Dezember vor einem halben Jahrhundert den Flammen (und dem Löschwasser) zum Opfer gefallen ist: ein bereits 1834 bestehendes typisches Riegelhaus mit Scheune und Stall und den üblichen Anbauten, beispielsweise für die Schweine.

Das Gebäude wurde 1851 durch den Schmied Jakob Meierhofer übernommen und wurde danach sechs Jahrzehnte hinweg als Schmiede genutzt. 1890, so notiert das Lagerbuch der kantonalen Gebäudeversicherung, ist in diesem Bauensemble mit der Nummer 41 beispielsweise eine Feueresse mit Blasbalg separat versichert. 1895 erhielt das Haus neu die Nummer 60, ist aber sonst mit derselben Ortsbezeichnung «Oberdorf» eingetragen. Ein Wohnhaus mit Schmiede also, deren Betrieb zwischen 1906 und 1914 aufgegeben wurde. Danach steht die Liegenschaft nur noch als Wohnhaus mit Scheune und Stall in den Büchern.

Feuerwehrtechnisches vom Kommandanten

Davon, dass selbst die Hohentengemer Feuerwehr zu Hilfe kam, ist weiter oben bereits berichtet worden. Die wurde allerdings nicht aufgrund von Sirenenlärm aufmerksam.

Laut Otto Meier, alt Feuerwehrkommandant, musste bei diesem Brand noch mittels Feuerhörnli und Sturmläuten der Kirchenglocken alarmiert werden (die Sirene auf dem Dach des Mehrzweckgebäudes Hofwies gab es erst ab 1976). Auch Meier erwähnt die Hilfe von der deutschen Seite und erinnert sich, dass sie viel Wasser ins Haus gespritzt hätten, was mit zum Totalschaden des Wohnteils beigetragen hat.

Der ominöse Mähdrescher

Seit 2003 ist in den erweiterten Neuauflagen des blauen Büchleins von Zollinger die folgende Passage enthalten (Weiach - Aus der Geschichte eines Unterländer Dorfes, 6. Aufl., Ausgabe Dezember 2022 - S. 70):

«Am 8. Dezember 1973 geriet das alte Bauernhaus der Familie Suter im unteren Oberdorf durch Arbeiten in der im Haus eingerichteten privaten Töffliwerkstatt in Brand. In der Scheu­ne verbrannte auch ein Mähdrescher. Der Wohnteil konnte zwar gerettet werden, er­trank aber im Lösch­wasser, weshalb ein Neubau erstellt wurde (Oberdorfstrasse 3+5).»

Um was für eine Maschine es sich bei diesem Mähdrescher tatsächlich gehandelt hat, wäre noch zu eruieren.

Brandplatz nach zweieinhalb Jahren

Die Experten, die im Auftrag des Bundes die Feldaufnahmen für das Inventar schützenswerter Ortsbilder der Schweiz (ISOS) gemacht haben, stellten bei ihrer Begehung vom 1. Juli 1976 fest, dass da ein auf dem Plan noch vorhandenes Gebäude in der realen Welt verschwunden war. An seiner Stelle nur noch eine Schuttfläche (s. links unten; im Hintergrund die Liegenschaft Oberdorfstrasse 7, der alte Sternen):

(ISOS 5762, Foto 28. -- Nationalbibliothek, Graphische Sammlung,
Signatur: EAD-ISOS-ZH-4_2_10)

Ausschnitt aus dem Plan, der den ISOS-Experten vorlag. Oben links das Pfarrhaus, unterhalb der Mitte rechts die Liegenschaft Oberdorfstrasse 7

Auf den Aufnahmeformularen ist für diesen Brandplatz vermerkt: «Ehem. Wohnhaus, heute abgebrochen und Aushubarbeiten begonnen. Gefahr einer nicht angepassten Neubaute.»

Ob das heute auf den Parzellen 264 und 265 stehende, mit Baujahr 1977 bei der Gebäudeversicherung eingetragene Doppelhaus Oberdorfstrasse 3/5 eher als angepasst gegolten hätte oder doch eher nicht, sei hier dahingestellt.

[Veröffentlicht am 11. Dezember 2023 um 01:11 MEZ]

Mittwoch, 6. Dezember 2023

Weiach, die einzige nicht gemeinnützige Gemeinde des Bezirks

Wer die Waldhütte beim Stocki kennt, der hat die nachfolgend abgebildete Emaille-Plakette wohl auch schon gesehen. Eingelassen ist sie in einen grossen Stein, der neben bzw. unter einem markanten Einzelbaum platziert ist. Doch wissen Sie auch, was da drauf steht?


Inschrift auf der Plakette über dem Gemeindewappen:
«Diese Linde wurde 1986 gestiftet von der gemeinnützigen Gesellschaft des Bezirkes Dielsdorf»


Die 150-Jahr-Jubiläums-Linde am 9. Oktober 2021, d.h. in ihrem 35sten Weiacher Jahr. Sie steht auf Landwirtschaftsland, das der Evang.-ref. Kirchgemeinde Weiach gehört (Parzelle 1108, Frankhalden).

Zivilgesellschaftliches Engagement über drei Jahrhunderte hinweg

Die Gemeinnützige Gesellschaft des Bezirks Dielsdorf (GGBD) ist eine der traditionsreichsten Organisationen unseres Bezirks überhaupt. Ihr verdanken sowohl die Bezirkssparkasse wie das Bezirksspital und viele weitere Aktivitäten ihre Existenz oder ihr beförderliches Fortkommen.


Auf ihrer Website bewirbt sich die Vereinigung wie folgt:

«Die Gemeinnützige Gesellschaft des Bezirks Dielsdorf (GGBD) ist ein politisch, konfessionell und wirtschaftlich unabhängiger Verein. Gegründet wurde er 1836, in Zeiten also, in denen das vom Staat verantwortete soziale Netz noch sehr grobmaschig geknüpft war.

Die GGBD zählt heute noch rund 500 Einzelmitglieder und 24 Kollektivmitglieder. 21 der Politischen Gemeinden des Bezirks Dielsdorf sind Mitglied in der GGBD.

Mitglied werden können Privatpersonen und juristische Personen mit Wohn- bzw. Geschäftssitz in der ganzen Schweiz. Der jährliche Mitgliederbeitrag beträgt: CHF 30.00 für Einzelmitglieder. CHF 350.00 für Kollektivmitglieder.

Je breiter die Mitgliederbasis, desto grösser die Wirkungsmöglichkeiten der GGBD.

Die GGBD freut sich über jedes Neumitglied. Mit Ihrem Beitritt leisten Sie einen Beitrag dazu, dass Menschen in Ihrer Nachbarschaft ihre Ziele erreichen können.»

Sind 350 Franken Jahresbeitrag zu viel?

Von den aktuell noch 22 Gemeinden des Bezirks sind 21 ganz selbstverständlich Kollektivmitglied. Nur Weiach schlägt aus der Art. Deshalb ist auch unser Wappen auf der Website ggbd.ch anders dargestellt:


Am neuen Stadlerturm hat sich die GGBD übrigens mit 5000 Franken beteiligt (vgl. Presseartikel auf der GGBD-Website). An dem haben auch etliche Weiacher Freude. Deshalb die Frage, liebe Gemeinderätinnen und Gemeinderäte: Weshalb steht ausgerechnet die Gemeinde Weiach abseits? Nichts mit Gemeinnützigkeit am Hut?

Dienstag, 5. Dezember 2023

RPK hält Steuerfusserhöhung 2024 für rechtswidrig

Die Budgetgemeindeversammlung der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Weiach ging am letzten Samstag, 2. November, problemlos über die Bühne. Was niemanden wundert, denn die Traktandenliste war so unspektakulär wie sie mit Abkürzungen gespickt ist. 

Es ging neben dem eigentlichen Budget nur um die Festsetzung von Stellendotationen, die man ohnehin jedes Jahr hätte beschliessen müssen. Und ausserdem ist die Rechnungsprüfungskommission (RPK) der Kirchgemeinde – von den Stimmberechtigten so gewählt – personell deckungsgleich mit Teilen der Kirchenpflege, die sich also faktisch selber kontrolliert.

Nun, wenn's mit den Finanzen schiefgeht – so mag sich manche/r gedacht haben – dann kann man ja jederzeit den Austritt aus diesem Verein mit Steuereinzugsprivileg geben.

Kein Austritt möglich aus diesem Verein

Bei der Politischen Gemeinde (seit 1. Januar 2022 mit der Primarschulgemeinde fusioniert) handelt es um ein ganz anderes Kaliber. Die will mehr als das Sechsfache an Geld sehen und akzeptiert keine Austrittserklärung, wenn man auf ihrem Gebiet wohnen bleibt.

Die gegenwärtige Rechnungsprüfungskommission der Politischen Gemeinde passt zu diesem Umstand. In ihr sitzen Persönlichkeiten, die dem Gemeinderat sehr genau auf die Finger schauen. Und so zeichnet sich das Gremium in seiner bisherigen Amtszeit durch eine auffällige Bissigkeit aus. Daran ändert auch die durch den Hinschied eines Mitglieds nötige Nachwahl nichts.

Ja, aber... Zustimmung zum Budget nur unter Vorbehalt

Wie man dem Beleuchtenden Bericht zuhanden der Gemeindeversammlung vom Donnerstag, 7. Dezember 2023 entnehmen kann, liegen Gemeinderat und RPK auch bezüglich des Budgets 2024 in wesentlichen Punkten über Kreuz.

Das Protokoll der RPK-Sitzung vom 19. Oktober zeigt, dass versucht wurde, den Gemeinderat zur Abänderung seiner Vorlage zu bewegen, denn da heisst es:

«Das Budget wird einstimmig unter Berücksichtigung der untenstehenden Änderungsanträge verabschiedet und der Gemeindeversammlung zur Annahme empfohlen.»

Diese Anträge haben es allerdings in sich:

«Änderungsantrag 1: Vollständige Streichung des Betrages über CHF 10'000'000.00 der Budgetposition INV01095, Schulhausneubau

Begründung: Ein Budget hat die Ist-Situation im kommenden Jahr abzubilden. Da der Abstimmungsentscheid vor dem Verwaltungsgericht hängig ist [Anm.: vgl. WeiachBlog Nr. 1985], ist mit einem Baustart 2024 nicht zu rechnen. Damit werden auch keine Mittel benötigt und deshalb ist die Budgetposition zu streichen.

Änderungsantrag 2: Anpassung des Betrages über CHF 400'000.00 auf CHF 160'000.00 der Budgetposition INV01066, Asylbewerberunterkunft

Begründung: Die Gemeinde soll kostenschonend zuerst Umnutzungsmöglichkeiten von bestehenden Gemeindeliegenschaften prüfen und wahrnehmen, bevor ein Neubau realisiert wird. Ein Betrag von CHF 160'000.00 sollte dafür ausreichen.

Änderungsantrag 3: Streichung der beantragten Steuererhöhung von 67% auf 73%

Begründung: Aufgrund der Einsparungen, die gemäss Änderungsantrag 2 realisiert werden können und ein Steuerprozent ca. CHF 40'000.00 entspricht, ist eine Steuererhöhung auf Vorrat weder notwendig noch erlaubt (Art. 92, Abs. 1 Gemeindegesetz des Kantons Zürich) und deshalb ist der Steuersatz bei 67% zu belassen.»

Öffentliche Diskussion unumgänglich

Natürlich hätte man auch schreiben können, man empfehle das Budget 2024 zur Ablehnung. Diese Formulierung zeigt aber, dass gezielt drei Punkte angegriffen werden (wovon 1 und 3 enger miteinander verknüpft sind als formuliert und 2 als Nebenkriegsschauplatz gesehen werden könnte). 

Zu diesen drei Punkten wird sich der Gemeinderat ausführlich äussern müssen. Die drei Änderungsanträge dürften am kommenden Donnerstagabend wohl kontrovers diskutiert werden und nachfolgend wird über sie abgestimmt werden müssen.

Denn wie man der Weisung des Gemeinderates vom 30. Oktober entnehmen kann, will man seitens der Exekutive offenbar kein Iota ändern. Und wenn die RPK diesmal nicht erneut mit Abwesenheit glänzt (wie bei der letzten Rechnungsgemeinde, vgl. WeiachBlog Nr. 1938), dann wird der Schlagabtausch auch unausweichlich in deutlichen Worten geführt werden.

Hängiges Bauvorhaben = Keine Steuerfusserhöhung?

Der Antrag Nummer 3 ist besonders brisant, weil hier dem Gemeinderat explizit ein rechtswidriges Vorgehen vorgeworfen wird. Die Gemeindeexekutive habe, so die RPK, den ersten Absatz des Haushaltgleichgewicht-Artikels im Gemeindegesetz verletzt. § 92 Abs. 1 GG lautet: 

«Der Gemeindesteuerfuss wird grundsätzlich so festgesetzt, dass die Erfolgsrechnung des Budgets ausgeglichen ist.» (ZH-GG, 4. Teil: Finanzhaushalt, 2. Abschnitt: Steuerung des Finanzhaushalts, A. Haushaltsgleichgewicht)

Der Gemeinderat hält dagegen und betont, dass man die Angelegenheit über mehrere Jahre betrachten müsse: «Gemäss § 92 des Gemeindegesetzes muss der kommunale Finanzhaushalt mittelfristig ausgeglichen sein. Das bedeutet, dass im Zeitraum von acht Jahren ein ausgewogenes Verhältnis von Aufwendungen und Erträgen ausgewiesen werden muss.» (Beleuchtender Bericht, S. 4)

Der Gemeinderat glaubt an einen Sieg vor Verwaltungsgericht, hofft auf einen Baubeginn 2024 und will daher das Pulver möglichst frühzeitig ins Trockene bringen. Bei der RPK glaubt man, es werde weitere Verzögerungen geben, vielleicht sogar eine neue Abstimmung.

Da bestehen also höchst unterschiedliche Rechtsauffassungen. Welche Weiterungen diese Diskrepanz erfahren wird, hängt vom Ausgang des Showdowns im Gemeindesaal ab.

Sonntag, 3. Dezember 2023

Gemeindeversammlungstermin. Trennung von Kirche und Staat

Die evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich war über Jahrhunderte hinweg eine Staatskirche. Religionsidentität und Staatsräson wurden eng miteinander verschränkt gehalten. Behördliche Erlasse wurden von der Kanzel verkündet. Und in Kirchenpflege, Armenpflege und Gemeindepolitik waren Ämterkumulationen eher die Regel als die Ausnahme. Mit der Einwanderung vieler Katholiken ab dem 19. Jahrhundert wurde diese Praxis aufgeweicht und mit der zunehmenden Säkularisierung im 20. Jahrhundert komplett aufgegeben.

Das Ende der Trinität

Bislang war es in Weiach Usus, dass die drei Gemeindeversammlungen von Politischer Gemeinde, Primarschulgemeinde und Evang.-ref. Kirchgemeinde am selben Abend und im selben Saal angesetzt werden (vgl. WeiachBlog Nr. 41Nr. 231 und Nr. 341). Die letzten Reste dieser zumindest terminlichen Kooperation sind nun auch bei uns aufgegeben worden.

Gerade «Budgetgemeinden» haben es besonders schwer gegen viele andere Veranstaltungen, die unbedingt auch noch in die Adventszeit gepackt werden wollen.

Werben um die Nichtamtsträger

Was die Terminplanungsverantwortlichen zur Frage führt: Wann und wo sollen wir die Gemeindeversammlung ansetzen, damit wenigstens eine Handvoll Stimmberechtigte Zeit und Musse finden, um uns gewählten Amtsträgern das nötige Plazet zu geben? 

Antwort der Politischen Gemeinde: «Donnerstag, 7. Dezember 2023, 19.30 Uhr, Gemeindesaal Weiach.» -- Antwort der Kirchgemeinde: «Samstag, 2. Dezember, 16:00 bis 16:30 Uhr. Ort: In der Pfarrscheune, Weiach».

Die Kirchgemeinde konnte da einen kleinen Achtungserfolg verbuchen. Wenige Anwesende – wie zu erwarten – aber einer davon war ein erst dieses Jahr Konfirmierter, sozusagen ein Jungbürger.

Das Religion-Kultur-Kombi

Jede der beiden Organisationen bevorzugt nun also denjenigen Saal, der in ihrem Eigentum steht. Und bei der Kirchenpflege kamen noch zwei Überlegungen dazu, um den Samstag zum Tag der Wahl werden zu lassen. Erstens sei am Samstag weniger los, war von einem Mitglied der Pflege zu erfahren, und zweitens habe man den Anlass auch auf einen der raren Öffnungstermine des Ortsmuseums abgestimmt: Das Museumsfondue, das am selben Abend ab 17 Uhr für Geselligkeit in warmer Stube sorgte (vgl. MGW, Dezember 2023, S. 27 der Online-Ausgabe).

Diese Aussage wird durch die Einladung zur Versammlung schriftlich untermauert: «Anschliessend sind sie [sic!] herzlich zum gemeinsamen Anstossen eingeladen. Vielleicht sieht man sich noch beim Museumsfondue.» (MGW, Dezember 2023, S. 22 der Online-Ausgabe)

Print und Online nicht identisch

Und wenn Sie, geschätzte Leserinnen und Leser, sich jetzt wundern, warum ich explizit auf die Online-Ausgabe verweise, dann zählen Sie einmal die Seiten Ihres gedruckten Exemplars. Dort fehlen nämlich viele Adventsveranstaltungen der Kirche, ja man könnte fast meinen, sie beschränkten sich auf den Heiligabend. Dieser Lapsus auf der Redaktion des Blattes blieb bei der Kirchgemeinde nicht unbemerkt, was dann auch den unüblich späten Veröffentlichungstermin für die Online-Ausgabe erklärt. 

Literatur und Quelle

Mittwoch, 29. November 2023

Massive Erhöhung der Einbürgerungsgebühren

Nach den turbulenten Jahren der Helvetischen Republik, die die Weyacher als Privatleute und in Form ihrer Gemeinde in grösste Schwierigkeiten gestürzt hatten, da konnte man sich spätestens ab 1813 der Konsolidierung der Gemeindefinanzen und dem Wiederaufstocken der Waldungen widmen. Denn der im öffentlichen Eigentum stehende Wald, das war und ist die Trumpfkarte, mit der über viele Jahre hinweg die Lebenserhaltung für eine recht grosse Bevölkerung gesichert werden konnte. Auch für solche, die nicht wirklich viel Landwirtschaftsland und holzreichen Privatwald ihr Eigen nennen konnten. 

Wertvolles Weyacher Bürgerrecht

Das Bürgerrecht der Gemeinde Weyach war entsprechend begehrt. Der Bürgernutzen (umfassend Gratisbezüge für Bau- und Brennholz, Weiderechte (Ackaret) für Schweine im Eichenwald, etc.), war derart wertvoll, dass kaum jemand sein Bürgerrecht freiwillig aufgab. 

Damals zählte auch nicht der zivilrechtliche Wohnsitz, wenn es darum ging, mit Sozialhilfe unterstützt zu werden, sondern das Gemeindebürgerrecht und dessen Exklusivität. Spätestens zum Ende des 16. Jahrhunderts sicherte sich Wyach daher bereits das Privileg, den sogenannten Einzug (d.h. die Verleihung des Bürgerrechts) mit namhaften Einkaufssummen abgelten lassen zu dürfen. Dasselbe machte übrigens auch der Staat, wenn er das Kantonsbürgerrecht (damals «Landrecht» genannt) verliehen hat.

Gesuch um Bewilligung höherer Gebühren

Im Sommer vor 200 Jahren fand der damalige Gemeinderat, es sei an der Zeit, den gestiegenen Wert von Gemeindegut und Bürgernutzen mit einer höheren Einzugsgebühr absichern zu können, worauf er sich an den Oberamtmann auf Schloss Regensberg (so hiess der Nachfolger der Landvögte) wandte. Dort fand man Gehör und das Gesuch ging an den Regierungsrat (damals Kleiner Rat genannt):

«Ein von dem Lbl. Oberamte Regensperg mit empfehlendem Berichte d. d. 4ten hujus einbegleitetes Petitum der Gemeinde Weyach um Erhöhung ihrer Einzugsgebühren, wird der Lbl. Commißion des Innern zu näherer Prüfung und Einbringung eines gutächtlichen Berichts und Antrags überwiesen.»

Das hatte der Kleine Rat am 14. Oktober 1823 entschieden und nachdem die löbliche Kommission des Innern ihren Bericht eingereicht hatte, konnte die Regierung heute vor 200 Jahren über das Weyacher Gesuch befinden. 

Ausdrückliches obrigkeitliches Lob für Gemeinderat und Kirchenpflege

Der Ratsschreiber formuliert den Entscheid wie folgt:

«Es hat der Kleine Rath, nach Anhörung und in Genehmigung eines gutächtlichen Berichts und Antrags der Lbl. Commißion des Innern d. d. 12. hujus [12. November 1823], betreffend die ehrerbietige Bitte der Gemeinde Weyach um Erhöhung ihrer Einzugsgebühren, da sich bey näherer Untersuchung ergeben, daß ihr Gemeindsgut seit Ertheilung des letzten Einzugsbriefes durch sorgfältige Haushaltung und lobenswerthe Verwaltung der Vorsteherschaft, bedeutend vermehrt wurde, erkennt, diesem gegründeten Ersuchen mittels einer angemeßenen Erhöhung zu entsprechen, und daher ihren Einzug in das Gemeindgut von Frk[en]. 220. auf Frk[en]. 360., sowie in das Kirchengut von Frk[en]. 24. auf Frk[en]. 48. gesetzt, wogegen es bey der bestehenden Bestimmung der Gebühr in das Armengut u. in den Viehfond sein Bewenden haben soll.

Gegenwärtiger Beschluß wird dem Lbl. Oberamte Regensperg, unter Beylage eines neuen Einzugsbriefes (gegen welchen der alte zu beziehen und der Staatskanzley einzusenden ist) zu Handen der Gemeinde Weyach, unter Äußerung der Hochobrigkeitlichen Zufriedenheit mit der Verwaltung ihres Gemeindgutes, zugestellt.»

Wie man lesen kann, halten sich gewisse Begriffe hartnäckig. In diesem Fall «hochobrigkeitlich», was vor der Revolution den Inhaber der Hoch- oder Blutgerichtsbarkeit bezeichnete und diesen vom Niedergerichtsherren unterschied. Letztere gab es nach den Revolutionskriegen nicht mehr.

Happige Beträge

Nun, was war die Kaufkraft dieser Frankenbeträge vor 200 Jahren umgerechnet auf heutige Verhältnisse? Zieht man den Historischen Lohnindex (HLI) von Swistoval heran, dann ergibt sich in Geldwerten von 2009 eine Erhöhung von 25'714.- auf 42'077.- für das Gemeindegut und eine von 2'805.- auf 5'610.- für das mit wesentlich weniger Grundbesitz ausgestattete Kirchengut.

Daraus kann man ableiten, dass ein Zugezogener, der ins hiesige Bürgerrecht aufgenommen werden wollte, umgerechnet auf unsere Zeit auf der kommunalen Ebene mehr als 48'000 CHF hinblättern musste. Denn die Einzugsgebühr für Armengut und Viehfonds (deren Erhöhung vom Kleinen Rat abgelehnt wurde) ist da ja noch nicht eingerechnet.

Verglichen mit dem Stand zwölf Jahre später ist das umgerechnet auf die Kaufkraft noch vergleichsweise günstig. Denn 1835 verlangte man bereits 500 Franken, allein für das Gemeindegut (vgl. WeiachBlog Nr. 1642)!

Quellen und Literatur
  • Die Gemeinde Weyach bittet um Erhöhung ihrer Einzugsgebühren. Protokoll des Kleinen Rats (Regierungsrat) vom 14. Oktober 1823, S. 20. Signatur: StAZH MM 1.85 RRB 1823/0845.
  • Der Gemeinde Weyach wird eine Erhöhung des Einzugs bewilligt. Protokoll des Kleinen Rats (Regierungsrat) vom 29. November 1823, S. 213−214. Signatur: StAZH MM 1.85 RRB 1823/1001.
  • Brandenberger, U.: Können Sie sich Weyach leisten? WeiachBlog Nr. 1642 v. 19. April 2021.
  • Historischer Lohnindex (HLI), vgl.: SWISTOVAL. Swiss Historical Monetary Value Converter des Historischen Instituts der Universität Bern.
[Veröffentlicht am 30. November 2023 um 00:16 MEZ]

Samstag, 25. November 2023

Griesser seit über 500 Jahren in Weiach

Vor rund zweieinhalb Jahren hat sich eine Neuzuzügerin über meine Unterscheidung zwischen Alteingesessenen und Neo-Weiachern echauffiert (vgl. Quellen). Bei einem solchen Thema kommt es natürlich auf die Begriffsdefinitionen an. Wann gilt jemand als Alteingesessener?

Ohne jetzt eine fixe Grenze festlegen zu wollen: diejenigen Familien, deren Weiacher Bürgerrecht auf die Zeit vor 1798 zurückgeht, gehören aus Sicht des Ortshistorikers mit Sicherheit dazu. Wenn das Bürgerrecht bis heute besteht, sowie land- und forstwirtschaftliches Grundeigentum gehalten wird, dann muss man diese Geschlechter mit Fug und Recht als Alteingesessene bezeichnen. Zumal dann, wenn überdies Abkömmlinge in direkter Linie zivilrechtlichen Wohnsitz in Weiach haben. Diese Leute sind sozusagen der Kernbestand der Weiacher Wohnbevölkerung – ein mittlerweile ziemlich kleiner Prozentsatz.

Alamannischer Migrationshintergrund

Natürlich hat jeder hier Lebende letztlich eine Art Migrationshintergrund. Dazu muss man nur genügend weit zurückgehen. Denn auch die Alamannen, zu deren Abstammungs- und Kulturkreis die überwiegende Mehrheit der Deutschschweizer Stammbevölkerung gehört, sind in grösserer Zahl erst ab dem 7. Jahrhundert südlich des Rheins sesshaft geworden. Samt der über die Jahrhunderte unvermeidlichen familiären Vermischung mit den Restbeständen des römischen Reichs, der galloromanischen Provinzialbevölkerung.

Eins dieser Geschlechter nach meiner obigen Definition sind die Griesser. Dieser Familienname ist seit mindestens einem halben Jahrtausend mit Weiach verbunden. Der schweizweit wohl bekannteste Namensträger, der noch in Weiach wohnt, ist der Herdöpfel- und Tomaten-Experte Stefan Griesser (vgl. Quellen).

Wurzeln im Klettgau

In Deutschland findet man den Namen Grießer an 279 Orten, in der Schreibweise Griesser in der Schweiz an 119. Man beachte insbesondere den Cluster im baden-württembergischen Klettgau (heute: Südostteil des Landkreises Waldshut) und den grossen roten Kreis im Nordwesten des Kantons Zürich, der für Weiach steht. Der süddeutsche Cluster hat exakt die Ausmasse der früheren Landgrafschaft Klettgau (in den Grenzen von 1657 bis 1806):

Der Marktflecken Grießen im Klettgau ist sozusagen nur einen Katzensprung von uns entfernt. Er liegt am Nordfuss des Kalter Wangen, dessen Südflanke wir von Weiach aus sehen können. Wenn man den Familiennamen als Herkunftsbezeichnung versteht, dann liegt die alte Heimat der Griesser also gleich hinter dem Berg.

Dieser Hügelzug, der sich von Kadelburg (nahe Bad Zurzach) über die Küssaburg (634 m ü.M.), den Wannenberg (690 m ü.M.), den Kalter Wangen (671 m ü.M.) und den Gnüll (589 m ü.M. oberhalb Wasterkingen) bis nach Lottstetten erstreckt, ist altes Klettgauer Gebiet, das Rafzerfeld eingeschlossen.

Der Klettgau wird teilverschweizert

Den Grafen von Sulz fiel dank ihrer ehelichen Verbindung mit einer Tochter des Hauses Habsburg-Laufenberg im Jahre 1408 die Landgrafschaft Klettgau zu (inkl. der nach 1521 zu schaffhausischen Gebieten gewordenen Teile). Die Zürcher erwarben sich 1409 die Herrschaften Regensberg und Bülach, 1424 die Grafschaft Kyburg, wozu auch Weiach gehörte.

Derjenige Teil des Landgrafschaft Klettgaus, zu dem Hohentengen am Hochrhein, Stetten, Günzgen und Griessen gehörten, blieb auch nach 1657 Reichsboden, gehörte also staatsrechtlich weiterhin zum Heiligen römischen Reich deutscher Nation. Kurz nach dem 30-jährigen Krieg änderte sich das hingegen für die Gebiete nördlich des Eglisauer Brückenkopfs, weil die Grafen von Sulz in Geldnöten waren und daher den Städten Zürich resp. Schaffhausen ihre landesherrlichen Hoheitsrechte über das Rafzerfeld (1651) bzw. Buchberg und Rüdlingen (1657 zusammen mit weiteren Teilen des nordöstlichen Klettgau) verkaufen mussten. Die beiden eidgenössischen Städte waren bekanntlich mit dem Westfälischen Frieden von 1648 staatsrechtlich auch de jure unabhängig vom Reich geworden (de facto bereits seit dem Schwabenkrieg 1499; das älteste Bündnis der Schaffhauser mit den Eidgenossen datiert auf 1454).

Sulzische Untertanen werden auf eigene Faust Zürcher

Der Ort Griessen hat übrigens schon 1468 versucht, eidgenössisch zu werden, was aber misslang. Wenn jedoch ihre Landesherren 1488 in eigener Person Schweizer werden konnten, nämlich durch den Erwerb des Landrechts der Stadt Zürich, liessen sich dies auch einige sulzische Untertanen nicht entgehen. Sie konnten sich in Weiach niederlassen und erwarben das dortige Bürgerrecht. 

Laut Familiennamenbuch der Schweiz ist Weiach die einzige Schweizer Gemeinde, in der die Griesser vor Ende des Ancien Régime das Bürgerrecht erwarben.

In welchem Jahr dies der Fall war, liegt bisher im Dunkeln. Der älteste dem hier Schreibenden bislang bekanntgewordene Nachweis datiert auf das 1517.

Heini Griesser muss Geld aufnehmen

Und wie so oft handelt es sich um ein Finanzinstrument, beschrieben in einer Urkunde, die im Kaiserstuhler Stadtarchiv liegt. Konkret: um eine am 28. Januar 1517 besiegelte Gült, die in diesem Fall auf einem Ertragsanteil eines bestimmten Weiacher Landwirtschaftsbetriebs lastete.

Das Regest im Aargauer Urkundenbuch (AU XIII, Nr. 150) lautet wie folgt:

«1517 I. 28. (uff mitwoch nechst nach Pauli bekerung)

Heini Griesser von Wiach verkauft Hanssen Stollen, burger und des rats zuo Keyserstuol, die Gülte von 1 mütt guotz subers und wolgelutrotz vesen kernes Keyserstuoler meß, die jährlich auf sant Martistag zu entrichten ist, ab minem halben teyl deß güttlis zu Wiach gelegen, daß man nempte deß Schmidlis güttly, und gienge vorhin järlich darab ab minem teyl 6 stuck und l fiertel, sust fry ledig eygen. Der Kaufpreis beträgt 12 Gl. an guotter Schaffhuser müntz

Bürgen: Heini Brem, Hanß Aberly, Welti Fust und Cleuwi Kung, all vier von Wiach. Fertigung; Währschaftsversprechen; der Verkäufer behält sich das Wiederablösungsrecht vor. 

Erbetner Siegler: Barthlome Rösle, burger und des ratz zuo Keyserstuol. - Orig. Perg. StAK Urk. 133, besch. S. hängt.»

«Vesen» ist ein alter Begriff für die Getreideart Dinkel (vgl. Wikipedia sowie Idiotikon I, 1069, Bedeutung 2). Sauber und wohlgeläutert bedeutet, dass es sich um entspelzten Dinkel handeln muss.

Unklar ist, ob wir eine Privaturkunde vor uns haben, oder das Geschäft vor einem Gericht (Stadtgericht Kaiserstuhl oder Dorfgericht Weiach) gefertigt wurde. Aufgrund des Sieglers (eines Ratskollegen von Stoll) und der fehlenden Angabe des Gerichtsvorsitzenden tendiere ich auf ersteres.

Nachrangige Forderung

Hans Stoll von Kaiserstuhl investierte also 12 Gulden in Schaffhauser Währung (die örtlich übliche Geldeinheit, vgl. WeiachBlog Nr. 1601) in ein Wertpapier. Sein Wertanteil war 1 Mütt Kernen ab derjenigen Hälfte des Schmidlis Güetly, das dem Heini Griesser gehörte. Und wie das heute bei einer Hypothek ist: festgehalten ist auch der Rang dieser Forderung. Sie kommt nämlich nach Bezahlung der bereits darauf lastenden 6 Stuck 1 Viertel zur Auszahlung, wobei 1 Stuck = 1 Mütt. Total belasteten Heini Griessers Ackerland nun also Abgaben im Wert von 7.25 Mütt. 

Nach den in Kaiserstuhl geltenden Hohlmassen für entspelztes Getreide (vgl. WeiachBlog Nr. 117) fasste ein sog. Viertel 22.42 Liter, d.h. pro Mütt rund 90 Liter entspelztes Getreide. Jährlich an Martini (11. November) wurde somit ein Betrag fällig, der einem bestimmten Prozentsatz des Handelswerts dieses Mütt Kernen entsprach (üblich waren 5 Prozent).

Quellen und Literatur

  • Kläui, P.: Die Urkunden des Stadtarchivs Kaiserstuhl. Aargauer Urkunden Bd. 13 (AU XIII), Verlag Sauerländer, Aarau 1955.
  • Entspelzt oder unentspelzt? (Mass und Gewicht 4). WeiachBlog Nr. 117 v. 1. März 2006.
  • Als Weiach zum Schaffhauser Wirtschaftsgebiet gehörte. WeiachBlog Nr. 1601 v. 13. Oktober 2020.
  • Tina Pilla, Neuzuzügerin: Beitrag vom 16. März 2021 in der Facebook-Gruppe «Du bisch vo Weiach, wenn...».
  • Hinweis vom 25. Juli 2021 auf ZU-Bericht über Stefan Griesser, Alteingesessener und Kartoffelsaatgutexperte. [Gasser, B.: Kartoffeln aus aller Welt in Weiach. 1000 verschiedene Härdöpfel von Gelb über Rot bis Violett. In: Zürcher Unterländer Online, 24. Juli 2021, 11:32]
  • Stefano Ravara (ed.): Projekt «Mappa Dei Cognomi» 2017-2023. URL: www.kartezumnamen.eu

Dienstag, 21. November 2023

Leiacher. Einmal Verschlimmbesserung und zurück.

Was da im Dezember 2015 genau passiert ist? Eine versehentliche Löschung bei der Modernisierung der Zollinger'schen Flurbezeichnungen, die er seinem blauen Büchlein als letztes Kapitel zwischen Ausklang und Anhang beigegeben hat, war's wohl nicht. Eher eine Fehlinterpretation, ohne einen Blick auf die Flurnamenkarte von Boesch (vgl. WeiachBlog Nr. 86) geworfen zu haben.

Jedenfalls wurde beim Eintrag Leiacher, Im (Zollinger verwendete noch -ai-) aus der Erklärung «Wiese am Weg von der Sägestrasse zur Buhalde» (mit bereits an den heutigen Sprachgebrauch angepasster Bauhalde; vgl. Version November 2015) der Text «frühere Bezeichnung; Wiese am Weg von der Säge zur Buhalde». Damit wird impliziert, die Flur im Leiacher sei früher um einiges südwestlicher zu finden gewesen, als es die heutigen Bezeichnungen nahelegen.

Die Sägestrasse ist nicht die Säge

Zwischen einem eher punktförmigen Objekt wie der ehemaligen Säge (Bachserstrasse 20) und einem linearen Objekt wie der «Sägestrasse» ist jedoch ein grosser Unterschied.

Mit der «Sägestrasse» kann Zollinger nur die heutige Bachserstrasse gemeint haben, denn der heute Gartenweg genannte Fussweg qualifiziert nicht als Strasse. Dieser Weg von der Sägestrasse zur Buhalde kann also nicht der heutige Panoramaweg sein, der erst nach der Säge links von der Bachserstrasse abzweigt. Wohl aber einer der beiden Bewirtschaftungswege, die Richtung Südosten von ihr abgehen. Der dem Dorfzentrum nähere (Parzelle 892) trägt heute (aus mir unerfindlichen Gründen) den Namen Bachtelweg, der der Säge nähere (Parzelle 896) ist unbenannt geblieben.

Diese Verschlimmbesserung ist jetzt nach fast acht Jahren in der neuesten Ausgabe der 6. Auflage korrigiert worden.


Wo sind die Leiächer?

Folgt man der von Prof. Bruno Boesch 1958 erstellten Karte, dann beginnt die Flur Leiacher (bei Swisstopo in der Pluralform Leiächer) – abweichend von Zollinger – erst etwa 70 Meter nordöstlich des Bachtelwegs, erstreckt sich jedoch über den heutigen Leiacherweg (einen ungeteerten Feldweg) hinweg auf den grössten Teil des heute mehrheitlich überbauten Gebiets Obstgartenstrasse bis an die alte Bebauungslinie Schulweg–Lindenweg–ehem. Haus Bergstr. 2 (jetzt: Ersatzbau Obstgartenstrasse 1).

Diese Interpretation der Situierung im Raum wurde auf den Karten der Landestopographie (Swisstopo) übernommen, wie man beim entsprechenden Eintrag auf ortsnamen.ch sehen kann.

Neben Leiacher und Leiächer findet man dort auch die von Boesch notierte Mundartform Läiächere (phonetisch: læiæχərə)

Wo war der Leimacher?

Im selben Eintrag auf ortsnamen.ch wird die Flurbezeichnung «am Leimacher» aus der Mitte des 16. Jahrhunderts aufgeführt und damit mit dem Leiacher direkt verknüpft.

Diese historische Fundstelle ist dem sog. Kelleramtsurbar des Fraumünsters (StAZH G I 142) entnommen. Das Kelleramt war eine Verwaltungseinheit, die 1548 (also kurz nach der Reformation) aufgelöst und ins Obmann- bzw. Almosenamt überführt wurde, wo weitere Weiacher Grundstücke steuerpflichtig waren.

Ohne genaue Analyse des wirtschaftlichen Zusammenhangs dieses Flurstücks (insbesondere die Angabe, in welcher Zelge es gelegen war) kann nicht entschieden werden, ob diese faktische Gleichsetzung zulässig ist oder nicht, zumal es auch noch an anderen Orten auf Gemeindegebiet Flächen mit lehmigem Boden gibt, die diese und ähnliche Bezeichnungen getragen haben. 

Zu nennen sind folgende in Urkunden im Kaiserstuhler Stadtarchiv erwähnte Flurnamen, alle ebenfalls aus dem 16. Jahrhundert: Leimgrůb (AU XIII, Nr. 282), Letten vorm Stein (AU XIII, Nr. 132), Letten, Lätten (AU XIII Nr. 270 u. 282), Lätten vor dem Stein (AU XIII, Nr. 282); Lättenwisli (AU XIII, Nr. 282), Lettenacker (AU XIII, Nr. 227) sowie Lettenwiß im Berg (AU XIII, Nr. 282). 

Ob letztere beiden identisch mit den späteren Läiächere sein können? Immerhin befindet sich die sog. Zelg am Berg (vgl. auch den Flurnamen oben auf Boeschs Karte) in exakt dieser Geländekammer (und nicht Richtung Kaiserstuhl bzw. Hardwald wie die beiden anderen Zelgen).

Lett und Lei sind zweierlei

Aber auch hier muss man genau unterscheiden zwischen Lei und Lett. Denn das ist durchaus nicht dasselbe, wie man dem Idiotikon, dem Schweizerdeutschen Wörterbuch, entnehmen kann (vgl. Id. 3, 1448): Letten, heisst es da, bezeichne eine «fette (blaue) Tonerde, tonartiger Mergel» oder auch «gemeiner Ton, der für Töpferarbeit untauglich ist, Lehm, wie er aus der Erde gegraben wird», bzw. «breiartiger Strassenkot, Schlamm, mergelartiger Sand», im Gegensatz zum «Leim» oder «Lei»«dem zur Töpferarbeit zubereiteten Ton». 

Quellen und Literatur
  • Kläui, P.: Die Urkunden des Stadtarchivs Kaiserstuhl. Aargauer Urkunden Bd. 13 (AU XIII), Verlag Sauerländer, Aarau 1955.
  • Brandenberger, U.: Flurnamenkarte 1958 quo vadis? WeiachBlog Nr. 86 v. 29. Januar 2006.
  • Brandenberger, U.: Weiach – Aus der Geschichte eines Unterländer Dorfes, 5. Aufl., Ausgabe Nov. bzw. Dez. 2015.
  • Eintrag Leiächer (Weiach ZH). In: ortsnamen.ch - Das Portal der schweizerischen Ortsnamenforschung.
[Neuer letzter Abschnitt hinzugefügt am 22. November 2023 um 10:05 MEZ]