«Die Erklärungen im Blog lassen aber leider offen, weshalb gerade die nordöstliche Region des Kantons Aargau diesen Namen bekam, wo doch die zugrundeliegenden (forst)wirtschaftlichen Verhältnisse nicht alleine in dieser Region diese Gestalt angenommen haben werden.»
Nur bis zum Knie?
Wenn man Ende Januar 2014 nach über fünf Jahren, angeregt durch diese Frage und das e-mail eines recherchierenden Journalisten der Aargauer Zeitung, wieder einmal die Suchmaschinen nach dem Begriff «Studenland» befragt, dann merkt man einerseits wie die Deutschen denken (Nein, Google, «Sudetenland» war nicht gemeint) findet andererseits aber auch Neues.
So die Website zum 900-Jahr-Jubiläum der Gemeinde Mellikon von 2011, mit der folgenden Erklärung: «Der Name Studenland weist darauf hin, dass im Wald statt Bäumen nur noch Stauden zu finden waren. Irgendwo heisst es: Der grösste Baum des Gebietes reichte nur bis zum Knie (...)». Ganz so extrem wird's wohl nicht gewesen sein. Aber cum grano salis - warum nicht?
Wesentlich plausibler und besser belegt sind zwei schon vor Jahrzehnten publizierte Expertenmeinungen, die ich am 29. Januar 2014 gefunden habe und dem AZ-Journalisten Angelo Zambelli zukommen liess:
Oberförster Wanger hat den Schlüssel
«Sehr geehrter Herr Zambelli,
ich habe noch kurz nachrecherchiert und bin - Retrodigitalisierungsprojekt retro.seals.ch der ETH sei Dank - auch fündig geworden. Eine 1a-Quelle wie ich finde. Sie hat möglicherweise auch dem 2008 von mir zitierten, 1951 publizierten Statement in der «Schweizerischen Zeitschrift für das Forstwesen» Pate gestanden:
Der aargauische Oberförster Wanger hat 1925 in den «Mitteilungen der aargauischen Naturforschenden Gesellschaft» einen kurzen Beitrag (6 Seiten) veröffentlicht, der am Beispiel des Staatsforstes in Lengnau (und den Problemen dieser Gemeinde, die dazu führten, dass sie dieses Waldstück an den Kanton verkauft haben) aufzeigt, warum der Name Studenland seine Berechtigung hatte. Nur Wangers am Ende des Beitrags geäusserter Wunsch ist nicht in Erfüllung gegangen. Die angestrebten, gut geführten Wälder sind aber heute Tatsache.
Titel: Forstliches aus dem «Studenland»
Autor(en): Wanger, C.
Objekttyp: Article
Zeitschrift: Mitteilungen der aargauischen Naturforschenden Gesellschaft
Band(Jahr): 17(1925)
Persistenter Link: http://dx.doi.org/10.5169/
Als pdf-Datei können Sie den Beitrag hier downloaden (29.1.14, da von mir heute abend erstellt)»
Raubbau als Folge der Herrschaftsverhältnisse
«In [den] «Mitteilungen der aargauischen Naturforschenden Gesellschaft» von 1953 gibt Conrad Roth eine einleuchtende Erklärung [für das Entstehen des Namens «Studenland»]:
«In dem unter gemeinsamer Herrschaft der alten Eidgenossenschaft stehenden Teil des Aargaus konnte kaum je von einer aufbauenden Bewirtschaftung der Waldungen gesprochen werden, so daß sich diese anfangs des 19. Jahrhunderts in einem betrüblichen Zustande höchster Ausplünderung befanden. Nicht vergeblich heißt heute noch ein Teil des Gebietes zwischen Surb und Rhein das «Studenland». Fast reiner Nieder- oder Mittelwaldbetrieb (Stockausschlagbestände) mit Umtriebszeiten bis auf acht Jahre hinunter und kleinsten Holzvorräten gaben den Waldungen dieses Gebietes das Gepräge. So weit hatten Planlosigkeit und menschliche Unvernunft die einst stolzen Urwälder heruntergewirtschaftet. Das «Forst- und Waldungsmandat für die Grafschaft Baden» vom 1. März 1793 stellte einen nicht mehr zur Auswirkung gelangenden Versuch der damaligen Herrschaft dar, um die Waldverhältnisse zu verbessern.»
Damit wäre also eine der mutmasslichen Hauptursachen für den Zustand der Wälder im Studenland angesprochen: die Gemeine Herrschaft. Über Jahrhunderte hinweg wollten die mit der Verwaltung betrauten Landvögte in ihrer relativ kurzen Regierungszeit möglichst viel herausholen - denn für die Übertragung des Amtes musste der Staatskasse des entsendenden Ortes in der Regel eine nicht unbedeutende Summe bezahlt werden.
Wikipedia-Artikel «Grafschaft Baden»:
«Die acht alten Orte der Eidgenossenschaft stellten im Turnus von zwei Jahren den Landvogt. Ab 1712, nach der Niederlage der katholischen Orte im Zweiten Villmergerkrieg, regierten nur noch die drei reformierten Orte Zürich, Bern und Glarus im Verhältnis 7:7:2.»
Ein geradezu klassischer Fall von «tragedy of the commons»... (vgl. zum Begriff: http://de.wikipedia.org/wiki/Tragik_der_Allmende)
Gruess, U. Brandenberger»
Zusammengefasst kann man zur Beantwortung der eingangs von Philippe Schultheiss gestellten Frage nicht nur die von Wanger gelieferte Erklärung der Plünderung der Wälder durch (einheimische) «Professionsfrevler» anführen, sondern auch die These aufstellen, die Herrschaftsverhältnisse im Untertanenland zwischen Baden und dem Rhein seien schuld am besonders desolaten Zustand der Wälder. Weil nämlich jeder Landvogt quasi gezwungen war, in seiner kurzen Amtszeit möglichst viel herauszuholen um seine Kosten zu decken.
In den angrenzenden Gebieten, wo ein Landesherr allein die Fäden in der Hand hielt, so z.B. Weiach mit dem Stadtstaat Zürich, war die Situation offenbar nicht gar so schlimm. Wenn auch die Klagen über die Zustände in Weiach, der dortige Wald sei «fast gar nur noch Gstrüpp» im 17. Jahrhundert Eingang in die Akten fanden.
Artikel in der Aargauer Zeitung
Zambelli hat diese Informationen zu einem Artikel verarbeitet, der am Freitag, 31. Januar 2014 in der Aargauer Zeitung/MLZ unter dem Titel «Das «Studenland-Geheimnis» wird gelüftet. Wie der Landstrich auf den Anhöhen zwischen der Surb und dem Rhein zu seinem Namen kam» gedruckt wurde.
Die auf dem Internet verfügbare Version trägt einen leicht anderen Titel: Holzfrevel und Schweinemast: Historiker lüftet das «Studenland-Rätsel».
[Veröffentlicht am 18. August 2014]
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