Montag, 20. Mai 2013

Kirchenrat macht Standortbestimmung an der Basis

In den Einleitungen zu seinen Jahreschroniken beleuchtete Walter Zollinger jeweils einen Aspekt aus Geschichte und Gegenwart des Dorfes etwas ausführlicher. Welche das waren, findet man im WeiachBlog-Beitrag «Einleitungen zu den Chroniken 1952-1967» (WeiachBlog Nr. 682, 3. Okto­ber 2009).

Für das Jahr 1963 heisst es da: «Fokus auf Kirchenwesen – Kirchenvisitation 1963 durch den Kirchenrat. Zita­te aus den Antworten auf die Fragen des Rates».

Diese Einleitung aus der mittlerweile vor fast einem halben Jahrhundert in die Schreibmaschine getippten Jahreschro­nik 1963 (Abschluss datiert auf den November 1964) wird nachstehend vollumfänglich wiedergegeben (Titel durch WeiachBlog gesetzt):

«Als eines der wichtigsten Ereignisse in unserm Gemeindeleben (wie natürlich auch anderswo im Kanton Zürich) betrachte ich für 1963 die Durchführung der Kirchenvisitation von seiten des zürcherischen Kirchenrates, weshalb ich diese (statt erst unter dem Titel "Kirchenwesen") gleich hier am Anfang meiner Jahreschronik erwähnen und darüber einige Gedanken äussern möchte.

Sie zog sich, nach Angaben des Kirchenpflegepräsidenten, vom 4. September bis 11. Dezember hin und beanspruchte acht Vollsitzungen der Pflege und zwei Sitzungen mit Visitation. Der Kirchenrat legte den Kirchenpflegen in 13 Abschnitten 62 Fragen zur Beantwortung vor. Es sollen aber diese Fragen nicht nur Einsicht in das kirchliche Gemeindeleben vermitteln, sondern vielmehr, wie der Kirchenrat in seiner "Einführung" selber hofft, Anlass zu einer Besinnung über den Auftrag der Kirche, das Wesen ihres Dienstes und den Stand ihres Lebens werden.»

Mit oder ohne Befragung der normalen Mitglieder

«Eine einfache Sache ist eine solche "Visitation", d.h. ein Ueberdenken all' der aufgeworfenen Probleme, nicht. Der Verfasser dieser Chronik erinnert sich noch gut daran, wie er als Kirchenpflegepräsident anlässlich der letzten Visitation vor ca. 25 Jahren, zusammen mit seinen Pflegekollegen und dem damaligen Pfarrer, Herr Albert Kilchsperger, über den dannzumal noch zahlreicheren Fragen grübelte, bis ein Bericht verfasst war, der ein einigermassen richtiges Bild des "kirchlichen Lebens" unserer Gemeinde widerspiegelte. Um auch die übrigen Kirchgenossen (Männer und Frauen) mit dem Gedankengut der Visitation vertraut zu machen, wurden sie ein oder zwei Mal zu öffentlichen Gesprächen darüber in die Kirche eingeladen.

Ich kann es der gegenwärtigen Behörde also lebhaft nachfühlen, wie sie prüfen und erwägen musste, um in der heutigen, in kirchlichen Fragen noch viel problematischeren Zeit ein annähernd wirklichkeitsgetreues Bild geben zu können. Leider wurden aber diesmal m.W. keine öffentlichen Ausspracheabende durchgeführt.»

Staatskirchen sind unabhängiger!

«Beim Durchgehen des von der Kirchenpflege Weiach abgegebenen Berichtes bekommt man den Eindruck, dass jede Frage gründlich überlegt und die Antworten gut überdacht und auch sprachlich und stilistisch sorgfältig redigiert worden sind.

Einige Beispiele! Die Frage über die äussere Gestaltung als Volkskirche wird so beantwortet:
"Als Volkskirche wird sie ihrer missionarischen Aufgabe insofern gerecht, als sie alle nicht anderswo angeschlossenen Menschen umfasst, sie mit dem kirchlichen Unterricht erreicht und ihnen die Möglichkeit zu einem persönlichen Glaubensstil verschafft. Durch ihre Verbindung mit dem Staat ist sie nicht von einzelnen Menschen abhängig, wird sie finanziell gestützt und aller äusserlichen Verwaltungsarbeit enthoben. Anderseits verlangt sie keine persönliche Entscheidung des Gläubigen und droht dadurch in ihrer gesicherten Stellung zu verflachen. Da sie keine kämpfende Kirche mehr ist, treten bei vielen Gliedern die Anzeichen von Sättigung, Gleichgültigkeit, Abstumpfung und Passivität auf (Papierchristen)."»

Obligatorische Kinderlehre wäre gut

«Oder die Frage betr. Sonntagsschule und Kinderlehre: "In unserer Sonntagsschule sehen wir den Grundstein und Vorbereitung auf die spätere kirchliche Unterweisung. Wir sind daran interessiert, möglichst alle Kinder damit zu erfassen, da ihnen hier grosse Werte für später mitgegeben werden können. Das Obligatorium der Kinderlehre bringt die Gefahr der religiösen Ueberfütterung mit sich, ausserdem kann durch den Zwang auch eine grosse Abneigung entstehen; sonst aber beurteilen wir es positiv, da so alle erfasst werden."

Reformiert definiert

«Endlich noch zur Frage: "Was verstehen Sie unter "reformiert"?" Da heisst es: "Darunter verstehen wir jene Kirche, die nicht auf einmal festgesetzten Thesen beharrt, sondern immer wieder versucht, auf die Bibel als das Wort Gottes zu hören, ständig um neues Verstehen ringt und sich in jeder Lage und zu jeder Zeit neu darnach ausrichtet."»

Besucherquoten Gottesdienst: gut

«Vielleicht noch den ungefähren Kirchenbesuch:
an gewöhnlichen Sonntagen  10%   1/4 Männer
Festgottesdienste  30%  1/3 Männer
Familiengottesdienste  50%
Er wird von der Kirchenpflege als "gut" beurteilt.»

Quelle
  • Zollinger, W.: Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1963 – S. 1-2. [Original in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach 1963]. 

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