Dienstag, 10. Mai 2022

Der Frauenverein reist ins Toggenburg und Tössbergland

Vor 62 Jahren hatte der Frauenverein Weiach für seine Mitglieder ein vielfältiges Programm zusammengestellt. Wie das aussah, wurde bereits im Beitrag WeiachBlog Nr. 760 v. 1. Februar 2010 deutlich. 

Im 2004 veröffentlichten Jubiläumsartikel 75 Jahre Frauenverein Weiach (Weiacher Geschichte(n) Nr. 59) ist der Reisebericht über den grossen Ausflug des Jahres 1960 abgedruckt. 

Zum Start dieser Reise gibt es auch Filmmaterial, das von Lehrer Kurt Ackerknecht stammt und in der als Dorffilm bezeichneten Kompilation schon verschiedentlich öffentlich vorgeführt worden ist. 

Nachstehend werden Screenshots aus dem Dorffilm sowie der Reisebericht präsentiert. Der Anlass? Diese Reise hat heute die (früher einmal zwischenzeitlich auf 62 festgelegte) Pensionsaltersgrenze für Frauen erreicht.
 
Der Stadler-Car in der Einmündung der Oberdorfstrasse in die Stadlerstrasse. Vom Filmenden aus gesehen hinter einem landwirtschaftlichen Anhänger (Güllenfass?). Im Hintergrund das Baumgartner-Jucker-Haus.

Die reiselustigen Frauen auf ihren Carsitzplätzen

Irgendjemand muss ja die Kinder betreuen. Unter den Daheimgebliebenen: Rösli Baumgartner-Thut, die hier den Ausflüglerinnen zum Abschied mit der rechten Hand zuwinkt. Im Hintergrund das Gemeindehaus (links) und das Baumgartner-Jucker-Haus (rechts)

Protokoll der Reise vom 10. Mai 1960

«Um 11 Uhr versammelten sich unsere Frauen beim Schulhaus wo wir in den Stadler-Car einsteigen durften. Sogar die Sonne liess sich noch durch die Wolken blicken zu unserer grossen Freude, am Morgen sah es gar nicht nach Reisewetter aus. Nun gings in rascher Fahrt nach Stadel und Neerach nach Dielsdorf. Hier wurden gerade die Barrie[re]n herunter gelassen, und wir hatten Gelegenheit das Wehntalerbähnli [Strecke Oberglatt-Niederwenigen] das noch mit Kohle fährt noch einmal zu sehen, weil diese Strecke Ende Mai endlich einmal dem elektrischen Betrieb übergeben werden kann. Weiter gings durch den Schwenkelberg Adlikon nach Regensdorf. Hier sehen wir schon die Zeichen der heutigen Hochkonjunktur in dem Bau der vielen neuen Häuser und Industrie. Innert kurzer Zeit hatten wir die Höhe des Hönggerberg erreicht und wir sind schon in der Stadt Zürich angelangt. Sicher steuerte unser Chauffeur den Car durch den grossen Verkehr der um die Mittagszeit in der Stadt herrscht. Beim Hauptbahnhof fuhr Er durch die Unterführung nach dem Limmatquai und weiter über die Quaibrücke ans linke Zürichseeufer. Hier war der Verkehr auch viel geringer. Leider war es ziemlich dunstig, dass wir keine grosse Aussicht in die Berge hatten. Dafür bewunderten unsere Frauen die Blumen die blühten, besonders der Flieder war jetzt hier schon ganz offen. Wir passierten Kilchberg, Rüeschlikon, Thalwil, Horgen. Hier hatte die Strasse schon eine ziemlich grosse Steigung zu überwinden bis auf den Horgenerberg hinauf. Bald entschwand der See unseren Blicken. Diese Gegend war nun schon ziemlich hügelig, auch die Vegetation war noch nicht so weit vorgeschritten wie bei uns, die Birnbäume blühten erst hier. Wir durchfuhren folgende Ortschaften nämlich Hirzel, Schönenberg, Samstagern und Schindellegi. Hier gings nun wieder bergab gegen den See hinunter nach Pfäffikon, wo wir über den Damm nach Rapperswil hinüberfuhren. Hier wurde nun der erste Halt gemacht. Beim Aussteigen sagte Herr Müller zu uns, um 12 ½ Uhr werde dann wieder weitergefahren. Nun verteilten sich unsere Frauen in die naheliegenden Cafes oder Restaurants. Pünktlich fanden sich alle wieder zur festgesetzten Zeit beim Auto ein. Unser Car fuhr nun Richtung Ricken hinauf. Am Anfang des Städtchens Lichtensteig hiess uns Herr Müller aussteigen und dieses alte Städtchen mit seinen Bogengängen anzusehen. Wir fanden aber auch Gefallen an den schönen Schaufensterauslagen die es hier gab. Unsere Fahrt ging nun über Bütschwil, Mosnang auf die Hulftegg. Fast könnte man meinen wir würden einen richtigen Alpenpass überfahren, soviele Kurven gab es hier. Auf der Höhe angelangt war die Strasse nicht mehr so kurvenreich bis nach Steg. Um 3 ¾ Uhr fuhr unser Car beim Pfarrhaus in Fischenthal vor. Frau Pfarrer Hauser empfing uns alle recht herzlich und freute sich, dass so viele Frauen gekommen waren. Leider waren ihre zwei jüngeren Kinder krank, Herr Pfarrer war noch nicht anwesend er würde aber um 5 ½ Uhr wieder zurück sein. Zuerst besichtigen wir die Kirche, die auch ganz in der Nähe des Pfarrhauses liegt, und hernach spazierten wir noch mit Frau Pfarrer [...] in der näheren Umgebung herum. Sie erklärte uns die verschiedenen Hügel und sagte uns wie die Kinder hier im Winter einen sehr langen und mühsamen Schulweg hätten. Wir Weiacher Frauen möchten hier nicht unseren Wirkungskreis haben es ist uns doch zu bergig wenn wir an unser Hardland denken. Underdessen hatte sich auch der Hunger bei uns gemeldet, und unser Chauffeur war inzwischen in das nahegelegene Gasthaus [Anm. WeiachBlog: gemeint ist der der Gemeinde Fischenthal gehörende Gasthof Blume in unmittelbarer Nähe von Dorfkirche und Pfarrhaus] gegangen und hatte der Wirtin unsere verschiedenen Wünsche gebracht. Leider war die Bedienung ziemlich langsam und unterdessen war Herr Pfarrer auch nach Hause zurückgekehrt und war zu uns gekommen. Auch hier war die Begrüssung recht herzlich, er freute sich wieder viele alte liebe Gesichter zu sehen. Als alle gesättigt war[en] begaben wir uns noch einmal ins Pfarrhaus hinüber. Hier sangen wir miteinander unsere alten schönen Lieder die wir sovielmal mit Frau Pfarrer gesungen hatten. Auch einige Gesellschaftsspiele verkürzten uns die Zeit und lösten vieles Lachen aus. Um 7 Uhr mahnte Herr Müller zum Aufbruch und wir begaben uns alle ins Auto. Auf einmal rief Frau Meier-Bleuler [Chälenstrasse 16] „Wo ist meine Tasche?“, ein sehr grosser Schrecken für Sie weil sämtliche Reiseteilnehmer schon bezahlt hatten. Sie lag aber noch im Pfarrhaus. Nach einem herzlichen Abschied nehmen fuhr unser Car Richtung Steg zu. Die folgenden Dörfer Bauma, Hittnau, Pfäffikon, Volketswil, Dübendorf wurden passiert und schon bald hielt unser Car vor dem Flughafen in Kloten. Es ist nämlich immer schön nachts auf dem Flughafen die vielen Lichter und wenn ein Riesenvogel landet. Leider sahen wir um diese Zeit nicht viele Anflüge und Abflüge der einzelnen Maschinen. Daher vergnügten sich unsere Frauen mit dem Fangen von Maikäfern. Der Chauffeur war bei dem Wagen geblieben und war froh wieder sämtliche Frauen [...] bei sich zu haben um bald zu Hause zu sein, weil Er morgen wieder früh eine grosse Tour fahren musste. Um 9 ¾ Uhr gelangten wir glücklich wieder in unserem Dörfchen am Rheine an. Weiach, den 15. Mai 1960.»

Kommentar WeiachBlog

Der 10. Mai 1960 war der Dienstag nach dem Muttertagssonntag (8. Mai; also wie im aktuellen Jahr). Dieses Reislein war für eine Dienstagnachmittags-Blueschtfahrt ganz gut geeignet. Denn die Fahrstrecke liegt unter 200 km und ist in rund 4 Stunden Fahrzeit problemlos zu bewältigen. Da blieben fast 7 Stunden für beschauliche Aufenthalte in Rapperswil, Lichtensteig, beim ehemaligen Weiacher Pfarrer in Fischenthal sowie am Flughafen Zürich.

Im Jahre 1960 waren die Hiesigen noch fast anderthalb Jahrzehnte von der Fertigstellung der Blindlandepiste 14 entfernt, die ab 1974 ihre Anflugschneise direkt über den Weiacher Dorfkern legte. Seither sind Flugzeuge von einer Attraktion zu einer Belästigung und mittlerweile Teil der täglichen Dorfrealität geworden.

Quelle
  • Brandenberger, U.: Gemeinnützigkeit auf die Fahne geschrieben. 75 Jahre Frauenverein Weiach, 1929-2004. Weiacher Geschichte(n) Nr. 59. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach (MGW), Oktober 2004. Gesamtausgabe WG(n), S. 169-171.

Keine Kommentare: