Sonntag, 10. Dezember 2006

Was darf man mit einer Kirche machen?

In der Novembernummer der Mitteilungen für die Gemeinde Weiach hat Pfarrer Christian Weber seine Predigt zum 300-Jahr-Jubiläum unserer Kirche im Wortlaut veröffentlicht.

Nun ist nach Ablauf eines Monat der Link auf diese Nummer der Mitteilungen bereits nicht mehr online. Schade.

WeiachBlog fand, diese exzellente Predigt gehöre ins Schaufenster gestellt. Warum? Sie stellt wichtige Fragen in einer Zeit der Minarett-Diskussionen. Und diese Fragen werden sehr provokativ gestellt. Aber lesen Sie selbst.

Mit Erlaubnis des Autors gewähren wir der Jubiläumspredigt ab dem heutigen Sonntag gerne das Dauergastrecht auf WeiachBlog.

Die Jubiläumspredigt

Von Pfr. Christian Weber

Liebe Festgemeinde

Zeitungsartikel möchten gelesen werden. Das wichtigste ist deshalb, einen Titel zu finden, der die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich zieht. «Gotteshaus und Bunker» setzt der Zürcher Unterländer deshalb über seinen Artikel zum Jubiläum der Kirche Weiach.

«Gotteshaus und Bunker» – der Titel wirkt! Die Vorstellung von einem Gotteshaus als Kriegsbunker ist ungewohnt. – Wo gibt es so etwas?

Die Bezeichnung der Kirche Weiach als Bunker trifft denn auch nicht wirklich zu. Bunker ist kein schönes Wort. Unter einem Bunker stelle ich mir einen unterirdischen Betonklotz vor. Ich fühle mich aber hier in der Kirche Weiach überhaupt nicht wie in einem Bunker. Die Kirche Weiach ist für jedermann sichtbar ein Gotteshaus und alles andere als ein Bunker.

Es ist aber wahr, dass die Kirche vor 300 Jahren nicht nur als Kirche, sondern zusammen mit der Pfarrscheune und dem Pfarrhaus als Festung zur Verteidigung gebaut wurde.

Die Schiessscharten in der Friedhofsmauer und der Pfarrscheune erinnern noch heute an diese Funktion. Auch unter der Kanzel soll es eine Schiessscharte gegeben haben. «Die Schiessscharte unter der Kanzel», so lautet der Titel eines Artikels unseres Ortshistorikers Ulrich Brandenberger.

Die Vorstellung der Nutzung einer Kirche als Repräsentant von militärischer Wehrhaftigkeit fällt uns heute schwer. Darf man eine Kirche in dieser Doppelfunktion von Gotteshaus und Festung bauen? Darf man eine Kirche überhaupt anders nutzen als für den Gottesdienst?

Die Frage ist hochaktuell. Zwar will heute keiner mehr eine Kirche als militärische Festung bauen. Doch wird heute viel über die Möglichkeit der Umnutzung von Kirchen diskutiert.

Die städtischen Zentren werden immer mehr zu Verwaltungs- und Geschäftsvierteln, aus denen die Bevölkerung in neue Wohnviertel abwandert. Damit werden diese Kirchen nicht mehr benötigt. So stellt sich die Frage, was mit den Gotteshäusern gemacht werden soll.

Soll man sie vermieten oder verkaufen? Und wenn ja, ist es egal an wen? Darf die Kirche einem Gastrounternehmen verkauft oder vermietet werden, der aus ihr ein Restaurant macht? Oder einer anderen religiösen Gemeinschaft, der Krishna-Gemeinschaft oder den Moslems?

Die Umnutzung der Kirchen wird auch diskutiert im Zusammenhang der Suche nach neuen Gottesdienstformen: Darf man in einer Kirche eine Technoparty veranstalten? Oder ein Kino einrichten?

Die Diskussion spielt sich jeweils zwischen zwei Extrempositionen ab:
Die eine Position sieht in der Kirche einen «Heiligen Raum». Für die andere Position ist die Kirche ein ganz normaler Raum wie jeder andere auch.

Für die Vertreter der ersten Position ist die Kirche deshalb ein «Heiliger Raum», weil in ihr Gott real gegenwärtig ist. Sie bezeichnen die Kirche als Haus Gottes, weil in ihr tatsächlich Gott wohnt.

Stellt man sich die Kirche als Wohnung Gottes vor, so ist es undenkbar, sie zu verkaufen, zum Beispiel an McDonalds. Ja, bei diesem Verständnis ist eine Umnutzung ausgeschlossen.

Die andere Extremposition versteht das Kirchengebäude nicht als Wohnsitz Gottes. Für sie ist die Kirche nicht heiliger als irgendein anderes Gebäude. Die Vertreter dieser Position sind deswegen keineswegs weniger religiös. Sie lehnen es nur ab, Gott an einem vom Menschen erbauten Ort festzumachen. Gottes Haus ist viel grösser, ist die ganze Welt, ja das ganze Universum und darüber hinaus. Gott in einem Tempel, in einer Kirche, einer Statue, einem Bild zu verehren bedeutet für sie Götzendienst. Wohnt Gott nicht überall? Oder, wie es König Salomo ausdrückte (1.Kön. 8,27): «Bist du, Gott, nicht viel zu erhaben, um bei uns Menschen zu wohnen? Ist doch selbst der ganze weite Himmel zu klein für dich!»

Nach diesem Verständnis ist klar, dass ein Kirchengebäude problemlos umgenutzt werden kann, wenn es nicht mehr gebraucht wird. Ich nehme Gott ja keine Wohnung weg, wenn ich die Kirche an – eben zum Beispiel – McDonalds verkaufe.

Als unsere Kirche vor 300 Jahren erbaut wurde, gab es nur eine Position: Als Reformierte war für die Erbauer klar: Das Kirchengebäude ist kein «heiliger Raum», die Gegenwart Gottes lässt sich überhaupt nicht an Gegenständen fest machen.

In der Bauweise unserer Kirche ist dieses Verständnis deutlich zum Ausdruck gebracht. Die Reformatoren lehnten alles magische wie wundertätige Bilder, Weihrauch oder dunkle, höhlenartige Räume ab, die Kirche wurden hell, gross, hallenartig, mit erhöhten Kanzeln gebaut. Der «klare Strahl der Vernunft» erhellt den Glauben. Es gibt, um in der Sprache der Reformation zu reden, keine «Vernebelung» mehr durch Klänge, Düfte, Kerzen, Bilder oder Statuen.

Im Zuge der 68er Bewegung erreichte dieses Verständnis der Kirche als ganz normales Gebäude seinen Höhepunkt. So baute man bereits Mitte der sechziger Jahre Kirchen als Mehrzweckräume. Der Kirchenraum sollte kein Sakralraum sein, sondern ein Raum, der ausser für Gottesdienste auch für Gemeindefeste, Versammlungen, Basar u.ä. genutzt werden konnte und sollte darum weder hinsichtlich der Anordnung der Stühle, noch der Kanzel und des Taufsteins, noch hinsichtlich seines Gepräges eindeutig kirchlich definiert sein.

Ich kann es nicht verschweigen, dass ich es für ein Glück halte, dass die Weiacher bei der letzten grossen Renovation der Kirche im Jahr 1968 nicht von dieser Idee infiziert waren und die Kirche in ihrer Gestalt als Kirche bewahrt haben.

Natürlich ist die Kirche ein Raum wie jeder andere. Aber jeden anderen Raum gestalte ich ja auch so, dass er seiner Funktion möglichst dienlich ist. Das Wohnzimmer zum Wohnen, die Garage zum Parkieren, die Werkstatt, das Büro zum Arbeiten. Das Schlafzimmer zum Schlafen. Brauche ich einen Raum zur Begegnung mit dem Geheimnis Gottes, so hat das unmittelbar eine Auswirkung auf die Gestaltung des Raums.

Nicht die Steine der Kirche an sich sind «heilig», aber die Handlungen, die in ihr vollzogen werden. So wie eine Küche zum optimalen Kochen gestaltet ist, so soll auch eine Kirche zur optimalen Gottesbegegnung gestaltet sein.

Unsere Zeit hat eine neue Sehnsucht nach «heiligen Räumen» hervorgebracht. Unsere Lebensverhältnisse werden als unübersichtlich, wechselvoll und riskant wahrgenommen, so dass ein Bedürfnis nach einem Bereich entsteht, der grundsätzlich anders ist, anders als der Bereich, in dem man sich normalerweise aufhält.

Heiligen heisst: einen Unterschied machen, etwas aus den gewöhnlichen Dingen herausheben. «Heilige» Räume sind in diesem Sinne solche Räume, die ausgesondert, hervorgehoben, beiseite gesetzt sind. Sie haben eine eigene Aura, einen besonderen Geschmack, sie sind anziehend durch ihre Fremdheit, sie sind faszinierend, aber immer auch verunsichernd, vielleicht sogar furchterregend.

Immer mehr Menschen sehnen sich nach «heiligen Räumen»: nach Rastplätzen für ihre Seele, nach Freiräumen für ihr Denken, nach Oasen für ihr Gebet sowie nach Feierorten für ihr Leben.

Menschen suchen unsere Kirchen auf in Situationen der Not, des Entsetzens und des Schreckens – ganz gleich, ob sie Kirchenmitglieder sind oder nicht.

Unsere Kirche ist ein hilfreiches Zeichen für das Andere in einer diesseitigen Welt und Wegweiser für Sinn in einer fragenden Welt. Mit ihren Glocken sagt sie eine andere Zeit an. Durch das, was in ihr geschieht – Gottesdienste und Andachten, Hören und Beten, Loben und Klagen – wird sie erst zum »heiligen« Raum. Hier versichern sich Menschen ihrer religiösen Identität, hier erfahren sie Begleitung in den Schwellensituationen ihres Lebens (Taufe, Hochzeit, Trauerfeier). Hier findet der Ausgegrenzte Asyl, hier kann die Erschöpfte aufatmen.

Mit ihrem Raum ist sie ein Asyl für die letzten Dinge, mit ihrer Orgel und ihren Glocken lobt sie Gott. Mit ihren Kunstwerken legt sie Zeugnis ab und erzählt die Geschichte unserer Kultur, mit ihren Kerzen erinnert und mahnt sie, mit ihrem Schmuck dankt sie für alle guten Gaben.

Amen

Quelle

  • Weber, Ch.: Die Jubiläumspredigt. Weiacher Kirchennachrichten, S.5-7. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, November 2006 - S. 23-25.

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