Sonntag, 27. September 2009

Skepsis gegenüber akribischer Volkszählung

Volkszählungen lösen Ängste aus. Ob nun heute oder vor vielen hundert Jahren. Befürchtet wird seitens der zwangsweise Gezählten immer in etwa dasselbe:

  • die noch minutiösere Verzeichnung möglicher Steuersubjekte und -substrate; oder ganz allgemein
  • eine Bevormundung und Vereinnahmung durch staatliche Kontrollinstanzen jeglicher Art.
Antistes fordert jährliche Verzeichnisse

Diesen Unwillen spürten wohl auch die Pfarrer auf der Zürcher Landschaft, als sie im Mai 1628 von ihrem Antistes (Kirchenratspräsident) Johann Jakob Breitinger in der «Ordnung der Dieneren der Kilchen in der Statt u. uff der Landtschafft Zürich» aufgefordert wurden,

«alle Jahr und eines jeden besonder, in ein ordenliche Verzeichnuß [zu] bringen die Namen aller Hußvätteren, Kinden und Diensten, damit er wüsse die Zahl aller vertrauwten Seelen» (Mandate, StAZH III AA b 1, S. 503).

Da konnten die Pfarrer noch lange erklären, es gehe nur um den seelsorgerlichen Aspekt. Die immer stärker werdende Kraft des Staates war den Untertanen jedenfalls nicht entgangen. Und so verzichteten sehr viele Pfarrherren auf diese unangenehme Arbeit, zur strafferen Erfassung ihrer Schäfchen Bevölkerungsverzeichnisse, genannt «Catalogi» oder «Gmeind-Rödel» etc., aufzunehmen.

Saumselige Pfarrer gemahnt

Nach einigen Jahren griff Breitinger durch. Wie, wird in der Einleitung zum Findbuch E II 700 des Staatsarchivs des Kantons Zürich erklärt:

«Nachdem bis im Frühjahr 1634 nur ganz wenige Prädikanten dem Aufrufe gefolgt waren, sahen sich Bürgermeister und Rat erneut gezwungen - diesmal im Zusammenhang mit der Bekämpfung des "leichtfertigen Fluchens, Schwörens und Gotteslästerns" zu Stadt und Land - die saumseligen Pfarrer ernsthaft zur Ablieferung ihrer Verzeichnisse auf die Mai-Synode 1634 anzuhalten (E II 2 S. 75). Die Kataloge wurden sodann kapitelweise vereinigt, zu drei Folianten gebunden und so der Synode präsentiert (E II 2, S.105). Sie umfassen ausser den zürcherischen evangelischen Gemeinden diejenigen des Kantons Thurgau, des unteren Rheintales, der aargauischen Pfarreien Tegerfelden und Zurzach, sowie der schaffhausischen Orte Burg, Dörflingen und Stein am Rhein. In einem dreijährigen Turnus wurden sie bis 1649 jeweils neu aufgenommen. Sie brechen jedoch dann ab und setzen allgemein erst wieder um 1670/71 ein. In unregelmässiger Folge reichen sie teilweise bis tief ins 18. Jahrhundert hinein. Sie finden ihre Fortsetzung in den von den Pfarrern für ihren eigenen Gebrauch angelegten Haushaltungsrodeln (Abt.E III).»

Weiacher Bevölkerungsdaten 1634 - 1760

Dem staatlichen Datenhunger von damals verdanken wir heute den Fonds «E II 700.119 Weiach». Das ist eine Zusammenstellung aller Verzeichnisse der Weiacher Pfarrer in Form von Kopien, was den Zugang erleichtert und die Originale schont.

Erfasst sind die Jahre 1634, 1637, 1640, 1643, 1650, 1670, 1678, 1683, 1689, 1695, 1701, 1711, und nach einer langen Lücke noch 1760.

Das Verzeichnis von 1637 äussert sich speziell über Arme (S. 464), die Verzeichnisse von 1670, 1683, 1689, 1695 und 1701 führen auch die Abwesenden auf. Um die Wohnbevölkerung zu eruieren muss man also diese vom Gesamtbestand in Abzug bringen.

Verantwortlich für die Erfassung waren folgende Pfarrer:
1629-1637: Hans Jakob Bluntschli
1637-1659: Johann Rudolf Erni
1659-1693: Hans Rudolf Seeholzer
1693-1707: Hans Heinrich Brennwald
1708-1747: Hans Rudolf Wolf
1747-1753: Diethelm Meiss
1753-1769: Hartmann Escher

Für die Kulturgeschichte interessant

Die obigen Verzeichnisse sind manchmal nicht nur für Statistiker und Genealogen verwertbar: «Da die Verzeichnisse über nackte Namenlisten und Altersangaben hinaus auch auf die katechetischen Kenntnisse der einzelnen Personen eintreten, sowie die in den Familien vorhandenen Bücher bekannt geben, sind sie gleichermassen als genealogische wie als bevölkerungs- und kulturgeschichtliche Quellen geschätzt.» (Findbuch E II 700, Einleitung)

Vgl. dazu: Strehler, Hedwig: Beiträge zur Kulturgeschichte der Zürcher Landschaft. Kirche u. Schule im 17. und 18. Jahrhundert. Diss. phil.I. Zch 1934. Sowie von derselben Autorin: Kulturgeschichtliche Bilder aus der Zürcher Landschaft im 17. u. 18. Jahrhundert. In: Zürcher Taschenbuch 1935.

Quelle

Staatsarchiv Kanton Zürich (Hrsg.): Findbuch E II 700. Bevölkerungsverzeichnisse 17./18. Jahrhundert. Sonderkatalog zu den Xeroxkopien, geordnet nach Kirchgemeinden [Originale E II 210-271]

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