Montag, 12. Oktober 2015

Jakob Meyerhofer - im Aktivdienst 1915 umgekommen

Vor hundert Jahren blieb es den Schweizer Wehrmännern erspart, von feindlichen Kugeln, Granaten, etc. zerfetzt und in den Schützengräben in sinnlosem Stellungskrieg verheizt zu werden.

Dennoch: Kriege fordern Opfer. Zivile und militärische gleichermassen. Und die meisten von Ihnen kommen nicht etwa durch direkte Gewalteinwirkung seitens des Aggressors ums Leben. Nein, sie fallen ganz banalen Unfällen, Krankheiten und dergleichen anheim.

So war es hierzulande auch im 1. Weltkrieg. Am 12. Oktober 1915 wurde ein Weiacher Soldat zu Grabe getragen, ums Leben gekommen bei einem tragischen Unfall.

Die Zusendung des nachstehenden Ausrisses aus der Zürcher Wochenchronik verdanke ich Willi Baumgartner-Thut:

WEHRSTAND

+ Jak. Meyerhofer von Weiach, Soldat, Guid. Schw. 36

Anläßlich der Wiedermobilisierung der 4. Division war die Landw.-Guiden-Schwad. 36 zum aktiven Dienst nach Zug auch einberufen. Das Schicksal wollte es, daß schon am ersten Tage ihres Dienstes ein Soldat durch Unglücksfall das Leben einbüßen mußte.

Meyerhofer, Jakob, Soldat der Guiden-Schwadron 36, wurde beim Transporte von Pferden vom Stellungsplatze nach den Stallungen von einem Pferdehufschlag so unglücklich am Kopfe getroffen, daß er auf der Stelle liegen blieb. Abends gegen 7 Uhr fanden ihn seine Dienstkameraden in bewußtlosem Zustande und leisteten ihm die erste Hilfe. Sie verbrachten ihn nach dem Bürgerspital, wo die ärztliche Untersuchung rechtsseitige Schädelzertrümmerung und Hirnverletzung feststellte. Ohne das Bewußtsein wieder erlangt zu haben, starb er nach zwei Tagen, am 8. Oktober, nachmittags 4 1/2 Uhr, in Gegenwart seiner herbeigeeilten jungen Gattin.



Ein kurzes ehrendes Wort sei dem allgemein beliebten Verstorbenen anmit als bescheidener Nachruf gewidmet: Jakob Meyerhofer ist 1875 als Sohn einer in weitem Umkreise in hohem Ansehen stehenden Landwirtsfamilie in Weiach geboren. Er war berufen, sich der Landwirtschaft zu widmen. Nach mit Auszeichnung bestandener Schulzeit begann er sein Wirken auf dem Gute seines Vaters. Schon von Anfang an zeigte er Schaffensfreude, und überall wo Arbeit war, sah man ihn fleißig mitarbeiten. Immer mehr entwickelten sich in ihm Energie und Liebe zu dem einmal begonnenen Berufe; er nahm mit Interesse Anteil an allen Unternehmungen seines Vaters, zeigte klares Verständnis für alle Fragen und wurde zum eifrigen Mitförderer für fortschrittliche Einrichtungen. An dem Aufschwunge und der Blüte ihres Betriebes fällt ihm nicht geringes Verdienst zu. Auch in Gemeindeangelegenheiten beteiligte er sich und war gerne gesehenes Mitglied verschiedener Verwaltungskommissionen.

Er war ein unermüdlicher Arbeiter, gewissenhaft in Erfüllung seiner Pflichten und die schwer zu ersetzende Stütze seines nun betagten Vaters. Bescheidenheit, goldlauterer Charakter, Freundlichkeit, humanes Handeln machten ihn zum allgemein beliebten Mann.

Den Verhältnissen gemäß ging er vor einem Jahre daran, sich selbständig zu machen, bezog ein zugekauftes Heimwesen mit extra darauf neuerbautem Wohnhaus und wähnte sich mit seiner ihm letztes Frühjahr angetrauten lieben Gattin glücklich darin. Hoch freute er sich, eine blühende Existenz geschaffen zu haben und stolz war er darauf, bald Vater werden zu dürfen.

Es sollte aber anders werden. - Er wurde für einige Tage zum Militärdienst einberufen und nachdem er mit Sorgfalt und Mühe noch alles geordnet und bestellt hatte - nichts durfte fehlen - verließ er am frühen Morgen des 6. Oktober Haus und Hof. Als gesunder Mann, der er immer war, und als schöner, strammer Soldat zog er hinaus in den Dienst fürs Vaterland, im Weggehen den Seinen noch zurufend: "Ja ich komme ja bald wieder heim." Tatsächlich hätte er schon am 9. Oktober, als an seinem Geburtstage, wieder heimgehen dürfen, aber ein Befehl höherer Macht kam diesem zuvor und beorderte ihn da hinüber, wo ewiger Friede herrscht.

Der Kommandant der Guid.-Schw. 36, Herr Hauptmann Boller, gerührt von Mitleid für die Angehörigen, äußerte großes Bedauern über den auf diesem unglücklichen Wege erfolgten Verlust des ihm als guten Soldaten bekannt gewordenen J. Meyerhofer; das gleiche ließen die Unteroffiziere und Soldaten der Guiden-Schwadron auch bekunden.

Am 9. Oktober fand die Ueberführung der Leiche nach Weiach statt. Offiziere des Platzkommandos Zug und eine Abteilung der Haub.-Batt. 79 gaben ihr das Ehrengeleite bis zum Bahnhof daselbst. Die militärische Beisetzung am 12. Oktober in Weiach gestaltete sich zu einer Trauerkundgebung, wie sie wohl an diesem Orte noch nie gesehen worden ist. Die Massenteilnahme gab beredtes Zeugnis dafür, was der Verstorbene im Leben gewesen ist. Leute aus weiter Umgebung und die Guid.-Schw. 36 vollzählig nahmen daran teil. Die Kirche vermochte sie nicht alle zu fassen. Bei der kirchlichen Feier zeichnete der Herr Pfarrer ein Lebensbild des Verstorbenen, wie es erhebender und schöner nicht sein kann. Dann folgte am Grabe ein militärischer Akt, der gewaltigen Eindruck machte. Die ganze Trauerversammlung nahm Aufstellung auf dem Friedhofe, in der Mitte die Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten der Guid.-Schw. - In markanter, tiefergreifender Ansprache spendete Herr Hpt. Boller der Trauerfamilie Trost und dem ihm einst Unterstellten den Abschiedsgruß.

Namens der Kameraden trug Guide Pfister einen in rührenden Versen gereimten Nachruf vor, worauf Feldw. Vogt den Ehrengruß, "drei Salven", folgen ließ. Dann schloß sich das Grab über einem zur ewigen Ruhe gebetteten guten Kameraden, einem treuen Freund und Bürger. U.


Damit verlassen wir die Bühne der Beerdigung des heute vor 100 Jahren verabschiedeten Weiachers und wenden uns dem militärischen Hintergrund zu.

Guiden und Dragoner

Meyerhofer war also ein Guide - und diese taten ihren Dienst zu Pferde. Nach Angaben auf den Webseiten der Compagnie 1861, einer historischen Sektion des kantonalen Unteroffiziersverbandes Zürich und Schaffhausen, bestand die Aufgabe der Guiden «hauptsächlich aus Melde- und Stafettendienst, Bewachung der Hauptquartiere der Divisionen sowie aus heerespolizeilichen Aufgaben». Leicht anders formuliert die Funktionsbeschreibung auf derselben Website (Beschreibung der Dragoner): «Guiden. Letztere waren für den Aufklärungs- und Heerespolizeidienst bestimmt, oder waren den Divisionsstäben zugeteilt für Kurier- und Staffettendienst». Und für solche Aufgaben nimmt man in der Regel die erfahrenen, älteren Semester. Dass die Guiden-Schwadron 36 eine Landwehrformation war, passt also ins Bild. Bei den Dragonern hingegen waren mehrheitlich Wehrmänner des Auszugs eingeteilt, denn die Dragonerschwadronen waren die Kampfverbände der Kavallerie.

Kantonale Militärhoheit

Eine Suche auf dem Schweizer Archivportal archives-online.org zeigt, dass die Guiden-Schwadron 36 entweder eine Thurgauer oder eine Schaffhauser Einheit war:
  • Staatsarchiv des Kantons Thurgau (StATG): «4'423'35: Guiden Schwadron 36, s.d. (sine dato)»
  • Staatsarchiv des Kantons Schaffhausen (StASH): «Militaria 5/370: Korpskontrolle, Guiden, Schwadron 36 und 41, Landwehr. Enthält Personalien, Details der Dienstleistungen, Beförderungen, Bemerkungen. ca. 1890-ca. 1920»
Da der Thurgauer Bestand gemäss der übergeordneten Archiveinheit nur bis ca. 1906 reicht, ist es durchaus möglich, dass die Schwadron 36 im Jahre 1915 schaffhausisch war. Genauer liesse sich das abklären, wenn die Sperrfrist des Schaffhauser Staatsarchivs nicht bis Ende 2020 laufen würde.

Wie dem auch sei: die sehr traditionsbewussten Kavallerie-Einheiten gehörten als kantonale Formationen sozusagen zu deren Kernbestand. Einen der Gründe für diese Zuordnung erklärt der Artikel zur Schweizer Kavallerie auf Wikipedia (Stand am 15. Oktober 2015):

«Die Militärorganisation von 1907 war ein Kompromiss, der dem Umstand Rechnung trug, dass die vollständige Zentralisierung des Militärwesens bei der Volksabstimmung von 1895 scheiterte. Die Kantone stellten weiterhin die Dragonerschwadronen und beschafften deren persönliche Ausrüstung. Die Militärorganisation 1907 brachte die Unterstellung der Guiden auf die sechs Divisionen (je eine Abteilung zu zwei Kompagnien).

Der Erste Weltkrieg mit seiner erhöhten Feuerkraft, den Giftgaseinsätzen und dem Umstand, dass die Dragoner während der Grenzbesetzung zu Fuss dienten, stellte die weitere Existenz der Kavallerie in Frage. 1916 waren die 24 Dragoner-Schwadronen in vier Kavallerie-Brigaden zu zwei Regimentern mit je drei Schwadronen eingeteilt. Daneben gab es zwölf Guiden-Schwadronen und acht Mitrailleur-Schwadronen. Damit wurde der Höchststand mit 6'600 Mann erreicht. 1918 musste die Kavallerie beim Generalstreik die innenpolitisch heikle Aufgabe des Ordnungsdienstes übernehmen.
»

Gerade dieser Auftrag kam nicht von ungefähr, handelte es sich doch bei den Kavalleristen meist um konservativ eingestellte Soldaten vom Land, die mit den sozialistischen Ideen der Streikenden nicht viel am Hut hatten. Fraternisierungen waren da nicht zu befürchten.

Eine Chronik aus der Stadt Zürich

Schliesslich sei noch kurz etwas zur Herkunft des Ausrisses, der Zürcher Wochen-Chronik erwähnt, die zwischen 1899 und 1918 herausgegeben wurde. Auf der Website Alt Züri steht dazu:

«Die Wochenchronik erschien als Loseblattausgabe wöchentlich am Samstag und berichtete über Amtliches, Strassenbauarbeiten, Kurioses, Unfälle, Polizeinachrichten sowie liebevolle Bildreportagen aus den Quartieren, der Region und einzelnen Bauwerken. Die Loseblattausgaben wurden dann nach Jahrgängen, pro Buch ein Jahrgang, zur Buchausgabe gebunden. Format 25.5 x 32 cm, zwischen 400-600 Seiten, je nach Jahrgang.» Als Verlag zeichnete das «Art. Institut Orell Füssli».

Wer sich weiter in die Zürcher Wochen-Chronik vertiefen möchte, findet sie im Staatsarchiv des Kantons Zürich (StAZH Dm 25; Jg. 17 (1915)), im Stadtarchiv Zürich (STAR (Zürich) Pd 3 USTAR) oder im Schweizerischen Landesmuseum (SLM Ze ZH 9).

Quelle
  • Zürcher Wochen-Chronik, Jg. 17 (1915), S. 373-374
[Veröffentlicht am 10. November 2015]

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