Dienstag, 3. September 2019

Eine Ehefrau geht nicht ohne ihren Mann ins Wirtshaus

Können Sie sich noch an den Nachruf auf Mina Moser (1911-2017) erinnern? Da habe ich unter dem 31. August 2017 geschrieben:

Sie [Mina] habe erzählt, sie hätte kurz gezögert das Restaurant zu betreten, kolportierte die Redaktorin, habe sich dann aber gesagt: «Äh ba, Mina. Du bisch über Nünzgi und es sind hüt anderi Ziite. Du gasch jetz da ine!» – Das bezog sich auf den Umstand, dass es sich in früheren Zeiten für eine Frau, die etwas auf ihren Ruf hielt, nicht schickte, sich allein (d.h. ohne männliche Begleitung) in eine Beiz zu begeben. (WeiachBlog Nr. 1349)

Über den volkskundlichen Beitrag «D Üürte» (zu hochdeutsch etwa: «Die Rechnung des Wirts») im Jahrheft 1981/82 des Zürcher Unterländer Museumsvereins (www.zumv.ch) bin ich vor etwa zwei Wochen auf die jahrhundertealten Wurzeln dieses Reflexes der bislang ältesten Einwohnerin Weiachs gestossen: ein Traktat des Zwingli-Nachfolgers Heinrich Bullinger mit dem Titel «Der christlich Eestand».

Bullinger, Der christlich Eestand, Zürich 1548 - S. 73 verso

Da heisst es doch tatsächlich: «Es sol sich ein eerenwyb hinder unn one jren Eemann nienan in kein gsellschaften, ürten oder schlaafftrünck ynlassen, und one jres manns vorwüssen unnd erloubnuß nienan hin gon, [...].»

Die Ürte war die Rechnung des Wirts für Speis und Trank. Wirtshäuser, Zunftstuben und dergleichen sollte eine ehrbare Ehefrau nur mit ausdrücklicher Genehmigung ihres Mannes besuchen.

Das war die Lehrmeinung des Antistes, des obersten Pfarrers des Standes Zürich und damit ex officio diejenige der Zürcher Kirche.

Und weil Zürich ab der Reformation zu einer Theokratie umgewandelt wurde – um nicht zu sagen: einem religiös verpackten Polizeistaat, wie man ihn heute auf der arabischen Halbinsel findet –  wurde dieses ab 1540 in mehreren Auflagen bei Froschauer gedruckte Werk schnell zur Leitlinie für die Ehegerichtsbarkeit.

Selbstverständlich war es auch auf der Zürcher Landschaft richtungsweisend: für die Pfarrherren und Stillständer (d.h. Mitglieder der Kirchenpflege), welche in den Dörfern die sittenpolizeiliche Aufsicht inne hatten.

Quelle und Literatur
  • Der christlich Eestand : von der heiligen Ee Harkummen, wenn, wo, wie unnd von wäm sy ufgesetzt und was sy sye, wie sy recht bezogen werde, was jro Ursachen Frucht und Eer, dargegen wie uneerlich die Huory und d'Eebruch sye : ouch wie man ein kommlichen Eegmahel erkiesen, eeliche Liebe, Trüw und Pflicht halten und meeren und die Kinder wol und recht ufziehen sölle / durch Heinrychen Bullingern beschriben. Zürich 1540  [https://www.e-rara.ch/zuz/content/titleinfo/798479]; Zürich 1548  [https://books.google.ch/books?id=QN5jAAAAcAAJ]
  • D Üürte. In: Volkskundliche Beiträge. 22. Jahrheft des Zürcher Unterländer Museumsvereins 1981/82 – S. 32.  
  • In memoriam Mina Moser-Nepfer, 12.3.1911-27.7.2017. WeiachBlog Nr. 1349 v. 31. August 2017.

Keine Kommentare: