Samstag, 14. November 2020

Tot schweigen gilt nicht. Zum 30. Jahrestag des Absturzes

14. November 1990 – 20:11:18 MEZ. Exakt dreissig Jahre ist es nun her. In dieser Sekunde ist die DC-9 der Alitalia im Gebiet Surgen in den Haggenberg gerast. 46 Menschen mussten in diesem fatalen Moment das Leben lassen.

Heute vor fünf Jahren habe ich geschrieben, die Weiacherinnen und Weiacher wollten die Vergangenheit ruhen lassen (vgl. WeiachBlog Nr. 1244). Aber verdrängen geht nicht. Für uns nicht. Und für die betroffenen Angehörigen erst recht nicht. Am 14. November kommt das wieder hoch. Es ist wie bei 9/11. Jede(r) weiss, was er zu diesem Zeitpunkt gerade gemacht hat.

Solche Erinnerungen bleiben im Gedächtnis, nisten sich im Unterbewussten ein. So wie die Traumata des Absturzes vom 4. September 1963 in Dürrenäsch (Flug SR 306), wo eine ganze Generation aus der Gemeinde Humlikon ums Leben kam. Die haben auch nach 50 und mehr Jahren ihre Ausläufer in die Gegenwart, vgl. dazu den eindrücklichen Film des Schweizer Fernsehens aus dem Jahre 2013.

Die Humliker hat's getroffen, die Stadler dafür verschont

Was in der SRF-Doku nicht erwähnt wird, ist der Umstand, dass an diesem 4. September nicht nur die Landwirtschaftliche Genossenschaft Humlikon den Versuchsanlagen der Dr. R. Maag AG in Coppet VD (nahe der Stadt Genf) einen Besuch abstatten wollte. Auch der Landwirtschaftliche Kreisverein, dem Stadler und auch einige Weiacher angehörten, hatte an diesem Tag einen Besuch am selben Ort geplant und wollte eigentlich auch mit der Swissair nach Genf fliegen. Da ihnen aber die Humliker beim Buchen der Plätze in der Unglücks-Caravelle zuvorgekommen waren, blieb ihnen nur die Variante, mit drei Cars ans Westende des Genfersees zu reisen (Quellen: Elsbeth Ziörjen-Baumgartner und Hans Meier, alt Gemeindeschreiber). Das Schicksal oder die göttliche Vorsehung hat die Weichen so gestellt, dass nicht unsere Nachbargemeinde getroffen wurde, sondern eine kleine Gemeinde im Weinland.

Zu tief geflogen und doch genügend hoch

Wir wissen nicht, aus welchem Grund die Maschine nur 300 und nicht 450 Meter unter dem Gleitpfad geflogen ist. Wäre letzteres der Fall gewesen, dann hätte es auch in unserem Dorf Tote und Verletzte geben können (vgl. WeiachBlog Nr. 1610 von gestern Freitag). So sind die 46 Opfer des Unglücks alle Auswärtige, die aber für immer mit unseren Annalen verbunden sind, denn ihre Namen sind samt und sonders im Weiacher Zivilstandsregister eingetragen. Aus 11 Nationen stammten sie, sagt der damals für die Registerführung verantwortliche Hans Meier (85) im Gespräch mit WeiachBlog. Er erinnere sich gut an die Kontakte in alle Welt, die mit dem Austausch der erforderlichen Formalien verbunden waren.


Das Denkmal, das an die Gefallenen erinnert. 
Mit 46 Kerzen, die von Deborah Meier zum 30. Jahrestag in der Landi und im Volg gekauft
und dort hinauf getragen worden sind. [Foto: D. Meier]

Denkmal-Pflege: Gemeinschaftsaktion Stadel/Weiach

Im Vorfeld des 30. Jahrestags haben sich die beiden Gemeinden Stadel und Weiach je hälftig an der Pflege des Denkmals und seines Umfelds beteiligt. So wurde der Bewuchs entfernt, ein neues Holzkreuz eingesetzt sowie die Inschriften auf dem Stein vom Moos befreit. Auf Ende November wird noch eine Sitzbank aus Eichenholz dazukommen (Quelle: Gemeinderat Weiach, Thomas Steinmann). 

Das sind sehr schöne Gesten von offizieller Seite. Die Gemeinde hätte den Jahrestag allerdings auch kaum vergessen können. Denn im Vorfeld gab es dem Vernehmen nach etliche Anrufe: Der scheidende Präsident der Ortsmuseumskommission, Daniel Bryner, hat WeiachBlog erzählt, dass ihn in den letzten Tagen mehrere von der Gemeindeverwaltung vermittelte Telefonanrufe erreicht hätten, wo Angehörige der Absturzopfer den Ort des Unglücks bzw. den Gedenkstein gesucht und nicht gefunden haben. Eine Anruferin habe gefragt, ob die Gemeinde einen Gedenkanlass organisiere. Nein, gedacht wird im Stillen.

Erinnerungskultur spiegelt Unternehmenskultur

Auffallend ist, wie unterschiedlich Fluggesellschaften mit ihren «Gefallenen» (Fliegende Besatzung und Passagiere) umgehen. Die Alitalia hat sich (soweit ersichtlich) nie wirklich um den Absturzort auf unserem Gemeindegebiet gekümmert – auch nicht nach Abschluss der Gerichtsverhandlungen, in welchen es um die Schuldfrage ging. Und: Das Denkmal wurde von den Hinterbliebenen errichtet. 

Anders die heutige Swiss: 1963 war es die damalige Swissair, die den oben erwähnten Absturz zu bewältigen hatte, bei den Abstürzen von 2000 bei Nassenwil und 2001 bei Bassersdorf die Swissair-Tochter Crossair. 

Die Swiss zeichnet heute noch für den Unterhalt des Denkmals auf dem Gebiet von Niederhasli verantwortlich, wie die Gemeindeverwaltung und die Media Relations der Swiss WeiachBlog gegenüber übereinstimmend erklärten. In Nassenwil will man die Toten nun (20 Jahre nach dem Absturz) ruhen lassen (vgl. Tele-Züri-Beitrag v. 10. Januar 2020).

In Bassersdorf ist die Gemeinde für den Unterhalt des Denkmals zuständig. 

Ob das eine angemessene Erinnerungskultur ist, das mögen dazu Berufenere beurteilen. Aber es wäre schon gut, wenn die Gemeindeverwaltungen von Weiach und Stadel einen Handzettel mit einer Wegbeschreibung bereithalten würden. Das wird umso wichtiger, je älter die Angehörigen der Opfer werden. Denn auf Weiacher Gebiet herrscht auf Waldstrassen Fahrverbot. Und auch von der nächstgelegenen Ortschaft Raat aus sind doch etliche Meter bis zum Denkmal am Haggenberg zurückzulegen. 

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