Sonntag, 21. Januar 2024

«Alte Poststrasse» oder «Alte-Post-Strasse»?

Das dynamische Gemälde mit dem Titel «Die Gotthardpost» ist Ihnen wohl keine Unbekannte. Es ist 1873 im Auftrag der Schweizerischen Nordostbahn entstanden und stammt von der Hand Rudolf Kollers (1828-1905).

Der Künstler Koller hielt (laut Historischem Lexikon der Schweiz) in der Nähe seines 1862 erworbenen Anwesens Zur Hornau am Zürichhorn – heute mitten in der Stadt – eigens Kühe, um sie besser beobachten zu können. Das Resultat dieser Feldstudien lässt sich sehen:

ETH-Bibliothek, Bildarchiv, Fel_080226-RE 

Alte Poststrasse über die Alpen

Bei den abgebildeten Serpentinen könnte es sich um reale Kurven der Tremola-Strasse auf der Südseite des Passes handeln. Oder um einen ihnen nachempfundenen fiktiven Strassenverlauf. 

Fakt ist: Die alte Gotthardstrasse ist auch eine alte Poststrasse, die einst möglichst ganzjährig offengehalten wurde. Im Sommer wurde der Pass mittels Postkutsche, im Winter mit einem ebenfalls mehrspännig geführten Schlitten befahren. 

Dieses Postkutschen-Erlebnis kann man auch heute haben. Nicht ganz billig zwar, aber wohl unvergesslich, vgl. https://gotthardpost.ch.

Mutmasslich mehr Punktobjekt- als Linearobjekt-Strassen

Die überwiegende Mehrheit der Verbindungen, die heute als Alte Poststrasse benannt sind, dürften sich nicht auf ein lineares Objekt (die von der Postkutsche befahrene Landstrasse) beziehen. Es sind Erinnerungsnamen, die auf ein Gebäude Bezug nehmen, in dem sich früher das Postbüro der Gemeinde oder Ortschaft befunden hat.

Allein im Kanton Zürich gibt es (laut GIS Kanton Zürich) je eine «Postgasse» in Flaach, Männedorf, Pfäffikon und Rorbas. In Adetswil (Gde. Bäretswil) findet man ein «Postgässli». Die Strassenbezeichnung «Postweg» haben Au ZH, Dielsdorf, Feldbach, Gossau, Hinteregg, Horgen,  Neerach, Ossingen, Stallikon und Winkel aufzuweisen. Zusätzlich ist je ein «Alter Postweg» in Ossingen und Ottenbach zu verzeichnen.

Weiter existiert je eine «Poststrasse» in Adliswil, Affoltern am Albis, Bachs, Bassersdorf, Bertschikon (Gde. Gossau), Birmensdorf, Bülach, Dietikon, Effretikon, Elgg, Erlenbach, Geroldswil, Humlikon, Hüntwangen, Hüttikon, Obfelden, Oetwil an der Limmat, Rheinau, Russikon, Uerikon (Gde. Stäfa), Uster, Volketswil, Wädenswil, Wald, Wettswil, Wetzikon. Auch in den beiden grössten Städten Winterthur und Zürich gibt es eine. Letztere, an der ab 1838 das Hauptgebäude der Zürcher Staatspost stand, verläuft zwischen Paradeplatz und Münsterhof.

In der Gemeinde Lindau ZH findet man neben der «Poststrasse», die quer durch den Ortsteil Winterberg verläuft, auch noch eine «Alte Poststrasse» (nahe Kemptthal). Ob es sich in einem dieser Fälle um eine Linearobjekt-Strasse handelt, sei an dieser Stelle offengelassen.

Weitere «Alte Poststrassen» wurden (laut SwissNAMES der Landestopografie) ausser in Weiach in den folgenden Ortschaften benannt: Derendingen SO, Egerkingen SO, Ellighausen TG, Flumserberg Portels SG, Frasnacht TG, Gunzgen SO, Herdern TG, Hochfelden ZH, Hüttwilen TG, Jenins GR, Matzingen TG, Menziken AG, Nidfurn GL, Niederglatt ZH, Niederweningen ZH, Schongau LU, Seuzach ZH, Siglistorf AG, Summaprada GR, Tägerig AG, Untersiggenthal AG, Villmergen AG und Winden TG. Also querbeet durch die Deutschschweizer Geografie. Mit interessanten Lücken im Baselbiet, Bernbiet und Wallis.

Mit oder ohne Bindestrich?

Auch in Amden SG, auf einer südexponierten Hanglage oberhalb des Walensees, gibt es eine solche Strasse. Die wird allerdings wie folgt geschrieben: «Alte-Post-Strasse». Im Fachjargon: Durchgekoppelt.

Die Gemeinde Amden ist bei der Benennung ihrer Strassen ziemlich konsequent vorgegangen. Da gibt es eine Dorfstrasse und eine Obere Dorfstrasse, sowie analog dazu Hagstrasse bzw. Obere Hagstrasse sowie Chloosstrasse bzw. Obere Chloosstrasse.

Was natürlich die Frage aufwirft, weshalb im einen Fall das Adjektiv «Alte» mit einem Bindestrich ans Substantiv «Post» angehängt, in allen anderen Fällen aber darauf verzichtet wird.

Die in Amden befolgte Bindestrich-Regel vertritt die Duden-Redaktion schon seit 1905 (vgl. unten). Erst 1996 wurde sie in den deutschsprachigen Ländern zur amtlichen Form erklärt. Sie lautet:

«Man setzt einen Bindestrich zwischen allen Bestandteilen mehrteiliger Zusammensetzungen, deren erste Bestandteile aus Eigennamen bestehen.» (§ 50; Weitere Erläuterungen in: duden.de).

Aus der Sicht der Amdener ist also nur «Alte Post» ein Eigenname. In den drei anderen oben genannten Fällen handelt es sich lediglich um Adjektive, die zwei Strassen (bspw. im Gebiet Chloos) voneinander unterscheiden und gleichzeitig topographisch in Beziehung setzen.

Vor Rechtschreibdiktat benannt = alte Rechtschreibung im Schweizer Stil

Warum wird dann unsere Weiacher Alte Poststrasse nicht Alte-Post-Strasse geschrieben? Weil sie bereits 1992 im Zuge der Umstellung vom Assekuranznummern auf das Polizeinummern-System benannt wurde. Das bleibt wohl auch bis auf weiteres so. 

Denn weshalb sollte sich die Gemeinde in Kosten für eine neue Strassentafel und die Änderung im Katasterplan stürzen und zugleich den Bewohnern der beiden Häuser an dieser kurzen Strasse einen Wechsel zumuten. Zumal es schweizweit auch 23 weitere Gemeinden gibt, die exakt die gleiche Schreibweise beibehalten haben.

Deutsch ist eine plurizentrische Sprache

Eine Alte-Post-Strasse findet man im GIS des Kantons Zürich nicht. Eine Alte Post-Strasse ebenfalls nicht. Nur die Schreibform Alte Poststrasse.

Schauen wir ins deutschsprachige Ausland. Da gibt es eine Alte-Post-Straße (Saarlouis, Saarland), eine Alte Post Straße (Guben, Brandenburg; an der Grenze zu Polen), und je eine Alte-Post-Straße in Albstadt-Tailfingen (Baden-Württemberg) und in der Landeshauptstadt Graz (Steiermark, Österreich).

Trotz amtlichem Verheinheitlichungswunsch: Deutsch ist immer noch eine Sprache, die je nach Region verschieden daher kommt und interpretiert wird. Da können Sprachreinheitsapostel noch lange hingehen und in Wikipedia Artikel mit dem Titel Leerzeichen in Komposita einstellen, die dann so beginnen:

«Als Leerzeichen in Komposita bezeichnet man die fehlerhafte Trennung zusammengesetzter Wörter (Komposita) durch Leerzeichen. Komposita werden gemäß der geltenden deutschen Rechtschreibung grundsätzlich zusammengeschrieben. In vielen anderen Sprachen, wie z. B. Englisch oder Türkisch, ist dies anders, insbesondere in nicht-germanischen Sprachen. Im Deutschen ist es also in der Regel falsch, Komposita getrennt, also mit Leerzeichen, zu schreiben. Umgangssprachlich abwertend werden solche Leerzeichen auch als Deppenleerzeichen bezeichnet.»

Wider den Kulturimperialismus

Diese Art von Überheblichkeit und die völlig tatsachenwidrige Vorstellung einer Rolle des Duden als einer Art sakrosankter päpstlicher Sprachlehrmeinung ist ein Paradebeispiel für den – gerade von Schweizern und Österreichern so geschätzten – grossdeutschen Kulturimperialismus.

Wie verfehlt er ist, zeigt sich ironischerweise im weiteren Verlauf desselben Artikels: 

«Mangels einer amtlichen Vorschrift wählte Duden für die 8. Auflage seines Orthographischen Wörterbuchs der deutschen Sprache von 1905 die Variante Kaiser-Wilhelms-Platz als alleinige Variante aus und begründete den Verzicht auf Leerzeichen unter anderem damit, dass sich die Variante mit Bindestrichen (Durchkopplung) bei amtlichen Benennungen wie Friedrich-Wilhelms-Universität bereits ein Übergewicht verschafft habe. 1907 übernahm Duden seine Entscheidung auch in den Buchdruckerduden.

In Österreich und der Schweiz folgte man der Entscheidung Dudens nicht und behielt Leerzeichen in mehrgliedrigen Straßennamen bis in die Gegenwart bei. In Österreich gilt im Bereich der Ämter und Behörden nunmehr die Vorgabe, dass Leerzeichen in Komposita von Straßennamen in Zukunft nicht mehr verwendet werden. In der Schweiz besteht seit 2005 die Empfehlung des Bundesamts für Landestopografie, sich an die Duden-Regel zu halten.»

Hier zeigt sich exemplarisch, wie stark das Eigenleben von Nationalstaaten mit anderer Identitätsauffassung als der aktuell gerade bundesrepublikanischen sich doch in der Praxis unterscheidet.

Rückzugsgefechte in der Stadt Zürich

Diese Unterschiede sind so lange unproblematisch, als sich keine Sinnentstellung einstellt. Zitat Wikipedia:

«Falsch gesetzte Leerzeichen können den Lesefluss stören, weil ein zusammengesetzter Ausdruck nicht sofort als solcher zu erkennen ist. Bisweilen ist der Sinn einer abweichenden Schreibung gegenüber der standardgemäßen Zusammenschreibung oder Schreibweise mit Bindestrich mehrdeutig oder verändert.»

Und gerade in der Habsburgermonarchie hat man die Welt halt schon noch anders gesehen als im Deutschen Reich:

«Als Grund für die nicht durchgekoppelte Schreibweise mit nur einem einzigen Bindestrich wurde genannt, dass in diesen Zusammensetzungen der Bindestrich die Aufgabe habe, eine selbstständige Wortgruppe mit einem anderen Wort zu verbinden.»

Und deshalb findet man in Wien (und vielen weiteren Ortschaften Österreichs und Südtirols) bis heute Schreibweisen wie Johann Nepomuk Nestroy-Platz. 

Diesem Beispiel sind verschiedene Schweizer Gemeinden gefolgt, so Basel und Zürich, was sich in Schreibweisen wie C. F. Meyer-Strasse niederschlug. Erst im Jahr 2000 wechselte unsere Kantonshauptstadt auf die Durchkoppelung nach amtlicher Vorgabe nach dem Muster Alfred-Escher-Strasse. 

Schreibweisen nach dem Muster Alte Poststrasse sind jedoch bei uns – selbst wenn sie, wie in unserem Titel, die Frage aufwerfen, was denn nun gemeint ist, die Strasse auf der früher die Postkutsche fuhr oder eben doch ein altes Postlokal? – mit sehr grossem Beharrungsvermögen ausgerüstet.

Quellen und Literatur

  • Eisernes Zeit und Frechenmätteli. Wie Zürichs Strassen zu ihren Namen kommen. Stadt Zürich, Strassenbenennungskommission, 2008.
  • Goldstein, D.: Langer Abschied von «Gottfried Kellerstrasse». Zürichs Rückzugsgefecht gegen Duden und Sprachverein. In: Sprachspiegel; Zweimonatsschrift (Hrsg.: Schweizerischer Verein für die deutsche Sprache SVDS). Bd. 68 (2012), Heft 6 - S. 173-177 [https://doi.org/10.5169/seals-422024]
  • Rat für deutsche Rechtschreibung. Das aktuelle amtliche Regelwerk 2018 online (PDF) 
  • Muschkowski, M.: Gestatten: der Bindestrich. In: Gut-geschrieben-Blog [s.d.; s.l.]

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