Dienstag, 16. Januar 2024

Weycher Wappen auf der Haut. Eine Frage der Blasonierung

Im Herbst letzten Jahres habe ich gehört, ein Weiacher jüngeren «Baujahrs» habe sich das Gemeindewappen als Tattoo stechen lassen. --- Wer hätte gedacht, dass ein Stern auf dem Zürcherschild, den man als Bürger immer mit sich herumträgt, als identitätspolitisches Statement taugt. Tribals sind also out? Auch bei den Bachser Igeln?

Wie dem auch sei: Uns ist heute klar, dass dieser Stern in gewechselten Farben auf dem Züriwappen platziert sein muss. Und achtstrahlig muss er sein. Sonst ist es kein Weycher Stern. 

Das allerdings hat man vor Jahrzehnten auch schon anders gesehen. Ginge es nach dem Muster der Gesangvereinsfahne von 1860, dann sähe das Weycher Wappen etwa so aus wie das von Dietlikon.

Acht Zacken?

Hätte man die Frage nach der Anzahl Zacken (oder nach Heraldiker-Terminologie korrekt eben «Strahlen») unseres Wappensterns einem traditionalistischen Weiacher im 19. Jahrhundert gestellt, dann wäre die Antwort ebenso klar gewesen: «Natürlich sechs!».

Bis mindestens in die 1850er-Jahre gab es in dieser Frage keine entgegenstehende Auffassung («Acht!»), die weitere Verbreitung gefunden hätte. Das begann sich erst mit der sogenannten «Krauertafel» zu ändern (vgl. Bild unten). 


Die wirkmächtige Krauertafel. Ohne sie sähe das Weiacher Wappen nicht aus, wie's heute aussieht.

Diese farbige Darstellung der Wappen aller zürcherischen Gemeinden (ohne Zivilgemeinden) «welche der in Zürich tätige Lithograph Johannes Krauer mit tiefem Verkaufspreis erfolgreich verbreitete» (Ziegler 1983), stiess in einer Zeit, als sich die Schweiz im Norden und Süden mit identitätspolitisch motivierten Gründungen von mächtigen Nationalstaaten konfrontiert sah, zunehmend auf Interesse.

Ein künstlerischer Kompromiss

Wer der vom Lithographen beauftragte Grafiker gewesen ist? Das habe ich bisher nicht herausgefunden. Jedenfalls scheint diese Person zumindest im Fall von Weiach (nicht aber von Bachs) einerseits die heraldischen Grundregeln intus gehabt zu haben (v.a. «Metall auf Metall ist verboten», d.h. hier kein goldener Stern auf dem silbernen Teil des Zürischildes, wie noch im Dekanatsbuch von 1719, fol. 98, vgl. Bild unten) und andererseits musste sie eine gewisse Einheitlichkeit in der Darstellung ebendieses Schildes über alle Gemeindewappen erreichen. 

Natürlich kann man einen sechsstrahligen Stern auch so auf den Zürischild legen, wie wir uns das heute vom achtstrahligen gewohnt sind: mit zwei in der Senkrechten ausgerichteten Strahlen. Nur muss man dann halt entweder den Stern aus dem Zentrum wegbewegen oder die Neigung der Schildteilung verändern. 

Dieser Kunstgriff fiele für sich genommen noch nicht auf. Das tut er aber, wenn sämtliche Gemeindewappen mit dieser Schildunterlage auf derselben Tafel stehen: Bachs, Bänken (Benken ZH), Brütten, Ottenbach, Rheinau, Russikon, Weiach und Zumikon. [Heute nur noch Bachs, Benken und Weiach]

Deshalb dürfte der Grafiker auf den Kompromiss gekommen sein, dass aus den sechs (vgl. das Wirtshausschild des Gasthofs Sternen) dann halt eben acht Strahlen geworden sind.

Das Weiacher Wappen auf der Krauertafel. Moderne Schreibweise des Ortsnamens
Links:  e-rara-41650                     Rechts:  e-rara-50898

Wie man oben sieht, hat die Lithographieanstalt auch gleich die moderne Schreibweise mit -i- verwendet, obwohl die Einheimischen damals noch mehrheitlich «Weyach» bevorzugt haben. In diesem Fall steht auf der Krauertafel die ab 1851 staatlich bevorzugte Schreibweise (vgl. WeiachBlog Nr. 1377).

Geschäftstüchtigkeit mit Folgen

Es ist nicht nur im Fall des Weycher Wappens so, dass sich der geschäftstüchtige Herr Krauer da einige Freiheiten herausgenommen hat. Darüber hat sich vor rund hundert Jahren bereits Friedrich Hegi beklagt:

«Das Lithographiegeschäft R. Krauer und Nötzli gab allerdings mehrfach Wappentafeln der zürcherischen Hauptgemeinden, aber mit vielen Fehlern, heraus.» (Hegi 1922, S. 230) 

Und Hegi benennt auch die Folgen dieses kommerziell konzipierten Druckerzeugnisses:

«Die heutigen Irrtümer gehen zu einem guten Teil auf die geringe Sorgfalt zurück, die von Krauer und Nötzli um die Mitte des 19. Jahrhunderts bei der Erstellung der zürcherischen Wappentafeln beobachtet worden ist.» (Hegi 1922, S. 232)

Aus welchem Jahr stammt die Ritzzeichnung?

Im Zweiten Weltkrieg wurde auf einem Hausdach im Oberdorf bekanntlich ein Ziegel mit einer eingebrannten Ritzzeichnung gefunden, die einen facettierten achtstrahligen Stern zeigt (vgl. WeiachBlog Nr. 319). 

Wenn es sich dabei um einen Weycher Stern handeln soll, dann müsste der Ziegel in den letzten Jahren der Existenz der ehemals herrschaftlichen Ziegelhütte im Bühl entstanden sein, d.h. zwischen 1850 und 1882.  Aber vielleicht hatte ja Hans Rutschmann mit seiner Klassierung «Feierabend-Kritzelei eines Ziegeleiarbeiters» doch recht.

Die Blasonierung macht keine Vorschriften über die Anzahl Strahlen

Woher der Weiacher Stern sich ableitet, das ist ja nach wie vor ein ungelöstes Rätsel. Sollte er aber vom Wappenstern der Kaiserstuhler Familie Escher (mit grossem Grundbesitz in Weiach spätestens seit 1320 und Namensgeberin des Grossen Zehnten) abstammen, dann ist der sogenannte Reichsakt vom 15. November 1499 für den Zürcher Bürgermeister Rudolf Escher von Belang. Diese Urkunde aus der Kanzlei des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation hält u.a. als Beschreibung des Wappens der Escher rechtsverbindlich fest:

«[...] diese Nahgeschribene Wäppen und Cleineot, so mit Nammen sein, Ein Blauwer oder Llasur farber schilt darinen in Mitte Ein weis glas mit Stainen und oben in dem glas Ein gelber oder goltfarber Stern [...]» (Kopie von 1619 ab dem (verschollenen) Original durch Johannes Werner Escher von Binningen; vgl. Escher 1997).

Gelber Stern auf blauem Schild

Diese Blasonierung (von frz. blason = Wappenschild) gibt klare Anweisungen zur Tingierung (d.h. der Farbgebung) des Wappens. Auch das Glas wird näher beschrieben, nämlich so, dass es nicht nur ein Noppenglas ist, sondern Steine (wohl Edelsteine) eingesetzt sind. 

Was jedoch eindeutig fehlt, sind weitere Anweisungen dazu, wie der Stern konkret auszusehen hat. Solange dessen Farbe stimmt, ist die Vorschrift erfüllt! Ein goldener Escher'scher Stern kann also so viele Strahlen haben wie er will, solange man ihn als Stern erkennen kann. 

So ist es  laut dem kaiserlichen Erlass  egal, ob es sechs oder acht Strahlen sind. Und damit wäre auch der alte Weiacher Stern, wenn er sich von dem der Escher ableiten sollte, richtig blasoniert. Ob nun mit sechs Zacken, wie traditionellerweise oder eben mit acht, wie es sich mit dem Erscheinen der Krauer'schen Wappentafel ab 1860 einzubürgern begann. Lediglich die Farbgebung (blau/silber) ist seit dem Gemeinderatsentscheid für das heutige Weiacherwappen im völligen Widerspruch zum Escherwappen.

Nur Grösse, Position und Spitzigkeit sind Ermessenssache

Um auf unseren eingangs erwähnten jungen Weiacher zurückzukommen: Der hätte wohl kaum akzeptiert, dass ihm ein sechsstrahliger Stern tätowiert worden wäre. Er wollte ja das Wappen auf der Haut. Und jeder Richter würde ihm nach Lektüre des Zürcher Wappenbuchs von Ziegler aus dem Jahre 1977 beipflichten.

Die dort für das Wappen im Dekanatsbuch gegebene Blasonierung spricht zwar fälschlicherweise von einem achtstrahligen Stern, spiegelt damit aber genau den heutigen Stand wider. Wie gross der Stern sein muss und wo er sich auf der Teilungsachse des Zürischildes befindet, das ist nicht festgelegt. Auch nicht, wie spitzig die Strahlen sein sollen. Das liegt auch nach dem Gemeinderatsbeschluss vom November 1931 immer noch im Ermessen des Grafikers. Nicht aber die Frage, wieviele Strahlen es sind: Acht.

Quellen und Literatur

  • Wappen sämmtlicher Hauptgemeinden des Kantons Zürich. Lithographie & Verlag von Krauer. Zürich um 1860. Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung. Signatur: Varia Wappen Zürich II, 8. URL: https://doi.org/10.3931/e-rara-41650; sowie Signatur: Wappen ZH. URL: https://doi.org/10.3931/e-rara-50898.
  • Hegi-Naef, F.: Glasgemälde und Wappen zürcherischer Gemeinden. In: Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 1923 (Bd. 43), Zürich 1922 – S. 230 u. 232.
  • Ziegler, P.: Kleine Wappenkunde. In: Unser Seebach. Beiträge zur Vergangenheit und Gegenwart eines Stadtquartiers. Zürich-Seebach 1983 – S. 9.
  • Escher, G. B.: Geschichte der Familie ESCHER vom GLAS. Rees am Rhein 1997 – S. 132.
  • Brandenberger, U.: Dorfzeichen, Wappen und Logo. Wie unsere Gemeinde zu ihren Erkennungszeichen kam (Teil 1). Weiacher Geschichte(n) Nr. 84. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, November 2006 – S. 11-15.
  • Brandenberger, U.: Heinrich Hedingers «Gemeinde-Wappen im Bezirk Dielsdorf»WeiachBlog Nr. 313, 13. November 2006.
  • Brandenberger, U.: Weiacherstern auf altem Dachziegel? WeiachBlog Nr. 319, 19. November 2006.
  • Brandenberger, U.: Ein roter Stern im Wappen? WeiachBlog Nr. 320, 20. November 2006.
  • Brandenberger, U.: 75 Jahre offiziell anerkanntes Wappen. Wie unsere Gemeinde zu ihren Erkennungszeichen kam (Teil 2). Weiacher Geschichte(n) Nr. 85. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Dezember 2006 – S. 14-21.
  • Brandenberger, U.: Woher kommt der Stern im Weiacher Wappen? WeiachBlog Nr. 800, 21. März 2010.
  • Brandenberger, U.: Die Schreibweise des Ortsnamens Weiach. WeiachBlog Nr. 1377, 31. Oktober 2018.
  • Brandenberger, U.: Im Wappen zwei Zacken zugelegt. WeiachBlog Nr. 1383, 26. Dezember 2018.
  • Brandenberger, U.: Weiacher Fahnen mit Turnerkreuz, Armbrust und Lyra. WeiachBlog Nr. 1432, 4. Dezember 2019.
  • Brandenberger, U.: Nicht erst Krauer legte den Weiacher Stern auf den Zürcherschild. WeiachBlog Nr. 1476, 24. Februar 2020.
  • Brandenberger, U.: Stand Weiach dem Bachser Wappen Pate? WeiachBlog Nr. 1478, 1. März 2020.
  • Brandenberger, U.: Woher kommt der Weiacher Stern? Hat er Schaffhauser Wurzeln? WeiachBlog Nr. 1481, 9. März 2020.
  • Brandenberger, U.: Geht der Weiacher Stern auf die Familie Escher zurück? WeiachBlog Nr. 1482, 11. März 2020.

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