Mittwoch, 31. Januar 2024

Blauer Luftschutz auf das Trompetensignal des Weibels

Guernica. Viele von Ihnen werden es kennen, das rund 27 Quadratmeter grosse Monumentalgemälde gleichen Namens von Pablo Picasso. Es ist nichts weniger als eine künstlerische Anklage gegen einen Anschlag auf eine kleine Nation mit einzigartiger Sprache am Golf von Biskaya.

Denn diese baskische Stadt, heute Gernika geschrieben, wurde am 26. April 1937 durch Bomber der deutschen Legion Condor und der italienischen Corpo Truppe Volontarie fast komplett zerstört. Sie war kein militärisches Ziel. Sie war das pure Gegenteil. Hier wurde mit voller Absicht ein Akt des Terrors gegen die Zivilbevölkerung verübt.

Ein Anschlag auf die Freiheit

Guernica, so sagte man, sei nicht dadurch bekannt geworden, dass es vernichtet worden sei. Es sei vernichtet worden, weil es bekannt war. Und zwar durch den sogenannten Baum von Guernica, das Symbol der baskischen Freiheit. Unter diesem Baum haben die spanischen Herrscher über Jahrhunderte hinweg gelobt, die althergebrachten Freiheiten der Basken zu achten. Guernica ist also vereinfacht gesagt so etwas wie das Rütli der Basken.

Diese Barbarei, verübt durch Truppen unserer unmittelbaren Nachbarstaaten im Norden und Süden, musste auch in der Schweiz grösste Bestürzung hervorrufen. Die Bilder der zerstörten Stadt haben jedermann unmissverständlich vor Augen geführt, was Bedrohung aus der Luft bedeutet.

Die Nachricht aus dem Baskenland war aber nur eine weitere Bestätigung für uns Schweizer, dass der im Herbst 1934 eingeschlagene Kurs richtig ist. Das Ziel: der sog. passive Luftschutz musste bis auf Gemeindeebene verankert und mit Hochdruck vorangetrieben werden.

Was ist passiver Luftschutz?

Der Bundesbeschluss betreffend den passiven Luftschutz der Zivilbevölkerung vom 29. September 1934 gibt die Erklärung. Er hebt so an, wie auch heute noch Erlasse beginnen:

«Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Art. 85, Ziff. 6 und 7, der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 4. Juni 1934, beschliesst:

Art. 1.

Der Bund sorgt für die Vorbereitung und Durchführung geeigneter Massnahmen zum Schutze der Zivilbevölkerung gegen chemische und ähnliche Kampfmittel (passiver Luftschutz), die neben der militärischen Abwehr (aktiver Luftschutz) getroffen werden.»

Es gibt also einen zivilen Schutz gegen Gefahreneinwirkung aus der Luft und einen militärischen. Dieser feldgraue Luftschutz wurde als aktiv bezeichnet, weil es da um das Beschiessen und Abschiessen von feindlichen Luftfahrzeugen geht. 

Zivilschutz-Vorläufer war Kantonsaufgabe

Der passive Luftschutz soll im Volksmund den Übernamen Blauer Luftschutz erhalten haben, weil die dafür Rekrutierten blaue Übergwändli bzw. Uniformen trugen (vielleicht ist er aber auch blauen Lampen geschuldet, vgl. die Massnahmen für die Verdunkelung unten). Zur Arbeitskleidung gehörte spätestens ab dem Zeitpunkt der Aufstellung der Ortswehren ab 1940 eine gelbe Armbinde mit Schweizerwappen. 

Quelle: Wikimedia Commons, User TheBernFiles, Heerestage 2006, Thun

Dieser (auch farbliche) Vorläufer des späteren Zivilschutzes war zwar nach vom Bund aufgestellten Grundsätzen einheitlich geregelt. Die konkrete Umsetzung bis auf Gemeindestufe hinunter delegierte die Eidgenossenschaft aber laut Artikel 4 des Bundesbeschlusses den Kantonen:

«Jeder Kanton hat den passiven Luftschutz in seinem Gebiete gemäss den eidgenössischen Vorschriften zu organisieren und für die Durchführung der Massnahmen lokaler Art zu sorgen.

Die Luftschutzorganisation ist, soweit nicht Personal öffentlicher Dienste zur Verfügung steht, durch Privatpersonen zu ergänzen.

Jedermann ist gehalten, die ihm übertragenen Verrichtungen innerhalb der Luftschutzorganisation zu übernehmen, sofern er nicht wegen anderer öffentlicher Pflichten oder aus Gesundheitsgründen daran verhindert ist.»

Luftschutz in einer kleinen Gemeinde

Lediglich in Gemeinden mit über 3000 Einwohnern wurde ein uniformierter Luftschutz gebildet. In kleineren Gemeinden genügte es offensichtlich, einen Verantwortlichen zu benennen, den Ortsführer. So war das auch in Weiach geregelt, das damals etwas über 600 Seelen zählte.

Als die Nachrichten aus dem Baskenland eintrafen, da war man bei uns luftschutzmässig bereits gewappnet. Die eigens gebildete Kommission für die Verdunkelung hatte Massnahmen ausformuliert, die per Gemeindeerlass anfangs 1937 in Kraft gesetzt wurden. Willi Baumgartner-Thut hat den gedruckten Erlass in seinem Rückblick auf das 20. Jahrhundert im Mitteilungsblatt Januar 2000 abgebildet. Hier der volle Wortlaut:

«Gemeinde Weiach, Januar 1937

Massnahmen für die Verdunkelung.

Der Befehl zur Verdunkelung wird in unserer Gemeinde durch Trompetensignal bekannt gegeben.

Alsobald sind folgende Massnahmen zu treffen:

1. Die Strassenbeleuchtung ist vollständig auszuschalten. (E.G.W.)

2. Bei sämtlichen Aussenbeleuchtungen an Häusern und auf Arbeitsplätzen, sowie bei Schaufensterbeleuchtungen sind die elektrischen Birnen zu entfernen oder die Schalter zu blockieren.

3. Bewohnte Räume (Stube, Küche, Arbeitsraum etc.) müssen durch lichtundurchlässige Stoffe so abgedichtet werden, dass kein Lichtstrahl nach aussen dringen kann. 

4. In nicht gut abgedichteten Räumen (Hausgang, Stall, Scheune, Schopf u. dergleichen.) darf nur mehr eine blau abgeschirmte Lampe unter 40 W. Lichtstärke oder entsprechend abgeschirmte Sturmlaterne benützt werden. (el. Lampen bei der E.G.W. erhältlich.)

5. In allen voraussichtlich sehr wenig benützten Räumen des Hauses mit Fenstern oder Türen nach aussen (z. B. Winde und Keller) sind die el. Birnen ebenfalls auszuschrauben. Beim Betreten dieser Räume darf nur eine Taschenlampe oder Sturmlaterne, wenn mögl. auch abgeschirmt verwendet werden.

6. Ausgänge von Wirtschaften, Ladenlokalen, Küchen etc., die direkt ins Freie führen, müssen mit einer Lichtschleuse versehen sein.

7. Beispiele über Verdunkelungseinrichtungen, Lichtschleusen, blaue Lampen etc. etc. sind im Schulhaus zu besichtigen. Bei weiteren Unklarheiten wende man sich an die Mitglieder der bestellten Kommission (Gemeinderat, Sekt.[ions]chef, Ortsführer, E.G.W.-Verwalter), auch halte man sich an die Weisungen der Luftschutzbroschüre, Seite 6 bis 8.

8. Obige Massnahmen sollen bis spätestens zum 25. Januar 1937 vorbereitet sein. Für die öffentlichen Gebäude sind die betreffenden Behörden verantwortlich. Nichtbefolgen kann lt. Strafvorschriften des Bundes mit Busse von 10.- bis 200.- Fr. bestraft werden.

Die Kommission für die Verdunkelung.»

E.G.W. ist das Kürzel der seit 1912 bestehenden Elektrizitätsgenossenschaft Weiach, in deren Akten Willi Baumgartner-Thut dieses Dokument gefunden hat. Und es wird deutlich, wie zentral die Rolle dieser Genossenschaft bei der Umsetzung gewesen ist. 

Bussgelder der Bedrohung entsprechend hoch

Bemerkenswert ist die kurze Frist von nicht einmal einem Monat für die Umsetzung der Massnahmen durch die dazu Verpflichteten. Danach hatte man für die Luftschutzübungen vorbereitet zu sein. Die Bussgeldandrohung war happig. Zehn damalige Franken sind auf heute umgerechnet über 150 Franken!

Und wohlverstanden: Das war mehr als zweieinhalb Jahre vor dem Ausbruch der heissesten Phase des Zweiten Weltkriegs im Herbst 1939. Wie sich die ganze Gefahrenlage zusammengebraut hat, das konnte man allerdings bereits Jahre zuvor erahnen, wenn man Tag für Tag lesen und hören musste, wie rücksichtslos und totalitär agierende Regierungen quer durch Europa sich in diesen Konflikt gegenseitig geradezu haben hineintreiben lassen.

Quellen und Literatur

  • Themennummer Passiver Luftschutz: Das Wohnen. Schweizerische Zeitschrift für Wohnungswesen. Offizielles Organ des Schweizerischen Verbandes für Wohnungswesen und Wohnungsreform. Heft 2, Februar 1937
  • Massnahmen für die Verdunkelung. Abbildung (s/w), siehe: Baumgartner-Thut, W.: Jahrhundertwechsel, Rückblick in unserer Gemeinde. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Januar 2000, S. 11-15 (hier: S. 12 unten)
  • Brandenberger, U.: Als dunkle Zeiten verdunkelte Nachtzeiten verlangten. WeiachBlog Nr. 1689, 8. Juli 2021.

Keine Kommentare: