Die Grenzfüsilierkompanie V/269, bei welcher der Weiacher Lehrer und Ortschronist Walter Zollinger als Wachtmeister seinen Aktivdienst geleistet hat, war um den Jahreswechsel 1944/45 nicht mehr im angestammten Kaiserstuhl, sondern am Kraftwerk Rheinsfelden und bei Eglisau stationiert.
Am 27. Dezember musste die Kompanie in Stadel mobilisieren. Der langjährige Bataillonskommandant Grossmann verabschiedete sich an diesem Tag von der Kompanie und übergab sein Kommando an den Generalstabshauptmann Pfenninger.
Kaum eingerückt, schon Ernstfall
Am nächsten Tag war die V. Kompanie dann bereits im Grenzschutzeinsatz. Unter dem 28. Dezember 1944 – also heute vor 80 Jahren – schrieb ihr Kompaniekommandant folgenden Tagebucheintrag:
Bestand: 3 Of, 101 Uof + Soldaten, 6 HD [HD = Hilfsdienst]
Wetter: kalt, sehr schön.
Arbeit nach Tagesbefehl. Die Arbeit an den Waffen hat gezeigt, dass die Mannschaft solche bis auf wenige Ausnahmen noch gut beherrscht. [Anmerkung: Hoffentlich auch, sie wurde ja erst am 12. Oktober desselben Jahres aus einem Ablösungsdienst entlassen und nun folgte schon der nächste.]
Hr. Hptm. Pfenninger besucht die Kp. [gehört sich so für einen neuen Bataillonskommandanten]
Die Kp. V/269 nimmt Verbindung auf mit der Flabgruppe 108. [Das war also das für den Raum Eglisau/Hüntwangen zuständige Flab-Detachement. In Weiach stand zur selben Zeit die Schwestereinheit mit der Nr. 104, vgl. WeiachBlog vom 26. Dezember]
Brückenköpfe wurden streng bewacht
1515 meldet sich auf der Wache ein deutscher Wehrmachtsangehöriger. [Elsässer]. Er wird verpflegt und in Verwahr genommen. Übergabe an die Kantonspolizei.
Die zu diesem Satz gehörende Randbemerkung «Viadukt Nord» ist besonders wertvoll. Sie zeigt nämlich an, wo genau sich dieser Wehrmachtssoldat gestellt hat. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am nördlichen Ende der Eisenbahnbrücke über den Rhein, die Teil der 1895-97 erstellten Linie Eglisau-Neuhausen ist. Also in unmittelbarer Nähe der Station Hüntwangen-Wil und der Wagendecken- und Wachstuch-Fabrik Stamm & Co (mehrheitlich auf Eglisauer Boden).
Ein Malgré-nous setzt sich ab
Dieser letzte Eintrag zum 28.12. steht für eine Tragödie der besonderen Art. Hier ist nicht ein Deutscher desertiert, sondern ein Soldat in deutscher Uniform, der sich mutmasslich von Hohentengen her durch den Wald über die Grenze ins Rafzerfeld geschlagen hat.
Dieser Elsässer war ein Malgré-nous. Das ist die Bezeichnung für rund 130'000 zwangsweise in die deutsche Wehrmacht und die Waffen-SS eingezogene deutschsprachige Franzosen aus Elsass-Lothringen, die sich nach dem Krieg dem Verdacht ausgesetzt sahen, mit dem Feind gemeinsame Sache gemacht zu haben. Es gab aber nur wenige Freiwillige. Die überwiegende Mehrheit sahen sich als Soldat wider Willen, malgré-nous eben.
Gegen die Haager Landkriegsordnung
Das Gebiet Elsass-Lothringen war zwar im Mai 1940 von den Deutschen besetzt, jedoch nicht per Annexion ins Deutsche Reich integriert worden. Dagegen sprach der Umstand, dass der deutsche Aussenminister von Ribbentrop noch 1938 eine Vereinbarung mit den Franzosen getroffen hatte, wonach Deutschland keine territorialen Ansprüche an Frankreich habe (also insbesondere nicht das von 1871 bis 1918 zum Reich gehörende Reichsland Elsaß-Lothringen).
Aus diesem Grund war auch die Rekrutierung rechtlich unzulässig. Dies kann man aus der Internationalen Übereinkunft betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (sog. Haager Landkriegsordnung) vom 29. Juli 1899, ableiten:
Art. 44: Es ist verboten, die Bevölkerung eines besetzten Gebietes zur Teilnahme an den Kriegsunternehmungen gegen ihr eigenes Land zu zwingen.
Art. 45: Es ist verboten, die Bevölkerung eines besetzten Gebietes zu zwingen, der feindlichen Macht den Treueid zu leisten.
Und deutsche Soldaten wurden ja bekanntlich auf Adolf Hitler persönlich vereidigt. Für elsässische Zwangsrekrutierte also auf den Führer der Besatzungsmacht.
Umkämpftes Elsass
Am 23. November hatte die 1. Französische Armee Strassburg erreicht, am 25. November Mülhausen (Mulhouse; vgl. die Karten zum Artikel Kämpfe um Elsass und Lothringen (1944). Diese Vorstösse dürfte der Deserteur mitbekommen haben.
Man kann ihm nicht verdenken, dass er nicht gegen die Franzosen (und damit gegen Elsässer, die auf der anderen Seite mitkämpften) in den Einsatz geschickt werden wollte. Das machte seinen Entscheid leichter, das Risiko auf sich zu nehmen, als Deserteur gefangengenommen und erschossen zu werden.
Den Deutschen gelang es zwar zwischen dem 31. Dezember 1944 und 25. Januar 1945 (sozusagen als Nebenkriegsschauplatz der Ardennenoffensive) noch einmal, rund 40 % des Elsass einzunehmen. Von langer Dauer waren diese Geländegewinne allerdings nicht.
Quelle und Literatur
- Tagebuch Gz Füs Kp V/269. Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#1875*.
- Tagebuch Flab Bttr 108, 1942-1945. Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#3119*.
- Neukom, Th.: Eisenbahnviadukt (Eglisau, 1897). In: Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, 74 (2007), S. 88-89.
- Kunz Bolt, Ch.: NOK-Kraftwerk Rheinsfelden-Eglisau (Glattfelden 1915/20). In: Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, 74 (2007), S. 116-117.
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