Wie kommt eine Gemeinde mit knapp 1000 Einwohnern überhaupt dazu, Polizeibelange in sage und schreibe 76 Artikeln (den noch zu erstellenden Anhang mit Bussenverzeichnis noch gar nicht eingerechnet) regeln zu wollen?
Gemeinde für Ortspolizei zuständig
Freiwillig macht sie das nicht. Das Gemeindegesetz (GG) vom 6. Juni 1926 verpflichtet in § 74 GG mit dem Titel «Ortspolizei» jede zürcherische Gemeinde dazu, eine Polizeiverordnung zu erlassen:
«1 Dem Gemeinderat steht neben den ihm durch andere Gesetze überwiesenen Aufgaben insbesondere die Besorgung der gesamten Ortspolizei zu. Er sorgt für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung und für die Sicherheit von Personen und Eigentum gegen Schädigungen und Gefahren jeder Art und trifft alle Vorkehren für die richtige Erfüllung der Aufgaben der Ortspolizei auf allen Verwaltungsgebieten.
2 Die Gemeinde erlässt zu diesem Zwecke eine Polizeiverordnung.»
«Gute Policey»
Was hier als «Polizei» bezeichnet wird, ist nicht die heute im landläufigen Sinne des Wortes gemeinte uniformierte Truppe mit Blaulicht und Sirene. «Polizei» wird hier in einem viel umfassenderen Sinne verstanden:
«In der Frühen Neuzeit erließen die Obrigkeiten in Europa eine Vielzahl von Gesetzen, die unter dem Begriff der "guten Policey" die Ordnung des Gemeinwesens herstellen sollten. Dieser neue Typus staatlicher Ordnungsgesetzgebung reglementierte nahezu alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft und zielte auf soziale Kontrolle und Disziplinierung.[...]
Im Zusammenwirken mit informellen Kontrollmechanismen konstituierten Policey und Strafjustiz in der Vormoderne ein System formeller Sozialkontrolle, das die flexible Sanktionierung devianten Verhaltens ermöglichte und damit die "gute Ordnung des Gemeinwesens" sicherstellte.» (Max-Planck-Inst. f. europ. Rechtsgesch.)
Es geht also um den Versuch der in der Neuzeit ab 1500 aufkommenden Territorialstaaten, von der gewünschten Norm deviantes, d.h. abweichendes Verhalten mittels Sanktionen zu unterbinden. Für die Durchsetzung dieses Willens brauchte die Obrigkeit Funktionäre, eben Polizisten. Deshalb spricht man auch von Feuerpolizei, Gewerbepolizei, etc.
Zweck und polizeiliche Generalklausel
Ganz im Sinne der Vorgabe, für die Durchsetzung von law and order zu sorgen, ist auch der Zweckartikel der neuen Weiacher Polizeiverordnung formuliert:
«1 Diese Verordnung dient der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, der Wahrung der Sicherheit von Personen, Tieren und Eigentum sowie dem Schutz der Umwelt auf dem Gebiet der politischen Gemeinde Weiach.
2 Sie ergänzt die Gesetzgebung von Bund und Kanton. Weitere Vorschriften des eidgenössischen und kantonalen Rechts bleiben vorbehalten.» (Art. 1 PolVo-E Weiach: Zweck)
Damit diesem Zweck entsprechend bei Auftauchen unerwarteter, in der Verordnung nicht explizit erwähnter Gefährdungen von Ruhe und Ordnung diesen sofort entgegengetreten werden kann wird - eben im Sinne der «guten Policey» - eine generelle Ermächtigung für die Funktionäre der Ortspolizei erteilt:
«1 Die Polizei trifft auch ohne besondere gesetzliche Grundlage unaufschiebbare Massnahmen, um unmittelbar drohende oder eingetretene schwere Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abzuwehren oder zu beseitigen.
2 Der Austausch von Daten zwischen kommunalen Amtsstellen und den Polizeiorganen ist gestattet, soweit es für die Erledigung ihrer Aufgaben erforderlich ist.» (Art. 3 PolVo-E Weiach: Polizeiliche Generalklausel)
Quellen
- Gemeindegesetz (GG) vom 6. Juni 1926.
- Webseite Gute Policey und Policeywissenschaft des Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte. (Download am 6.5.2011).
- Polizeiverordnung der Politischen Gemeinde Weiach. Entwurf vom 1. Mai 2011.
1 Kommentar:
Ich war in den 70er Jahren Stationierter der KAPO in Weiach.
Jeder Stationierte hatte fuer seine Stationszeit die Stationschronik nachzufuehren. Die bei der Kantonspolpolizei einsehbaren Stationschroniken sind gute Quellen fuer polizeihistorische Belange.
Herbert Schuhmacher
(Jetzt in Neufundland/Kanada wohnhaft
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