Samstag, 2. November 2024

Bundesrat nimmt Ängste der Bevölkerung nicht ernst

Vor etwas mehr als zehn Jahren, da zählte die Gemeinde Weiach lediglich knapp unter 1100 Einwohner. Heute hat fast die doppelte Anzahl ihren zivilrechtlichen Wohnsitz auf Gemeindegebiet angemeldet. Eine beispiellose Entwicklung.

Was sich auf der lokalen Ebene abspielt, war in diesem letzten Jahrzehnt auch das beherrschende Thema unseres Bundesstaates: Der Dichtestress und die ethnokulturellen Folgen von massiven Migrationsströmen, die das Land aus allen Nähten platzen lassen.

Die Nerven liegen blank

An dieser Stelle bringt WeiachBlog eine Rückblende auf einen am 2. November 2014 publizierten, als Analyse bezeichneten Artikel mit dem Titel «Der Bundesrat taktiert gefährlich». Verfasst hat ihn die Tages-Anzeiger-Journalistin Janine Hosp. Sie hätte auch den Begriff «ideologisch» verwenden können. Denn genau eine solche Haltung ist in Politik und Verwaltung damals wie heute weit verbreitet. 

Wir erinnern uns: Die Führungsfiguren in diesem Bereich – Hosp nennt sie «Polit-Establishment» – hatten am 9. Februar 2014 eine schwere Niederlage kassiert. An diesem Abstimmungssonntag wurde die Volksinitiative  «Gegen Masseneinwanderung» mit 50.3 % Ja-Stimmen angenommen. Ein metapolitischer Erfolg der SVP, der dieser «classe politique» höchst ungelegen kam. Zumal bereits im Spätherbst die nächste Vorlage migrationspolitischer Art zur Abstimmung anstand: die Volksinitiative «Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen», die sogenannte Ecopop-Initiative. Die Nerven lagen sichtlich blank:

«Fast täglich geben Bundesräte in diesen Wochen Interviews, debattieren im Fernsehen und treten vor Delegierte. Und sagen immer das Gleiche: Alles bleibt gut, wenn das Volk nur nicht Ja sagt zur Ecopop-Initiative. Sobald sie sich aber zur Initiative selber äussern dürfen, verschärft sich der Ton. ­SP-Bundesrat Alain Berset sagte vor seinen Delegierten: «Ecopop ist ­schlimmer als ein Verbrechen, es ist ein Fehler.» Und SP-Bundesrätin ­Simonetta Sommaruga sagte in dieser Zeitung, es sei fremdenfeindlich, diese Initiative zu unterstützen.»

Fremdenfeinde?

Umweltschützer, die eine Überbevölkerung diagnostizieren, sind also verkappte Xenophobe? Mit diesem Totschlagbegriff wird bedacht, wer das neoliberale Mantra des «No borders, no nations» nicht nachbeten will. Denn da gibt es eine durchaus unheilige Allianz zwischen Linken aller Couleur und knallharten Business-Interessen von multinational tätigen Grosskonzernen, die sich in dieser Angelegenheit in die Hände arbeiten. Hosp wendet sich in ihrem Kommentar (denn das ist die «Analyse» eigentlich) gegen dieses Narrativ. Sie diagnostiziert «begründete Ängste»:

«Sie [die Bundesräte] scheinen nicht zu verstehen. Die meisten Sympathisanten der Initiative sind weder fremdenfeindlich gesinnt, noch wollen sie mit ihrer Stimme ein Verbrechen unterstützen. Die meisten haben einfach Angst. Angst, dass ihr Land so verbaut wird, dass es ihnen nicht mehr vertraut ist. Angst, dass sie aus ihrer Wohnung geworfen werden und keine mehr finden, die sie bezahlen können; im Gegensatz zu den Mieten sind die Löhne kaum gestiegen.

Vor allem aber haben sie Angst, dass sie ihre Arbeit verlieren und ersetzt werden durch junge Europäer mit zwei Hochschulabschlüssen, zehn Jahren Berufserfahrung und bescheidenen Lohnforderungen. Sie befürchten, dass sie in einem Alter eine Arbeit suchen müssen, in dem sie viel zu jung sind, um pensioniert, und zu alt, um angestellt zu werden. Dass sie Dutzende von Bewerbungen schreiben müssen, die von Computern in Polen kalt aussortiert werden. Oder dass sie, sollten sie sich doch einmal vorstellen dürfen, Bücklinge vor dem jungen Personalassistenten machen müssen.»

Wenn wir nun – zehn Jahre später – zurückblicken, dann stellen wir fest, dass die Bundespolitik in trauter Komplizenschaft mit der Verwaltung die konkrete Umsetzung des Kerngehalts der  Masseneinwanderungsinitiative mit allen möglichen Winkelzügen zu umgehen versucht. Auch auf die Gefahr hin, der Politikverdrossenheit noch weiter Vorschub zu leisten. Niemand kann bestreiten, dass im Wesentlichen eingetreten ist, was Hosp da skizziert hat. Auch und gerade Weiach ist von den Folgen dieser Entwicklung mit voller Wucht erfasst worden. 

Die Schere öffnet sich immer weiter

Obwohl im ganzen Land gebaut wird wie wild, reicht der Wohnraum hinten und vorne nicht, wenn Wirtschaft und Politik derart viele Einwanderer ins Land locken. Dieser Umstand ist dem Establishment völlig klar. Die einzige Herausforderung besteht darin, dass der implizite Imperativ «Parieren und bezahlen» weiterhin funktioniert, ohne einen Volksaufstand zu riskieren. Keine einfache Angelegenheit, damals wie heute nicht. Hosp weiter:

«Die Ängste sind begründet. Die OECD stellte kürzlich fest, dass in der Schweiz ältere Personen bei der Einstellung tatsächlich diskriminiert werden und die Zahl älterer Arbeitsloser steigt. Nur wenige Tage später kam das McKinsey Global Institute zum Schluss, dass der Bevölkerung im Grossraum Zürich und Basel 1 Milliarde Franken pro Jahr fehlt, um die Miete jener Wohnung bezahlen zu können, die sie braucht. Die enorme Nachfrage nach Arbeit und Wohnraum hat dazu geführt, dass Arbeitgeber und Hausbesitzer diktieren und verdienen, Arbeitnehmer und Mieter parieren und bezahlen. Die Politiker können noch lange drohen und die düstersten Szenarien prophezeien, falls die Initiative angenommen würde – in den Augen vieler sind sie längst eingetroffen. Aber nicht, weil die Zuwanderung zu tief wäre, sondern zu hoch.»

Auch hier hat sich die Entwicklung in gleicher Weise fortgesetzt. Und das eingangs eingeführte Polit-Establishment versucht nach wie vor die unausweichliche Folge auszublenden: Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende älterer Personen im Erwerbsalter, die ausgesteuert sind und daher in der Arbeitslosenstatistik praktischerweise nicht mehr gezählt werden.

Verheerende bundesrätliche Studie

Dieses wachsende Heer an Schattenarbeitslosen ist wohl eine der gefährlichsten politischen Zeitbomben der Gegenwart. Das sind nämlich in aller Regel auch Stimmberechtigte. Und die werden immer wieder daran erinnert, dass man den Prognosen und Beteuerungen des Bundesrates nicht über den Weg trauen darf:

«89'500 Personen netto sind letztes Jahr in die Schweiz eingewandert. Eine Studie, die der Bundesrat vor der Abstimmung zu den bilateralen Verträgen im Jahr 2000 in Auftrag gegeben hat, prognostizierte 10'000 – im Extremfall. Ecopop will sie bei 16'000 festsetzen. Die Wirtschaft hat sich nach der Finanzkrise zwar als überraschend stabil gezeigt. Wenn die Zuwanderung aber so drastisch reduziert würde, würde sich ihr Wachstum nicht einfach etwas verlangsamen. Die Wirtschaft hätte ein Problem. Viele Schweizer haben zwar nicht direkt von den bilateralen Verträgen profitiert und glauben, dass sie auch nichts verlieren, wenn es sie nicht mehr gäbe. Aber es könnte noch schlimmer kommen.

Im Vergleich zu Ecopop erscheint das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative nicht mehr als das grosse Unglück, das es für viele ist. Sie lässt der Wirtschaft einen grösseren Spielraum, und die Bevölkerung muss nicht zwingend ein zweites Mal ein Zeichen setzen. Sie hat bereits am 9. Februar ihren Unmut darüber gezeigt, dass der Bundesrat auf Druck der Profiteure der Zuwanderung viel zu lange zugewartet hat, die Ventilklausel zu aktivieren.»

Wie lange lässt sich das Volk das noch bieten?

Rückblickend muss man sich die Frage, ob das Vertrauen des Stimmbürgers darauf, dass sein am 9. Februar 2014 gesetztes Zeichen in der Politik verstanden und in entsprechende Handlungen umgesetzt werde, nicht schmählich verraten worden ist, eigentlich gar nicht mehr stellen. Eine höchst gefährliche Entwicklung. Denn es sind gerade die staatstragenden Elemente des Mittelstandes, die sich de facto in eine Art Biedermeier der inneren Emigration zurückgezogen haben. Noch machen sie die Faust im Sack. Nur: wie lange noch? Hosp schliesst ihren Kommentar jedenfalls mit dem Zwischentitel «Aus Trotz dafür» und schreibt:

«Bei einem derart sensiblen Thema wie der Zuwanderung und einer so folgenschweren Abstimmung wie Ecopop würde man erwarten, dass Bundesräte mit viel Gespür für die Befindlichkeit der Bevölkerung agieren. Das Gegenteil ist der Fall: Statt dass die Magistraten deren Ängste ernst nähmen, tun sie so, als wäre alles bestens, alles kein Problem, und stellen sie gar als Fremdenfeinde hin. Das könnte sich am­ 30. November rächen. So mancher Stimmende könnten [sic!] auf die bundesrätliche Offensive so reagieren wie ein Leserbriefschreiber des TA: Ihm hänge die ewige Schönrederei der Regierung zum Hals raus, schreibt er. Er werde zum Trotz für die Initiative stimmen. Christoph Blocher sagte kürzlich in dieser Zeitung, Ecopop sei gefährlich. Die Taktik der Bundesräte ist es auch.»

Die 74.1 % Nein-Stimmen am 30. November 2014 sind wohl ein weiteres Mal als willkommener Anlass genommen worden, den Volkswillen taktierend missverstehen zu dürfen. Affaire à suivre.

Quelle
[Veröffentlicht am 11. August 2025 um 11:01 MESZ]

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