Dienstag, 18. Juli 2023

Zwetschgenbäume durften die Pfarrscheune nicht gefährden

Mittlerweile kann man die Weiacher Einwohner, die älter sind als er, an einer Hand abzählen. Willi Baumgartner-Thut, geboren am 8. November 1930, ist das, was man einen Ur-Weycher nennen darf. Er wohnt, seit er sich erinnern kann, an der Winkelstrasse 7.

In seinen ersten Lebensmonaten war das allerdings noch nicht so. Sein Vater Johannes (geb. 1894) hat dieses Gebäude samt verschiedenen dazugehörenden landwirtschaftlichen Parzellen erst am 19. Mai 1931 kaufen können. Und zwar im Rahmen einer freiwilligen Versteigerung, wie die sog. «Eigentumserwerbs-Urkunde», d.h. ein Grundbuch-Auszug aus dem «Grundprotokoll Weiach Bd. 34, pag. 362», ausweist.

Freiwillige Gant war noch erlaubt

Nach heutiger Rechtslage wäre eine solche freiwillige Gant verboten (zumindest bezüglich der landwirtschaftlichen Flächen, vgl. Art. 69 BGBB, erlaubt sind lediglich amtlich angeordnete Zwangsversteigerungen), damals war sie noch möglich. 

Die Verkäuferin, «Wwe. [Witwe] Verena Meierhofer, geb. Meier, Wagners», muss eine Tochter desjenigen Heinrich Meier gewesen sein, der 1921 als Eigentümer der heutigen Friedhofparzelle 256 auf einem Plan des Kirchenbezirks eingetragen ist (vgl. WeiachBlog Nr. 1754).

Keine Parzellennummern, sondern Nachbarn benannt

Zu diesem heutigen Wohnhaus Winkelstrasse 7 (1922 für 23'000 Franken assekuriert, was nach Swistoval HLI aktuell rund 350'000 CHF entsprechen würde) gehörten auch «ca. 33 Aren 35 m2 Hofraum, Garten und Baumgarten in obern Luppen oder im Winkel, grenzend: 1. an die Strasse, 2. an Rud. Baumgartner, 3. an das Pfarrhaus und die Kirche, 4. an Jak. Schenkel, Küfer, Heinr. Griesser u. an den Fussweg.» Hier wird also aus dem Grundbuch nicht wie heute eine Parzellennummer entnommen, sondern eine Marchenbeschreibung samt Nennung der Nachbargrundstücke bzw. deren Eigentümer nach althergebrachter, jahrhundertealter Sitte.

Auf dem aktuellen Katasterplan sieht man, dass das Grundstück 256 lediglich 12.65 Aren umfasst. Um auf die oben angegebene Fläche zu kommen, müssen die Parzellen 256, 255, 259 und 1561 (abzüglich des Gebäudegrundrisses) in Anschlag gebracht werden. 

Mit der Strasse ist also die Winkelstrasse gemeint, Rud. Baumgartner war der Eigentümer des Grundstücks 1560 (heute: Schreinerei Schmid André), im Uhrzeigersinn anschliessend folgt die Parzelle 258, auf der das Pfarrhaus und die Pfarrscheune (Büelstr. 19) stehen. Parzelle 472 ist die Kirche, dann folgen die Liegenschaften Luppenstrasse 6 (ehemals Chüefers) und Luppenstrasse 8 (ehemals Beck-Griessers). Der Fussweg ist der heutige Friedhofweg, der im östlichen Teil einen etwas anderen Verlauf hatte als heute..

Dienstbarkeit zugunsten des Staates

Im Grundbuch eingetragen war laut der «Eigentumserwerbs-Urkunde» auch die nachstehende «Grunddienstbarkeit ad ca. 16 Aren»:

1. Bei allfälligen Reparaturen der Pfarrscheune haben die Arbeiter den Zutritt in diesen Baumgarten; die in diesem acht Schuh von der Scheune entfernt stehenden Zwetschgenbäume sollen stets so gestutzt werden, dass sie weder über das Dach, noch an die Wand der Scheune hinaufreichen, und dem Oeffnen der Ballen [mutmasslich die Fensterläden] nicht hinderlich sind; Neue Bäume dürfen nicht näher als 20 Fuss gegen die Marken des Staates gesetzt werden.

2. Die Grenze zwischen dem Baumgarten und der Scheune zieht sich einen Fuss von der Mauer jener entfernt durch und ist durch Marksteine bezeichnet. Der offene Raum auf dieser Linie darf nicht durch einen Grünhag von Seite des Staates geschlossen und das Dachwasser durch obigen Baumgarten abgeleitet werden. 

Der jeweilige Besitzer dieses Baumgartens hat das Ableiten des Dachwassers ab der Kirche in denselben zu gestatten.

Anzunehmen ist, dass der Zürcher Staat (als Eigentümer der Pfarrscheune) wie auch die Kirchgemeinde Weiach (als Eigentümerin der Kirche) beide dasselbe Recht auf Ableiten des Dachwassers ihrer Gebäude in Anspruch nahmen. Auch wenn im Falle des ersteren die Formulierung durch die oben gewählte Verkürzung missverstanden werden könnte.

In welchem Jahr diese Dienstbarkeiten errichtet wurden, ist bislang nicht geklärt.

Quelle

  • Grundprotokoll Weiach, Bd. 34. Signatur: StAZH Z 811.257. Originaltitel: Pfandbuch für die Gemeinde (Quartier) Weiach. Band 34. Angelegt und abgeschlossen von Notar August Angst (Amtszeit 1918-1954). Mit Register. Entstehungszeitraum: 09.1925 - 07.1936.

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