Dienstag, 25. Juli 2023

Unbeleuchtetes Fuhrwerk auf der Hauptstrasse gerammt

Für die Jahreschronik 1956 musste Walter Zollinger unter der Rubrik Schulwesen einen Nachruf auf einen seiner eigenen Schüler verfassen:

«Ein ganz schwarzer Tag für uns Schüler und Lehrer wurde der 5. November dieses Jahres. Walter Hauser, Schüler der 8. Klasse, verunfallte am Abend ca. 18.00 Uhr auf der Heimfahrt vom Feld so schwer, dass er in der darauffolgenden Nacht an innern Verletzungen starb. Walter war ein ruhiger, aber frohgemuter Bursche, ein allzeit hilfsbereiter Kamerad gegenüber jüngern Mitschülern und ein uns Lehrern gegenüber offenes Gemüt. Es ist wirklich schade um diesen tapfern Kameraden und das Mitleid mit den schwergeprüften Eltern, die ihren Aeltesten so unerwartet rasch verlieren mussten, ist im Dorf ein wirklich ehrliches und allgemeines; das zeigte die grosse Beteiligung an der Beerdigung des Knaben am 8. November.»

Unter diesem Text hat der Chronist einen Zeitungsausschnitt zu diesem Verkehrsunfall eingeklebt, den er jedoch (wie leider bei Zollinger häufig anzutreffen) weder mit einer Herkunftsangabe, noch mit einem Datum versehen hat. Der Artikel dürfte aufgrund seiner Ausführlichkeit in einer der von ihm abonnierten regionalen Unterländer Zeitungen publiziert worden sein, d.h. dem Zürcher Unterländer, dem Zürichbieter oder dem Bülach-Dielsdorfer Volksfreund (der ab Juni 1957 unter dem Titel Neues Bülacher Tagblatt erschien):

Immer wieder das unbeleuchtete landwirtschaftliche Fahrzeug

«Am Abend des 5. November 1956, ca. 18.00 Uhr, fuhr der in Weiach wohnhafte Landwirt Hauser Edwin mit seinem von zwei Kühen gezogenen Pneuwagen auf der Glattfelderstrasse gegen seine Behausung in Weiach.. Auf dem mit Gras beladenen Wagen, an welchem auch noch ein Pflug angehängt war, hatte auch sein 14-jähriger Sohn Platz genommen. Trotz vollständiger Dunkelheit, war das Fahrzeug nicht beleuchtet und die beiden am Brückenwagen angebrachten Veloschilder aus dem Jahre 1952 erwiesen sich als wirkungslos. Ein von Glattfelden her in gleicher Richtung fahrender Personenwagen bemerkte das vorerwähnte Gefährt zu spät und prallte mit voller Wucht auf den Pflug und den Pneuwagen auf. Durch den Aufprall wurde der Knabe Walter nach rückwärts vom Fahrzeug geschleudert und erlitt durch den Sturz und den Aufprall auf den Pflug eine Oberschenkelfraktur rechts. Im weitern erlitt eine Insassin des PW leichtere Rippenquetschungen und der Lenker des Fuhrwerkes musste sich mit Schürf- und Quetschwunden in ärztliche Behandlung begeben. Der Knabe ist inzwischen seinen Verletzungen erlegen.»

Gleicher Unfall, andere Folgen. Sagt die Agenturmeldung.

Liest man nun die in der nationalen Tagespresse erschienenen Kurzmeldungen zu demselben Vorfall, dann reibt man sich die Augen. Denn da werden gleich mehrere Eckdaten anders dargestellt:

«Dielsdorf, 8. Nov. ag  In Weiach stieß am Montagabend ein Pferdefuhrwerk, dem ein Pflug angehängt war, mit einem Auto zusammen. Auf dem Pflug saß der vierzehnjährige Walter Hauser. Er mußte schwer verletzt ins Spital gebracht werden, wo er starb. Ein kleinerer Knabe, der ebenfalls auf dem landwirtschaftlichen Gefährt mitfuhr, erlitt Verletzungen.»

So steht es in der Abendausgabe der Neuen Zürcher Zeitung vom 8. November 1956 auf Seite 2.

Bis auf redaktionelle Anpassungen identische Kurznachrichten erschienen am 9. November in den Freiburger Nachrichten unter der Rubrik «Unglückschronik» (S. 2) sowie am selben Tag im «Zürcher Spiegel» der Migros-Zeitung Die Tat (S. 6).

Rindvieh oder Pferde als Zugtiere?

Ein heftiger Zusammenstoss. Immerhin darüber besteht kein Zweifel. Aber schon bei der Anzahl der Verletzten und deren Alter hört die Einigkeit auf. Von einem Schwer- und zwei Leichtverletzten spricht der ausführliche Artikel. Die Kurzmeldung erwähnt hingegen nur verletzte Kinder und Jugendliche. Kein Wort von verletzten Erwachsenen. 

Auch was die Zugtiere betrifft, könnte die Uneinigkeit nicht grösser sein. Ob es nun Kühe oder Pferde waren, das wird man hoffentlich einem allfällig noch vorhandenen Polizeirapport entnehmen können. Mutmasslich kam Paul Weilenmann, der in diesen Jahren in Weiach stationierte Kantonspolizist, bei der Aufnahme der Situation auf der Glattfelderstrasse zum Einsatz. Er dürfte dem Unfallort schliesslich am nächsten gewesen sein. [Nachtrag vom 25.7.2023, 09:55: Laut Zollinger hat Weilenmann erst am 1. Mai 1961 seine Stelle angetreten. Danach müsste es sich eher um seinen Vorgänger Ernst Elmer gehandelt haben (G-Ch Weiach 1961, S. 19)]

Sollten es wirklich Kühe gewesen sein, dann wäre Edwin Hauser wohl zu den ärmeren Weiacher Landwirten zu zählen, die es sich nicht leisten konnten, auf einen Traktor umzusatteln (und denen zuvor auch die Mittel gefehlt hatten, Pferde als Zugtiere zu halten). Bei ihnen mussten die Kühe neben der Milch- auch eine Zugleistung erbringen. Und in diesem Fall offenbar ihr Futter selber vom Feld in den Stall ziehen. 

Folgt man Zollinger, so sind die letzten Viehfuhrwerke allerdings noch in den 50er-Jahren faktisch aus dem Weiacher Strassenbild verschwunden (vgl. WeiachBlog Nr. 680). [Nachtrag vom 25.7.2023, 10:55: Auch Erwin Griesser erinnert sich noch gut daran, wie er mit der Kuh Rösi ins Feld gefahren sei, z.B. zum Eggen. Sie sie über 17 geworden und habe den Heimweg selbstständig gefunden.]

Nachtrag 1: Bekannter Unfallschwerpunkt

Nach der Lektüre des obigen Textes hat sich Erwin Griesser gemeldet. Er sagt, der Unfall sei an der Einmündung zur Luppenstrasse passiert, einem Ort, wo sich mehrere schwere Unfälle ereignet haben. Dort habe man nämlich als Autofahrer aufgrund der Kurvenlage ein allfälliges Hindernis erst zu spät im Schweinwerferlicht gehabt. 

Wenn es so gewesen ist, dass das Fuhrwerk der Hausers bei der Traversierung der Hauptstrasse seitlich gerammt wurde, dann würde das mit zur Erklärung beitragen, weshalb die (mutmasslich am Heck des Brückenwagens montierten) Velonummern in diesem Fall wenig bis nichts geholfen haben.

Nachtrag 2: Reflektierende Fahrrad-Kennzeichen

Warum es ausgerechnet Velokennzeichen des Jahrgangs 1952 waren? Auf velonummer.ch findet man heraus, dass der Regierungsrat des Kantons Zürich ab diesem Jahrgang die Verwendung von reflektierenden Scotchlite-Folien beschlossen hat. Die Nummern wurden übrigens von der Firma Güller in Hüttikon hergestellt, derselben Firma, die auch die Weiacher Milchmarken geprägt hat (vgl. WeiachBlog Nr. 1211).

Quellen und Literatur
  • Regierungsratsbeschluss v. 11. Januar 1951. Signatur: StAZH MM 3.82 RRB 1951/0106.
  • Agenturmeldungen in der NZZ v. 8.11.1956 sowie den Freiburger Nachrichten und Die Tat vom 9.11.1956.
  • Immer wieder das unbeleuchtete landwirtschaftliche Fahrzeug. [sine loco, sine dato]
  • Zollinger, W.: Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1956 - S. 12. Typoskript in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach 1956.
  • Brandenberger, U.: Zugvieh vor 50 Jahren verschwunden. WeiachBlog Nr. 680 v. 1. Oktober 2009.

Keine Kommentare: