Mittwoch, 2. August 2023

Ein Vierteljahrhundert Pendeln Oerlikon–Weiach, 1927-1952

In der Gemeinde Weiach sind Arbeitsplätze traditionellerweise nicht gerade dicht gesät. So kommt es, dass viele Einwohner Wegpendler waren und sind, wenn sie sich nicht zum Wegzug entschieden haben.

Die umgekehrte Pendelrichtung ist selten anzutreffen. Im 16. Jahrhundert gab es diese bereits, als der auf die Weiacher Pfarrstelle gewählte reformierte Prädikant über ein halbes Jahrhundert hinweg jeweils zu Fuss aus der Stadt Zürich nach Weyach kommen und daselbst predigen musste. Denn bis 1591 gab es in unserer Gemeinde weder ein Pfarrhaus noch ein für einen Pfarrherrn zum Leben ausreichendes Pfrundgut. Es wundert daher nicht, dass uns diese Pfarrer im Durchschnitt nur wenige Monate erhalten blieben.

Den SBB sei Dank

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts konnte man sich ein Arbeitspendeln aus der Stadt in die Nordwestecke des Kantons schon eher vorstellen, denn da gab es ja seit 1. August 1876 eine Bahnverbindung. Trotzdem ist es bemerkenswert, wenn jemand ein Vierteljahrhundert lang diese Strecke regelmässig unter die Räder nimmt, wie Walter Zollinger in der Jahreschronik 1963 berichtet:

«Erwähnen darf man sicher auch, dass in Zürich-Oerlikon in der ersten Juniwoche unsere langjährige, frühere Arbeitschul-Lehrerin, Frau Berta Stegmüller-Bachmann, im 82. Altersjahr gestorben ist. (Siehe Chronik 1952!). Frau Stegmüller kam während der langen 25jährigen Amtszeit allwöchentlich 2-3 mal von Oerlikon per SBB hieher. Sie amtete ebenfalls im benachbarten Zweidlen-Glattfelden.» (G-Ch Weiach 1963, S. 17) 

Noch bemerkenswerter wird es, wenn man sich vergegenwärtigt, dass auf der Linie Koblenz–Eglisau bis 1945 ausschliesslich mit Kohle befeuerte Dampflokomotiven unterwegs waren. Im Zweiten Weltkrieg war Kohle Mangelware, was zu massiven Fahrplaneinschränkungen geführt hat (vgl. WeiachBlog Nr. 1539 über die Notelektrifikation).

Mit 70 war die Altersgrenze für Nähschullehrerinnen erreicht

Und da uns Zollinger gerade explizit (und mit Ausrufezeichen) auf die Jahreschronik 1952 hinweist, sei hier auch die entsprechende Stelle aus dem Abschnitt «Schulwesen» wiedergegeben:

«Weiach führt innert seiner Gemarkung "nur" eine Primarschule mit 2 Abteilungen (Elementarschule 1.-3. Kl.) (sog. Oberschule 4.-8. Kl.). Diese beiden Abteilungen zählten 1952 zu anfang des neuen Schuljahres je 30 Schüler. An der Elementarabteilung arbeitete von 1906 bis 1952, somit volle 46 Jahre lang, Fräulein Luise Vollenweider aus Langnau a. Albis. Die oberen Klassen leitet seit 1919, also "erst" während 33 Jahren der Unterzeichnete [d.h. Walter Zollinger]. An der Nähschule unterrichtete seit 1927 und damit auch schon 25 Jahre, Frau Berta Stegmüller aus Zürich-Oerlikon. 

Dieses treue Ausharren der Lehrkräfte während Jahrzehnten im kl. Bauerndorf steht in wohltuendem Gegensatz zur sonst leider üblich gewordenen Landflucht der meisten jungen Lehrerinnen und Lehrer in den umliegenden Nachbarorten. Man darf daraus wohl auch gute Schlüsse auf Schulbehörde und Elternschaft unserer Gemeinde ziehen.

Als neue Lehrkraft an die Unterschule wurde von der Erziehungsdirektion Herr Kurt Ackerknecht geb. 1925 aus Zürich "gesandt" und an die Nähschule kam Fräulein Verena Schnydrig geb. 1931 aus Bülach, da Frau Stegmüller ebenfalls infolge Erreichung des 70. Altersjahres zurücktreten musste.» (G-Ch Weiach 1952, S. 9)

Mit dem Jahr 1952 ging also das Wirken von gleich zwei langjährigen Lehrkräften zu Ende. Die Primarschulgemeinde verlieh fünf Jahre später ihrer Dankbarkeit durch eine freiwillige Ergänzungszulage zum Ruhegehalt Ausdruck. Für Frau Stegmüller betrug diese 100 Franken pro Jahr (vgl. WeiachBlog Nr. 370).

Quellen

  • Zollinger, W.: Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1952 – S. 9. Weiach, Sommer 1954. -- Typoskript in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach 1952.
  • Zollinger, W.: Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1963 – S. 17. Weiach, November 1964. -- Typoskript in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach 1963.

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