Sonntag, 6. August 2023

Strasse unwichtig. Die Eisenbahn wird alles übernehmen.

Am heutigen Datum vor genau 150 Jahren wurde im Regierungsratszimmer über ein Gesuch der Gemeinde Weiach verhandelt. 

Die Weiacher Stimmberechtigten waren unzufrieden mit der Korrektur der Kaiserstuhlerstrasse, die im Gefolge der Errichtung der Eisenbahnlinie im Bereich der neuen Station Weiach-Kaiserstuhl nötig wurde. Insbesondere die Kurve am Südostende des neuen Bahnhofgeländes, an der Stelle, wo seit 1924 das Haus Allenwinden steht (ehemals Kaiserstuhlerstrasse 45, heute Dörndlihag 7) stiess auf Ablehnung: zu starke Biegung!








Situation vorher (Wildkarte 1850er-Jahre) vs. nachher (Siegfriedkarte 1880er-Jahre)

Nur so wenige Anpassungen wie nötig, bitte!

Die Experten und Beamten der Kantonsverwaltung wollten das aber ganz anders sehen und empfahlen der Regierung, auf das Begehren nicht einzutreten. Und so kam es dann auch. Nachstehend der Entscheid im vollen Wortlaut:

«In Sachen der Gemeinde Weiach, betreffend Korrektion der Straße I. Klasse daselbst,  

hat sich ergeben:  

A. Gemäß Beschluß der dasigen Gemeindsversammlung vom 6. Juli d. Js. gelangte der Gemeindrath Weiach mit dem Gesuch an den Regierungsrath, es möchte die Richtung der Straße I. Klasse, Weiach–Kaiserstuhl bis an die Kantonsgrenze verbessert und die Straße soweit sie es bedarf, einer Korrektion unterworfen werden. Bei der im Bau begriffenen Eisenbahnlinie Winterthur–Koblenz sei die Anlage der Station Weiach–Kaiserstuhl ungefähr in der Mitte zwischen beiden Ortschaften projektirt und es werde bei Abänderung der Straße durch die schweiz. Nordostbahngesellschaft rechts derselben eine große Kurve abgeschnitten. Durch diese Aenderung, die bereits in Ausführung begriffen, sei aber am Ende der neu angelegten Strecke gegen Weiach hin eine neue ziemlich starke Biegung entstanden, so daß hauptsächlich da eine Verbesserung wünschbar werde.»

Von den Bundesbehörden genehmigter Plan der Nordostbahn (Quelle: vgl. WeiachBlog Nr. 1784)

«B. Die Straßeninspektion berichtet: Die Nordostbahn war genöthigt die Straße Weiach–Kaiserstuhl auf ca 1 600‘ Länge zu verlegen, wodurch die stärkste auf derselben bestehende Ausbiegung abgeschnitten wurde, jedoch keine größere Verkürzung als ca 80‘ resultirte. Die gerügte Biegung am Ende dieser Korrektion gegen Weiach hat einen Radius von 100 Mtr. oder 333 1/3‘. Es kann daher von einer starken Biegung keine Rede sein. Eine ganz gleiche Biegung besteht auch am untern Ende der Korrektion und sodann eine weit stärkere beim Eintritt der Straße in den Kanton Aargau, die durch eine durchgehende Korrektion ohne Beitritt der aargauischen Straßenbehörde nicht vermieden werden könnte. Wie in der Eingabe richtig bemerkt, betrüge die Länge der zu korrigirenden alten Straße ober- und unterhalb der Bahnstation ca 3000‘. Die Kosten für diese Korrektion: technische Vorarbeiten, Expropriation, Erdarbeit, Mauerwerk, Steinbett & Anschaffung des Straßenmaterials müßten sich mindestens auf Fr. 8000 belaufen. Habe die Straße für den frühern sehr starken Verkehr zwischen Basel und Winterthur etc. genügt, so werde sie als bloße Zufahrtsstraße zur Bahnstation auch genügen. 

C. Die Direktion der öffentlichen Arbeiten berichtet: Da die Gemeinde Weiach bei der Planaufnahme durch die Nordostbahngesellschaft sich nicht veranlaßt gefunden hat, Einwendungen gegen die Straßenkorrektion als Zufahrt zur Station zu machen, die Straßenverlegung nach dem genehmigten Plane aber noch eine Abkürzung und eine Verbesserung der Niveauverhältnisse aufweist, im Uebrigen die Straßenstrecke als Landstraße durch die Erstellung der Eisenbahn an Bedeutung verloren hat, so dürfte zur Zeit die Abweisung des Gesuches gerechtfertigt sein.  

Der Regierungsrath, 

nach Einsicht eines Antrages der Direktion der öffentlichen Arbeiten,  

beschließt:  

1. Sei das Gesuch der Gemeinde Weiach abgewiesen.  

2. Mittheilung an den Gemeindrath Weiach und an die Direktion der öffentlichen Arbeiten unter Rückstellung der Akten und Pläne.»

Wer zu spät kommt...

Über die Beweggründe der beiden Kontrahenten (Weiacher vs. Verwaltung) kann man ohne Einsicht in weitere allenfalls noch vorhandene Unterlagen, z.B. das Gemeindeversammlungsprotokoll, nur spekulieren. Jedenfalls wurde den Weiachern ihr gemächliches Entscheidungstempo zum Verhängnis. Das hat den Weiacher Gemeinderat aber nicht daran gehindert, auch künftig seinen eigenen Fahrplan zu verfolgen (vgl. WeiachBlog Nr. 1783).

Verhandeln mit den Aargauern zwecklos

Dass die Strasseninspektion hier die Meinung vertritt, mit der Aufnahme des Bahnverkehrs werde die Strasse ihre bisherige Bedeutung für den Warenverkehr weitgehend einbüssen und aus der heutigen Hauptstrasse 7 werde eine «bloße Zufahrtsstraße zur Bahnstation» werden, war bereits zwanzig Jahre früher eine akzeptierte Auffassung. (Die lag durchaus auch im Interesse der Nordostbahn. Je mehr Güter auf der Bahn transportiert werden, desto besser rentiert auch der Betrieb der neuen Eisenbahnlinie.)

Ihre abwehrende Haltung dürfte aber auch und vor allem an den Erfahrungswerten liegen, die man bereits 1851/52 mit dem Nachbarkanton gewonnen hat (vgl. WeiachBlog Nr. 1725).

Die ihr vorgesetzte Direktion hat diese Einschätzung übernommen, wenn auch abgeschwächt. Und immerhin offengelassen, dass sich die Situation (und damit die Einschätzung) später auch noch ändern könnte. 

Blosse Zufahrtsstrasse? Die Strasse boomt und der Schienenverkehr ist ein Schatten seiner selbst. Je länger, je mehr.

Quelle und Literatur 

  • Gede Weiach, abgewies. Gesuch um Correcktion [sic!] d. Straße I. Kl. das. -- Regierungsratsbeschluss vom 6. August 1873. Signatur StAZH MM 2.201 RRB 1873/1871
  • Brandenberger, U.: Hauptstrasse durchs Städtchen Kaiserstuhl? Planung von 1851/52. WeiachBlog Nr. 1725 v. 19. August 2021.
  • Brandenberger, U.: Landwirtschaftliche Arbeiten vor Eisenbahnangelegenheiten. WeiachBlog Nr. 1783 v. 29. Januar 2022.
  • Brandenberger, U.: Poststrasse muss Eisenbahn Platz machen, Detailplan 1873. WeiachBlog Nr. 1784 v. 30. Januar 2022.

Keine Kommentare: