Sonntag, 28. April 2024

Not in my backyard? Bauprojekt Asylunterkunft unter der Lupe

Am 11. April fand – noch kurzfristig per Banner auf der Gemeindewebsite nachbeworben – eine Informationsveranstaltung der Gemeinde statt (vgl. WeiachBlog Nr. 2072). 

Am darauffolgenden Samstag dann der Bericht des ZU-Journalisten Astrit Abazi mit einem unmissverständlichen Lead-Text (eine Art Zusammenfassung direkt unter dem Titel):

«Weiach muss insgesamt fast 1,5 Millionen Franken für zwei Bauprojekte investieren. Über die neue Asylunterkunft muss aber zuerst die Gemeindeversammlung befinden.»

Mehrheitlich aus der Ukraine

Platzmangel, so Abazi weiter im Artikel, herrsche nun nicht mehr nur bei der Schule, sondern auch im Asylbereich. Derzeit würden 26 Personen in der Gemeinde Weiach untergebracht, davon 17 mit Status S, «mehrheitlich aus der Ukraine». Das seien sieben mehr als vor einem Jahr, als das zu übernehmende Kontingent noch bei 19 Personen lag.

Mehrheitlich? Erklärung: «Der Schutzstatus S wurde 1998 als Reaktion auf die Fluchtbewegungen im Zuge der Balkankriege eingeführt. Erstmalig aktiviert wurde er allerdings erst im März 2022 für Geflüchtete aus der Ukraine.» (Quelle: Schweizerische Flüchtlingshilfe)  Status S bedeutet, dass der Aufenthalt auf 1 Jahr begrenzt ist (mit Verlängerungsmöglichkeit) und frühestens nach 5 Jahren ein B-Ausweis erlangt werden kann (vgl. Art. 4 AsylG und Kapitel 4 desselben Gesetzes).

Seit Juni letzten Jahres müssen Gemeinden im Kanton Zürich pro 100 Einwohner 1.3 Asylanten übernehmen. Und schon im Juli 2024 steigt die Quote auf 1.6 Prozent. Was nach Andreas Brüngger, dem zuständigen Gemeinderat, 34 Personen entsprechen dürfte. Abazi zitiert ihn so: «Der heutige Platz reiche dafür nicht mehr aus, und die kommenden Jahren werde es noch enger.»

Oberdorfstrasse 9 fällt aus 

«27 Jahre lang konnte Weiach die Asylsuchenden günstig in einer privaten Liegenschaft unterbringen. Der Besitzer habe nun allerdings Pläne, diese zu sanieren, weshalb gleich mehrere Plätze ausfallen. Nachdem mehrere Anfragen an Privatpersonen erfolglos geblieben waren, entschied man sich für eine Bauvariante.»

Damit ist auch klar, wie dramatisch die Lage im Asylbereich der Gemeinde wirklich ist. Schlimmer als man aufgrund der Suche nach Wohnraum (vgl. die Aufrufe im MGW und auf der Website der Gemeinde) annehmen musste. Anstelle des alten Bauernhauses (ex Wiesendanger) wird dort wohl ein weiteres Wohnobjekt im Hochpreissegment entstehen, wie es mit dem Ersatzbau auf der benachbarten Parzelle in den letzten Monaten vollendet wurde.

Was nun für die Asylanten gebaut werden soll

In den Worten Abazis: «Die vergleichsweise günstige Unterkunft soll vier Kleinwohnungen mit zwei Schlafzimmern, eigenem Badezimmer, Küche und Aufenthaltsraum haben. Diese teilen sich jeweils vier Personen, womit total 16 Personen Platz hätten. Die Investitionskosten betragen 490'000 Franken, die jährlich wiederkehrenden Kosten liegen bei rund 95'000 Franken. Bei Bedarf könne man gleich nebenan eine weitere ähnliche Unterkunft bauen und damit die Kapazität verdoppeln.»

Also vier Mal eine Dreieinhalb- bis Vierzimmerwohnung. Ob der Preis von CHF 490'000 angemessen ist, das darf die Rechnungsprüfungskommission genauer unter die Lupe nehmen. Unübersehbar ist jedenfalls, dass dieser Betrag bereits über 20 Prozent mehr ausmacht als die CHF 400'000, die der Gemeinderat für 2024 ursprünglich budgetiert hatte (und die damals schon von der RPK als überrissen angeprangert wurden, vgl. WeiachBlog Nr. 2018).

Ich bin auch eine Sozialwohnung

Diese Wohnungen, so Gemeinderat Brüngger auf Nachfrage von WeiachBlog, könnte man, wenn sie denn kurzfristig frei seien, auch als Sozialwohnungen vergeben. Was gut tönt, denn an bezahlbarem Wohnraum und erst recht an Wohnungen für ältere und sozial schwächere Einwohnerinnen und Einwohner mangelt es in Weiach ja bekanntlich nicht erst seit gestern. 

Wie die Realität dann aussieht, das steht auf einem ganz anderen Blatt. Wie oben erwähnt: Geringer wird der Zustrom bei der aktuellen Weltlage garantiert nicht, dafür sorgen allein schon die von Bundesrätin Baume-Schneider angeschobene Afghanistan-Policy und der Entscheid, Asylbewerber quer übers ganze Land zu verteilen.

In der Landwirtschaftszone soll es sein. Aber wo?

Über die Frage, wer als Flüchtling anerkannt wird, muss der Gemeinderat sich keine Gedanken machen. Das liegt ausserhalb seiner Kompetenz. Erheblichen Entscheidungsspielraum hat er aber in der Frage, wo die zu errichtende Asylanten-Unterkunft zu stehen kommt.

Der Kanton habe es den Gemeinden erlaubt, auch Parzellen in der Landwirtschaftszone nach geeigneten Plätzen für solche Asylunterkünfte zu prüfen, erklärte Gemeinderat Brüngger gegenüber WeiachBlog. Die Beantwortung der Frage, wie ein solcher Freibrief mit Art. 24 RPG in Einklang zu bringen ist, würde einen separaten Artikel erfordern.

Was sonst nur landwirtschaftlich tätige Bauherren mittels langwierigem Bewilligungspapierkrieg erwirken können (nämlich das Bauen ausserhalb der Bauzone), das wird nun also für Asylsuchende im Handumdrehen genehmigungsfähig gemacht. Es gehe ja, so die implizit darin verpackte Begründung, nur um eine vorübergehende Besetzung dieser Fläche zu Wohnzwecken. Wie vorübergehend, das liegt dann allerdings nicht einmal in der Hand des Bundesrates.

Nein, nicht bei der ARA

Der Gemeinderat Weiach ging nun also auf die Suche nach einem geeigneten Standort. Laut Brüngger habe man auch die Parzelle 513 am Rhihofweg mit der ehemaligen kommunalen Abwasserreinigungsanlage in Betracht gezogen. Davon sei der Gemeinderat aber wieder abgekommen, weil dort die Integration nicht sichergestellt sei. So kam der Rat zu einem Beschluss, den Abazi so formuliert: 

«Als Standort hat man sich für eine Parzelle in der Nähe der Gleise beim Bachweg entschieden.»

Der Bachweg beginnt dort, wo die Büelstrasse nach Südosten abbiegt, verläuft an der ehemaligen Post (Bachweg 2; heute Kita-Standort) vorbei und ennet der Hauptstrasse am Westufer des Dorfbachs entlang bis zur Bahnlinie, dann nach Westen dem Bahndamm folgend, bis er nach einer Kurve bei den fleischfarbenen Blöcken am Dammweg in den Rhihofweg einmündet.

Ausschnitt aus dem Plan der Amtlichen Vermessung

Wieso nicht auf Gemeindeland?

In dieser letzten Kurve, auf den Parzellen 61 und 62, soll sie also zu stehen kommen, die neue Unterkunft. Nr. 61 gehört der Unterhaltsgenossenschaft Weiach (einem gesetzlich vorgesehenen Zusammenschluss aller Eigentümer von Landwirtschaftsparzellen auf Gemeindegebiet), die Nr. 62 einer Privatperson aus Bassersdorf.

Auf Nachfrage von WeiachBlog erläuterte Gemeinderat Brüngger, weshalb nicht die im Eigentum der Gemeinde stehenden (ursprünglich für das Projekt The Bridge angekauften) Parzellen an der Sackgasse mit dem Namen Bedmenweg (östlich des Rhihofwegs) zum Standort der Asylunterkunft werden sollen. Für diese Flächen wolle man die Handlungsfreiheit bewahren. Logisch, die sind ja auch in der Bauzone.

Integration, oder doch Soziale Kontrolle?

An der Informationsveranstaltung gab diese Platzierung zu reden, wie Abazi berichtet: «Das Projekt wurde von einigen der Anwesenden kritisch betrachtet. Einige Personen äusserten Bedenken über die Nähe zum Siedlungs- und Naherholungsgebiet. Der Gemeinderat erwiderte, dass man mit den untergebrachten Personen in den vergangenen Jahren nie Probleme gehabt habe. Weitere Weycherinnen und Weycher stimmten dem zu und waren der Meinung, dass die Nähe zum Dorfkern sogar die Integration fördern würde.»

Nimmt man diese Aussage des Gemeinderats zum Nennwert, dann stellt sich allerdings schon die Frage, weshalb man dann ausgerechnet einen Standort am Bahndamm auswählen musste. Es gibt doch rund um den alten Dorfkern etliche Landwirtschaftsflächen, auf denen man Asylunterkünfte platzieren kann. 

Warum in Neu-Weiach und nicht beim alten Dorfkern?

Warum hat sich der Gemeinderat nicht beispielsweise für die Parzelle 890 entschieden, die vom Leiacherweg (Feldweg) und dem Gartenweg (einem geteerten Fussweglein) begrenzt wird? Ist das etwa zu nahe am Haus des Gemeindepräsidenten? Zu nahe am Schulareal? Gibt es also doch Probleme mit Asylanten?

Selbst wenn die Befürchtung, der Verkehrswert der eigenen Liegenschaft könnte leiden, aus der Luft gegriffen sein sollte: um eine materielle Enteignung handelt es sich allemal. 

Es stellen sich brisante Fragen:

1. Warum sind Stockwerkeigentümer am Dammweg in dieser Hinsicht sozusagen Bürger zweiter Klasse? 

2. Warum wird den Bewohnern der Überbauung Dammweg sozusagen die Sozialkontrolle über die ennet dem Rhihofweg platzierten Asylanten zugeschoben?

Brisanter Platzierungsentscheid. Vorabinformation für die Dammwegler?

Hier handelt es sich also um einen klassischen Nimby-Entscheid (Not in my backyard), wie ihn die Weiacher Dorfgemeinschaft als Ganzes in den letzten Jahrzehnten mehrfach über sich hat ergehen lassen müssen. 

Stichworte dazu: Einrichtung der Flugschneise zur Blindlandepiste vor bald 50 Jahren. Probebohrung NAGRA in den 80er-Jahren. Inertstoffdeponie in der Nordgrube der Weiacher Kies AG. Und jüngst: Entscheid Tiefenlager mit Oberflächenanlage im Haberstal bei Windlach. Kurz: Weiach ist der Abfallkübel für den Rest des Kantons bzw. der Schweiz. So kann man das zumindest sehen.

Bei diesem Erfahrungsrucksack müsste der Gemeinderat eigentlich entsprechend sensibilisiert sein. Ist er das auch? Hat er ein partizipatives Verfahren gewählt, das die Bevölkerung proaktiv einbezieht? Das Problem mit dem mangelnden Wohnraum für Asylanten zeichnet sich ja schliesslich nicht erst seit gestern ab. Von einem solchen offenen Verfahren ist (zumindest für mich) nichts zu erkennen.

Hat der Gemeinderat wenigstens die Einwohner am Dammweg über seinen Entscheid vorab informiert (d.h. VOR dem Informationsanlass)? Wurden die dortigen Eigentümer in die Planung der neuen Asylunterkunft involviert? Oder werden sie es wenigstens jetzt?

Am 11. Juni geht es auch um Gerechtigkeit

In der Gemeindeversammlung vom 11. Juni, an der es laut «Zürcher Unterländer» um den Baukredit für das Asylantenheim geht, steht damit nicht nur eine Abstimmung über eine weitere Finanztransaktion auf der Traktandenliste.

Nein, diese Abstimmung ist auch und vor allem ein Plebiszit über die Frage, welcher Dorfgegend die zusätzlichen Lasten aufgebürdet werden, die es laut dem Gemeinderat gar nicht gibt.

Nachtrag MGW Mai 2024

In der Mai-Nummer des Mitteilungsblatts der Gemeinde Weiach (online veröffentlicht am 29. April um 09:09) ist auf den Seiten 6 und 7 unter «Diverses» die Sichtweise des Gemeinderates zu den Kernaussagen der Informationsveranstaltung abgedruckt.

Quelle und Literatur

  • Abazi, A.: Weiach braucht dringend Asylunterkünfte und Klassenzimmer. In: Zürcher Unterländer, 13. April 2024 – S. 5.
  • Brandenberger, U.: RPK hält Steuerfusserhöhung 2024 für rechtswidrig. WeiachBlog Nr. 2018, 5. Dezember 2023. 
  • Brandenberger, U.: Wär nöd gnau luegt oder kä Zyt het, dä het gha? WeiachBlog Nr. 2072, 5. April 2024.

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