In der bisherigen historischen Literatur über Weiach wird querbeet die Auffassung vertreten, der Freiherr Jakob von Wart habe am 8. Februar 1295 die Niedergerichtsbarkeit über Weiach an den damaligen Fürstbischof von Konstanz, Heinrich von Klingenberg, verkauft – und zwar die ganze Niedergerichtsbarkeit. Ein Ende Juli 2025 aufgetauchtes Regest lässt daran zweifeln.
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Die herrschende Lehrmeinung findet man beispielsweise bei Kaspar Hauser in seinem 1896 gedruckten Aufsatz «Die Freiherrn von Wart», erschienen als «Neujahrs-Blatt der Stadtbibliothek in Winterthur auf das Jahr 1897/98». In der Einleitung, S. 6, zählt er verschiedene Besitzungen auf, darunter «[...] der Meierhof samt den niedern Gerichten in Weiach, alles Konstanzer Lehen, [...]». Hauser geht also davon aus, dass es sich bei der Transaktion lediglich um den Heimfall eines schon länger dem Fürstbistum gehörenden Lehens handelte.
Eine – bis auf den letzten Punkt – ähnliche Auffassung vertritt sinngemäss auch Martin Illi, der Autor des Artikels Weiach im Historischen Lexikon der Schweiz, Stand 11. Januar 2015. Er schreibt explizit:
«1295 verkaufte Jakob von Wart die niedere Gerichtsbarkeit seines Meierhofs in Weiach sowie die über das Dorf Weiach dem Bischof von Konstanz. Im 16. Jahrhundert verpfändete Konstanz seine Rechte zur Hälfte; 1605 kaufte es sie wieder zurück.»
Unklar ist, wie Illi auf das 16. Jahrhundert kommt, wo andere Autoren (wie Leu's Lexicon, Bd. X, S. 14) von der Mitte des 15. Jahrhunderts ausgehen. Dieser Punkt soll hier aber nicht weiter erörtert werden.
Gilt «Teilverpfändung und Rücknahme» noch?
Nachstehend geht es um die Frage, ob die bisher gängige Vorstellung zutrifft, wonach die Hälfte des Niedergerichts lediglich vorübergehend in den Händen Dritter gelegen habe (namentlich für das 15. bis 17. Jahrhundert bisher bekannt: Heggenzer von Wasserstelz und danach Herren von Landsberg).
Diese Sichtweise geht implizit davon aus, dass die ungeteilte Niedergerichtsbarkeit ab 1295 dem Fürstbistum gehört habe, es sie zu einem späteren Zeitpunkt teilverpfändet und später wieder zurückgenommen habe.
Bekannt ist (spätestens seit Publikation des Rechtsquellen-Bandes Neuamt im Jahre 1996), dass 1352 eine Teilung der Niedergerichtsrechte vorgelegen haben muss. Das zeigt sich an der Urkunde mit der Signatur StAZH C II 6, Nr. 769. Darin ist ein Angehöriger des Geschlechts der Freiherren von Tengen als einer von zwei Gerichtsherren genannt. Nach oben ausgeführter Auffassung wären die Tengener damit Pfandnehmer oder Lehensnehmer gewesen.
Offenbar doch keine Verpfändung!
Nachdem der Verfasser dieses Beitrags im Juli 2025 auf ein Regest zu StAZH C II 6, Nr. 504.6 gestossen ist, sieht die Sachlage doch etwas anders aus. Unter Ziffer 2 ist da nämlich zu lesen:
«Die Gerichtsherrlichkeit zu Weiach (Weyach) gehört zu einem halben Teil dem Bischof; der andere halbe Teil gehört nicht lehensweise, sondern als Eigentum dem Inhaber von Wasserstelz und ist erbweise von Escher an Heggentzer und danach an die von Landsberg (Landtsperg) gefallen, welche ihn dem Bischof zum Kauf angeboten haben. [Kaufbrief: 1605; C II 6, nr. 469].»
Das zugrundeliegende Dokument, eine undatierte Zusammenstellung von Berichtigungen des fürstbischöflich-konstanzischen Obervogts Andreas Zwyer von Evebach, die zwischen 1597 und 1605 entstanden ist, pulverisiert die bisherigen Vorstellungen.
Folgt man dieser Darstellung, dann sind sowohl die Freiherren von Tengen wie später das Kaiserstuhler Bürgergeschlecht der Escher (das möglicherweise dem Ministerialadel entstammt), dann die Schaffhauser Patrizier Heggenzer sowie schliesslich die Herren von Landsberg jeweils aus eigenem Recht heraus ebenso Eigentümer einer Hälfte der Gerichtsbarkeit gewesen wie der Fürstbischof selber.
Inhalt der Originalurkunde von 1295 neu analysiert
Der in Latein abgefasste Originaltext der Urkunde dürfte von der fürstbischöflichen Kanzlei zu Konstanz aufgesetzt worden sein. Man kann das daraus schliessen, dass die verwendeten Formeln sich sehr stark ähneln:
«Noverint igitur universi tam posteri quam presentes [...] quod ego corpore et mente sanus [...]» lautet die Formulierung in einer Urkunde vom 23. September 1301 (Chartularium Sangallense, Bd. 5, S. 33) als Cünradus dictus Furst de Künzemberg nobilis von seinen Rechten an den Fürstbischof abtritt.
Die sechs Jahre ältere Weiacher Urkunde lautet an derselben Stelle wie folgt:
«Noverint universi tam posteri quam presentes, quod ego pure ac liberaliter omne ius michi competens in iurisdicione // et districtu curie villicatus dicte Wiach, site prope Kaiserstůl, et in villa Wiach, que iurisdicio getwinch et ban wlgariter appellatur, trado, dono et confero venerabili patri H. dei gratia Constantiensi episcopo nomine et vice ecclesie sue Constantiensis» (UBZH N° 2323; VI, 289; StAZH C II 6, Nr. 466, 8. Februar 1295; Unterstreichung durch WeiachBlog)
Weiter geht aus dem Regest in REC Bd. 2, Nr. 2930 hervor, der Verkäufer (Freiherr Jakob von Wart) behalte «sich die zur zeit von dem bauer (colonus) seiner besitzungen in Waiach [sic!] einzutreibenden geldstrafen (emende), soweit sie dem bisch. zustehen, unbeschadet der übrigen, vor». (Unterstreichung durch WeiachBlog)
Im Lichte der Berichtigungen von Obervogt Andreas Zwyer kann man die beiden unterstrichenen Passagen eigentlich nur so deuten:
Teilung der Niedergerichtsbarkeit über Weiach ist älter als 1295!
Jakob von Wart gibt damit m.E. deutlich zu verstehen, dass der Verkaufsgegenstand lediglich die ihm zustehenden Rechte (omne ius michi competens) an der Gerichtsbarkeit sowie seine Anteile an den Geldstrafen (vgl. frz. amendes!) umfasse. Offensichtlich gibt es Bussenanteile, die nach der Transaktion nicht dem neuen Eigentümer (dem Bischof) zustehen, sondern weiterhin einem in der Urkunde ungenannten Dritten.
Das wiederum lässt einzig den Schluss zu, dass die Gerichtsbarkeit bereits vor dem Beurkundungstermin anfangs Februar 1295 geteilt gewesen sein muss! Die Annahme, dass es sich um eine hälftige Teilung gehandelt hat, ist angesichts der späteren Verhältnisse nicht abwegig.
Quellen und Literatur
- Hauser, K.: Die Freiherrn von Wart. Neujahrs-Blatt der Stadtbibliothek in Winterthur auf das Jahr 1897/98. 233/34stes Stück. Buchdruckerei Geschwister Ziegler, Winterthur 1896 – Einleitung, S. 6.
- Badische Historische Commission (Hrsg.): Regesta episcoporum Constantiensium (REC). Regesten zur Geschichte der Bischöfe von Constanz von Bubulcus bis Thomas Berlower 517-1496. Zweiter Band, 1293 – 1383. Bearb.: A. Cartellieri, K. Rieder. Innsbruck 1905 – Nr. 2930, S. 10.
- N.N. (mutm. Zuber, Sinaida): Berichtigungen des [bischöfl. Konstanzer] Vogts zu Kaiserstuhl [Andreas Zwyer] zum Renovationswerk Gottfrieds von Rammingen im auf dem eidgenössischen Boden gelegenen Teil des Amts Kaiserstuhl. Regest Staatsarchiv des Kantons Zürich. Original zw. 1597 u. 1605 entstanden. Signatur: StAZH C II 6, Nr. 504.6.
- Illi, M.: «Weiach". In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 11.01.2015.
- Brandenberger, U.: Die älteste Erwähnung des Weiacher Dorfgerichts. WeiachBlog Nr. 1752, 28. September 2021.
- Brandenberger, U.: Geteilte Niedergerichtsbarkeit bereits im 14. Jahrhundert. WeiachBlog Nr. 2055, 16. März 2024.