Dienstag, 2. Dezember 2025

Das Strumpfstübli in Zeiten des Koreakrieges

Das Jahr 1945 markiert das Ende des Zweiten Weltkriegs auch im Fernen Osten. Aus europäischer Warte wahrgenommen vor allem durch die beiden Nuklearexplosionen von Hiroshima und Nagasaki. 

Mit der Kapitulation des Japanischen Kaiserreichs wurde auch eine Nachkriegsregelung für die koreanische Halbinsel erforderlich, die 1910 von Japan annektiert worden war. Der Treuhandrat der gerade erst gegründeten Vereinten Nationen übertrug die Verwaltung Koreas auf die Siegermächte USA und Sowjetunion, die sich auf eine Trennlinie am 38. Breitengrad verständigten.

Als Folge des beginnenden Kalten Kriegs zwischen den beiden Supermächten wurden die eigentlich geplanten gesamtkoreanischen Wahlen nicht mehr durchgeführt. Beide Seiten richteten auf ihrem Gebiet je eigenständige koreanische Staatsgebilde ein. Am 15. August 1948 im Süden die Republik Korea, am 26. August 1948 die Demokratische Volksrepublik Korea im Norden. 

Nordkorea versucht die Teilung mit Gewalt zu beenden

Beide Mächte zogen ihre Truppen bis 1949 ab, worauf Nordkorea am 25. Juni 1950 einen Grossangriff auf den Süden startete, innert drei Tagen die Hauptstadt Seoul eroberte und bis im September fast das gesamte Gebiet der Republik Korea überrannte – bis auf einen Brückenkopf um die Hafenstadt Pusan. 

Eine breite Koalition unter Führung der USA organisierte auf Empfehlung des UNO-Sicherheitsrats eine Gegenoffensive, die am 15. September 1950 mit einer Landung bei Incheon die Initiative übernahm. Das Kriegsglück wendete sich daraufhin rasch. Die Nordkoreaner verloren alles eroberte Terrain innert kurzer Zeit, gingen sogar der Kontrolle über ihr eigenes Gebiet verlustig und wurden an die chinesische Grenze zurückgeworfen.

Daraufhin griff die Volksrepublik China aktiv in das Geschehen ein und entsandte Mitte November 1950 eine sogenannte Volksfreiwilligenarmee, der es gelang, die westliche Koalition ebenfalls innert kurzer Zeit wieder in die Gegend des 38. Breitengrads zurückzuschlagen. Dort entwickelte sich der Konflikt ab dem Frühling 1951 zum Stellungskrieg, der bis zum Waffenstillstand am 27. Juli 1953 andauerte (vgl. die animierte Karte des Frontverlaufs auf Wikipedia).

Friedenstaube schon wieder in der Mottenkiste

Auf diese Lage bezieht sich die Karikatur auf der Titelseite der heute vor 75 Jahren veröffentlichten Ausgabe der Tageszeitung «Die Tat» (von Migros-Pionier Gottlieb Duttweiler 1935 gegründet). 


Die kriegerische Sintflut sei wieder da. Uncle Sam baue eine Wasserstoffbomben-Arche für «Gesäuberte», heisst es da (damit wird auf den Befehl von US-Präsident Harry S. Truman angespielt, der damit im Januar 1950 auf die 1949 entwickelte sowjetische Atombombe reagierte). Etwa zur gleichen Zeit eröffnete der als Kommunistenjäger profilierte US-Senator Joseph McCarthy (1908-1957) eine Kampagne wegen angeblicher Unterwanderung des Regierungsapparats durch Spione, wodurch sich die Anspielung auf die «Gesäuberten» erklärt.

Im Fall vonere Fallmasche gasch zum Strumpfstübli!

Die Zeiten waren damals ähnlich unsicher wie unsere heutigen. Bei Kleidern lag der Fall noch anders. Denn, Hand aufs Herz, lassen Sie Ihre Socken und Strümpfe noch flicken, oder landen die im Abfall, sobald sie Löcher bekommen?

Eine dem Verfasser leider bislang unbekannte Weiacherin hat jedenfalls in derselben Zeitung auf Seite 8 die folgende Kleinanzeige platzieren lassen: 

«Fallmaschen heben u. stopfen besorgt Ihnen zu wirklich günstigen Preis. Strumpfstübli, Weiach (Zch.). Kein versand.»


Quelle 

Donnerstag, 27. November 2025

Kommunales Feuerwerkverbot bereits in Kraft

Am Anfang stand der grosse Ärger einiger Tierhalterinnen. Nur sieben Monate später war die Weiacher Polizeiverordnung rechtskräftig geändert. Direkte Demokratie im Schnellgang. Eine Rekapitulation.

Die Empörung war gross nach dem Jahreswechsel 2024/25, die gewählten Ausdrücke dementsprechend kraftvoll (vgl. den Titel von WeiachBlog Nr. 2213). Grund: Littering. Rückstände vom mitternächtlichen Silvestergeknalle lagen kreuz und quer auf einer Weiacher Weiden verstreut. Man sollte Unterschriften sammeln, zeigte sich eine Diskussionsteilnehmerin auf der Facebook-Gruppe Du bisch vo Weiach, wenn... überzeugt.

Von der Macht der Einzelinitiative

Dann ging es Schlag auf Schlag. Der erwähnte WeiachBlog-Beitrag hielt nämlich u.a. fest, dass Hombrechtikon seine Polizeiverordnung per 1. November 2024 um ein Verbot von lärmendem Feuerwerk ergänzt habe. «Was Hombi chan, chönd mir in Weiach au», sagten sich daraufhin einige Stimmberechtigte, setzten eine Einzelinitiative auf und reichten sie bei der Gemeindekanzlei ein.

Ende März wurde die EI Tribastone durch den Gemeinderat für gültig erklärt (vgl. den Hinweis auf der FB-Gruppe vom 31. März 2025). Im Mai kündigte der Initiant den Abstimmungstermin an: eine Gemeindeversammlung Mitte Juni (vgl. den Beitrag auf der FB-Gruppe vom 10. Mai 2025).

Verbotsbefürworter mobilisierten besser

Der Gemeinderat hielt nicht wirklich viel von diesem Vorschlag. Er empfahl im Beleuchtenden Bericht (S. 19-24) die Ablehnung der Vorlage. Im Vorfeld der Versammlung lobbyierten dann einige Tierfreunde recht intensiv (vgl. u.a. Beitrag auf der FB-Gruppe vom 3. Juni 2025). Und offensichtlich gelang es ihnen auch, die für Gemeindeversammlungen nicht allzu hohe Mobilisierungshürde zu nehmen. Am Abend des 12. Juni war die Vorlage beschlossene Sache. Die anwesenden Gegner scheiterten an der Drittelshürde, die nötig gewesen wäre, um die Vorlage an die Urne zu bringen.

Letzte legale Gelegenheit am 1. August 2025

Dann war es erst einmal ruhig. Im Vorfeld des 1. Augusts, nach altem Recht einer der beiden Termine, an denen lärmendes Feuerwerk noch erlaubt war, kam die Frage auf, wann denn das Verbot in Kraft trete (vgl. den Beitrag auf der FB-Gruppe vom 22. Juli 2025).

Das sei erst nach dem 1. August möglich, weil dafür neben dem Abwarten der gesetzlichen Rekursfristen auch noch einige Abklärungen nötig seien, teilte Gemeinderat Petitpierre auf Anfrage von WeiachBlog mit. Die Verbotsbefürworter zeigten sich enttäuscht. Einige waren dezidiert der Meinung, dieses gemeinderätliche Vorgehen sei nicht rechtens: Er hätte den revidierten Art. 22 der Polizeiverordnung noch im Juli in Kraft setzen müssen.

In der Systematischen Rechtssammlung noch der alte Stand

Schaut man auf der Gemeindewebsite nach, muss man zur Überzeugung gelangen, die Inkraftsetzung sei auch heute noch nicht erfolgt, denn da findet man nach wie vor den Stand 1. August 2011.

WeiachBlog fragte am 18. November beim Gemeindeschreiber nach: 

«Sehr geehrter Herr Diethelm,

im Zusammenhang mit der Berichterstattung über weitere Feuerwerkverbots-Einzelinitiativen im Zürcher Unterland (aktuell in der Regionalpresse: Dänikon) stellt sich die Frage:

Auf welchen Termin wird die in der Weiacher Gemeindeversammlung Mitte Juni beschlossene Änderung von Art. 22 der kommunalen Polizeiverordnung in geltendes Recht überführt?

Können Sie zum Zeitplan und allfälligen Ausführungsbestimmungen sachdienliche Angaben machen?

Besten Dank für Ihre Rückmeldung.»

Gemeindeverwaltung: Schon seit Monaten in Kraft!

Tags darauf antwortete Gemeindeschreiber Thomas Diethelm wie folgt [Auszug; Hervorhebung durch WeiachBlog]:

«An der Gemeindeversammlung vom 12. Juni 2025 haben die Stimmberechtigten der Einzelinitiative zugestimmt, dass lärmendes Feuerwerk in Weiach verboten wird. Am 4. August 2025 wurde der Gemeindeversammlungsbeschluss rechtskräftig. Es ist somit seit Eintritt der Rechtskraft untersagt, lärmendes Feuerwerk auf dem Gemeindegebiet Weiach abzufeuern. Die kommunale Polizeiverordnung wurde dementsprechend angepasst. Die Bevölkerung wird im Mitteilungsblatt Dezember und mit einer entsprechenden Publikation auf der Homepage der Gemeinde Weiach nochmals darauf hingewiesen.

Besten Dank für die Kenntnisnahme.»

Im Dezember-MGW folgen ausführliche Erläuterungen

WeiachBlog stellte darauf noch eine Anschlussfrage zur Auslegung: 

«Im Gegensatz zu allen anderen Gemeinden mit kommunalen Feuerwerkverboten hat Weiach nun nach Annahme der EI Tribastone einen Zwitter im Gesetz: "Das Abbrennen von lärmendem Feuerwerk mit Explosivwirkung...".

Der Wortlaut von Art. 22 neu und die Intention der Initianten klaffen auseinander, weil sie den Begriff "Explosivwirkung" aus dem alten Art. 22 übernommen haben. -- Wörtlich ausgelegt kann man das auch interpretieren als: Heuler und andere mit Schallkammern versehene Feuerwerkskörper ohne Knalleffekte wären erlaubt. 

Ich nehme an, das sieht der Gemeinderat anders, da er ja schon die Abschussgeräusche als Knall interpretiert, wenn ich den Beleuchtenden Bericht richtig verstanden habe. Daher meine Frage nach den Ausführungsbestimmungen:

Wird im Dezember-MGW erläutert, dass auch jede Art von Feuerwerkskörper mit Lärmwirkung jeglicher Art (d.h. auch reine Heuler ohne finalen Knall) verboten sind?»

Die Antwort des Gemeindeschreibers ist kurz und bündig [Auszug]:

«Ja, im Dezember-MGW wird erläutert, dass jede Art von Feuerwerkskörper mit Lärmwirkung jeglicher Art verboten sind.»

Quellen und Literatur

Freitag, 14. November 2025

«Weiach ist noch einmal davongekommen»

Susanne Lehmann hat auf der Facebook-Gruppe Du bisch vo Weiach, wenn... mit einem Foto des Gedenksteins bereits daran erinnert: Heute vor 35 Jahren um exakt 20:11 mitteleuropäischer Zeit (UTC 19:11) ist die DC-9-32 der Fluggesellschaft Alitalia im Gebiet Surgen in den Haggenberg geprallt. 

Controlled flight into terrain (CFIT), so wird diese Art von «Absturz» in der Fachsprache der Flugunfalluntersuchungsbehörden genannt. Am Abend des 14. November 1990 und am Tag danach wusste man das aber noch nicht. Es kursierten die wildesten Gerüchte: Die Maschine habe gebrannt, wollten einige Dorfbewohner wissen. Hat sie nicht, sagt der Untersuchungsbericht.

Leben in der Anflugschneise der Piste 14

Ja, diese Katastrophe hat sich unauslöschbar ins individuelle Gedächtnis vieler Weycherinnen und Weycher eingebrannt. Und sie ist bis heute Teil des kollektiven Gedächtnisses der Dorfgemeinschaft.

Das in den Titel dieses Beitrags übernommene Zitat auf der hintersten Seite der Berner Tageszeitung «Der Bund» vom 16. November 1990 trifft das damals vorherrschende Gefühl recht gut. 

Wenige Monate nach Vollendung des 14. Betriebsjahrs der V-Piste 14/32 rief sich ausgerechnet an einem 14. das berüchtigte Restrisiko ins Bewusstsein: Leben in der Anflugschneise ist auch für die unter ihr Wohnhaften nicht ganz ungefährlich. Denn die meisten Flugunfälle ereignen sich statistisch gesehen nun einmal bei Start und Landung.


Die Nachrichtenagenturen führen das Szepter

Den Text des Hauptartikels hat die Zeitung von der Nachrichtenagentur Associated Press (ap) übernommen. Spitzmarke über die ganze Zeitungsseite hinweg: "Unglücksmaschine der Alitalia flog 300 Meter zu tief - Keine Überlebenschancen für 46 Insassen - Ermittlung der Unglücksursache kann noch Monate dauern".

Titel: Bestürzung und offene Fragen nach DC-9-Absturz bei Zürich

Lead: ap. Der Absturz einer DC-9 der Alitalia, bei dem am Mittwoch abend im Zürcher Unterland alle 46 Insassen ums Leben gekommen waren, hat am Donnerstag in der Schweiz und Italien Betroffenheit und Bestürzung ausgelöst. [im Original unterstrichen, s. Bild oben]

Weiach und the day after Alitalia 404

Aus unserer eigenen Gemeindesicht ist vor allem der vom Zürcher Korrespondenten des «Bund» verfasste Kasten von Interesse. Er umfasst Originalzitate und übermittelt den persönlichen Eindruck seines Autors Arthur Schäppi:


Nachstehend der volle Wortlaut (kursiv) mit dazwischengeschalteten Kommentaren der Redaktion WeiachBlog:

«Weiach ist noch einmal davongekommen»

Von unserem Zürcher Mitarbeiter Arthur Schäppi

«Vielen im Dorf hier steckt noch immer der Schreck in den Knochen», sagt eine junge Frau, die gerade von der Weiacher Post durch den strömenden Regen nach Hause geht. Ihr Mann kam erst um drei Uhr in der Früh nach Hause und musste um 6 Uhr bereits wieder ausrücken. Er ist bei der Dorffeuerwehr, die an diesem traurigen Donnerstagmorgen nach dem Absturz der DC-9 am Stadlerberg zwischen Weiach und Stadel noch immer bei den Bergungsarbeiten mithilft.

Riesiger Medientross

Während über der von düsteren Wolken umhüllten Unglücksstelle am waldigen Hügel noch immer ein Helikopter kreist und Tote und Trümmer geborgen werden, herrscht an diesem Donnerstagmorgen nach der Schreckens[n]acht [sic!] gedrückte Stimmung in der nur gut einen Kilometer (Luftlinie) vom Abstzurzort [sic!] entfernten Zürcher Unterländer Gemeinde Weiach. 

Je nach Position im Dorfkern bzw. dem Messpunkt an der Unfallstelle, einer mehrere Dutzend Meter langen, vom Flugzeug geschlagenen Schneise, beträgt der Abstand einiges mehr als 1 km. Zwischen dem Alten Schulhaus, das am 14. November 1990 zum Medienzentrum wurde (vgl. nächsten Abschnitt), und der Einschlagstelle liegen bspw. rund 1.35 Kilometer.

Ums Schulhaus, wo sich das Informationszentrum der Einsatzleitung befindet, stehen Militär[-] und Polizeifahrzeuge, tummeln sich ein riesiger Tross von Journalisten und italienische, deutsche und französische Kamerateams. Die kleine Kiesgemeinde Weiach mit ihren 750 Seelen und der Nachbarort Stadel geraten unfreiwillig ins grelle Rampen- und Blitzlicht der Medien. Nur die Gaffer vermochte die nasskalte Witterung an diesem trüben Morgen fast gänzlich vom Dorfbild fernzuhalten.

Schäppi ist also der Ansicht, es seien nur wenige Gaffer gewesen. Und dennoch mussten die Einsatzkräfte offenbar eine ganze Anzahl an Katastrophentouristen daran hindern, an die Absturzstelle vorzudringen. Sie ist noch in der Nacht in weiser Voraussicht grossräumig abgesperrt worden. – Bei den Militärfahrzeugen handelte es sich wohl mehrheitlich um Transportmittel des Heerespolizeibataillons 1 (HP Bat 1; vgl. die Zeitschrift Schweizer Soldat 2/91 – S. 36).

«Zweites Leben geschenkt»

«Ich habe gestern abend ein zweites Leben geschenkt bekommen», sinniert ein Bauer ernst. «Zum guten Glück ist uns hier nichts passiert», meint auch eine Hausfrau, die unter einem breiten Tenndach Schutz vor dem Regen sucht. So wie sie denken viele in Weiach, weiss der Postverwalter, der gerade von einer Briefträgertour zurückgekommen ist. In der Tat: Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn die Maschine auf ihrer Todesfahrt von Mailand etwas früher niedergegangen und statt im abgelegenen Wald des Stadlerbergs bereits über dem Wohngebiet von Weiach explodiert wäre.

Der namentlich nicht genannte Posthalter war Walter Meierhofer-Albrecht (1929-1998), der letzte Amtsinhaber der Dynastie der Poscht-Meierhofer (vgl. Abschn. Nr. 5 in WeiachBlog Nr. 1897).

Vom etwas seltsam anmutenden Begriff Todesfahrt (statt -flug) einmal abgesehen: Man erkennt an der Schilderung deutlich, dass die Medienvertreter noch von einer Explosion als Absturzursache ausgingen. Was angesichts der schon eingangs erwähnten Erzählungen nicht verwundert.

«Unheimliches Aufheulen»

Ein Rentner schildert vor laufender Kamera einer französischen TV-Station, wie er das schreckliche Ereignis erlebt hat: «Ich hörte über meinem Haus ein unheimliches Aufheulen der Flugzeugmotoren und sah sofort, dass die Maschine viel zu tief geflogen kam. Noch bevor das Flugzeug abstürzte, kam es zu einer Explosion und der linke Flüge[l] brach ab.» Solche und ähnliche, manchmal allerdings auch ziemlich divergierende Schilderungen des Unglückhergangs, das 46 Menschenleben gekostet hat, bekommt man an diesem tristen Donnerstagmorgen in Weiach etliche zu hören. Und fast immer enden sie mit dankbaren Feststellungen wie: «Gottlob sind wir noch einmal davongekommen.»

Fragt man die Augen- und Ohrenzeugen heute, dann erinnern sich viele – auch Susanne Lehmann – vor allem an die akustischen Begleiterscheinungen: An das Aufheulen der Triebwerke, verursacht durch den Durchstartversuch des Copiloten, noch über dem Dorfkern (vgl. WeiachBlog Nr. 1610). Und an einen lauten Knall, der wohl durch das explosionsartige Abbrennen des Kerosins beim Aufprall verursacht worden ist.

Quellen und Literatur

Donnerstag, 13. November 2025

«Bey der Linden» war ein ziemlich grosses Gebiet

Die Ortsbezeichnung «Bey der Linden» trugen nach der Erfassung der Gebäudeversicherung im Jahre 1834 die folgenden noch heute bestehenden – und damit eindeutig lokalisierbaren – Wohngebäude:

  • Winkelstrasse 7 (Baumgartner-Thut)
  • Oberdorfstrasse 7 (Andreas Schenkel u. Art Coiffure)
  • Oberdorfstrasse 9 (ex Wiesendanger)
  • Alte Poststrasse 4 (ex Rutschmann-Griesser)
  • Alte Poststrasse 2 (Meierhofer-Müller Poschtruedi)
  • Bergstrasse 1 (Meier Forsterottis)

Zwischen der erst- und der letztgenannten Behausung liegen auf der Strasse rund 210 Meter, was für den überschaubaren Weiacher Ortskern beträchtlich ist.

Bildet man einen Schwerpunkt dieser bananenartigen Fläche, dann ist die namengebende alte Dorflinde entweder nördlich oder südlich des 1952 od. 1953 abgebrochenen «Pariserschneider-Hauses» (Parzelle 329) zu lokalisieren, also an der Wegspange Oberdorfstrasse–Alte Poststrasse–Winkelstrasse sowie in unmittelbarer Nähe des ehemals ehaften Wirtshauses an der Oberdorfstrasse 7 («Alter Sternen»).

Quelle

  • Lagerbuch Gebäudeversicherung Kt. ZH, Expl. Gemeinde, 1834-1894. PGA Weiach, Signatur: IV.B.06.01

Sonntag, 2. November 2025

Weshalb geht bei der Weycher Müli ein Geist um?

Alt Gemeindepräsident Gregor Trachsel, einer der drei Architekten, die in den 1970ern die ehemalige Weiacher Mühle (Müliweg 7) am Südende des Oberdorfs gekauft und umgebaut haben, wohnt dort zwar seit Jahrzehnten, hat ihn aber noch nie gesehen oder gehört. 

Und doch soll er noch herumspuken, der Geist eines wohlhabenden Müllers und einflussreichen Untervogts unserer Gemeinde. Eine Geistergeschichte zu Allerseelen.

Halloween – Allerheiligen – Allerseelen

Am heutigen Tag, dem 2. November, wird nach dem römisch-katholischen Kalender das Fest Allerseelen begangen. Durch das Anzünden von Kerzen auf den Gräbern und durch Gebete gedenken die Angehörigen ihrer Toten. Besonders gedacht wird der Armen Seelen, die in einer Zwischenwelt feststecken, da sie ihre Anhaftung ans Irdische noch nicht ablegen können bzw. dürfen.

Die Zeit vom 31. Oktober (Halloween), 1. November (Allerheiligen) bis 2. November war früher auch magisch aufgeladen. So wollte der Volksglaube wissen, dass Verstorbene besonders an diesen Tagen als Geister umherwandern und ihre Angehörigen aufsuchen. Umstritten ist der Bezug zum keltischen Neujahrsfest Samhain. Dieses wurde anfangs November begangen und hatte möglicherweise ebenfalls einen Bezug zum Gedenken an die Toten und die Anderswelt.

Frl. Liebert erzählt von einem besonderen Geist

In einem der Schulhefte aus dem Zollinger'schen Nachlass im Archiv des Ortsmuseums Weiach findet sich ein Eintrag zum 16.4.41, notiert wohl vom Primarlehrer Adolf Pfister, der von 1936 bis 1942 in Weiach tätig war. Als Quelle wird «Frl. Liebert» genannt. Bei dieser unverheirateten Frau handelt es sich um Luise Liebert, die 1965 verstorbene letzte Bewohnerin des Ortsmuseums (Lieberthaus am Müliweg 1). Der Eintrag lautet:

«Untervogt Bersinger kam zurück + geistete auf der Winde der Mühle. Da wurde er von einem Kapuziner – den man gerufen hatte – in einen Ankenhafen verbannisiert. Ein Mädchen, das im Keller zu tun hatte, deckte den Hafen ab + heraus war der Vogt. Er soll noch heute in der Brunngasse oben zu sehen sein.»

Unklar, welcher Untervogt

Ein Untervogt ist in diesem Zusammenhang der oberste durch die Landesherrschaft, d.h. Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich, eingesetzte Gemeindevorsteher, in etwa vergleichbar mit einem heutigen Gemeindepräsidenten. Im 18. Jahrhundert standen über längere Zeiträume mindestens drei Angehörige der Müllerei-Dynastie der Bersinger in dieser Funktion (vgl. u.a. WeiachBlog Nr. 990). 

Diese Bersinger waren so etwas wie Dorfkönige, die sich entsprechend selbstbewusst verhielten und ihre politische wie wirtschaftliche Macht (vgl. WeiachBlog Nr. 1666) gegenüber ärmeren Dorfbewohnern möglicherweise nicht immer mit lauteren Methoden in die Waagschale warfen – und sei es auch lediglich in deren subjektiver Wahrnehmung. Das wäre eine Erklärung, wie die mündlich überlieferte Vorstellung aufgekommen ist, eine dieser mächtigen Figuren müsse nun für ihre Taten im Diesseits büssen.

Die Kapuziner holte man für die gröberen Probleme 

Walter Bär-Vetsch berichtet von Hausbesitzern aus dem Urnerland, die den bei Abbruch eines alten Hauses jammernden Armen Seelen erlaubt hätten, mit ins neu errichtete Haus einzuziehen. Allerdings nur unter der Bedingung, dass sie sich ruhig verhielten und den Lebenden nicht schadeten.

Zu diesen pflegeleichten Armen Seelen hat der Untervogt Bersinger offensichtlich nicht gehört. Jedenfalls störte er die Lebenden so sehr, dass man die Spezialisten aus der katholischen Welt beizog. In unserem Fall, um den Vogt in einen Ankenhafen zu verbannen, den man dann im Keller aufbewahrte.

Die Kapuzinerpatres standen nämlich beim Volke im Ruf, selbst mit dem absolut Bösen (Dämonen und Teufeln) und andern Phänomenen aus der Anderwelt souverän umgehen und dadurch Schaden abwenden zu können.

Sie wurden aber auch bei niederschwelligeren Problemen konsultiert. Der mittlerweile emeritierte Basler Weihbischof Martin Gächter (* 1939) erzählte einer kath.ch-Journalistin jedenfalls eine Episode, die aus derselben Zeit stammt, in der Frl. Lieberts Aussage verortet wird:

«Als drei- oder vierjähriger Bub war ich nachts sehr aktiv und habe meine Mutter nicht schlafen lassen. Sie hat mich zum Kapuzinerkloster nach Dornach gebracht. Der Pater hat einen Segen über mich gebetet. Darauf soll ich in der Nacht ruhiger geworden sein.» (Straub 2022)

Ein gwundriges Meitli und schon geistet es wieder 

Der vermeintlich sichere Lagerplatz im Keller der Mühle war allerdings, so die Geschichte weiter, nicht sicher vor Familienangehörigen oder Hausangestellten, die aus Versehen oder Gwunder – wohl trotz Verbot – in den ominösen Ankenhafen schauen wollten.

Die Bannisierungskünste des Kapuziners scheinen aber gewirkt zu haben, denn sie konnten – das kann man bei Bär-Vetsch nachlesen – zwar einen solchen Geist mit einem Hausverbot belegen. Darüber, dass er draussen weiter sein Unwesen treibt, hatten sie aber auch keine Gewalt.

Und deshalb geht der Geist des unseligen Untervogts vielleicht bis heute um. Nicht mehr auf der Winde der Müli. Aber laut Frl. Liebert in der Brunngasse, was zwar nahe an der Mühle ist, jedoch mit einem gehörigen Sicherheitsabstand versehen. Das Rayonverbot für Geister wirkt offenbar.

Ausschnitt aus dem Plan der Amtlichen Vermessung (ARV Zürich)

Die Brunngasse kann als Fortsetzung des Müliweg-Abzweigers zur Stadlerstrasse verstanden werden. Sie verbindet die Bergstrasse (Einmündung nahe dem Wasserreservoir Berg) mit der Stadlerstrasse.

Quelle und Literatur

  • Schulheft Nr. VI «Pfister» (aus mind. 4 unterschiedlichen Schreibblattbogen zusammengestelltes und fadengeheftetes Schulheft) – S. 22. [Archiv des Ortsmuseums Weiach; noch ohne Signatur]
  • Brandenberger, U.: Diener zweier Herren: Untervogt und Dorfmeier in Personalunion.  WeiachBlog Nr. 790, 11. März 2010.
  • Brandenberger, U.: Gemeindepräsidenten-Dynastie: Sohn folgt auf Vater. WeiachBlog Nr. 990, 23. März 2011.
  • Bär-Vetsch, W.: «Und d'rnah haiget sy's am-mana Kapuzyyner z'Altdorf gsäit». In: ders.: Kraft aus einer andern Welt. Zeichen und Handlungen des Volksglaubens und der Volksfrömmigkeit in Uri. Altdorf 2019  S. 793. Separatdruck des Kapitels und vollständiges Werk auf urikon.ch abrufbar.
  • Brandenberger, U.: Nur eine Mühle? Untervogt Bersinger als Grossgrundbesitzer. WeiachBlog Nr. 1666, 7. Juni 2021.
  • Straub, J.: Weihbischof Gächter über seinen einzigen Exorzismus: «Der Dämon schrie: Das brennt!». In: kath.ch; Katholisches Medienzentrum, 25.4.2022.

Freitag, 31. Oktober 2025

Zwanzig Jahre WeiachBlog. Konstanten, Seitenzahlen und ISSN

Eine «Redaktion Weiacher Geschichte(n)» war es heute vor genau 20 Jahren, am Abend des letzten Oktobertags 2005, die den Willkommensbeitrag im neuen Gefäss WeiachBlog ins Netz gestellt hat.

Damals waren die Weiacher Geschichte(n) ein Printprodukt zwischen einer und acht Seiten A4, das jeden Monat als Rubrik der Mitteilungen für die Gemeinde Weiach in alle Briefkästen der Gemeinde gelegt wurde. 

Heute ist dem Trend der Zeit geschuldet born digital Trumpf. Gedruckt wird kaum noch. Auch die WeiachBlog-Gesamtausgabe verlässt die Welt der Bits und Bytes nur in seltenen Ausnahmefällen.

Die Konstanten: Autor und Hostingplattform

Dass der Autor, ein mittlerweile zum Privatier mutiertes älteres Semester, immer noch dieselbe Person ist wie 2005, das wird niemanden ernsthaft erstaunen.

Bemerkenswerter ist in unserem von vielen Stumpengleisen geprägten Informationstechnologiezeitalter, dass die Publikationsplattform vom ersten Tag bis heute ein und dieselbe geblieben ist: Blogger.com

Gewiss, etwas mehr Zeitinvestition in das Drum & Dran, gar ein Wechsel auf WordPress oder andere Tools würden wohl ein optisch wesentlich besseres Bild abgeben. 

Die Inhalte und die zu ihrer Erstellung erforderliche Recherchezeit im Hintergrund sind dem obgenannten Schreiberling jedoch wesentlich wichtiger.

Ein bunter Blätterstrauss

Wir blicken zurück auf eine von etlichen Stürmen geprägte Entwicklung, mit Experimentierfreude, ausführlichen Fachartikeln und kleinen Miszellen zur lokalen Geschichte, streitbaren Beiträgen zu aktuellen Themen der Gemeindepolitik und noch einigem mehr.

Die Online-Publikation hat viele Metamorphosen und Durststrecken (für die Leserschaft) durchgemacht. Von einer anfangs täglichen Portion kurzer Beiträge, die primär als Ergänzung zu den Geschichte(n) gedacht waren, hat WeiachBlog sich spätestens nach deren Einstellung, d.h. ab Dezember 2009, zum Allzweckpublikationsgefäss gewandelt.

Durchschnitt: 1.83 Seiten pro Artikel

Der WeiachBlog – im Startbeitrag noch mit dem heute eher unüblich gewordenen Artikel «das» versehen – ist also kein Periodikum, eher ein Gelegenheitsprodukt. Die per Stichtag 2276 publizierten Artikel sind punkto Anzahl und Umfang denn auch höchst ungleich über diese zwanzig Jahre verteilt. Das lässt schon die Übersicht erahnen, die jedem Jahresband der Gesamtausgabe mitgegeben wird:

Auszug aus dem Jahresband 2025 (aktuell 292 Seiten)

ISSN 2813-5792

Am 16. Januar 2023 wurde WeiachBlog beim ISSN-Zentrum Schweiz als Periodikum registriert. Zugeteilt ist ihm die International Standard Serial Number 2813-5792, die seither auch im Impressum geführt wird und auf jeder Seite des Blogs erscheint.

Vita brevis, ars longa

Auf weitere 20 Jahre? So grosser Vermessenheit und Hybris mag sich der Blogautor eingedenks seines eigenen Gesundheitszustandes im Speziellen und der Weltlage im Allgemeinen nicht erdreisten. Er nimmt es von Tag zu Tag und schaut, was möglich ist.

Seine Leserschaft wartet schliesslich seit Monaten auf das eigentlich für das Jubiläumsjahr 600 Jahre Weiach beim Kanton Zürich (1424-2024) vollmundig angekündigte Weiacher Orts- und Flurnamenbuch (WOFNB). Das soll nun mit Priorität bearbeitet werden. Und wie schon das Dorffest 750+1 um ein Jahr zeitversetzt erscheinen.

Literatur in eigener Sache. Start und Geburtstage

Donnerstag, 30. Oktober 2025

«Omne ius michi competens» – Hinweis auf geteiltes Niedergericht

In der bisherigen historischen Literatur über Weiach wird querbeet die Auffassung vertreten, der Freiherr Jakob von Wart habe am 8. Februar 1295 die Niedergerichtsbarkeit über Weiach an den damaligen Fürstbischof von Konstanz, Heinrich von Klingenberg, verkauft  und zwar die ganze Niedergerichtsbarkeit. Ein Ende Juli 2025 aufgetauchtes Regest lässt daran zweifeln.

* * *

Die herrschende Lehrmeinung findet man beispielsweise bei Kaspar Hauser in seinem 1896 gedruckten Aufsatz «Die Freiherrn von Wart», erschienen als «Neujahrs-Blatt der Stadtbibliothek in Winterthur auf das Jahr 1897/98». In der Einleitung, S. 6, zählt er verschiedene Besitzungen auf, darunter «[...] der Meierhof samt den niedern Gerichten in Weiach, alles Konstanzer Lehen, [...]». Hauser geht also davon aus, dass es sich bei der Transaktion lediglich um den Heimfall eines schon länger dem Fürstbistum gehörenden Lehens handelte.

Eine – bis auf den letzten Punkt – ähnliche Auffassung vertritt sinngemäss auch Martin Illi, der Autor des Artikels Weiach im Historischen Lexikon der Schweiz, Stand 11. Januar 2015. Er schreibt explizit:

«1295 verkaufte Jakob von Wart die niedere Gerichtsbarkeit seines Meierhofs in Weiach sowie die über das Dorf Weiach dem Bischof von Konstanz. Im 16. Jahrhundert verpfändete Konstanz seine Rechte zur Hälfte; 1605 kaufte es sie wieder zurück.»

Unklar ist, wie Illi auf das 16. Jahrhundert kommt, wo andere Autoren (wie Leu's Lexicon, Bd. X, S. 14) von der Mitte des 15. Jahrhunderts ausgehen. Dieser Punkt soll hier aber nicht weiter erörtert werden.

Gilt «Teilverpfändung und Rücknahme» noch?

Nachstehend geht es um die Frage, ob die bisher gängige Vorstellung zutrifft, wonach die Hälfte des Niedergerichts lediglich vorübergehend in den Händen Dritter gelegen habe (namentlich für das 15. bis 17. Jahrhundert bisher bekannt: Heggenzer von Wasserstelz und danach Herren von Landsberg).

Diese Sichtweise geht implizit davon aus, dass die ungeteilte Niedergerichtsbarkeit ab 1295 dem Fürstbistum gehört habe, es sie zu einem späteren Zeitpunkt teilverpfändet und später wieder zurückgenommen habe.

Bekannt ist (spätestens seit Publikation des Rechtsquellen-Bandes Neuamt im Jahre 1996), dass 1352 eine Teilung der Niedergerichtsrechte vorgelegen haben muss. Das zeigt sich an der Urkunde mit der Signatur StAZH C II 6, Nr. 769. Darin ist ein Angehöriger des Geschlechts der Freiherren von Tengen als einer von zwei Gerichtsherren genannt. Nach oben ausgeführter Auffassung wären die Tengener damit Pfandnehmer oder Lehensnehmer gewesen.

Offenbar doch keine Verpfändung!

Nachdem der Verfasser dieses Beitrags im Juli 2025 auf ein Regest zu StAZH C II 6, Nr. 504.6 gestossen ist, sieht die Sachlage doch etwas anders aus. Unter Ziffer 2 ist da nämlich zu lesen:

«Die Gerichtsherrlichkeit zu Weiach (Weyach) gehört zu einem halben Teil dem Bischof; der andere halbe Teil gehört nicht lehensweise, sondern als Eigentum dem Inhaber von Wasserstelz und ist erbweise von Escher an Heggentzer und danach an die von Landsberg (Landtsperg) gefallen, welche ihn dem Bischof zum Kauf angeboten haben. [Kaufbrief: 1605; C II 6, nr. 469].»

Das zugrundeliegende Dokument, eine undatierte Zusammenstellung von Berichtigungen des fürstbischöflich-konstanzischen Obervogts Andreas Zwyer von Evebach, die zwischen 1597 und 1605 entstanden ist, pulverisiert die bisherigen Vorstellungen.

Folgt man dieser Darstellung, dann sind sowohl die Freiherren von Tengen wie später das Kaiserstuhler Bürgergeschlecht der Escher (das möglicherweise dem Ministerialadel entstammt), dann die Schaffhauser Patrizier Heggenzer sowie schliesslich die Herren von Landsberg jeweils aus eigenem Recht heraus ebenso Eigentümer einer Hälfte der Gerichtsbarkeit gewesen wie der Fürstbischof selber.

Inhalt der Originalurkunde von 1295 neu analysiert

Der in Latein abgefasste Originaltext der Urkunde dürfte von der fürstbischöflichen Kanzlei zu Konstanz aufgesetzt worden sein. Man kann das daraus schliessen, dass die verwendeten Formeln sich sehr stark ähneln:

«Noverint igitur universi tam posteri quam presentes [...] quod ego corpore et mente sanus [...]» lautet die Formulierung in einer Urkunde vom 23. September 1301 (Chartularium Sangallense, Bd. 5, S. 33) als Cünradus dictus Furst de Künzemberg nobilis von seinen Rechten an den Fürstbischof abtritt. 

Die sechs Jahre ältere Weiacher Urkunde lautet an derselben Stelle wie folgt:

«Noverint universi tam posteri quam presentes, quod ego pure ac liberaliter omne ius michi competens in iurisdicione // et districtu curie villicatus dicte Wiach, site prope Kaiserstůl, et in villa Wiach, que iurisdicio getwinch et ban wlgariter appellatur, trado, dono et confero venerabili patri H. dei gratia Constantiensi episcopo nomine et vice ecclesie sue Constantiensis» (UBZH N° 2323; VI, 289; StAZH C II 6, Nr. 466, 8. Februar 1295; Unterstreichung durch WeiachBlog)

Weiter geht aus dem Regest in REC Bd. 2, Nr. 2930 hervor, der Verkäufer (Freiherr Jakob von Wart) behalte «sich die zur zeit von dem bauer (colonus) seiner besitzungen in Waiach [sic!] einzutreibenden geldstrafen (emende), soweit sie dem bisch. zustehen, unbeschadet der übrigen, vor». (Unterstreichung durch WeiachBlog)

Im Lichte der Berichtigungen von Obervogt Andreas Zwyer kann man die beiden unterstrichenen Passagen eigentlich nur so deuten: 

Teilung der Niedergerichtsbarkeit über Weiach ist älter als 1295!

Jakob von Wart gibt damit m.E. deutlich zu verstehen, dass der Verkaufsgegenstand lediglich die ihm zustehenden Rechte (omne ius michi competens) an der Gerichtsbarkeit sowie seine Anteile an den Geldstrafen (vgl. frz. amendes!) umfasse. Offensichtlich gibt es Bussenanteile, die nach der Transaktion nicht dem neuen Eigentümer (dem Bischof) zustehen, sondern weiterhin einem in der Urkunde ungenannten Dritten.

Das wiederum lässt einzig den Schluss zu, dass die Gerichtsbarkeit bereits vor dem Beurkundungstermin anfangs Februar 1295 geteilt gewesen sein muss! Die Annahme, dass es sich um eine hälftige Teilung gehandelt hat, ist angesichts der späteren Verhältnisse nicht abwegig.

Quellen und Literatur

  • Hauser, K.: Die Freiherrn von Wart. Neujahrs-Blatt der Stadtbibliothek in Winterthur auf das Jahr 1897/98. 233/34stes Stück. Buchdruckerei Geschwister Ziegler, Winterthur 189– Einleitung, S. 6.
  • Badische Historische Commission (Hrsg.): Regesta episcoporum Constantiensium (REC). Regesten zur Geschichte der Bischöfe von Constanz von Bubulcus bis Thomas Berlower 517-1496. Zweiter Band, 1293 – 1383. Bearb.: A. Cartellieri, K. Rieder. Innsbruck 1905 – Nr. 2930, S. 10.
  • N.N. (mutm. Zuber, Sinaida): Berichtigungen des [bischöfl. Konstanzer] Vogts zu Kaiserstuhl [Andreas Zwyer] zum Renovationswerk Gottfrieds von Rammingen im auf dem eidgenössischen Boden gelegenen Teil des Amts Kaiserstuhl. Regest Staatsarchiv des Kantons Zürich. Original zw. 1597 u. 1605 entstanden. Signatur: StAZH C II 6, Nr. 504.6.
  • Illi, M.: «Weiach". In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 11.01.2015.
  • Brandenberger, U.: Die älteste Erwähnung des Weiacher Dorfgerichts. WeiachBlog Nr. 1752, 28. September 2021.
  • Brandenberger, U.: Geteilte Niedergerichtsbarkeit bereits im 14. Jahrhundert. WeiachBlog Nr. 2055, 16. März 2024.

Mittwoch, 29. Oktober 2025

Temporäre Explosion der Weiacher Schafpopulation

Rindvieh, Schweine, Ziegen. Diese Tiergattungen waren unter den Nutztieren in unserer Gemeinde traditionell stark vertreten. Schafe hingegen musste man vergleichsweise schon fast mit der Lupe suchen. Das ist heutzutage nicht anders.

Die Identitas AG, die im Auftrag des Bundes die Hundedatenbank Amicus, die Tierverkehrsdatenbank TVD sowie diverse Tierstatistiken führt, stellt auch Daten zur Anzahl der erfassten Tiergattungen pro Gemeinde zur Verfügung. 

Normalerweise an zwei Händen abzählbar

Am letzten Stichtag, der auf der Website verfügbar ist – dem 30. September 2025 – waren auf Weiacher Halter genau 9 Schafe gemeldet, davon 6 der Rasse Shropshire.

Shropshire-Schafe sind Spezialisten. Sie lassen sowohl Nadelgehölze als auch Obstbäume in Ruhe, verbeissen sie also nicht und werden daher u.a. in Christbaumkulturen eingesetzt, um den Graswuchs unter Kontrolle zu halten.

Im Herbst können die Weiacher Landeigentümer auf den Wiesen die Hilfe zusätzlicher Schafe anderer Rassen allerdings gut gebrauchen, wenn es sich nicht gerade um eine Biodiversitätsförderfläche handelt, auf der die Herbstweide vertraglich wegbedungen wurde.

An der Verzweigung Leestrasse-Steinbruchstrasse auf die Weide

Schafe sind bei uns also Exoten. Umso auffälliger ist da der Besuch einer Wanderherde, wie sie heute von Franziska Mitteregger auf der FB-Gruppe Du bisch vo Weiach, wenn... fotographisch verewigt wurde.

Bilder & Collage: Franziska Mitteregger

Mit dieser Herde hat sich der Schafbestand auf Weiacher Boden locker verzehnfacht. Bis in einigen Tagen die zugewiesenen Flächen abgeweidet sind und die Herde weiterzieht. 

An der Statistik ändert das nichts. Denn der zivilrechtliche Wohnsitz dieser Gastarbeiter ist am Betriebsstandort der Wanderschäferei.

Montag, 27. Oktober 2025

Der «Postrudi» in Pattesons Autobiographie

In Weiach ist es teilweise noch heute der Brauch, dass Alteingesessene mit in traditioneller Weise entstandenen Zunamen bezeichnet werden, die vielen Einheimischen geläufig sind. 

So beispielsweise der «Chüefer-Urs», mit bürgerlichem Namen Urs Schenkel, der im östlichen der beiden Aussiedlerhöfe auf der zur Kiesausbeutung vorbereiteten Ebene des Hasli wohnt. Vor der Aussiedlung war diese Familie an der Luppenstrasse 6 ansässig. Dort – so überliefern es mündliche und schriftliche Quellen – war die Küferwerkstatt von Jakob Schenkel eingerichtet. Deshalb sind diese Schenkel zwecks Abgrenzung von anderen Familien dieses Namen eben «s' Chüefers».

Wer zur Familie gehört, hat den Namenszusatz

Nach demselben Muster erhielt derjenige Zweig der Meierhofer, der während Generationen die Funktion des Weiacher Posthalters innehatte, einen entsprechenden Zusatz: «s' Poschtmeierhofers». 

Daher wurde der letzte Amtsinhaber dieser Dynastie, Walter Meierhofer, als «Poscht-Walti» bezeichnet (vgl. WeiachBlog Nr. 1897). Das galt aber auch bei anderen Mitgliedern des Familienzweigs, selbst wenn sie selber überhaupt nichts mehr Postdienstleistungen zu tun hatten, wie die neu zugezogene Lehrerfamilie Hauser lernen musste. 

Ursi Hänni-Hauser schreibt dazu in einem Kommentar auf der Facebook-Gruppe Du bisch vo Weiach, wenn...: «Übrigens hatte ich als Kind anfänglich nicht verstanden, weshalb man den Bruder vom "richtigen" Pöstler Poscht-Ruedi nannte...  Beide Brüder sangen übrigens im Kirchenchor, zu dem ich aus bekannten Gründen direkte Drähte hatte...!» (13. Februar 2023, 17:39)

Anna Wolf replizierte zwei Tage später mit: «und männerchor 🥰🥰 gruss aus weych» (15. Februar 2023, 17:42)

Autobiographie von ennet dem grossen Teich

Rückblende in die Postkutschenzeit. Bei der damaligen Beliebtheit des Vornamens Ruedi kann es nicht verwundern, dass es Mitte des 19. Jahrhunderts gleich mehrere «Poscht-Ruedi» gegeben hat.

In ihrer Autobiographie When I was a girl in Switzerland schreibt Louise Patteson (geborene Luisa Griesser aus Weiach):

«My cousin Rudi, the postmaster’s son, was only a year older than I; but ever since I could remember he delivered the mail to our house; and I suppose to all the other villagers. He was commonly called the “Postrudi,” because it is customary there to designate people by their occupation or location, or both.» (Patteson, S. 13)

Da Luisa im Jahr 1853 geboren wurde, muss Ruedi Meierhofer 1852 zur Welt gekommen sein. Sein Vater, der postmaster vom 1. Juni 1852 bis 31. Dezember 1889 war, hiess ebenfalls Rudolf, was die Sache auch nicht einfacher machte, wenn man zwischen Briefausträger und Posthalter unterscheiden wollte. Es sei denn, man hätte den kindlichen Boten explizit als «s' Poschtruedis Ruedeli» bezeichnet.

Humorvoller Sekundarlehrer mit strenger Strichliste

Ruedi und Louisa besuchten gemeinsam die Sekundarschule in Stadel, wo Lehrer Reichling mehrere Dutzend Schüler in einem einzigen Zimmer im Alten Schulhaus (vis-à-vis des VOLG) unterrichtete. An diesen Mann erinnert sich Patteson besonders gern:

«He had some patent expressions which were so humorous that when I first heard them I could hardly restrain myself from laughing, but they would lose their flavor in translation. He kept some sort of a blank in which were squares marked off for the pupils. For any severe misdemeanor a black mark called a “Strich” was traced in the square. Cousin Rudi was given many a Strich because he used to play so hard during the noon recess that he would come into school with his face red as a lobster.» (Patteson,  S. 204).

Mit einem «blank» oder «paperblank» ist ein Notizbuch gemeint. Der Begriff «misdemeanor» wird umschrieben als «an act that some people consider to be wrong or unacceptable». 

Worin das unakzeptable Verhalten dieses «Poscht-Ruedi» genau bestanden hat, darüber schweigt sich die Autorin aus. Und bislang weiss der Verfasser dieser Zeilen auch nichts Näheres über seinen weiteren Lebensweg.

Quelle und Literatur 
  • S. Louise Patteson: When I Was a Girl In Switzerland. Lothrop, Lee & Shepard Co., Boston 1921 [Elektronische Fassungen auf archive.org: PDF, 11 MBweiteres Exemplar] – S. 13 & 204.
  • Brandenberger, U.: Weiacher Postkutschenromantik aus erster Hand. WeiachBlog Nr. 1509, 17. Mai 2020.
  • Brandenberger, U.: Weiacher Posthalter-Familien (1842-2009). WeiachBlog Nr. 1897, 13. Februar 2023.

Samstag, 25. Oktober 2025

Der «Sängerverein in Weiach». Ein Lebenszeichen von 1843.


«Den ansehnlichen, freiwilligen Beitrag an die durch das Bezirkssängerfest verursachten Kosten verdankt dem edeln, unbekannt sein wollenden Geber höflich -- Der Sängerverein in Weiach.»

Dieses kleine Inserat in der Winterthurer Zeitung «Der Landbote», dem seit März 1836 jeweils am Donnerstag erscheinenden ersten Periodikum, das auch im Zürcher Unterland und Weinland gelesen wurde, kommt zwar unscheinbar daher.

Aus lokalhistorischer Perspektive ist es jedoch eine kleine Sensation. Denn hier bekommen wir den bisher ältesten, vom Verfasser dieser Zeilen gefundenen Beleg vor Augen. 

Er beweist, dass es auch vor dem auf der seidenen Fahne des Gesangvereins Weiach verewigten Jahr 1860 schon organisierte Sängeraktivitäten abseits der kirchlichen Strukturen gegeben hat. 

In der Kirche lernten die Männer singen

Die obligatorische Singschule in der Kirche für ältere männliche Jugendliche im Rahmen der «Repetirschule» nach den Alltagsschuljahren, ist als sog. «Nachtschule» bereits in der Schulumfrage 1771/72 belegt (vgl. Anmerkung 4 zu Maurer 1966).

Zu vermuten ist, dass der genannte Weiacher Sängerverein schon einige Jahre zuvor gegründet worden ist (wie viele andere Gesangsvereine in Mitteleuropa) und über eine nicht allzu kleine Anzahl Mitglieder und ausreichenden Rückhalt in der Gemeinde verfügte. Die Ausrichtung eines Bezirkssängerfestes war schliesslich auch damals schon organisatorisch keine Kleinigkeit.

Zu vermuten ist weiter, dass der damals in seiner Kirchgemeinde Fuss fassende Pfarrer Hans Konrad Hirzel für dieses Sängerfest tatkräftig seinen Beitrag leistete. Zeitungsberichte, die ein Benefizkonzert in Kaiserstuhl Ende Januar 1845 belegen, sprechen für eine führende Rolle seiner Person in Sängerkreisen auch über die Kantonsgrenze hinaus.

Quelle und Literatur

  • Anzeige Nr. 1664. In: Der Landbote (Winterthur), Nro. 46, 16. November 1843, S. 4.
  • Maurer, E.: Eine neue Orgel für die Kirche Weiach. Herausgegeben von der Evang.-ref. Kirchenpflege Weiach. Weiach 1966. Neu paginierter Originaltext. Mit Anmerkungen von Ulrich Brandenberger. Stand: Dezember 2024; PDF, 996 KB.
  • Brandenberger, U.: Alter der Fahne oder Jahr der Vereinsgründung? WeiachBlog Nr. 792, 13. März 2010.
  • Brandenberger, U.: Weiacher Fahnen mit Turnerkreuz, Armbrust und Lyra. WeiachBlog Nr. 1432, 4. Dezember 2019.
  • Brandenberger, U.: Zur Jahrzahl 1860 auf der Fahne des Gesangvereins Weiach. WeiachBlog Nr. 1759, 7. Oktober 2021.
  • Brandenberger, U.: Pfarrer J. C. Hirzel: Kinder, Landwirtschaft und edle Tonkunst. WeiachBlog Nr. 2127, 3. Juli 2024.