Donnerstag, 23. August 2007

Warum Hohentengen nicht zur Schweiz gehört

In einem Kommentar zum WeiachBlog-Artikel vom 15. Juli 2006 jammert der Schneiser «Thomas», die Einrichtung einer militärischen Sperrzone auf deutschem Territorium als Antwort auf die Einführung des Gekröpften Nordanflugs (und damit eine 2.5 Meilen breite Flugverbotszone entlang der Grenze auf Schweizer Gebiet, welche diesen verhindern würde) wäre ein kriegerischer Akt.

Zürcher sind selbst schuld

Er weiss wohl nicht, dass die Zürcher selbst daran schuld sind, dass Hohentengen, «das Nest, das Kloten lahmlegt» wie der Blick herablassend schrieb, heute nicht zum Rafzerfeld und damit zur Schweiz gehört.

Dabei wäre das durchaus im Rahmen des Möglichen gewesen. Während Jahrhunderten beanspruchten die Eidgenossen nämlich einen Cordon sanitaire auf fürstbischöflich-konstanzischem Gebiet nördlich des Rheins samt deren Mannschaftsrecht für sich (d.h. sie griffen im Bedrohungsfall wie selbstverständlich auf die Wehrkraft der dortigen Bauern zurück).

Als aber die Gelegenheit bestand, Hohentengen seinem Gebiet einzuverleiben, hat sich Zürich nicht wirklich dafür eingesetzt - im Gegenteil.

Hohentengener wollten Schweizer werden

Zur Zeit der Helvetik wurde nach dem Frieden von Lunéville im Februar 1801 klar, dass die Tage der staatlichen Existenz des Fürstbistums Konstanz endgültig gezählt waren. Napoleon wollte seine neuen Verbündeten, u.a. den Markgrafen von Baden, mit dem Land aufgelöster deutscher Kleinstaaten für den Verlust linksrheinischer Territorien entschädigen.

Die Hohentengener hatten aber etwas dagegen, einfach dem sich abzeichnenden neuen badischen Machtzentrum zugeteilt zu werden. Die jahrhundertealte, enge Verbindung mit der Eidgenossenschaft war stärker als jede künftige Loyalität zu einem im fernen Karlsruhe residierenden Markgrafen.

Salva Quardia-Tafeln und eine Militärtrommel

Schliesslich hatten die Hohentengener für die Verteidigung ihres von der Bischofs-Residenz Meersburg am Bodensee weit entfernten Gebietes schon jahrhundertelang unter dem Schutz und der Militärhoheit der Eidgenossen gestanden. Belege dafür sind alte «Salva Guardia»-Schilder (die an den Grenzen des Gemeindebannes standen und auf die Tatsache des eidgenössischen Schutzes hinwiesen) sowie eine Zürcher Militärtrommel, die in Hohentengen noch im späteren 19. Jahrhundert in Ehren gehalten wurde.

Für den Dorfmayer von Hohentengen, Johann Georg Hauser und den Ersten Geschworenen, Andreas Mayer, war es daher ganz natürlich, sich 1801/02 intensiv um den Anschluss an Zürich zu bemühen. Sie führten zunächst Gespräche mit den Nachbardörfern Herdern und Lienheim (ebenfalls fürstbischöflich-konstanzisch), dann auch mit Kaiserstuhl, das ebenfalls ein jahrhundertealtes Untertanenverhältnis zum Fürstbistum hatte.

Sie verhandelten mit dem Kaiserstuhler Bürgermeister Moritz Buol, um die zusammen mit Weiach zum alten Amt Rötteln gehörigen Orte Kaiserstuhl und Fisibach dazu zu bewegen, sich gemeinsam mit den rechtsrheinischen, fürstbischöflichen Besitzungen dem Kanton Zürich anzuschliessen.

Die Religionshürden erweisen sich als unüberwindbar

Die ganze Angelegenheit scheiterte an den Bedenken der Herdener und Lienheimer, besonders aber am vehementen Widerstand links des Rheins. Der Grund: Die Kaiserstuhler Katholiken befürchteten, im reformierten Zürich unter die Räder zu geraten.

Meersburg hatte für die Aktivitäten von Hauser und Mayer erst recht kein Musikgehör. Die fürstbischöfliche Regierung war entsetzt, dass Hohentengen sich «bei der gegenwärtigen kritischen Lage» Helvetien anschliessen wolle (immerhin ging in der Helvetischen Republik damals alles drunter und drüber: vier Staatsstreiche in weniger als anderthalb Jahren!). Deshalb liessen sie die beiden für diesen Abspaltungsversuch bestrafen.

Und die Zürcher? Hans von Reinhard (1755-1835), der Zürcher Bürgermeister und spätere «Landammann der Schweiz», befürchtete ebenfalls Schwierigkeiten mit dem katholischen Hohentengen. Er wollte keinen Ärger, lehnte das Ansinnen ebenfalls ab. Und damit war die Angelegenheit endgültig gegessen.

Keine Lust mehr, Schweizer zu werden

Dieser Entscheid brachte den Hohentengenern in den folgenden zweihundert Jahren immerhin zwei verlorene Weltkriege samt den damit verbundenen Gefallenen, an die - wie überall in Deutschland - ein Denkmal erinnert.

Heute würde der Bürgermeister von Hohentengen, Martin Benz, wohl nicht mehr auf die Idee kommen, sich von Baden-Württemberg und der EU zu verabschieden. Auch des Fluglärms wegen. Schliesslich hat Berlin der Gemeinde und dem Landkreis Waldshut endlich Gehör geschenkt - wenn auch erst nach Jahren aktiven Ignorierens.

Quelle

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