Donnerstag, 30. April 2015

Milchmarken statt Milchbüchlein

Milch und daraus hergestellte Produkte waren früher auch in Weiach ein wesentlicher Bestandteil der landwirtschaftlichen Realität. 1883 gründeten die Weiacher Landwirte zur besseren Vermarktung eine Käsereigenossenschaft (kurze Zeit später in «Käsereigesellschaft» umbenannt, vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 47). Diese Gesellschaft wurde im Juni 1910 aufgelöst.

Ab 1912 existierte dann die «Milchgenossenschaft Weiach», welche im November 2009 ihren Zweck änderte und sich seither «Bauerngenossenschaft Weiach» nennt.

Neue Einnehmer, neues Abrechnungssystem

Vor 50 Jahren war die «M.G. Weiach», wie sie in der Kurzbezeichnung hiess, noch sehr aktiv und betrieb auch die Milchhütte beim VOLG, eine Annahme- und gleichzeitig Verkaufsstelle für Rohmilch. Eine wichtige Position nahm die Stelle des Milcheinnehmers ein, wie Walter Zollinger in seiner Jahreschronik 1965 notierte:

«Milchgenossenschaft Weiach: Mit dem 30.4.65 traten Herr und Frau Jost-Griesser als Milcheinnehmer zurück; neu übernahmen ab 1.5. diesen Posten Herr und Frau Walter Schmid-Gantert im Berg. Zugleich werden auf diesen Zeitpunkt anstelle der bisherigen Milchbüchlein nun Milchmarken ausgegeben, die jeweils anfangs jeden Monats im Milchlokal gekauft werden können.»
(G-Ch Weiach 1965, S. 20)

Von den Vorteilen der Milchmarken

Die durch Milchmarken ermöglichte Vereinfachung im täglichen Gebrauch leuchtete sowohl den Genossenschaften wie den Privathaushalten ein.

Für die Milcheinnehmer entfiel das mühsame Hantieren mit Bargeld, was nicht nur eine Zeitersparnis bedeutete (Austausch des Wechselgelds entfiel), sondern auch eine Verbesserung der Hygiene, denn der Kunde konnte seine Jetons in eine Schachtel legen und erhielt dafür die entsprechende Menge Milch in sein Kesseli abgemessen. Mütter konnten bereits kleine Kinder mit Kesseli und Jetons ausgerüstet zum Milchholen schicken. Und liefen dabei nicht Gefahr, dass Bargeld anderweitig verputzt wurde oder das Wechselgeld nicht stimmte.

Und nicht zuletzt konnte man auf diese Weise am Monatsanfang die ungefähr benötigte Menge Milch im Voraus bezahlen. Die Milchproduzenten erhielten so ihr Geld früher und liefen erst noch weniger Gefahr, sich bei Zahlungsausfall eines Kunden den Betrag ans Bein streichen zu müssen. Was beim Milchbüechli-System natürlich ab und zu passierte. Denn da wurde Milch auf Kredit ausgeschenkt und nicht gegen Einhändigung eines Zahlungsmittels, wie dem Ersatzgeld «Milchmarke».

Ein weites Feld für Numismatiker

Bei diesen praktischen Vorteilen wundert es nicht, dass solche Milchmarken im 20. Jahrhundert in der Schweiz weitherum üblich waren. Der Numismatiker Dr. Ruedi Kunzmann hat in seinem Buch «Milchmarken der Schweiz» hunderte von Beispielen dokumentiert. Sie sind nach seiner Einschätzung etwa ab 1910 entstanden und waren bis in die 90er-Jahre in Gebrauch.

In den meisten Fällen handelt es sich bei diesen Marken um runde Jetons aus Messing, ab den 50er-Jahren auch aus eloxiertem Aluminium (das damals erschwinglich wurde). Mit ihnen konnte auf einfache Weise der Warenbezug abgerechnet werden, wobei es sich praktisch immer um Milch handelt, seltener auch um Butter oder Rahm.

Neben der Milchgenossenschaft Weiach gaben nach dem 2013 publizierten Katalog von Kunzmann auch die Milchverkaufsstellen von Windlach, Bachs, Stadel und Steinmaur eigene Prägungen heraus. Was nicht bedeutet, dass es solche in Fisibach, Kaiserstuhl oder Glattfelden nicht gegeben hat.

Wie die Weiacher Marken aussahen

Ab und zu tauchen auf den Auktionsportalen auch solche Milchmarken auf. Im März 2011 zum Beispiel die unten abgebildeten,aus rot eloxiertem Aluminium geprägten Münzen (Vorder- und Rückseite):
Gemäss dem damaligen Anbieter auf Ebay hat die Wert-Marke für 1 Liter Milch der M.G. Weiach einen Durchmesser von 24,1 mm.

Auch im Katalog Kunzmann (1. Aufl. 2013) sind auf S. 415 unter den Nr. 2051 und 2052 vom Prägebild her identische Beispiele abgebildet. Dazu sind folgende Erläuterungen gegeben:

«WEIACH / M. G. (Milchgenossenschaft)Weiach (Kt. ZH)

2051
1/2 Liter Milch ohne Jahr
Legierung: Aluminium hellgrün oder hellblau eloxiert
Durchmesser: 20 mm
Prägestätte: Güller
Seltenheit: selten
Besonderes: Auslieferungen am 23.4.1965 und 10.5.1985

2052
1 Liter Milch ohne Jahr
Durchmesser: 24 mm
Prägestätte: Güller
Seltenheit: selten
Besonderes: Auslieferungen am 23.4.1965, 18.5.1965, 6.12.1966, 27.6.1979, 10.9.1979 und 10.5.1985
»

Als «selten» bezeichnet Kunzmann Milchmarken, die er zwischen 2008 und 2013 zwischen 3 und 10 mal angetroffen hat.

Die auf Ebay verkaufte Marke eingerechnet gab es also Halblitermarken in hellgrün und hellblau, sowie Litermarken in natur (silbern) und rot. Wann genau welche Farben beschafft, bzw. im täglichen Gebrauch eingesetzt wurden, ist mir bislang nicht bekannt.

Die Angaben aus den Geschäftsbüchern der Firma Güller betreffend die erste Auslieferung per 23. April 1965 passt perfekt auf die Angaben von Zollinger, ab wann die Milchgenossenschaft Weiach Milchmarken in Umlauf brachte.

Fast alle Marken kamen aus dem Furttal

Die Prägestätte Güller war übrigens zu dieser Zeit der unangefochtene Quasimonopolist auf diesem Gebiet. Nach Kunzmanns Schätzung (vgl. S. 15 oben) stammten zur Blütezeit der Milchmarken (zwischen 1930 und 1960) mehr als 90% aller Auslieferungen an Milchmarken von dieser 1845 gegründeten und im kleinen Hüttikon im Furttal ansässigen Firma. Sie existiert bis heute als Familienunternehmen in der 6. Generation und arbeitet seit 1864 am selben Standort, vgl. http://www.guellersoehne.ch/

Die Herkunft aus dem Furttal erklärt denn auch, weshalb sich sehr viele Marken punkto Grösse und Design so sehr ähneln. Güller bot nämlich ihren Kunden an, für die Wert-Seite der Marke einen Standardstempel gratis mitbenutzen zu können. So musste jeweils nur die genossenschaftsspezifische Seite eigens hergestellt werden. Das sparte Kosten.

Quellen
  • Zollinger, W.: Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1965 – S. 20. [Original in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach 1965].
  • Kunzmann, R.: Milchmarken der Schweiz. Gietl-Verlag, Regenstauf, 2013 - S. 415.
[Veröffentlicht am 28. Juli 2015]

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