Dienstag, 13. Oktober 2020

Als Weiach zum Schaffhauser Wirtschaftsgebiet gehörte

Am 1. März 1409 wechselte vor dem Stadtgericht in Kaiserstuhl eine Gült die Hand, die auf dem Bauernhof der Familie Ringli in Weiach lastete (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 112). Als Preis für dieses Wertpapier, das eine regelmässige Dividende in Form einer fixen Menge an Getreide abwarf, wurde ein Geldbetrag von 21 Pfund Schaffhauser Währung vereinbart.

Diese Fremdwährung sowie Schaffhauser Masse und Gewichte kommen in den Urkunden des Stadtarchivs Kaiserstuhl über Jahrhunderte hinweg vor. Was hat es damit auf sich? Kaiserstuhl war ja selber nie unter Schaffhauser Herrschaft. Ein Feldzug der Schaffhauser anfangs des 15. Jahrhunderts (ob er stattgefunden hat, darüber streiten sich die Gelehrten, vgl. Bihrer, S. 92 und Anmerkung 54), mag zu einer direkten Herrschaft geführt haben, die jedoch eine kurze Episode geblieben sein muss.

Machtpolitische Gründe

Als gesichert darf gelten, dass die Kaiserstuhler Führungsschicht zwischen 1402 und 1406 versucht hat, die Herrschaft der Fürstbischöfe von Konstanz abzuschütteln, indem sie 1403 das für sie günstigere Badener Stadtrecht (und damit faktisch die Oberhoheit der Habsburger) annahmen. Damit war jedoch der bisherige Stadtherr ganz und gar nicht einverstanden, denn Kaiserstuhl war ein für das Fürstbistum wichtiger Eckstein eines auch fortifikatorischen Schutzes gegen Übergriffe von rivalisierenden Adeliger (wie 1338 den Herren von Tengen, die den Bischof Nikolaus von Frauenfeld entführt hatten) oder Städten. Diese mit hohen Kosten erworbene Position (Bischof Heinrich von Klingenberg hatte 1294 die Stadt samt Brücke und Schloss Rötteln übernommen und im Jahr darauf mit der niederen Gerichtsbarkeit über Weiach ergänzt) wollte das Fürstbistum nicht preisgeben (vgl. Bihrer, S. 78-80).

Da die Habsburger kurz darauf mit dem Fürstbischof einen Deal machen mussten, um die grosse Bedrohung abzuwenden, die ihnen durch den 1405 (während den Appenzellerkriegen und nach der Schlacht am Stoss) gegründeten Bund ob dem See erwachsen war, zogen sie die Unterstützung für die Kaiserstuhler zurück und griffen nicht ein, als der Bischof 1406 zur Rückeroberung seiner Stadt schritt (vgl. Bihrer, S. 77). In der Folge mussten die führenden Geschlechter (insbesondere die Escher und Grebel) sich in die Stadt Zürich flüchten, deren Bürgerrecht sie in (nachträglich gesehen) weiser Voraussicht bereits zwanzig Jahre vorher erworben hatten.

Von da an wurde die Stadt Kaiserstuhl an der ganz kurzen Leine gehalten. Als neue Verwaltungsbeamte und Obervögte setzte der Fürstbischof bevorzugt Amtsträger ein, die aus der Stadt Schaffhausen stammten, wie beispielsweise die Heggenzi, die dort zum Patriziat gehörten. Ab wann die Heggenzi oder Heggenzer die Herrschaft und das Schloss Schwarzwasserstelz vom Fürstbistum zu Lehen erhalten haben, ist bislang noch ungeklärt. Fakt ist: die Heggenzi waren bis zu ihrem Aussterben im Mannesstamme im späten 16. Jahrhundert massgebend in Kaiserstuhl.

Allein schon daraus könnte man ableiten, weshalb Schaffhauser Währung, Mass und Gewicht in Kaiserstuhl diese Geltung hatten. 

Wirtschaftliche Gründe

Es gibt aber auch einen wesentlich handfesteren, wirtschaftlichen Grund: die Ausstrahlung und Anziehungskraft von Schaffhausen als Marktort. Auf diesen Aspekt hat Hektor Ammann 1948 in seiner umfangreichen Abhandlung über die Schaffhauser Wirtschaft im Mittelalter hingewiesen:

«Kein Maß aber hat außerhalb des Marktortes eine solche Verbreitung erlangt und wird so oft genannt wie das Getreidemaß. Abgaben und Zinse wurden ja auf dem Lande in erster Linie in Getreide geleistet und maßgebend war dafür das Maß des nächsten Marktortes, wo dieses Getreide umgesetzt werden konnte. So zeigt die Verbreitung des Getreidemaßes deutlich die Reichweite eines Marktes.» (Ammann S. 162)


Besonders zu beachten sind diejenigen Gebiete, wo der Einfluss des Schaffhauser Marktes weit in heute zürcherisches Gebiet hineinreicht (nordwestliches Weinland bis an die Thur), aber auch die beiden Brückenköpfe bei Eglisau (mit Seglingen und Tössriederen) sowie Kaiserstuhl (mit Fisibach und Weiach) und bis nach Zurzach hinunter. Der Einfluss des Zürcher Marktgebietes zeigte sich (gemäss dieser Karte von Ammann, S. 163) ennetrheinisch im Gegenzug einzig im heute deutschen Kadelburg.

Ammann stellt deshalb fest: «Hier setzt sich das wirtschaftliche Uebergewicht eben durch! Wir erhalten insgesamt aus der Verbreitung des Schaffhauser Getreidemaßes das Bild eines geschlossenen Marktgebiets, das in seiner Gestaltung durchaus dem aus dem Verbreitungsgebiet der Schaffhauser Münze gewonnenen Eindruck einspricht. [...] Eine ganze Anzahl von kleinen Städten hat im Bereiche Schaffhausens gar keine eigene Bedeutung erlangen können, so z.B. Eglisau oder Kaiserstuhl, [...]» (Ammann S. 165)

Geographische Gründe

Für diese Ansicht Ammanns spricht auch die Geographie. Schaffhausen, Eglisau und Kaiserstuhl liegen nun einmal am selben Fluss, Zürich jedoch nicht. Von dort erreicht man den Rhein per Schiff nur über die Aare. Die Schaffhauser Schifffahrt bewältigte grosse Teile des Warentransports auf dem Rhein bis nach Zurzach und Koblenz. Auf dem Landweg verlief zudem eine wichtige Handelsroute (Augsburg-Lyon) über Schaffhausen und Kaiserstuhl nach Baden. All diese Handelsbeziehungen prägten Denken und Handeln der Kleinstadt Kaiserstuhl massgeblich.

Fazit aus Weiacher Sicht

So kommt es, dass selbst in einem Gülten-Handel zwischen zwei Zürcher Bürgern auf Schaffhauser Getreidemasse Bezug genommen wird, wie in dieser Urkunde vom 10. Juli 1601:

«Anndreas Salenbach, burger der statt Zürich, verkauft seinem Mitbürger Heinrich Werdmüller den jährlichen Zins von 5 müt und l viertel kernen gälts Schaffhuser mäß, dessglychen 1 fassnacht- und 2 herpsthüner, ouch 60 eier von einem gütli, genannt dess Pfyffers güthli, zů Wigach gelegen, gemäss den Briefen v. 1492 VI. 21. und 1591 XI. 19. (vgl. Nr. 116 u. 282). Währschaftsversprechen. Erbetner Siegler: Jacob Sprenng, des Rats zu Zürich, Zunftmeister. - Orig. Perg. StAK Urk. 294. S.-Fragment hängt. Unterfertigung: Hanns Růdolff Seeholtzer.» (AU XIII, Nr. 318)

Wenn Weiacher Grundstücke in Kaiserstuhl mit einer Gült belastet worden waren (wie im Falle des Pfyffers-Güetli ursprünglich geschehen), dann wurde diese Dividendenangabe selbstverständlich übernommen. Hier von Andreas Salenbach, der das Wertpapier nach knapp zehn Jahren Haltedauer wieder abstiess.

Weiach gehörte als Teil des Amts Kaiserstuhl zu dessen Wirtschaftsgebiet. Die Zürcher hatten lediglich eine hochgerichtliche Funktion. Wirtschaftlich war die Einbindung besonders im 14. Jahrhundert noch sehr stark und lockerte sich erst mit der Territorialisierung sowie der religiösen Spaltung ab 1520. 

Für die Weiacher Landwirte der frühen Neuzeit waren die schaffhausischen Getreidehohlmasse aus den obgenannten Gründen so geläufig wie für heutige Schuldner der Zinssatz ihrer Hypothek und der Geschäftssitz ihrer Hypothekarbank.

Hinweis vom 16. Oktober 2020

Allzu eng darf man die Darstellung von Ammann nicht interpretieren. Davor wird u.a. im Werk Zofingen von der Urzeit bis ins Mittelalter (August Bickel; Aarau 1992 – S. 345) gewarnt: Man müsse «Hektor Ammann widersprechen, wenn er die Verbreitung eines Masses mit dem sogenannten engeren Marktgebiet einer Stadt» gleichsetze.

Quellen und Literatur

  • Ammann, H.: Schaffhauser Wirtschaft im Mittelalter. Kapitel IV: Die Wirtschaft Schaffhausens im ausgehenden Mittelalter (14. und 15. Jahrhundert). In: Historischer Verein des Kantons Schaffhausen (Hrsg.): Schaffhauser Beiträge zur vaterländischen Geschichte, Band 25 (1948) – S. 43-222 (hier S. 162-165).
  • AU XIII. Kläui, P. (ed.): Die Urkunden des Stadtarchivs Kaiserstuhl. Aargauer Urkunden Bd. 13. Aarau 1955 – Nr. 318, S. 162.
  • Bihrer, A.: Die Stadt Kaiserstuhl im Spätmittelalter (1294-1415). Handlungsspielräume und Funktionen einer Kleinstadt im Aargau. In: Argovia 118 (2006) – S. 73-104.
  • Brandenberger, U.: Eine Gült wechselt die Hand. Der Bauernhof der Familie Ringli – vor 600 Jahren eine Kapitalanlage. Weiacher Geschichte(n) Nr. 112. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, März 2009.
  • Brandenberger, U.: Wie liefert man 28 3/4 Eier? Partizipationsscheine anno dazumal. WeiachBlog Nr. 1371 v. 25. Juli 2018.

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