Freitag, 17. Februar 2023

Otto Schulthess zum römischen Grenzschutz am Oberrhein

Otto Schulthess (1862-1939) war nach Ferdinand Keller und Jakob Heierli (vgl. WeiachBlog Nr. 1898) der dritte namhafte Gelehrte, der sich mit den Weiacher Wachttürmen vertieft befasst hat. Geboren wurde er in Winterthur, studierte klassische Philologie (Griechisch und Latein) und arbeitete lange Jahre als Gymnasiallehrer in Frauenfeld. Daneben betätigte er sich als Privatgelehrter, bis er schliesslich 1907 ordentlicher Professor in Bern wurde.

Dort sei, so der Wikipedia-Artikel über ihn, neben seine angestammten Forschungsgebiete (antikes Recht, Epigraphik und Papyrologie) neu auch die Provinzialrömische Archäologie hinzugetreten: «Schulthess beteiligte sich an der Kommission für römische Forschung der Schweizerischen Gesellschaft für Erhaltung der Kunstdenkmäler. Bei der 1909 gegründeten schweizerischen Rheinlimes-Kommission übernahm er den Vorsitz und führte in ihrem Auftrag mehrere Grabungen durch.»

Der Begriff Rheinlimes (in Anlehnung an den berühmten Obergermanischen Limes) ist dabei etwas hoch gegriffen, da es sich in unserer Gegend nicht um eine durchgehende Befestigung, sondern eher um eine Kette von Wachttürmen, Kastellen und kleineren befestigten Plätzen und Flussübergängen entlang des Rhein und seines südlichen Hinterlandes gehandelt haben dürfte.

Zum Begriff Oberrhein ist anzumerken, dass sich in späteren Jahren für den Fluss-Abschnitt von Stein am Rhein bis Basel der Begriff Hochrhein eingebürgert hat, vgl. den offiziellen Namenszusatz unserer deutschen Nachbargemeinde, sowie WeiachBlog Nr. 834.

Ein Vorabbericht in der NZZ

Die Arbeiten dieser Rheinlimes-Kommission interessierten auch die Öffentlichkeit, sodass die Neue Zürcher Zeitung am heutigen Datum vor 100 Jahren einen Bericht über einen von Schulthess gehaltenen Vortrag in die Rubrik Feuilleton einrückte:

«C. B. In der Sitzung der Zürcher Antiquarischen Gesellschaft vom 10. Februar sprach Prof. Otto Schultheß aus Bern über die römischen Warten am schweizerischen Rhein. Auch heute freilich sei, Jahre nach der leider etwas verfrühten Arbeit von Heierli im 1. Heft der Geographisch-Ethnographischen Gesellschaft, die Zeit zu einer zusammenfassenden Darstellung eigentlich noch nicht gekommen, da noch nicht über alle Punkte Einigkeit erzielt ist. 

Kaiser Valentinian I. (364-375) schützte die Flußgrenzen des Reiches offenbar planmäßig mit Türmen (turres, speculae, seit etwa 100 n. Chr. mit Vorliebe, nach einem offenbar von den Germanen entlehnten Wort burgi genannt), die weniger der Verteidigung als der Beobachtung und Signalisierung sich nähernder Feinde zu dienen hatten. Diese Tätigkeit des Kaisers illustrieren bei uns die beiden Bauinschriften, vom Jahr 371, von Etzgen, heute im Antiquarium in Aarau, und von der Warte am Kleinen Laufen im Landesmuseum, 1906 von Heierli gefunden; die letztere brachte in der interessanten Ortsbezeichnung ad summam rapidam das neue lateinische Wort rapida, das vorher nur von den romanischen Sprachen aus supponiert war [vgl. dazu ASA Bd. 9 (1907), H. 3, S. 190ff.]. Damit sind für den Rhein-Limes - diese vom obergermanischen Limes entlehnte, für die Rheinlinie jedoch unzutreffende Bezeichnung wird der Bequemlichkeit halber beibehalten - die urkundlichen Beweise bereits erschöpft. 

Das Unternehmen der Kaiser Valentin[i]an, Valens und Gratian war der letzte Versuch, die Rheingrenze festzuhalten. Vorher hatte, wie Burckhardt-Biedermann nachwies, Diokletian eine Rheinbefestigung neu durchgeführt und dabei doch wahrscheinlich auch kleinere Bauten errichtet; sie war eine Folge der durch die Alemanneneinfälle um die Mitte des 3. Jahrhunderts veranlaßten Aufgabe des rechten Rheinufers durch Gallienus. Vorher, seit etwa 100 n. Chr., war, nachdem die Römer das rechtsrheinische Gebiet südlich der Donau in Besitz genommen und durch den Limes Domitians geschützt hatten, die Rheinlinie ohne Bedeckung; die Truppen waren von Vindonissa an den [obergermanischen] Limes verlegt. Daß von den ersten Warten nach der Wiederherstellung der Rheinbefestigung keine Spur mehr vorhanden ist, rührt wohl davon, daß sie aus vergänglichem Material errichtet waren.

Ferdinand Keller erkannte zuerst, daß die Warten ein System von Befestigungen bildeten. Ihre Untersuchung wurde systematisch vorgenommen durch eine von der archäologischen Kommission der Gesellschaft für Erhaltung historischer Kunstdenkmäler 1908 bestellte Kommission (Heierli, Th. Burckhardt-Biedermann, Karl Stehlin und der Vortragende).

Türme nicht nur auf der Schweizer Seite

Wie diese Warten aussahen, zeigen die Darstellungen an den Säulen Trajans und Antonins. Sie standen mit wenigen Ausnahmen am Steilrand des Ufers, was auch erklärt, warum so manche dieser Bauten verschwunden sind - sie sind bei Veränderungen des Rheinufers abgestürzt. Für ihre Distanzen war in erster Linie die Sichtbarkeit einer jeden von den beiden nächstliegenden maßgebend; bei Krümmungen des Rheins standen sie dichter. Doch hat sich wahrscheinlich als eine Art Normale eine Strecke von 1200 bis 1500 Meter erwiesen. Das ergab die Möglichkeit, auch an Stellen ohne sichtbare Spuren mit der Wahrscheinlichkeit des Erfolges den Spaten anzusetzen oder an solchen Stellen Warten vorauszusetzen. Wo das rechte das linke Ufer wesentlich überragte, lagen die Wachttürme gewiß, einer ausdrücklichen Stelle Ammians entsprechend, auf dem rechten Ufer [d.h. die Feindseite]

Die Seitenlänge des quadratischen Grundrisses schwankt zwischen 6,5 und (Weiach) 14 Meter [diese Angabe zeigt, dass es sich hier um die als Wachtturm gelesenen Fundamentreste am Osthang des Weiacher Dorfbachgrabens handelt]. Als Material ist besonders häufig ein in der Nähe gebrochener, leicht zu bearbeitender Tuffstein verwendet. Sind bei vielen der Türme nur noch die Fundamente oder die Fundamentgräben vorhanden, so bei andern noch Mauern darüber, wie bei der am Kleinen Laufen in einer Höhe von 2,50 bis 4 Meter. Die im allgemeinen geringe Tiefe der Fundamente zeigt eine nicht große Last auf ihnen an. Zahlreiche Ziegelbrocken lassen auf harte Bedachung schließen; die Verschiedenartigkeit der Ziegel beweist, daß sie nicht neu hergestellt, sondern von Zivilbauten in der Nähe genommen wurden. 

Wall und Graben gehörten selbstverständlich zu diesen Bauten; diese Erdaufschüttungen sind meist zerstört. Pallisadenschutz ist wahrscheinlich. Eine technische Besonderheit sind verschiedenenorts, namentlich unterhalb der Aare, eine Art Schwellenroste, im Boden eingelegte Balken, deren Zweck nicht sicher festgestellt ist. Bei keiner Warte oberhalb der Aare fanden sich runde Löcher, die Holzeinlagen trugen. 

Zurückhaltung in der Publikationstätigkeit

Publiziert ist von den Funden nicht sehr viel; die Forschenden übten Zurückhaltung, einmal wegen der Gleichartigkeit der Funde, dann weil sie, selber erst Lernende, nicht vorzeitig vor die Oeffentlichkeit treten wollten. Finderfreuden und Enttäuschungen der Forscher auf der Suche nach Warten schilderte weiter der Vortrag, der dabei nicht nur von den Fortschritten im Suchen, sondern auch an Hand von Vorweisungen von denen im Zeichnen, die vor allem dem praktischen Geschick und dem Zeichentalent Theophil Wehrlis zu danken sind, einen Begriff geben wollte. 

Die Beauftragten hatten ihr Forschungsgebiet in ein unteres, das die Basler Burckhardt-Biedermann und Stehlin, und ein oberes, das Heierli und der Vortragende übernahmen, geteilt. Hier war lange nur der Köpferplatz bei Ellikon bekannt. Andere Reste galten nur als römisch, oder waren es, waren aber keine Wachttürme, und die Nachforschungen brachten wohl etwa Refugien zutage, aber keine Warten; bis endlich die Auffindung derjenigen am Rheinknie auf der Scharenwiese gegenüber Büsingen das Eis brach: die aus der Karte gewonnene Voraussetzung einer specula an dieser Stelle war gerechtfertigt. Es folgten die weitern Feststellungen von Warten, darunter in Reichlingen (eidgenössisch: Rheinklingen), bei Rheinsfelden, im Ratihard, bei Weiach. Eine serienweise Publikation im „Anzeiger für schweizerische Altertumskunde“ [ASA], der eine zusammenfassende kurze Darstellung folgen wird, steht jetzt in Aussicht. 

In der Diskussion wurde eine Mitteilung über die erwähnten Löcher gemacht, die zur Aufnahme beim Bauen gebrauchter Gerüste gedient hätten, ferner auf die eben erfolgte Anzeige eines neuen Pfahlbaus bei Horgen hingewiesen, im übrigen dem Vortragenden lebhafte Anerkennung bekundet.»

Aus dieser (im vorletzten Abschnitt erwähnten) umfassenden Publikation wurde offenbar nichts. Die Angaben im 14. Jahresbericht der Schweizerischen Gesellschaft für Urgeschichte (JbSGU 14 (1922), S. 86-89) sind die einzigen publizierten Informationen, insbesondere zur ältesten dokumentierten Grabung an und bei der östlichen Abbruchkante des Dorfbachgrabens.

Quelle

[Veröffentlicht am 18. Februar 2023 um 01:00 MEZ]

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