Dienstag, 14. Mai 2024

«Im Krieg hinten». Die Sicht der Karten und Lexika im 19. Jh.

«Westwärts des Dorfes, als Ausläufer des Sanzenberges, erhebt sich das niedrige "Riemli" mit einem obstbaumbestandenen Wingert, der "im Chrieg" heisst und dessen nun verstorbener Besitzer der "Chrieghans" genannt worden war.»  (G-Ch Weiach 1953, S. 12-13)

So führt Walter Zollinger in seiner Jahreschronik 1953 den Flurnamen Im Chrieg in die lokalhistorische Literatur ein. Seine Aufzeichnung erfolgte im selben Zeitraum, in dem der Namenkundler Prof. Bruno Boesch seine Feldaufnahmen in Weiach vornahm. Dessen Ziel war ein Zürcher Orts- und Flurnamenbuch. Davon ist bis heute erst ein Werk über Siedlungsnamen im Druck erschienen (Siegfried-Schupp 2024), also zu einem relativ kleinen Teilbereich.

Beim genannten Eigentümer «Chrieghans» handelt es sich um Hans Willi, der mit seiner Familie an der Herzogengasse 2 wohnte (Tel. Auskunft von Willi Baumgartner-Thut, 12.5.2024). Mit Max, dem Sohn des Chrieghans, ging Willi Baumgartner in den 1940ern nach Kaiserstuhl in die Bezirksschule.

Chriegacher im Fraumünster-Kelleramtsurbar

Im Rahmen der Arbeiten für ein Zürcher Namenbuch wurden unter Boesch & Rutishauser auch historische Belege aus alten Schriften gesammelt. 

So findet man im sog. Kelleramtsurbar des Fraumünsters (StAZH G I 142, 153) die Bezeichnung «Im Krieg Acher» für eine landwirtschaftliche Fläche im Gebiet der Gemeinde Weiach. Dieses Urbar wurde bereits 1548 erstellt und 1652 revidiert. Hier könnte also die älteste Nennung des Flurnamens überhaupt zu finden sein. 

Wo dieser Chriegacher lag, ist derzeit unbekannt. Wo er sich mutmasslich befunden haben muss, kann dereinst allenfalls durch Analyse dieses Urbars und Quervergleich mit anderen Quellen eruiert werden.

Der Chrieg: Teil eines Weingartens?

Nach Zollinger ist dieser Besitz also ein Baumgarten, der einst ein Weinberg war. Gehörte er zu den Kellenreben, die auf der Topographischen Karte des Kantons Zürich aus der Mitte des 19. Jahrhunderts (sog. Wild-Karte) noch in ihrer damaligen beachtlichen Grösse eingezeichnet waren? Das war noch vor dem Auftreten der Reblaus, die in den 1860ern aus den USA eingeschleppt wurde und das Ende des traditionellen Weinbaus auch in der Schweiz eingeläutet hat.


Auf dem obigen Kartenausschnitt (StAZH PLAN A 4.9 des Blatts IX, gedruckt im Mai 1859) sieht man den «Krieg» mit 3 Häusern kurz nach der Stelle eingezeichnet, wo die Zelglistrasse von der Stockistrasse abzweigt. Bemerkenswert auch, dass laut Wild-Karte die heutige Riemlistrasse einst die «Stockigass» gewesen sein soll.

Hartungs Messtischaufnahmen spuren vor

Auf den zwischen 1845 und 1848 entstandenen sog. Original-Messtischaufnahmen, die von Ingenieur Moritz Hartung aus Regensberg erstellt wurden (StAZH PLAN A 3.28), findet man den Siedlungsnamen «Krieg» sogar noch etwas weiter südwestlich:


Die Kalke zementieren die Vorstellung

Auf den «calques», den Kartenbild-Pausen auf durchsichtigem Papier (vgl. nachstehend: StAZH PLAN A 8.24), mit denen die Messtischaufnahmen für die Übernahme auf die Lithographie-Steine aufbereitet wurden, sieht es dann bereits so aus wie später auf der gedruckten Karte:


Im Gegensatz zum Dorfteilnamen Kaehlen sind die Flurnamen (Ruchli, Krieg, Hafnergass, Stockigass) hier nicht mit Tusche, sondern lediglich mit Bleistift eingezeichnet.

Lexika führen eine Relativbezeichnung ein

Eine Neuerung bringt das Ortslexicon des Cantons Zürich von Friedrich Vogel, Departements-Secretaire des Finanzrathes, das 1834 im Manuskript fertiggestellt war (vgl. StAZH MM 2.21 RRB 1834/2015).

Vogel setzt den Flurnamen zum Ortskern in Beziehung, der beim Zusammenfluss von Sagibach und Mülibach angenommen wird (heute unter der Stadlerstrasse nahe dem VOLG). Von dort aus gesehen liegt diese Flur «hinten» (wie man auch von der «hinteren Chälen»spricht, wenn u.a. die Gebäude am Bachserweg 2 und 6 gemeint sind):

«Im Krieg hinten, Gegend mit 4 Wohngeb. in der Kirch-, polit., Civil- und Schulgem. Weyach.» (S. 103)

Schon 1841 korrigiert derselbe Autor in der 2. Auflage seines Lexikons (als Neues Ortslexikon des Kantons Zürich bezeichnet) die Angabe wie folgt:

«Krieg, im, Ortsgegend des Dorfes Weyach mit 3 Wohnh., die westlich von Kellen liegen.» (S. 137)

Für sein Geographisch-statistisches Handlexikon des Schweizerlandes übernahm Johann Jakob Leuthy (1788-1855) im Jahre 1846 diese zweite Version:

«Krieg, im, 3 Hsr. in der zürch. Pfr. Weiach.» (S. 348)

Der Zürcher Professor Gustav von Escher geht für seinen Ergänzungsband 1850-1860 der Memorabilia Tigurina oder Chronik der Denkwürdigkeiten des Kantons Zürich wieder auf die alte Auffassung Vogels von 1835 zurück: 

«Die politische Gemeinde Weiach umfasst die Ortsnamen: [...] im Krieg hinten, [...]» (S. 686)

Oder doch weiter unten und weiter vorne Richtung Dorf gelegen?

Wenn wir uns nun an den Artikel Nr. 2097 vom 10. Mai erinnern, dann ist der Name «Chrieg» auf modernen Karten von Swisstopo jedoch an anderer Stelle eingezeichnet als auf der Wild-Karte. Er ist just dort platziert, wo es eben gerade noch dafür Platz hat: Bei der bald einzigen Baulücke, die sich im Geviert zwischen Neurebenstrasse und Chälenstrasse heutzutage noch finden lässt. Die in der Datenbank ortsnamen.ch gegebene Koordinate könnte somit rein darstellungstechnisch bedingt sein. 

Diese Vermutung verdichtet sich, wenn man sich den aktuellen Katasterplan der Amtlichen Vermessung auf der GIS-Seite des Kantons Zürich ansieht (vgl. Bild unten). Da stellt man fest: Der Flurname «Chrieg» haftet auch an der Parzelle 184 (Weinbergstrasse 11a) und nicht nur am noch unbebauten Grundstück mit der Nummer 1600.

Quellen und Literatur

  • Eintrag Chriegacher in der Datenbank ortsnamen.ch; mit Verweis auf das Kelleramtsurbar des Fraumünsters, angelegt von Hch. Weber 1548 bei der Einverleibung des Kelleramts ins Obmann- und Almosenamt, 1652 bereinigt von Stiftsschreiber Joh. Ludwig Keller. Signatur: StAZH G I 142, 153.
  • Vogel, F.: Ortslexikon des Kantons Zürich oder alphabetische Aufzählung aller Ortschaften, Höfe und einzelnen Wohnungen des Kantons, die besondere Namen tragen, mit Angabe der bürgerlichen und kirchlichen Abtheilungen, in welche sie gehören, u.a.m. von F. Vogel, Secretair. Schulthess'sche Buchhandlung (Fr. Schulthess und G. Höhr) Zürich 1835 – S. 103.
  • Vogel, F.: Neues Ortslexikon des Kantons Zürich oder alphabetisches Verzeichniß aller Ortschaften, Höfe und einzelnen Wohnhäuser, die besondere Namen führen, mit Angabe der Gemeinde, zu welcher sie gehören, ihrer Lage u.s.f. und verschiedenen statistischen Notizen. Zweite, verbesserte und vermehrte Ausgabe. Zürich, 1841 – S. 137.
  • Leuthy, J. J.: Geographisch-statistisches Handlexikon des Schweizerlandes. Zürich/Baden 1846 – S. 348.
  • Hartung, M.: Original-Messtischaufnahmen für die Topographische Karte des Kantons Zürich (Wild-Karte). Blatt 25: Stadel, 1845-1848. Signatur: StAZH PLAN A 3.28.
  • N. N.: Vorlagen für die Topographische Karte des Kantons Zürich (Wild-Karte): Bezirk Dielsdorf. Ortsplan Weiach, 1845-1859. Signatur: StAZH PLAN A 8.24.
  • Enderli, H.; Brack, J. J.: Topographische Karte des Kantons Zürich (Wild-Karte). Blatt IX: Weiach, gedruckt im Mai 1859. Signatur: StAZH PLAN A 4.9.
  • von Escher, G.: Memorabilia Tigurina oder Chronik der Denkwürdigkeiten des Kantons Zürich 1850-1860. Zürich 1870 – S. 686.
  • Zollinger, W.: Jahreschroniken Weiach 1952-1967. Originale: Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach [Jahrgang]. Hier: Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1953. Signatur: ZBZ Handschr G-Ch Weiach 1953 – S. 12/13.
  • Siegfried-Schupp, I.: Von Angst und Not bis Zumpernaul. Siedlungsnamen im Kanton Zürich. Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich (MAGZ), Bd. 91, Zürich 2024.
  • Mündliche Auskünfte von Willi Baumgartner-Thut (*1930) vom 12. Mai 2024.

Mini-Serie «Im Chrieg. Ein Weycher Flurname»

Teil 1 (WeiachBlog Nr. 2096); Teil 2 (WeiachBlog Nr. 2097); Teil 3 = dieser Artikel (WeiachBlog Nr. 2098); Teil 4 (WeiachBlog Nr. 2099)

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