Donnerstag, 6. Juni 2024

Pferdegespann für den Bischof landet in Güllengrube

Der Papst, das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche mit Sitz im Vatikan zu Rom, hat bekanntlich eine ganz besondere Eigenschaft, nämlich seine Unfehlbarkeit. Nun ist der Pontifex als Mensch genauso fehlerhaft wie wir alle. Diese infallibilitas, wie man sie in der Amtssprache der Kirche nennt, kommt ihm auch nur dann zu, wenn er einen Entscheid in einer Glaubens- oder Sittenfrage als Lehrer der Christenheit im übertragenen Sinne ex cathedra, also von seinem herausgehobenen Sitz aus, verkündet. 

Der Kulturkampf nach dem Vatikanum

Das gilt auch noch nicht seit grauer Vorzeit, sondern erst seit dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869-1870). Dieses Vatikanum I löste den sogenannten Kulturkampf aus und führte in der Schweiz unter anderem zu vier konfessionellen Ausnahmeartikeln in der Bundesverfassung von 1874, darunter das Jesuitenverbot.

Innerhalb der römisch-katholischen Kirche selber gab es ebenfalls Aufruhr, was zu einer Abspaltung von Klerikern und Laien führte, die mit den Neuerungen des Vatikanums nicht einverstanden waren. In Deutschland kam es zur Gründung der Altkatholischen Kirche und in der Schweiz derjenigen der Christkatholischen Kirche.

Sticheleien zwischen den katholischen Glaubensrichtungen

Auch in unserer Nachbargemeinde Hohentengen gab und gibt es bis heute Altkatholiken. Und natürlich kam es besonders zu Beginn zu etlichen Spannungen zwischen Gläubigen der beiden Richtungen. 

So ist denn auch der bissige Unterton zu verstehen, den man im folgenden Kurzbericht in einer stramm römisch-katholischen Zeitung, der Freien Stimme aus Radolfzell am Bodensee, lesen konnte. Geschrieben wohl von einem in Hohentengen ansässigen Papsttreuen:

«Hohenthengen, 27. Juni. Heute war hier Firmung durch den altkathol. Bischof. 23 Firmlinge wurden gezählt. Bischof Reinkens kam gestern Abend halb 6 Uhr hier an. Er hätte mit einer zweispännigen Chaise am Bahnhofe in Weiach-Kaiserstuhl abgeholt werden sollen. Aber die beiden Pferde fielen vor Abgang mit ihrem sauber geputzten Geschirr in die Güllengrube, an ein Abholen des Bischofs war nun nicht mehr zu denken. Die Riemen mußten abgeschnitten und die Thiere aus ihrem schmutzigen Bade herausgezogen werden. Der blinde Gaul des Herrn Müller-Müller soll die ganze Verlegenheit veranlaßt haben. Der Herr Bischof machte den halbstündigen Weg nun zu Fuß hierher.»

Ein landwirtschaftliches Missgeschick mit geistlichen Folgen und schriftlichem Niederschlag. Ohne die Animositäten gegenüber den Altkatholiken hätte es die Geschichte nicht in die Zeitung geschafft.

Per pedes apostolorum

Bei diesem Herrn Bischof, der offensichtlich gut zu Fuss war und das nun auch unter Beweis stellen konnte, handelt es sich um Joseph Hubert Reinkens (* 1. März 1821 in Burtscheid; † 4. Januar 1896 in Bonn). Er gehörte zu den Gründern der Altkatholischen Kirche in Deutschland und war ihr erster Bischof.

Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Joseph_Hubert_Reinkens.png

Quelle

  • Freie Stimme, Jg. 22 (1886), No. 78, 6. Juli 1886, S. 2

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