Freitag, 14. Juni 2024

Die Hauptstadt lag 441 Kilometer entfernt

Unser Dorf gehörte einst zu Belgien? La Suisse n'existe pas? Sozusagen, ja. Es kommt immer darauf, von welcher Zeit wir reden.

Blenden wir zweitausend Jahre zurück, ins Imperium Romanum. Von ca. 16 v. Chr. bis ca. 85 n. Chr., also während rund 100 Jahren, wurde das Gebiet, zu dem Weiach heute gehört, von Durocortorum aus regiert. 

Diese Provinzhauptstadt ist besser bekannt unter dem Namen Reims und liegt ca. 130 km nordöstlich der heutigen französischen Metropole Paris. Oder eben, wie im Titel erwähnt, rund 440 Kilometer oder 100 Stunden zu Fuss von Weiach entfernt.

Die Provinz nannten die Römer Gallia Belgica oder eben kurz Belgica, die belgische Provinz. Sie erstreckte sich vom Genfersee bis an den Ärmelkanal. 

In Droysens Historischem Handatlas sind die damaligen Verhältnisse kartographisch abgebildet. So gut man das halt aufgrund der noch verfügbaren Informationen rekonstruieren kann:

Bildquelle: Gustav Droysens Allgemeiner historischer Handatlas in 96 Karten mit erläuterndem Text Bielefeld [u.a.]: Velhagen & Klasing 1886, S. 17

Die Provinzgrenzen der Belgica sind grün hervorgehoben. Die Provinzhauptstadt Durocortorum ist in diesem Ausschnitt oben links zu finden. Am Rhein war (wie heute) eine Grenze, nördlich des Stromes befand sich die Provinz Agri Decumates. Und grosse Teile der heutigen Schweiz (Westschweiz, Zentralschweiz und Zürich) gehörten zur Belgica

Östlich davon lag die Provinz Raetia, die sich bis an die Donau erstreckte (nördlich darüber hinaus) und beim heutigen Regensburg bzw. Passau ihre Grenze fand. Was heute Bayern, Tirol und Südtirol sind, das gehörte alles zur Raetia. Die Grenze zwischen Belgica und Raetia lag vor Schleitheim SH (damals Juliomagus) bzw. bei Pfyn TG (damals Ad Fines), ein sprechender Name, der auf die Grenze hinweist.

Zugehörigkeit zur Gallia Lugdunensis ungewiss

Zur Geschichte der Provinz Belgica schreibt Regula Frei-Stolba im Historischen Lexikon der Schweiz: 

Römische Provinz (heutiges Nordfrankreich, Belgien, südlicher Teil der Niederlande), welcher im 1. Jh. n. Chr. der grösste Teil des schweizerischen Mittellandes und des Juras zugeordnet war (Provincia). 

Bereits Julius Caesar unterschied in seinen Kommentaren zum Gallischen Krieg (58-52 v. Chr.) die Belgae von den Galli oder Celtae und den Aquitani. 

Kaiser Augustus trennte 22 v. Chr. von der bisher ungeteilten Gallia Transalpina die Provinz Gallia Narbonensis [im heutigen Südfrankreich] ab und bildete wohl 16-13 v. Chr. aus dem restlichen Gallien drei kaiserliche Provinzen: Aquitania, Lugdunensis und Belgica, die indes nicht mit den vorrömischen Sprach- und Volksgruppen übereinstimmten. 

Ob die Helvetier, die Rauriker, die beiden römischen Kolonien Iulia Equestris (Nyon [VD]) und Augusta Raurica (Augst [BL]) sowie die Lingonen und Sequaner anfänglich zur Provinz Lugdunensis gehörten, ist ungewiss. 

Später, noch z.Z. des Augustus, zählten sie jedenfalls zur Belgica. Diese umfasste ca. 35 Civitates [eine Art Unterprovinzen], Provinzhauptort war Durocortorum (Reims), Sitz des Finanzprokurators Augusta Treverorum (Trier). 

Um 85 n. Chr. wurden die beiden Heeresbezirke am Rhein zu den selbstständigen Provinzen Germania Inferior (Hauptstadt Colonia Agrippinensis, heute Köln) und Germania Superior.

Machtzentren überdauern den Zusammenbruch des Imperiums

Man sieht hier, wie stark die gesamte römische Staatsorganisation auch in relativen Friedenszeiten (wie unter Kaiser Augustus) auf der Macht des Militärs beruhte. Ohne seine Legionen war das Römische Weltreich ganz einfach nicht zusammenzuhalten. Weder im Inneren noch gegen Aussen.

Die Stadt Reims war übrigens auch nach dem definitiven Zusammenbruch der Römerherrschaft im 5. Jahrhundert von entscheidender Bedeutung. Dort gab es einen Bischofssitz sowie eine ausgebaute Verwaltung mit den entsprechenden Spezialisten. Die wurden von den neuen Herren im Land, den Franken, sozusagen übernommen. So kam es dann, dass Reims auch unter den Merowinger-Königen (ca. 460 bis 751) eine wichtige Stellung einnahm.

Quellen

  • Professor G. Droysens Allgemeiner Historischer Handatlas in sechsundneunzig Karten, mit erläuterndem Text. Ausgeführt von der Geographischen Anstalt von Velhagen & Klasing in Leipzig unter Leitung von Dr. Richard Andree. Velhagen & Klasing, Bielefeld/Leipzig 1886.
  • Frei-Stolba, R.: Belgica. In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 19. Juni 2002.

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