Sonntag, 16. Juni 2024

Wegen liederlichem Lebenswandel unter Bevogtigung gesetzt

Ende Mai und Mitte Juni 1815. In diesem Zeitraum kam der sogenannte Wiener Kongress zum Abschluss, der zwischen dem 18. September 1814 und dem 9. Juni 1815 die Neuordnung Europas nach einem Vierteljahrhundert kriegerischer Auseinandersetzung quer über den Kontinent besiegelt hat. Für die Schweiz bedeutete dies eine Gebietskompensation für den Kanton Bern (Jura als Ersatz für Waadt und Aargau) sowie die neu als Kantone vollberechtigten Genf, Neuenburg und Wallis.

Sozialhilfe-Alarm. Es ist Gefahr im Verzug

In derselben Zeit lief im nach konservativen Grundsätzen wiederhergestellten Kanton Zürich vieles wieder nach alten Mustern wie zu Zeiten des Ancien Régime. 

Und einiges lief wie immer. Ob vor, während oder nach der Helvetischen Republik: Die Gemeindekassen mussten immer gut geschützt werden. Besonders die der nicht auf Rosen gebetteten Armengüter.

Unter der Rubrik Avertissements findet man im Zürcherischen Wochen-Blatt vom 29. May 1815 denn auch die Mitteilung eines rigoros durchgreifenden Bezirksgerichts. Damals wurden die beiden Bezirke Bülach und Dielsdorf noch unter einem Dach von Bülach aus geführt, weshalb der nachstehende Entscheid auch dort gefällt wurde: 

«Da der Felix Hauser und dessen Tochtermann [d.h. Schwiegersohn] Jakob Schneider von Weyach, durch das Waisenamt der Bezirksabtheilung Regensperg, wegen liederlichem Lebenswandel unter Bevogtigung gesetzt und von dem Bezirksgericht Bülach öffentliche Verrufung über dieselben erkennt worden; so ergehet hiemit an Jedermann, besonders Gastwirthe und Weinschenken, die Warnung: sich mit den benannten Felix Hauser und Jakob Schneider in keinerley Verkehr einzulassen, sondern statt ihrer an den geordneten Vogt Friedensrichter und Schulmeister Heinrich Willi in Weyach zu wenden; Jeder hiegegen Handelnde würde Schaden und Verantwortung sich selbst beyzumeßen haben. - Ferner werden alle diejenigen welche an benannte Felix Hauser und Jakob Schneider etwas zu fordern haben oder ihnen schuldig sind, hiemit peremtorisch aufgefordert, ihre Forderungen und Schulden innert vier Wochen von Dato schriftlich und specificiert an den E. Gemeindrath Weyach einzugeben.

Actum den 25 May 1815. Im Namen des Bezirksgerichts Bülach: Die Canzley.»

Der Fachbegriff «peremtorisch» bedeutet, dass es sich bei diesem Schuldenruf um eine einmalige Angelegenheit handelt und keine weitere Publikation erfolgen werde (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 11). Seltsamerweise hat die Canzley den Text aber trotzdem in (mind.) zwei Ausgaben des Zürcherischen Wochen-Blatts einrücken lassen (vgl. Quelle unten).

Steckte der Pfarrer dahinter?

Die beiden Genannten gerieten also qua Gerichtsbeschluss buchstäblich öffentlich in Verruf. Mit einer Bevogtigung samt einem Schuldenruf. Heute würde man das eine Beistandschaft für finanzielle Belange nennen. Indirekt war damit faktisch auch eine Wirtshaussperre verbunden, sofern die beiden unter Vormundschaft Gestellten nicht bar bezahlen konnten.

Wer die treibende Kraft hinter diesem Gerichtsurteil gewesen ist, muss in allenfalls noch vorhandenen Gerichtsakten näher abgeklärt werden. Infrage kommen sowohl der obgenannte Ehrenwerte (das bedeutet das E. nämlich) Gemeindrath Weyach als auch der damalige Weiacher Pfarrer Johann Heinrich Burkhard, kraft seines Amtes Vorsitzender des Stillstands (Kirchenpflege) wie der Armenpflege.

Quelle

  • Zürcherisches Wochen-Blatt [Erscheinungsvermerk: bey Joh. Jakob Ulrich, im Berichthaus neben der Post]. Text abgedruckt in: Nro. 43 v. Montag Den 29. May 1815, S. 4; sowie Nro. 47 v. Donnstag Den 12. Brachmonat 1815, S. 4.

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