Sonntag, 14. Juli 2024

Synchronopse der abonnierten Zeitungen des Zürcher Unterlands

Eine der ersten Zeitungen auf der Zürcher Landschaft war Der Landbote aus Winterthur, der 1836 als Stimme der Liberalen im Kampf gegen die (auch publizistische) Übermacht der Stadt Zürich angetreten und der Rivalin an der Eulach bis heute erhalten geblieben ist.

In der etwas beschaulicheren Nordwestecke des Kantons, d.h. dem Zürcher Unterland, dauerte es noch rund 13 Jahre länger bis zur Gründung des ersten Unterländer Presseerzeugnisses. 

Ende dieses Jahres ist es so weit und das Zürcher Unterland kann auf 175 Jahre Regionalzeitungsgeschichte zurückblicken.

Am 21. Dezember 1849 erschien das Wochenblatt für die Bezirke Bülach und Regensberg erstmals in Form einer Probenummer. Ab Neujahr 1850 wurde das Blatt regulär herausgegeben.

Der Zeitstrahl 1849 bis 2024

WeiachBlog nimmt das Jubiläumsjahr zum Anlass, eine Synchronopse, d.h. eine chronologische Übersicht zu geben. Auf dem Zeitstrahl abgetragen präsentiert sich die Entwicklung der Presselandschaft wie folgt:



Die Farben sagen nur bedingt etwas über die weltanschauliche Ausrichtung aus. Zu unterscheiden sind: 

  • eine blau-magentafarbene Tradition (aus heutiger Sicht die des Zürcher Unterländers) mit zahlreichen Fusionen, sowie 
  • die grüne Traditionslinie des Neuen Bülacher Tagblatts, über 140 Jahre hinweg ein eigentlicher Solitär in der Unterländer Presselandschaft.

Die Gründerzeit, 1849-1871

Einer der wichtigsten Treiber für die Zeitungslandschaft im Unterland war die Lesegesellschaft Bülach (LGB; vgl. WeiachBlog Nr. 443). 

Die LGB-Exponenten standen an der Wiege beider Presseerzeugnisse, an die sich noch ein grösserer Teil der seit der Jahrtausendwende im Unterland Ansässigen aus eigenem Briefkasteninhalt-Erleben erinnern kann: zuerst 1849 der des Zürcher Unterländers, dann 1866 der des Neuen Bülacher Tagblatts.

In der Zeit bis zur Verlegung des Bezirkshauptorts vom Lägernsporn auf Schloss Regensberg in den Talgrund nach Dielsdorf (und der damit verbundenen Umbenennung des Bezirks) wurden nicht weniger als 4 voneinander unabhängige Blätter aus der Taufe gehoben: 
  • das Wochenblatt für die Bezirke Bülach und Regensberg, 1849-1854 (WBBR; 5 Jahre), dann Bülach-Regensberger Wochen-Zeitung genannt, 1855-1871 (BRW; 16 Jahre)
  • der Lägern-Bote (Lb), gegründet 1859
  • der Bülacher Volksfreund (BVf), gegründet 1866 (1870-1872 unter dem Namen Bülach-Regensberger Volksfreund (BRV), sowie
  • Der Wehnthaler (Wth), gegründet 1870 unter dem Namen Volksblatt von Dielsdorf, 1871 umbenannt.

Die Konsolidierung, 1872-1947

Mit dem Namenswechsel des Bezirks wechselten kurze Zeit später auch zwei Zeitungen ihren Titel: Bülach-Dielsdorfer Wochen-Zeitung (BDW) bzw. Bülach-Dielsdorfer Volksfreund (BDV) nannten sie sich nun.

Im Jahre 1892 trat ein fünfter Konkurrent in den Markt ein: Die Glatt. 1903 begann die Kooperation zwischen dem Wehnthaler und der Glatt. Und ab 1910 wurde der Lägern-Bote zum Kopfblatt der Bülach-Dielsdorfer Wochen-Zeitung. Nur der Volksfreund ging ohne Partner seines Weges.

Grosse Fusionitis, 1948/1949

Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg krempelten Zusammenschlüsse die Titellandschaft des Unterlandes um – der Volksfreund blieb auch davon unberührt:

1948 entstand Der Zürichbieter (Zb), der im Untertitel seine Herkunft offenlegte: Vereinigte Tageszeitung Der Wehntaler, Die Glatt, Wochenblatt des Bezirkes Uster.  Sein Alleinstellungsmerkmal: er erschien 6x pro Woche.

1949 folgte der Zürcher Unterländer (ZU). Auch er deklarierte die Herkunft im Untertitel: Vereinigte Bülach-Dielsdorfer Wochenzeitung und Lägern-Bote. Demokratisches Volksblatt.

Das Prinzip Tageszeitung setzt sich durch, 1957-1960

Nach 86 Jahren mit dem traditionellen Namen Bülach-Dielsdorfer Volksfreund wechselte die Unternehmerfamilie Graf im Juni 1957 von 3 auf 6 Ausgaben pro Woche, was sich im Namen Neues Bülacher Tagblatt widerspiegelt.

Damit kam die Drucker-Familie Akeret, die sowohl den Zürichbieter wie den Zürcher Unterländer herausgab, letztlich nicht mehr darum herum, den Unterländer ebenfalls zur Tageszeitung zu machen. Der Zürichbieter rückte in der Folge näher an den Zürcher Unterländer heran und wurde schliesslich 1989 mit ihm fusioniert (vgl. den Artikel Spaltenstein im Landboten).

Tamedia-Schlachtschiff kreuzt in Unterländer Gewässern, 2006-2009

Abgesehen von einer Gratiszeitung namens Wospi (Wochen-Spiegel) war im ausgehenden 20. Jahrhundert keine grössere Bewegung mehr zu erkennen. Bis im Frühjahr 2006 ein von Zürich aus befehligtes Kanonenboot im Unterland auftauchte! 

Der Tages-Anzeiger lancierte ein Regionalbund-Konzept, mit personell gut bestückten Regionalredaktionen an mehreren Standorten auf der Zürcher Landschaft. Der Tages-Anzeiger Unterland war zwar keine eigenständige Publikation. Der Tagi wurde aber dadurch faktisch zu einer Unterländer Regionalzeitung.

Der Grund für diese Offensive? 2005 hatte die grosse Konkurrenz von der Falkenstrasse, die NZZ-Gruppe, sich von der Publigroupe einen Aktienanteil von 40 % an der Akeret Druck und Verlag AG (Herausgeberin des Zürcher Unterländers) gesichert.

Diese Ereignisse führten zu einem radikalen Epochenwechsel: Die seit 1866 sorgfältig gepflegte Rivalität und Eigenständigkeit von ZU und NBT war innert Monaten vom Tisch (vgl. WeiachBlog Nr. 258). Das NBT wurde unter dem massiven Druck von letztlich gleich zwei grossen Karpfen im Unterländer Presseteich zum Kopfblatt des ZU.

Im Herbst 2009 war der Tages-Anzeiger Unterland zwar bereits wieder Geschichte, das Schlachtschiff reduzierte seine Mannschaftsbestände signifikant (vgl. WeiachBlog Nr. 696) und zog sich redaktionell wieder aus dem Unterland zurück. Der Flurschaden war aber angerichtet. 

Tamedia-Monopol im Unterland, seit 2010

Mittlerweile bestimmten längst auswärtige Kräfte, was in der Unterländer Tagespresse noch lief, bzw. was eben nicht mehr. Im April 2010 war klar (vgl. WeiachBlog Nr. 827), dass die Tamedia ihr Ziel nun doch noch erreicht hatte. Die NZZ-Gruppe (mittlerweile zu 100 % im Besitz des Zürcher Unterländers) und die Tamedia (Eigentümerin der Thurgauer Zeitung) tauschten diese Beteiligungen ab.

Seit 2013 gehört auch der altehrwürdige Landbote zur Tamedia und das bislang zumindest noch nominell geführte Neue Bülacher Tagblatt wurde im selben Jahr, am 2. November 2013, definitiv zu Grabe getragen.

Von einem Monopol zu sprechen, ist nicht ganz korrekt. Denn es gab und gibt ja auch noch Gratiszeitungen, wie bspw. den Wochen-Spiegel (1981-2016) oder die Unterland Zeitung (2017-2023). Aber bei den Abo-Zeitungen, da existiert nur eine einzige. Wie zu Beginn der Gründungszeiten Mitte des 19. Jahrhunderts.

Sommerserie Unterländer Pressegeschichte

Jedem Regionalblatt, das in hiesiger Gemeinde eine gewisse Bedeutung erlangt hat, wird WeiachBlog im weiteren Verlauf des Jahres einen eigenen Artikel widmen. 

Quellen und Literatur

  • Vögeli, R.: Aus der Geschichte der zürcherischen Presse. Separatabdruck aus: Das Buch der Schweizerischen Zeitungsverleger. Festschrift zum 25-jährigen Jubiläum des Schweizerischen Zeitungsverlegervereins. Luzern 1925.
  • Blaser, F.: Bibliographie der Schweizer Presse, Bd. 1, Basel 1956; Bd.2, Basel 1958.
  • Spaltenstein, A.: Zwei Zeitungstitel weniger, aber kein Zeitungssterben. Ein paar Ausschnitte aus der vielfältigen Zeitungsgeschichte des Weinlandes und des Zürcher Unterlandes. Ein Blick auf mehr als 100 Jahre Zeitungsgeschichte: Vom Wehntaler, Glatt und Wochenblatt Uster zum Zürichbieter und zum Zürcher Unterländer. In: Der Landbote, 17. Juni 1989, S. 33.
  • Brandenberger, U.: Unterländer Bastion gegen das Tagi-Schlachtschiff. WeiachBlog Nr. 258, 6. August 2006. 
  • Brandenberger, U.: Das Kopfblattsystem auf den Kopf stellen. WeiachBlog Nr. 304, 2. November 2006.
  • Brandenberger, U.: Komplizierte Zeitungsnamen-Geschichte. WeiachBlog Nr. 443, 1. Mai 2007.
  • Brandenberger, U.: Medialer Angriff nach 3 Jahren gescheitert? WeiachBlog Nr. 696, 16. November 2009.
  • Brandenberger, U.: Journalistische Hüllen von Tamedias Gnaden. WeiachBlog Nr. 827, 19. April 2010.
  • SLSP (Hrsg.): Swisscovery-OPAC; Nationale Bibliotheksplattform mit Open Public Access Catalogue (2024)

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