Montag, 19. April 2010

Journalistische Hüllen von Tamedias Gnaden

Der «Zürcher Unterländer» (ZU) und das «Neue Bülacher Tagblatt» (NBT) wechseln von der NZZ–Mediengruppe zum Tamedia-Konzern. Was da am 15. April bekanntgegeben wurde, tönt nach einem normalen Besitzerwechsel. Ist es aber nicht.

Der letzte Donnerstag ist ein weiterer Trauertag für die Pressefreiheit. Früher hatte die Unterländer Medienlandschaft noch echte Vielfalt zu bieten. Früher, das war, als die Lokalmedien des Zürcher Unterlands noch von lokal verankerten Unternehmern mit Herzblut geführt wurden. Früher, das war vor der Zeit der Stadtzürcher Usurpatoren.

Im Vergleich mit diesen Zeiten kommt man nicht umhin, ZU und NBT nun definitiv als lebende Tote zu bezeichnen: journalistische Hüllen von Tamedias Gnaden.

Renditedenken über alles

Dass dem so ist, kann Steffen Riedel, der Chefredaktor des «Zürcher Unterländers», auch mit der Publikation von Beschwichtigungen wie: «Journalistisch bleiben die Zeitungen eigenständig» nicht widerlegen - höchstens noch ein bisschen vernebeln.

Denn wo seit ein paar Tagen der Hammer hängt, sieht man allein schon an der Diktion des neuen Herrschers:

«Martin Kall, Vorsitzender der Tamedia-Unternehmensleitung, versicherte, dass ZU/NBT beziehungsweise die Zürcher Landzeitungen weitergeführt würden. Voraussetzung seien deutliche Ergebnisverbesserungen durch Kosteneinsparungen und Umsatzsteigerungen.» (ZU, 16.4.2010)

Heisst im Klartext: Wenn es nicht mehr rentiert, werden «Zürcher Unterländer», «Neues Bülacher Tagblatt» und wie die neu akquirierten Satelliten sonst noch heissen, knallhart liquidiert. Da wird Tamedia-Chef Kall keine Sekunde zögern.

Kampfmittel Regionalausgaben

Ende Juli 2006 bezeichnete Dagmar Appelt, die damalige Chefredaktorin des Neuen Bülacher Tagblatts, die Tamedia AG als «Medien-Schlachtschiff, das — koste es, was es wolle — noch so gerne in die Gewässer des Zürcher Unterlandes vordringen möchte.» Mit dieser Einschätzung lag sie völlig richtig.

Wie im Spätmittelalter der Stadtstaat Zürich die alteingesessenen Freiherren an die Wand spielte und sie dann aus dem Geschäft drängte, so hat sich in den letzten Jahren die Tamedia fast die ganze Zürcher Medienlandschaft unter den Nagel gerissen.

Dabei hatte die Tamedia allerdings auch Spielglück, denn ohne die überraschende Wende im Machtpoker mit der NZZ wäre man kaum so weit gekommen.

Die Lage heute: Nur Winterthur und das Weinland sind vom «Medien-Schlachtschiff» von der Zürcher Werdstrasse noch nicht erobert worden.

Fehlt nur noch die Übernahme der alten Tante von der Falkenstrasse (aka Neue Zürcher Zeitung) und des Winterthurer Landboten. Dann ist das Monopol perfekt.

Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan...

Die im Herbst 2006 gegründeten Tages-Anzeiger-Regionalausgaben haben - rückblickend beurteilt - wie Belagerungsmaschinen gewirkt. Sie waren eine wichtige Speerspitze des Angriffs, halfen sie doch mit, die Medienlandschaft im Unterland sturmreif zu schiessen.

Die Regionalausgaben hatten im wesentlichen den Zweck, das Feld zu besetzen und durch Abgraben von Werbeeinnahmen und Abwerben von Journalisten die Basis der unabhängigen Lokalzeitungen zu untergraben.

Nun wird man zusehen können, wie die kostspieligen, bereits letzten Herbst massiv reduzierten Regionalausgaben aus dem Tages-Anzeiger verschwinden werden. Denn: Journalistische Vielfalt ist teuer. Und Synergie-Effekte durch die Werberäume der neuen Untertanen sind in ihrer finanziellen Wirkung auch begrenzt.

Die hart erkämpften Markennamen «Zürcher Unterländer» und «Neue Bülacher Tagblatt» wird man kaum aufgeben. Sie sind zu stark verankert im Unterland.

Wo kann man demnach noch sparen? Meine Prognose: die Mohren in den Tagi-Regionalredaktionen haben ihre Schuldigkeit getan. Jetzt kann man sie wieder wegrationalisieren - einen nach dem anderen.

Quelle

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