Nun wird man vielleicht einwenden, da gebe es doch noch einen älteren Beleg aus dem Oberdorf. Richtig, den gibt es, wie dem dritten Band der Reihe Bauernhäuser des Kantons Zürich zu entnehmen ist: «Möglicherweise geht der von 1240d datierte Keller im 1647 gebauten Vielzweckbauernhaus auf ein Nebengebäude des Brandhofes, auf den Speicher oder die Trotte, zurück.» (Hermann 1997)
Wiederverwendet, oder nicht?
Das «d» nach der Jahrzahl weist auf eine Dendrodatierung hin. In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre wurden die Deckenbalken im Keller des Bauernhauses Oberdorfstrasse 27 beprobt und datiert [s. Bericht Laboratoire Romand de Dendrochronologie (LRD), Moudon vom 31. August 1988 (N/Réf. LRD8/R1987C)]
Die aus ortsgeschichtlicher Sicht entscheidende Frage ist: In situ? Zeigen die datierten Balken offensichtlich nachträgliche Bearbeitungsspuren, stammen also ursprünglich aus einem anderen Bau und sind hier wiederverwendet worden? Oder sind sie seit ihrer Entnahme aus dem Wald und der initialen Bearbeitung durch die Zimmerleute an ihrem heutigen Standort verbaut worden und seither unverändert in dieser Lage verblieben? [Zur Frage nach Fälljahr und Baujahr, vgl. WeiachBlog Nr. 1393].
Dr. Roland Böhmer, stellvertretender Leiter Dokumentation der Kantonalen Denkmalpflege Zürich, konnte auf Anfrage von WeiachBlog auch nicht mit Sicherheit sagen, was zutrifft. Dazu müsse man genau hinschauen, insbesondere auch die Bauweise der Mauern beurteilen, in welche die beprobten Balken eingelassen sind. Denn es gebe Unterschiede in der Art und Weise, wie Mauern über die Jahrhunderte hinweg in der Regel erstellt wurden.
Viele Möglichkeiten hat man derzeit auch vor Ort kaum. Denn wie von der Hauseigentümerin, Regina Haegi, in Erfahrung zu bringen war, sind zwar die Mauern zugänglich und auch nicht verputzt. Die meisten Balken hingegen sind hinter einer Schicht Isolationsmaterial verborgen.
In situ, sagt die Bauernhausforschung
Nach der Analyse des Dendrodatierungsberichts des LRD kam die Zürcher Bauernhausforschung am 14. August 1989 zu folgendem Schluss:
«Weiach, Vielzweckbau Vers.Nr. 287, Haus Hägi
Ergänzungen zur Baugeschichte (nach Dendro)
- Der strassenseitige Teil des nördlichen Kellers datiert von 1240 (4 Deckenbalken datiert). Auch das Mauergefüge der Nord- und Südwand dürften aus dieser Zeitepoche stammen. Auf der Nordseite endet das primäre Mauerwerk mit einem Mauerabsatz.»
Böhmer dazu am 14. Januar 2022:
«Isabell Hermann gelangte zum Schluss, dass Teile des Mauerwerks des Kellers und die Deckenbalken zusammengehören. So im Bauernhausband S. 274: "Möglicherweise geht der 1240d datierte Keller im 1647 gebauten Vielzweckbauernhaus auf ein Nebengebäude des Brandhofes, auf den Speicher oder die Trotte, zurück."
Auch aus den Unterlagen zum Band, die ich für Sie gescannt habe, geht dies deutlich hervor. Hermann beobachtete sowohl in der Vertikalen wie in der Horizontalen Absätze im Mauerwerk und folgerte daraus, der Raumteil mit den Deckenbalken um 1240d sei ein älteres Gebäude, das 1647 in das Vielzweckbauernhaus integriert wurde. [Auszeichnung: Red. WeiachBlog]
Wichtig: Die Dendrodatierung lieferte mangels Waldkante nicht exakt das Jahr 1240, sondern folgendes Ergebnis: "pas antérieure à 1228, aux environs de 1240".»
Was steht im LRD-Bericht genau drin?
Die eichenen Deckenbalken im Kellergeschoss der Oberdorfstr. 27 sind also laut dem Laboratoire Romand de Dendrochronologie nicht vor 1228 geschlagen worden. Wir haben damit dendrochronologisch den Hinweis, dass es das heutige Weiach schon vor 1250 gegeben hat.
Die massgebende Stelle im Bericht des LRD zeigt, dass sich die Datierung auf vier Proben abstützt:
Fehlende Waldkante und das Problem der Splintholzdatierung
Hölzer sind, so kann man auf der Website Prähistorische Archäologie nachlesen, «in der Regel bearbeitet worden, zum Beispiel um in Baustrukturen eingesetzt werden zu können oder um aus ihnen Gegenstände herzustellen, die für den alltäglichen Bedarf eingesetzt wurden.
Mit jedem Bearbeitungsschritt werden den Hölzern allerdings mehr und mehr der äußeren Jahrringe entfernt. Durch das Entfernen der Baumrinde und der äußeren Jahrringe kann nicht mehr festgestellt werden, wann ein Baum gefällt wurde. Je mehr Jahrringe fehlen, desto „älter“ wird eine Probe. [...]
Wenn eine Probe exakt datiert und tatsächlich das Jahr der Baumfällung angegeben werden soll, setzt dies das Vorhandensein der sogenannten Waldkante voraus. Gemeint ist hiermit der letzte Jahrring unter der Baumrinde. Hat sich an einer Probe tatsächlich noch ein Rest der Baumrinde erhalten können, so kann diese exakt datiert werden.
Darüber hinaus wird zwischen einer Splintgrenzendatierung und einer Kernholzdatierung unterschieden. Als Splintholz wird der äußere Bereich eines Baumstammes unter der Rinde bezeichnet, der sich noch im Wachstum befindet. Im Kern eines Baumstammes befindet sich hingegen das sogenannte Kernholz. Dieses Holz ist physiologisch nicht mehr aktiv und häufig dunkler als das jüngere Splintholz.
Mikroskopisch lässt sich feststellen, ob eine Probe aus Kern- oder Splintholz besteht, wenn nicht sogar beide Bereiche erhalten sind. Wenn einmal festgestellt wurde, dass eine Probe tatsächlich Splintholz aufweist, kann mit der Hilfe dieser Information der Datierungsspielraum eingeschränkt werden. So ist beispielsweise bekannt, dass bei einer hunderjährigen [sic!] Eiche das Splintholz im Durchschnitt 20 Jahrringe umfasst. Kernholzdatierungen hingegen können nur einen terminus postquem angeben, das heißt den frühesten möglichen Zeitpunkt der Baumfällung.» (Miera 2020)
Irgendwo zwischen 1237 und 1243
So einen Terminus post quem hat das LRD 1988 im Falle dieser Deckenbalken mit der Angabe «pas antérieure à 1228» auch festgehalten. Vor diesem Jahr kann der Keller also nicht entstanden sein. Zumindest nicht in dem Sinne, dass die Deckenbalken eingesetzt wurden.
Und was bedeutet jetzt «aux environs de 1240»? Der damals vor bald 40 Jahren an Probenahme und Analyse beteiligte LRD-Mitarbeiter Hurni hat WeiachBlog telefonisch bestätigt, dass an diesen Balken die Waldkante fehlt und auch gewisse Teile des Splintholzes, sodass man keine jahresgenaue Datierung vornehmen könne, aber von einem Schlagjahr zwischen etwa 1237 und 1243 ausgehen dürfe.
Es lässt sich festhalten, dass diese Balkenlage derzeit das älteste auf ein paar wenige Jahre eingeschränkt datierbare, fix mit dem Boden verbundene Objekt auf Gemeindegebiet darstellt.
Ein wenig älter als die Städtchen Eglisau und Kaiserstuhl
Die Eichenbalken sind so alt, dass sie aus der Zeit der Gründung des Städtchens Eglisau und der Errichtung der dortigen Rheinbrücke durch die Herren von Tengen stammen (zw. 1238 und 1253), bzw. rund 15 Jahre älter als die Stadtgründung von Kaiserstuhl (ca. 1254/55), wo es ebenfalls bereits zu diesem Zeitpunkt eine Konkurrenzbrücke gegeben haben könnte.
Urkundlich nachweisbar ist die Eglisauer Brücke auf 1249. Die Kaiserstuhler Brücke wird hingegen erst im Jahre 1294 erwähnt, als der Fürstbischof von Konstanz die Stadt und das auf dem Nordufer gelegene Schloss Rötteln gekauft hat.
Quellen und Literatur
- Orcel, Ch.; Orcel, A.; Hurni, J.-P.: Analyse dendrochronologique de bois provenant de la maison Egle - Haeggi à Weiach (ZH). N/Réf. LRD8/R1987C (Laboratoire Roman de Dendrochronologie; Auftraggeber Dr. Ch. Renfer, Leiter Bauberatung Denkmalpflege Zürich). Moudon, 31. August 1988. Handschriftliche Vermerke auf dem Expl. der Denkmalpflege: «Wohnhaus (ehem. Bauernhaus) Vers.-Nr. 287. Oberdorfstrasse 27-29».
- Dokumentation BHF (Bauernhausforschung des Kantons Zürich) 1987-1995. [Archiv der Kantonalen Denkmalpflege Zürich]
- Hermann, I. (Hrsg.): Die Bauernhäuser des Kantons Zürich, Bd. 3. Basel 1997 – S. 274.
- Miera, J.: Probleme dendrochronologischer Datierungen. Kapitel in: Die Dendrochronologie. Prähistorische Archäologie. Wissen - Datierung - Dendrochronologie. Abgerufen 14.8.2022 u. 13.10.2025.
- Telefonische Abklärungen mit Dr. Roland Böhmer, Regina Haegi und Jean-Pierre Hurni vom 12. bis 14. Januar 2022.
- Böhmer, R.: E-mail «Weiach, Vers. NR. 287» vom 14. Januar 2022 an Wiachiana-Verlag.
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