Montag, 15. April 2019

Von Fälldaten und Baujahren

«Ehem. Pfarrscheune 1707d» wird als Datierung des Weiacher Kirchgemeindehauses in der Fachliteratur angegeben. So z.B. im Kunstführer durch den Kanton Zürich, herausgegeben 2008 von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte (S. 249).

Was bedeutet diese Jahrzahl nun konkret? Ist damit das Baujahr gemeint?

Antwort: Nein. Der Zusatz «d» - manchmal auch in Klammern gesetzt «(d)» - bezeichnet das Jahr, in dem das beprobte Bauholz gefällt wurde, also das Fälldatum. Das «d» steht für «dendrochronologisch bestimmt».

Die u.a. auf dendrochronologische Untersuchungen spezialisierte Firma Preßler mit Sitz in Recklinghausen im Ruhrgebiet erklärt das so: «In einschlägigen Publikationen hat sich eingebürgert, dass nur das Fälljahr angegeben und als solches mit einem (d) ausgewiesen wird. Inschriftlich bekannte Datierungen erhalten den Zusatz (i) und archivalische Datierungen (a).»

Dendro plus 1 oder 2 = Baujahr

Die Angabe «1707d» ist somit als sogenannter «Terminus post quem» zu verstehen, also als Zeitpunkt NACH dem der Bau erfolgt sein muss. Frage: Wie viel danach?

In der Regel wurden Hölzer in vorindustrieller Zeit saftfrisch verarbeitet, also ziemlich zeitnah nach dem Holzschlag. Das hat gleich mehrere Gründe.

1. Die Verarbeitung frischen Holzes ist für lediglich mit Beilen ausgerüstete Zimmerleute wesentlich einfacher als die von trockenem Material. Dazu wieder Preßler: «Sägen, Beilen, Bohren, Stemmen können im saftfrischen Zustand des Holzes beinahe doppelt so schnell ausgeführt werden wie an getrockneten Hölzern». Ausserdem ergibt sich bei frischem Holz eine glatte Oberfläche, trockenes Holz neigt zu Absplitterungen und Abfaserungen.

2. Dass man das Bauholz nicht lange herumliegen liess, hat nicht nur mit sonst drohendem Schädlingsbefall zu tun. Meist waren die Stämme mitten im Dorf auch bei anderen (landwirtschaftlichen) Arbeiten im Weg. Es gab zudem Vorschriften, wonach Holz nicht über die Bäche gelegt werden durfte (vgl. WeiachBlog Nr. 431).

Der Anreiz schnell zu bauen war also auch dann vorhanden, wenn man nicht gezwungen war, nach einem Dorfbrand rasch viele neue Wohn- und Ökonomiebauten zu errichten und zu diesem Zweck halt auch einmal im Frühling oder Sommer Holz schlagen musste .

Preßler bringt für die kurze Zeitspanne auch Belege: «Zusätzliche Untersuchungen an inschriftlich oder archivalisch datierten Gebäuden ergaben eine 90 % Übereinstimmung und eine maximale Zeitdifferenz von 2 Jahren zwischen Fälljahr und Baujahr».

Baujahr 1708 für die Pfarrscheune dürfte also keine abwegige Annahme sein.

Quelle
  • Preßler GmbH, Planung und Bauforschung (Hrsg.): Interpretation dendrochronologischer Datierungen. URL: http://www.pressler.com.de/deutsch/interpretation-der-datierungen-1

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