Samstag, 2. August 2008

Miteinander statt gegeneinander. Ansprache zum 1. August

Die letztjährige Rede zum Bundesfeiertag hat ein Politiker gehalten - der Zürcher Regierungsrat Markus Kägi, Mitglied der Jagdgesellschaft Sanzenberg (vgl. WeiachBlog vom 2. August 2007).

Auch dieses Jahr stand wieder ein Politiker mit Weiacher Verankerung am Rednerpult: Daniel Elsener, EVP-Vorstandsmitglied, von Beruf FEAM und ehemaliger Biobauer, heute wohnhaft an der Winkelstrasse.

Seine Rede hat – wie er selber – Ecken und Kanten. Sie zeigt, was Gemeinschaft und Gesellschaft in der Schweiz ausmachen kann und seiner Ansicht nach ausmachen soll.

Auf Anfrage von WeiachBlog hat der Redner uns seinen Text zur Veröffentlichung auf dem WWW überlassen. So kann ihn auch lesen, wer gestern Abend nicht dabei sein konnte. Vielen Dank, Daniel.

Nachfolgend die Rede im vollen Wortlaut.

«Sehr geehrte Weiacherinnen und Weiacher
Liebe Gäste und offizielle Behördenmitglieder!

Ich begrüsse Sie ganz herzlich zu unserer Bundesfeier. Schön sind Sie da bei uns.

Ich bin angefragt worden, diese Festansprache zu halten – und diese ehrenvolle Aufgabe nehme ich gerne wahr.

Zu aller erst möchte ich aber der Trachtengruppe Wehntal danken, welche die Feier durchführt und organisiert hat – vielen Dank. Ist sicher ein Applaus wert.

Die einen wissen, dass ich in der Rechnungsprüfungskommission bin, aber auch für die Evangelische Volkspartei politisiere. Ich bin ein politisch Aktiver und nehme meine Rechte und Pflichten wahr, wie sie in unseren Verfassungen festgeschrieben sind.

Eben, als politisch Aktiver könnte man zwar sehr vieles aus dem Nähkasten erzählen, aber …

Darum hab ich mal die Jungen gefragt : „Was sagt dir der 1. August ?“
Nach den grossen Augen und der Schrecksekunde kommt’s dann:
„Nationalfeiertag – man hat Frei.“
Der Pyroman sagt: „Feuerwerk“, reibt sich die Hände und fügt an: „Augustfeuer“.
„Und was noch?“, frage ich.
„Party und festen!“ Und dann nichts mehr.

Sie können sich vorstellen – ich war da schon etwas enttäuscht und habe mir etwas mehr vorgestellt.

Aber ist es nicht gerade das – der Unterschied zwischen Jung und Alt? Das Alter, die Lebenserfahrung und damit der Blickwinkel oder auch der persönliche Horizont, wie man seine Welt und Umwelt, aber auch die Geschichte wahrnimmt.

Darum habe ich immer sehr gern älteren Leute beim Erzählen zugehört. Ich liebe das.

Für mich ist die Symbolik der drei Eidgenossen auf dem Rütli ein ganz sack starkes Signal: sie transportiert die Idee der Gleichheit in der Verschiedenheit oder anders gesagt: die Vielfalt in der Einheit.

Sie und sie, Du und du, alle sind wir verschieden, aber in der Einheit sind wir stark und alle haben die gleichen Rechte und Pflichten. Das ist der Mythos „Eidgenossenschaft“, das ist es, was die Schweiz ausmacht:

Mitenand statt gägenand.

Ich staune immer wieder über unsere demokratischen Rechte, es ist absolut und weltweit einmalig – gerade wenn wir erfahren was alles im Ausland so abgeht.

Aber unserer direkten Demokratie müssen wir auch Sorge tragen und erhalten. Denn die Gesellschaft, das heisst: wir, sind der Staat. Nicht irgendwelche anderen.

Es gibt schlechte Beispiele: Die 5%-Hürde beim Doppelten Pukelsheim – das ist ein neues Wahlverfahren im Kanton Zürich. Schafft eine Partei das an einem Ort nicht, dann ist sie draussen. Das dient nur der Machtstärkung der grossen Parteien.

Aber auch die Volkswahl des Bundesrates wäre schlecht. Nach amerikanischem Muster: nur wer das grösste Portemonnaie, die meiste Kohle und die grösste Propaganda macht, könnte in Zukunft BundesrätIn werden.

Und das Schöne bei uns ist ja gerade, dass im Grundsatz jede Schweizerin und jeder Schweizer das Recht aber auch die Pflicht hätte, eine Aufgabe, auf welcher Stufe auch immer, auszuüben und zu übernehmen.

In der freiwilligen Arbeit, ehrenamtlich in Vereinen oder Verbänden, vielleicht sogar in einer Partei, in einer Behörde oder in einem Parlament. Alle sind aufgerufen an diesen Diskussionen und politischen Prozessen mit zu machen. Unsere Politik ist kein Sonntagskind sondern allgegenwärtige Realität und betrifft jede und jeden in irgendeiner Art und Weise.

Weil: die Politik macht die Gesetze und Gesetze betreffen uns alle. Tagtäglich. Sie regelt aber auch das Zusammenleben.

Gerne denkt man an frühere Zeiten zurück, an die schönen Dinge im Leben, nach dem Motto: „Früher war alles besser“. Die schlechten blendet man aus. Würden wir denn gerne in der Zeit ohne Kühlschrank leben? Ich nicht.

Es ist noch kaum 100 Jahre her, mussten viele Schweizer wegen Hungersnöten das Land verlassen. Und Gott sei Dank hat sie auch jemand aufgenommen. Und so hat jede Zeit ihre Probleme.

Der Schweiz geht es heute gut. Nach so vielen Jahren Eidgenossenschaft können zwar nicht alle Bankdirektor sein und es ist nicht alles Gold, was glänzt, aber uns geht es gut.

Doch zeigt die Individualisierung unserer Gesellschaft eine eigenartige Entwicklung, zum Beispiel dann, wenn man für Kühe mehr Geld bekommt als für ein Kind.

Oder wenn jemand in einem schlecht bezahlten Beruf 1291 hätte anfangen müssen zu arbeiten, damit er oder sie auf ein Jahresgehalt von Novartis-Chef Daniel Vasella kommt, da reden dann einige von einer Neidkultur.

Puh, da sage ich: „Das hat nichts mehr mit Neid zu tun, das ist einfach nur noch pervers“.

Selbst Herr Ospel von der UBS beweist: auch ein hoher Lohn kann nicht verhindern das 40 Milliarden in den Sand gesetzt werden können. Die einen sagen, das sei halt Wirtschaft, ich sage das ist Volkswirtschaft! An dem werden wir noch lange zu kauen haben.

Würden sich die Leute in unserem schönen christlichen Abendland mehr an die zehn Gebote halten, dann würden wir sicher auch nicht so viele Gesetze brauchen.

Ich will gerade heute nicht verschweigen, dass durch die wirtschaftlichen Exzesse die Familien mit Kindern, in welcher Form auch immer, mehr und mehr in Bedrängnis kommen. Auch die hohen Scheidungszahlen sprechen eine deutliche Sprache. Doch dafür, das detailliert auszuführen, reicht die Zeit nicht aus.

Vor 10 Jahren kam unsere Familie von Bachs nach Weiach. Ein neuer Lebens­abschnitt begann, nachdem wir den landwirtschaftlichen Pachtbetrieb aufgegeben hatten. Als Pionierbetrieb und einer der ersten Bio-Betriebe im Zürcher Unterland bauten wir Bio-Gemüse an, welches wir direkt vermarkteten. Als Pionier ist man ein unverbesserlicher Idealist und wird nicht reich dabei. Jedoch ist die Gewissheit da, etwas Gutes getan zu haben, ansonsten würden heute nicht COOP und Migros damit viel Geld verdienen.

Damals war ich Mitglied in der Fachkommission Bio-Gemüse in der Bio-Suisse (der Dachorganisation der Bio-Bauern) und bin heute noch ein Vorstandsmitglied der Schweizer Kleinbauernvereinigung. So kam ich auch in die Politik.

Ich bekenne mich schuldig, ich bin in den 90er Jahren mitverantwortlich für die Ökologisierung der Schweizer Landwirtschaft. Ich bin einer dieser „Bösen“ und bin heute noch 100%ig überzeugt, dass die Schweizer Landwirtschaft nur mit einer Qualitätsstrategie überleben kann.

Stichwort Lebensmittelskandale inkl. Gentechnologie und Welthandelsorganisation, was die Landwirtschaft massiv unter Druck setzt. Es braucht auch die Akzeptanz der Bevölkerung, um die vielen nötigen Subventionen abzuholen.

So oder anders kann es einem den Ärmel reinziehen. Ich verspüre immer wieder Lust, etwas zu bewegen.

Auch das Weiacher Forum will in der Gemeinde etwas bewegen und das finde gut.

Je aktiver eine Gemeinde ist, umso lässiger ist es für alle.

Als ich noch ein Tal weiter war, feierten wir 900 Jahre Bachs. Mit einem grossen Theater und Festspiel, welches die Dorfgeschichte erzählte, mit Umzug und Dorfbeizen und eigens dafür komponierten Liedern. Das ganze Dorf war auf den Beinen, um das Volksfest zum Erfolg zu bringen – und das verbindet.

Und ich sage Ihnen, das Dorf – vorher und nachher – es war nicht mehr das, was es einmal war. Nicht mehr zu erkennen. Die Menschen waren wie ausgetauscht, und alle waren glücklich und selig, aber auch irgendwie stolz auf ihr Erbrachtes.
Warum? Ganz einfach: Mitenand statt gägenand.

Miteinander statt Gegeneinander ist mein Appell an Sie.

25'000 junge Pfadis sind heute im Bundeslager in der Linthebene und leben genau das. Endlich weg von Mami und Papi können sie ihre Pfadi-Freiheit ausleben.

Auch unsere Weiacher Pfadi ist da. Im Zusammenhang mit der Jugendproblematik ein sehr positiver Anlass. Doch bereits nach der ersten Nacht kamen die ersten Rekla­mationen.

Wir können nicht eine Freiheitspolitik propagieren und dauernd dem Anderen seine Freiheit einschränken.

Es gibt Grenzen – aber auch Grenzen im Kopf . Diese bergen Konfliktpotenzial. Erst wenn solche weg sind, dann ist der Weg frei für die Freiheit und für das Zusammen­kommen.

Welche Freiheit gibt das Recht, dem anderen oder den Nachkommen ihre Lebens­grundlage zu zerstören?

Zukünftige Aufgaben können wir nur gemeinsam lösen: Mitenand statt gägenand.

Zum Geburtstag hat man einen Wunsch frei. Mein Wunsch besteht darin, die Individualität, den Egoismus etwas zurückzunehmen, damit wieder mehr zusammen gemacht werden kann.

Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit und hoffe es können alle die Landeshymne mitsingen – ich kann sie auch nicht so gut.

Ich wünsche Ihnen alles Gute, viel Gesundheit und trotz dem Regenwetter weiterhin ein gutes und schönes Fest zum 717. Geburtstag der Schweiz.

Herzlichen Dank!
»

(Bearbeitung für die Veröffentlichung durch Redaktion WeiachBlog)

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