Sonntag, 16. Februar 2020

Zu Höhe und Besatzung der römischen Wachttürme am Hochrhein

«In spätrömischer Zeit, die oft als „Epoche der Völkerwanderung“ gilt, wurde die Provinz Maxima Sequanorum geschaffen. Auf ihrem Gebiet finden sich zahlreiche Mauern von Befestigungen, zum einen im Norden am Oberrhein sowie am Hochrhein zwischen Basel und Bodensee, zum anderen auch südlich von dieser Linie. Schon seit dem 18. Jahrhundert hat man die spätrömischen Ruinen von Wachtürmen, Kastellen und Stadtmauern archäologisch untersucht. Oft sind sie restauriert worden. Sie gelten als interessant, finden sich in den Inventaren der Denkmalpflege, sind Ausflugsziele und werden für Besuche empfohlen. Doch: Was haben die Römer mit ihnen bezweckt? Was ist ihre geschichtliche Bedeutung?»

Soweit der Klappentext zu einem Werk, das Ende April 2020 erscheinen wird. Es trägt den Titel: «Mauern gegen Migration?» und befasst sich mit der Strategie und dem Festungsbau der spätrömischen Epoche auf Basis von schriftlichen und archäologischen Quellen.

Einer der Autoren dieses Buches, Peter-Andrew Schwarz, Professor für Archäologie der römischen Provinzen an der Universität Basel, hat bereits letztes Jahr einen Fachartikel veröffentlicht, der sich mit den römischen Wachttürmen am Hochrhein befasst. Um die darin präsentierten Erkenntnisse geht es im Folgenden.

Zwei dieser über 50 Türme zwischen Basel und Stein am Rhein befinden sich ja bekanntlich auf Weiacher Gemeindegebiet: ein grösserer, schlecht erhaltener in Leeberen, östlich der Einmündung des Dorfbachs in den Rhein (Nr. 35) und ein gut erhaltener, unter eidg. Denkmalschutz stehender kleinerer im Hardwald, nordöstlich des Kiesabbaugebiets (Nr. 36).

In den bisherigen Beiträgen auf WeiachBlog und in den Weiacher Geschichte(n) sind zwei Themen nicht behandelt worden, nämlich die Fragen: «Wie hoch ragten diese Türme auf?» sowie «Woher kamen die Soldaten, die darauf Wache schoben?».

Hauptquartier in Besançon

Die Wachmannschaften gehörten zu den Grenztruppen, den sogenannten Limitanei. Kommandiert wurden sie vom Heerführer der zuständigen Provinz, in diesem Fall von Maxima Sequanorum, das Gebiet der Sequaner mit ihrer Hauptstadt Vesontio (heute Besançon), sowie das der Rauriker und der Helvetier umfassend. Im Westen ist das die spätere Franche-Comté und im Osten ein Grossteil der heutigen Schweiz. Mit einer Ost-Grenze, die sich vom westlichen Rand des Bodensee aus über den östlichen Zürichsee bis an die Grimsel hinzog.


Chef der Limitanei, die auf den Weiacher Wachttürmen standen, war somit der Dux provinciae Sequanicae, einer von zwölf Grenztruppen-Generälen (Dux limitis) im Weströmischen Reich (ab der Reichsteilung von 395).

Germanen bewachten die Grenze

Man darf annehmen, dass es sich bei diesem Dux bereits um einen Nicht-Römer gehandelt hat, also einen Barbaren, der in der Militärhierarchie aufgestiegen war. Auch die ihm unterstellten Grenzeinheiten rekrutierten sich wohl mehrheitlich aus Angehörigen von Germanenstämmen.

Professor Schwarz schliesst dies aus sogenannt «archäo(zoo)logischem Fundmaterial», das aus den militärischen Anlagen am Hochrhein-Limes stammt. Darin spiegle sich «die zunehmende,
auch in den Schriftquellen erwähnte ‚Germanisierung‘ der spätantiken Grenztruppen (limitanei), etwa durch die Anwerbung von germanischen Söldnern wider.» (Schwarz, S. 42) Diese Germanen gehörten ziemlich sicher nicht zu den Alamannen, sondern waren Angehörige anderer Stämme.

Beim Rheinauer Wachtturm wurden beispielsweise nicht nur Ausrüstungsgegenstände, Waffen und Keramik aus römischer Produktion, sondern auch Objekte gefunden, die «offensichtlich aus einem nicht-römischen, also germanischen Kontext stammen.»

Überdies habe man bei einem Wachtturm auf Gemeindegebiet von Möhlin Pferdeknochen gefunden. Das könne «für nicht-römische Ernährungsgewohnheiten der dortigen Besatzung sprechen», denn unter Germanen sei der Verzehr von Pferdefleisch nicht tabu gewesen, wie das bei den Römern der Fall war. Ob es sich bei diesen Knochen wirklich um Speiseabfälle handelt, ist allerdings noch nicht gesichert. Für weitere Nachforschungen erweist es sich als Glücksfall, dass der Wachtturm Sulz-Rheinsulz erst 1987 entdeckt worden ist, weshalb man dort auch auf Material aus Abfallgruben im Bereich der Uferböschung zurückgreifen kann. Wenn darunter auch Pferdeknochen mit Bearbeitungsspuren von Metzgerutensilien o.ä. gefunden werden, dann würde dies die Germanenthese stärken.

Geordneter Abzug nach wenigen Jahren

Die Verteidigung der Rheingrenze wurde im Winter 401/402 aufgegeben, nachdem der Heerführer Stilicho die dort stationierten Einheiten zum Kampf gegen die in Italien eingefallenen Westgoten unter Alarich abgezogen hatte.

Diese in den schriftlichen Quellen angegebene Zeitenwende zeigt sich gemäss Schwarz auch archäologisch, nämlich im «Aussetzen des Fundniederschlags an der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert, zumindest in den Wachttürmen und kleineren Anlagen». Dass dort kaum ganz erhaltene Objekte gefunden werden könnten, spreche für eine planmässig ablaufende Räumung. Einzelne Brandhorizonte legten zudem nahe, dass möglicherweise «eine gezielte Zerstörung einzelner Anlagen durch die abziehenden Besatzungen» stattgefunden habe. (Schwarz, S. 42/43)

Mit anderen Worten: diese Wachttürme (gebaut unter Valentinian in den Jahren zwischen 369 und 375) waren nur ein gutes Vierteljahrhundert in Gebrauch.

Mit Sichtfeldanalysen und Palynologie zur Turmhöhe

Der römische Historiker Ammianus Marcellinus habe in seiner Beschreibung des Hochrhein-Limes Valentinians «mit „günstigen und geeigneten Stellen“ offensichtlich Standorte» bezeichnen wollen, «welche das Kriterium „Sichtverbindung zum nächsten rheinabwärts beziehungsweise rheinaufwärts gelegenen Wachtturm“ erfüllten.», schreibt Schwarz (S. 35).

Auf die Frage, wie weit solche Stellen entlang des Rheins auseinanderliegen und wo demnach (neben den bereits entdeckten) auch noch bislang unbekannte Wachttürme stehen müssten, hat Professor Schwarz einen seiner Studenten angesetzt (vgl. Callierotti 2014):

«Sichtfeldanalysen im Aargauer Abschnitt des Hochrhein-Limes haben gezeigt, dass zwischen
4 und 8 m hohe Wachttürmen [sic!] ausreichten, um die Sichtverbindung sicherzustellen, zumal es nach den palynologischen Untersuchungen in der Spätantike kaum noch nennenswerte Waldbestände gegeben haben kann.» (Schwarz 2019 – S. 35)

Das ist nun eine sehr interessante Verbindung von geodätischen und vermessungstechnischen Methoden mit solchen der Archäobotanik, denn Palynologie ist die Wissenschaft der Pollenanalyse.

Diese Pollen, die man vor allem in Seesedimenten wie Jahrringe geschichtet finden kann, zeigen für eine bestimmte Epoche, welche Baumarten in welcher Häufigkeit vorzufinden waren. Und offenbar war das Rheinufer in der Spätantike über weite Strecken so weit abgeholzt, dass auch relativ kleine Türme ausreichten, um über das allenfalls noch vorhandene Gestrüpp hinauszuragen.

Quellen und Literatur

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