Freitag, 27. September 2024

Ungefähr 40 Imbenstöcke. Bienenhaltung Mitte des 19. Jahrhunderts

Hans Conrad Hirzel, Weiacher Pfarrer von 1843 bis 1855, hat sich um seine Gemeinde nicht nur als Seelsorger, sondern insbesondere auch im Bereich der «Hebung der landwirthschaftlichen Verhältnisse» verdient gemacht. Er hat die sogenannte Ortsbeschreibung 1850/51 über Weiach verfasst, die mit folgenden Worten endet:

«Und schliesslich hat auch die hiesige Bienenzucht noch ein Anrecht auf diese Beschreibung; denn obschon nicht sehr bedeutend, kann doch der Erfolg als ein ziemlich günstiger bezeichnet werden, wozu Lage und Umgebung das meiste wohl beitragen mögen, da das nahe Wiesenthal auf der Einen und die waldigen Anhöhen auf der andern Seite nebst dem Eichen-Hochwald reichliche Ausbeute für die geschäftigen Sammler liefern. Man zählt gegenwärtig in der Gemeinde ca. 40 Imbenstöcke von verschiedener Güte und Schwere. –

Den Bienenfleiss indess pflegt man noch mehr an Menschen-Händen zu achten und will dabei gerne des Honigseims entbehren u. man thut auch daran nicht unrecht; denn noch keiner hat es hier bereut, dem Mutterwort gefolgt zu sein: „Seid fleissig wie die Bienen“!» (Wiachiana Fontes Bd. 3, S. 52)

Hier sieht man den Lokalbezug noch deutlich, indem Hirzel den Flurnamen Wiesental explizit erwähnt. Gemeint ist das Areal der ehemaligen Wässerwiesen westlich des heutigen Verlaufs des Dorfbachs. Interessanterweise erwähnt er keine ausgedehnten Obstbaumkulturen, wie sie noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein den Ortskern umgeben haben. Deren Ertrag steigt natürlich auch an, wenn man für eine genügende Anzahl an Bienen sorgt, die ihre Tracht in unmittelbarer Nähe finden.

Imben? Honigseim? Ein sprachlicher Exkurs

Laut dem Schweizerischen Wörterbuch Idiotikon (Id. Bd. 1, Sp. 233) stehen die Worte «Imb, Imbeⁿ,​ Imbi,​ Imd,​ Imi,​ Imm,​ Immeⁿ,​ Impeⁿ» für: «1. Bienenschwarm und -stock; 2. einzelne Biene; 3. «Imbeli», Bienenragwurz, ophrys apifera». 

Im Mittelhochdeutschen Handwörterbuch von Matthias Lexer (Bd. 1, Sp. 1421) findet man den Eintrag: «imbe-banc stm. bienenstand Gr.W. 5,105.»

Im Etymologischen Wörterbuch des Deutschen (das von der Akademie der Wissenschaften der DDR angestossen wurde) kann man folgende Zusammenhänge bis zurück an die indoeuropäischen Sprachwurzeln finden:

«sämig Adj. ‘dickflüssig’. Im 19. Jh. wird nd. sēmig ‘(von flüssigen Dingen) dick und aneinander hängend’ in die Literatursprache aufgenommen. Es handelt sich um die genaue lautliche Entsprechung von (heute unüblichem) nhd. seimig Adj. ‘dickflüssig’ (18. Jh., vgl. seimichte Brühe, um 1700), einer Ableitung von Seim m. ‘dickflüssiger Saft, Honig’, ahd. seim ‘Nektar, Honig (wie er aus der Wabe fließt)’ (9. Jh.; vgl. dazu die frühe, sich nicht fortsetzende Ableitung ahd. seimīg ‘wie Nektar, wie Honig’, 11. Jh.), mhd. seim, sein, asächs. mnd. sēm, mnl. seem, nl. zeem, anord. seimr, norw. (mundartlich) seima ‘Schleimschicht, zähe Flüssigkeit’ (germ. *seima-). Verwandt sind (mit m-Formans) kymr. hufen (aus *soimeno-) ‘Rahm’ und vielleicht auch griech. há͞ima (αἷμα) ‘(flüssiges) Blut’, (mit l-Formans) mir. silid ‘tropft, fließt, läßt fließen’, lit. séilė ‘Speichel, Geifer’, (älter, mit u̯-Formans) sývas ‘Saft’. Angesetzt werden kann eine Wurzel ie. *sē(i)-, *sei- ‘tröpfeln, rinnen, feucht’, zu der auch Seife, Sieb und seihen (s. d.) gehören. – Honigseim m. ‘ungeläuterter Honig’, mhd. honecseim, -sein.» (Pfeifer et al. 1993)

Rezeptionen der Weiacher Ortsbeschreibung

Johann Michael Kohler aus Thalheim (im heutigen Landkreis Sigmaringen, Baden-Württemberg) rezipiert diese Vorlage Hirzels mit nur wenigen Modifikationen:

«In Weyach stehen etwa 40 Bienenstöcke, und es finden diese fleißigen Thierchen im blumenreichen Wiesenthal und in den bewaldeten Anhöhen eine fette Weide. Der Erfolg der Bienenhalterei wird als ein ziemlich befriedigender bezeichnet.» (Kohler 1852, S. 147)

Fast acht Jahrzehnte später hat Gottlieb Binder, ein aus Windlach stammender Lehrer, diesen Abschnitt aus der Weiacher Ortsbeschreibung so formuliert: 

«Die Bienenzucht ist nicht von Belang. Sie wird nach uralter Methode betrieben, obgleich sie durch zweckmäßige Neuerungen schöne Erträgnisse abzuwerfen vermöchte. Weiach besitzt gegenwärtig 40 Bienenvölker in Körben, die im blumenreichen Wiesental, auf den sonnigen Bergwiesen und in den nahen Wäldern Blütenstaub und Honig in Menge finden.» (Binder 1930, BDW Nr. 89, 4. November)

Binder will also wissen, dass es sich um Körbe gehandelt hat! Walter Zollinger hingegen, der die Ortsbeschreibung transkribiert hat, zitiert sie wörtlich und schreibt in seinem blauen Büchlein mit dem Rückentitel Chronik Weiach:

«Es muss, wie aus einem Bericht der Gemeinnützigen Gesellschaft des Bezirkes Dielsdorf zu ersehen ist, der Bauernschaft in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nicht allzugut ergangen sein, sondern geradezu eine gewisse Notlage bei den Kleinbauern geherrscht haben. Deshalb wohl die geschilderten Bemühungen, um durch Nebenbeschäftigungen aller Art zusätzliche Verdienstmöglichkeiten zu schaffen. Die Haltung von Bienen war ebenfalls dazu angetan, und es gab im Dorfe zu jener Zeit ungefähr «40 Imbenstöcke».» (Zollinger 1972, S. 59-60)

Imbenstöcke, Bienenstöcke, Bienenkörbe

Wir sehen hier bei jedem dieser Autoren eine begriffliche Weiterentwicklung, bei der nicht ganz ausgeschlossen ist, dass Interpretationen eingeflossen sind, die die damalige Wirklichkeit verfälschen.

Ob die Imbenstöcke so ausgesehen haben wie auf dieser Druckgraphik aus der Zeit des 30-jährigen Kriegs, die im Hintergrund zufälligerweise eine Darstellung von Eglisau zeigt, können wir nicht sagen. 


Wenn es Körbe aus geflochtenem Stroh waren, dann ist allerdings die Platzierung in Schutzunterständen oder unter dem Dachvorsprung von Bauernhäusern anzunehmen. 

Über die bereits im 18. Jahrhundert bekannten Haltungsformen und Versuche berichten Johann Georg Krünitz (1774) und Jonas de Gélieu (1796), vgl. unten.

Quellen und Literatur

  • Aliter sentit, aliter loquitur. Eglißaw im Zürcher gebiet. [Frankfurt a. M.] : [Eberhard Kieser], [ca. 1626]. Zentralbibliothek Zürich. STF II, 38 [e-rara.ch 41434]
  • Krünitz, J. G.: Das Wesentlichste der Bienen-Geschichte und Bienen-Zucht für den Naturliebhaber, Landmann und Gelehrten. Berlin 1774. [e-rara.ch 23961]
  • Gélieu, J. de: Herrn J. von Gelieu Pfarrer der Gemeinden Colombier und Auvernier in der Grafschaft Neuenburg, der Oeconomischen Gesellschaft in Bern Mitglied &c. &c. Beschreibung der Cylinderförmigen Bienenkörbe von Stroh und der hölzernen mit doppeltem Boden. Aus dem Französischen übersetzt von Johannes Rißler. Basel 1796. [e-rara.ch 114088]
  • Kohler, J. M.: Landwirthschaftliche Beschreibung der Gemeinden Dettenriedt, Höngg, Thalweil-Oberrieden, Uitikon, Wangen, Weyach, bearbeitet nach den von genannten Orten eingegangenen Ortsbeschreibungen von J. M. Kohler, Seminarlehrer, und als Beitrag zur Kenntniß des Landbaues im Kanton Zürich, herausgegeben von dem Vorstande des landwirthsch. Vereines im Kanton Zürich. Druck von H. Mahler. Zürich 1852. [e-rara.ch 30931]
  • Lexer, M.: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bde. Leipzig 1872–1878.
  • Binder, G.: Die landwirtschaftlichen Verhältnisse der Gemeinde Weiach um 1850. In: Bülach-Dielsdorfer Wochen-Zeitung, 1930, Nr. 86-89 (5 Teile).
  • Zollinger, W.: Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach. (Chronik Weiach. 1271-1971). 1. Aufl. 1972, 2., ergänzte Aufl. 1984.
  • Pfeifer, W. et al.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache.  
  • Ortsbeschreibung Weiach Anno 1850/51. Weiacher Turmkugeldokumente Teil C. Historisch-kritische Ausgabe von Ulrich Brandenberger. Wiachiana Fontes Bd. 3. Quellenedition, 2. Aufl., V2.01, Juli 2024. (Kapitel IX  Ref. C. Hirzel). [PDF, 8.90 MB]

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