Mittwoch, 30. Juli 2025

«Unbedeutende notarielle Instrumente»?

Der Archivführer der Zürcher Gemeinden (vollst. Titel s. Quellen und Literatur) ist mittlerweile bald 20 Jahre alt geworden. Er enthält selbstverständlich auch ein Kapitel über Weiach. Konkret: über drei Weiacher Archive

Es sind dies diejenigen der Evang.-ref. Kirchgemeinde (ERKGA), der Politischen Gemeinde (PGA), sowie – in letzteres integriert – der ehemaligen Armengemeinde (AGA; letztmals separat inventiert 1935, vgl. StAZH GA 157.8). Keine Erwähnung finden das Pfarrarchiv (PfA) sowie die Archive der Primarschulgemeinde (PSA) und des Ortsmuseums (OM).

Die Beschreibung der ERKGA-Bestände lautet wie folgt:

I B Verträge auf Papier

Unbedeutende notarielle Instrumente ohne ersichtlichen Zusammenhang mit der Gemeinde.

II A Akten

Verzeichnisse 1778/93 zu den Kirchenörtern in der Kirche Weiach; von der Kanzel verlesene Mandate und Erlasse 18. Jh. zu verschiedenen Regelungsbereichen.

III A Jahresrechnungen

Mehrjahres-Rechnungen 1691–1718, 1752–1797.

Die unter II A Akten erwähnten Kirchenörter beziehen sich auf die Sitzplatzrechte innerhalb der Kirche, denn früher hatte jeder seinen ihm zugeteilten Platz (vgl. WeiachBlog Nr. 233). Diese Verzeichnisse sind offenbar bedeutend genug. Und sogar Mandate und Erlasse zu wahrhaft unkirchlichen Themen wie Strassenvermessungspfählen oder dem Eisenhandel, die (wenn es nicht nur um die Obervogtei Neuamt oder gar Weiach allein gegangen ist) teils gar gedruckt wurden und auch von allen anderen Kanzeln im Zürcher Herrschaftsgebiet herab verkündet worden sind.

Vorschnelle Unbedeutenderklärung

Stirnrunzeln verursacht vor allem der Kommentar unter I B Verträge auf Papier. Woher will der Bearbeiter, der damalige Staatsarchivar Otto Sigg, denn konkret wissen, dass sie «unbedeutend» sind? In welcher Hinsicht unbedeutend? Nur weil «ohne ersichtlichen Zusammenhang mit der Gemeinde»? Gar kein Zusammenhang bezüglich Landeigentum oder Vermögenspositionen der Kirchgemeinde vorhanden? 

Immerhin handelt es sich bei 2 von 3 Positionen um auf dem Obervogteischloss Rötteln bei Kaiserstuhl von der fürstbischöflichen Kanzlei ausgestellte und damit faktisch beglaubigte Dokumente (s. unten). Irgendeinen Grund wird es ja gegeben haben, dass diese «notariellen Instrumente» in der Lade des Weyacher Stillstandes gelandet sind, oder?

Ein Blick in die Archivverzeichnisse

Nun gibt es über die kommunalen Archive auch separate Inventare. Die Abteilung I wird seit jeher unter dem Titel «Urkunden» geführt.

1896

Das älteste Inventar über das ERKGA Weiach wurde 1896 durch die Kirchenpflege handschriftlich erstellt und durch J. Nauer, Präsident sowie Heinrich Griesser (mutmasslich der Aktuar) unterzeichnet (Signatur des Exemplars im Staatsarchiv: StAZH GA 157.3). Urkunden gab es damals nach Auffassung dieser beiden Herren nicht. Sie notierten lediglich den Vermerk «keine».

1925

Das Verzeichnis von Eugen Brenneis aus dem Jahre 1925 wurde erst 10 Jahre später durch das Staatsarchiv abgetippt: ins Dokument mit der Signatur: StAZH GA 157.9. Unter I. Urkunden; B. Besiegelte Verträge auf Papier sind jetzt plötzlich drei Positionen vermerkt:

I.B.1  Kaufbrief über 4 1/4 Vierling Reben  1 Stück  1677

I.B.2  Kaufbrief d.d. 1697 (Originalauszug v. 15. Mai 1761)  1 Stück

I.B.3  Zugschein f. Hans Jakob Brunner von Weiach  1 Stück  1761

Mag sein, dass Nauer und Griesser 1896 diese Unterlagen zwischen anderen Aktenbündeln gar nicht als Urkunden erkannt haben, möglicherweise, weil sie Kaufbriefe nicht unter der Kategorie «besiegelt». subsumierten. Ob das Original Brenneis handschriftlich erstellt wurde, wäre anhand des Exemplars im ERKGA zu klären. 

1935

Das nächste Verzeichnis von Paul Roesler, Rorbas aus dem Jahre 1935 (StAZH GA 157.10) – im Original maschinengeschrieben – bringt nun einige Änderungen in der Beschreibung dieser Dokumente (die neu offiziell als I.B. Urkunden auf Papier bezeichnet werden):

I.B.1  Franz Ernst Zwyer von Eurbach, Obervogt der Stadt Kaiserstuhl und Herrschaft Röttelen besiegelt einen Kaufbrief zwischen Hans Griesser und Conrad Meyer, beide von Weyach.

O.S. gut erhalten  [O.S. steht wohl für «Originalsiegel»]

1 Stück; 1677 März 5

Hier kommen nun Fragen auf. War diese Urkunde 1896 noch nicht Teil des Kirchgemeindearchivs? Und wenn ja, weshalb landet sie dann bis 1925 dort? 

Zu den Angaben Roeslers ist anzumerken, dass er sich verlesen haben muss, denn der genannte Siegler heisst korrekt Franz Ernst Zwyer von Evebach. Er war der dritte Amtsinhaber in Folge aus dieser Urner Adelsfamilie, die ursprünglich aus Silenen stammte.

I.B.2  Kaufbriefe zwischen Heinrich Hertzog und Hans Meyer, beide von Weiach (copiert 1761 in Röttelen)

2 Stück; 1692 Juli 8

Bei dieser zweiten Position fällt auf, dass einerseits die Jahrzahl des Originals hier um fünf Jahre zurückverschoben ist, neu 1692 statt wie bisher 1697, was die Frage aufwirft, wer sich da verlesen hat. Und andererseits ist festzustellen, dass aus einem Stück hier zwei Stücke geworden sind.

I.B.3  Zugbrief für Hans Jakob Brunner, Goldschmid in Zürich, auf Ulrich Neff

1 Stück; 1761

Auch bei der dritten Urkundenposition dieser Unterabteilung ergeben sich Fragen, die wiederum nur durch Einsicht in den Mikrofilm (StAZH TAI 1.397) oder in die Originale im ERKGA zu klären sind. Eine davon: War dieser Brunner tatsächlich ein Weiacher Bürger? Oder ist damit eigentlich Ulrich Neff (Näf) gemeint? Letzterer Familienname ist in Weiach als altverbürgert (vor 1800) bekannt.

2007

Das nächste erhaltene Archivverzeichnis ist dann erst Jahrzehnte später entstanden, erstellt durch die Tösstaler Firma Wickihalder Archivservice, 8487 Zell und datiert auf 18. Dezember 2007. Das Weiacher Exemplar trägt die Signatur: ERKGA Weiach IV.B.8.2, das des Staatsarchivs: StAZH GA 157.12.

Es sieht nicht so aus, als ob die Bearbeiter sich die Dokumente in der Unterabteilung I.B (nun als I. Urkunden, B. Verträge auf Papier bezeichnet) genauer unter die Lupe genommen hätten. Sie haben wohl lediglich das Vorhandensein festgestellt und dann bei Roesler abgeschrieben. Allerdings nicht ganz exakt. Wo Roesler bei I.B.2 korrekt «in Röttelen» schreibt, da steht bei Wickihalder verschrieben «im Röttelen».

Quellen und Literatur

  • StAZH GA 157: Verzeichnisse der Weiacher Gemeindearchive im Staatsarchiv des Kantons Zürich (aktuell total 18 Dossiers).
  • Mikrofilme der Weiacher Archivbestände vor 1798:  StAZH TAI 1.397 AGA Weiach; StAZH TAI 1.397 ERKGA Weiach  Bis II A (1752/1753/1754); StAZH TAI 1.398 ERKGA Weiach  Ab II A (1755/1756/1757); StAZH TAI 1.397 PGA Weiach; StAZH TAI 1.369 OM Weiach.
  • Sigg, O.: Archivführer der Zürcher Gemeinden und Kirchgemeinden sowie der städtischen Vororte vor 1798. Zeugnisse zürcherischer Gemeinde-, Verwaltungs- und Rechtskultur im agrarischen und kirchlichen Zeitalter. Hrsg.: Staatsarchiv des Kantons Zürich. Zürich 2006. Website: zuerich-geschichte.info.
  • Brandenberger, U.: Besitzerzertifikat für den Sitzplatz in der Kirche. WeiachBlog Nr. 233, 25. Juni 2006.

Keine Kommentare: