Als der Weiacher Claus Graf ermordet wurde, mussten seine Brüder Hans und Werner einen Anwalt nehmen und vor Gericht auf Leib und Leben des Mörders Hans Meyer klagen. Da es sich um ein Kapitalverbrechen handelte, war letztlich die hohe Obrigkeit zuständig - mithin der Kleine Rat der Stadt Zürich (und nicht der Fürstbischof von Konstanz als Niedergerichtsherr).
Mit einer Verhandlung war es nicht getan. Es bedurfte dreier Anlässe. Alle fanden vor einem Landtag in der Öffentlichkeit statt, einmal in Kaiserstuhl (wahrscheinlich auf der Fluh wo heute das Gemeindehaus steht), einmal in Oberglatt im Neuamt auf offener Landstrasse. Unklar ist, wo die dritte Verhandlung durchgeführt wurde.
In Abwesenheit zum Tode verurteilt
Heute vor genau 500 Jahren, «am menttag vor santt Phylip und sant Jacobs, der heligen Zwoelff Potten tag», also am Montag, 29. April 1510, erging in Oberglatt das Urteil. Hans Meyer wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt.
Im Katalog des Staatarchivs des Kantons Zürich ist die Urkunde mit der Signatur C I Nr. 2978 wie folgt erfasst:
«Titel: Hans Bärger, des Rats zu Zürich und Vogt im Nüwen Ampt, urkundet, dass an dem von ihm zu Oberglatt abgehaltenen Landtage das Gericht auf Klage der Brüder Hans und Wernly Graff von Wygach, dass Hans Meyer von da, der ihren Bruder Claus Graff ermordet habe, nach mehrmaligem Ausbleiben des Angeklagten erkannt habe, derselbe sei als Mörder zu verrufen, sein Vermögen als den Herren von Zürich verfallen zu erklären und den Verwandten des Ermordeten zu gestatten, den Mörder, wenn sie ihn an einem Orte treffen, wo ihnen keine obrigkeitliche Hilfe zu Gebote stehe, selbst vom Leben zum Tode zu bringen. Der Vogt siegelt.
Inhalt und Form: 29. April 1510, an mentag vor st. Philip und st. Jacobs tag. - Original, Pergament. - Siegel hängt.
Entstehungszeitraum: 29.04.1510»
Für den vollen Wortlaut samt Kommentaren siehe den Artikel Weiacher Geschichte(n) Nr. 48: Spätmittelalterliche Blutrache, obrigkeitlich kanalisiert.
Mit der Faust zugeschlagen? Nein, zugestochen
Warum es nicht um die unbeabsichtigten Folgen einer Prügelei - heute würde man das «Totschlag» nennen - ging, sondern um ein absichtlich begangenes Verbrechen, das erläutert nicht nur die Urkunde selber sondern auch eine Fundstelle in der Zeitschrift für deutsche Wortforschung (1902, S. 61), bzw. einem Fachartikel mit dem Titel «Die neuhochdeutschen adverbia auf -lings»:
«Aus dem Jahre 1510 wird aus Diener, OGl. ein Beispiel angeführt: "Mortlichen mit einem heimlichen bymesser füstlingen erstochen, dass biderb lüt, die daby gewesen sind, nit anders wyssend, denn er hett in nit mer denn trochenlich mit der fust geschlagen", ferner: "Ihre Gwör über die Achseln oder füstlingen in der Hand getragen".» (Zeitschrift für deutsche Wortforschung. Hrsg.: Friedrich Kluge, Werner Betz. 1902 - S. 61).
Dass es sich um unseren Fall handelt, wird zwar nicht explizit erwähnt, der sehr ähnliche Wortlaut und die Jahresangabe lassen uns dies aber fast sicher annehmen. Im Original liest sich die Passage nämlich wie folgt:
Claus Graff sei von Hanss Meyer «mortlichen mit eim heimlichen bymesser fústlingen erstochen und von dem laeben zu dem thod brächt hab, das biderb lút, die da by gewesen sind, nit anders wustend, denn er hetty jnn nit mer denn trochenlich mit der fust geschlagen» (Anmerkung: ú entspricht ü. Für den Text vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 48 und SSRQ, Bd. Neuamt)
Dieselbe Passage findet sich im Schweizerischen Idiotikon, dem Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache in Heft XLVII a auf Seite 1126.
Ein Bymesser ist eine gefährliche Waffe
Das Zuschlagen mit der Faust wäre sicher nicht als «mortlich», d.h. auf eine mörderische Weise, bezeichnet worden, wäre da nicht ein versteckter scharfer Gegenstand im Spiel gewesen. Was unter einem «bymesser» zu verstehen ist, erläutert indirekt das Grimm'sche Wörterbuch:
«BEIMESSER, n. culter appendens: ein beimesser, das wol schneidet, auf das du könnest die schindlen schnetzlen nach deinem begeren. WÜRTZ practica 214. (Deutsches Wörterbuch 1854, Bd. 1, Sp. 1380ff)».
Wie so ein Bymesser ausgesehen hat? Scharf war es sicher. Ein Dolch ist es aber nicht. Diesem jedoch sehr ähnlich, denn die Strafandrohung für einen damit begangenen Mord war dieselbe wie bei einem Dolch.
Quellen
- Zeitschrift für deutsche Wortforschung (Hrsg.: Friedrich Kluge, Werner Betz) 1902, S. 61.
- Baumgartner, Reifferscheid, Reichel: Die neuhochdeutschen adverbia auf -lings ... Verlag Karl J. Trübner, 1902.
- Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Zweiter Teil. Rechte der Landschaft. Erster Band. Das Neuamt. Aarau 1996. Nr. 10 Landtag über einen abwesenden Mörder. Original: StaZH C I Nr. 2978
- Brandenberger, U.: Spätmittelalterliche Blutrache, obrigkeitlich kanalisiert. Wiacher ersticht Wiacher – In Abwesenheit als Mörder zum Tode verurteilt. Weiacher Geschichte(n) 48. Erstmals publiziert in: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, November 2003 – S. 15-16.
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