Sonntag, 5. September 2021

Dreihundert Jahre Weiacher Schulhäuser

Dieses Wochenende ist es 45 Jahre her seit der feierlichen Einweihung der erweiterten Schulanlage Hofwies. Und gleichzeitig sind es dreihundert Jahre seit der ältesten bislang bekannten direkten Erwähnung eines Weiacher Schulhauses. Die verdanken wir einem damaligen Pendant zu den Corona-Massnahmen.

In diesen 300 Jahren gab es in Weiach mindestens fünf verschiedene Schulhäuser. Je nach Interpretation der uns vorliegenden spärlichen Informationen sind es auch mehr.

Juni 1721: Ältestes bekanntes Schulhaus. Standort unbekannt

Als Massnahme gegen die Einschleppung der marsilianischen Pest (vgl. WeiachBlog Nr. 1606), von der man glaubte, sie verbreite sich durch (aus der Levante via Marseille) importierte Textilien, wurde im Winter 1720 zwischen Kaiserstuhl und Weiach ein Holzschopf errichtet. In diesem von Soldaten bewachten «Erlufftungshauss» wurden die zu importierenden Produkte einer Quarantäne unterzogen, auf grossen Gestellen gelüftet und regelmässig gewendet.

Am 19. Juni beschloss der Sanitätsrat der Stadt Zürich, das «Erlufftungshauss» solle innert sechs Tagen abgebrochen und «geschlissen» werden. Nach weniger als sieben Monaten stellte man Ende Juni 1721 den Betrieb ein: 

«(D)as abgebrochene Holz, und andres wurd so gut müglich darvon verkauffet, die Fenster aber darvon dem Schullhauss zu Weyach sind verehrt worden, und biss ultimo Junii ward alles evacuiret und die verordnete Leuthe alle, unter gehaltener Erlufftungszeit, wider dimmitieret worden.» (zit. n. Rüesch 1979)

Den Bau des Quarantänegebäudes und sein Schicksal konnte man nicht voraussehen. Es darf daher angenommen werden, dass dieses Weiacher Schulhaus bereits im 17. Jahrhundert existiert hat, dass die bestehenden Fenster zumindest teilweise schadhaft waren und darum ein Ersatz gelegen kam. 

Da half es natürlich, dass der Weiacher Pfarrer Hans Rudolf Wolf (gest. 1747), der mit der Koordination des Betriebs des «Erlufftungshauses» beauftragt war, gleichzeitig auch für das Weiacher Schulwesen verantwortlich zeichnete. Und der Staat die Fenster der nun nicht mehr benötigten Baracke den Weiachern spendierte.

April 1758: In schlechtem Zustand

Die Kurzregesten zum ältesten erhaltenen Stillstandsaktenbuch (geführt von Pfr. Hartmann Escher), erstellt von Pfr. Ernst Wipf, verzeichnen unter dem 2. April 1758: «liederlicher Stand des Schulhauses besprochen, aber nichts getan!» [zitiert nach dem Schulheft Nr. IV «Stillstands-Notizen»].

Zu diesem Zeitpunkt war der langjährige und sehr einflussreiche Untervogt Hans Jakob Bersinger (gest. 1761) noch im Amt. Für die öffentliche Infrastruktur wollte er nur das Allernötigste investieren, was Pfr. Escher gegen den Strich ging. Bersingers Ansicht setzte sich aber in der Regel durch. So wahrscheinlich auch in dieser Angelegenheit.

Bis 1765: Schulstube in einem Bauernhaus 

Am 2. Juni 1765 wurde durch den Stillstand (wieder gemäss oben erwähnten Kurzregesten) «Verkauf des Schulhauses und Bau einer Schulstube beim Pfarrhof» beschlossen. 

Felix Baumgartner, derjenige Weiacher Schulmeister, der während der Besatzungszeit 1799/1800 im Amt war, ist zu diesem Zeitpunkt rund 10-jährig gewesen und ging wohl in Weiach zur Schule. Er hat die Frage IV.15.a («Schulhaus: Dessen Zustand, neu oder baufällig») der sog. Stapfer-Enquête, der Schulumfrage der Helvetischen Republik von 1799, wie folgt beantwortet: 

«Vor ohngefähr 35 Jahren, war ein Solches, und Zwar eine ganze behausung, mit Scheür, u. Stahl, vor dieses erhielt nun kein Schulmeistr irgend eine Schadloshaltung.»

Hätte das Gebäude dem Schulmeister oder einer anderen Privatperson gehört, dann wären Entschädigungen fällig gewesen. Da es sich aber um ein quasi öffentliches Gebäude handelte (wie Baumgartner nahelegt, ein Bauernhaus im Gemeindeeigentum), war dies nicht der Fall.

Baumgartners Angabe und der Eintrag im Stillstandsaktenbuch passen fast perfekt zusammen!

Es ist zwar nicht sicher, dass dieses Schulhaus von 1765 mit dem von 1721 identisch sei. Man darf das aber annehmen. Denn ohne Not und Druck von oben bauen die Weiacher kein Schulhaus (vgl. die Auseinandersetzungen um das Bauprojekt «Balance» im Jahr 2020). Da reichen (wie 1721) auch ein paar neuwertige Fenster für das bestehende Gebäude.

März 1766: Gemeindebeschluss für neues Schulhaus

Unter dem 18. März 1766 wird im Stillstandsaktenbuch (wieder gemäss Kurzregesten) notiert:
«Gemeindebeschluss, anstelle d. alten Schulhauses eine Schulstube z. bauen, 1 Gemach». [zitiert nach den Schulheften Zollingers: Nr. I, S. 13, bzw. Nr. IV, S. 9]

Der Beschluss, den man Monate zuvor im Stillstand gefasst hatte, wurde nun also offiziell bestätigt. Damit war der Weg frei für eine neue Schulstube. Und es darf angenommen werden, dass dieses Schulhäuschen (anders kann man das wohl nicht nennen) dort errichtet wurde, wo heute das Alte Gemeindehaus steht, nämlich angelehnt an die südwestliche Friedhofsmauer. Viele andere Bauplätze gab es nämlich in der Nähe des Pfarrhofes auch damals nicht. Denn: wer gibt schon freiwillig seinen mitten im Dorf gelegenen Krautgarten oder Hausplatz her.

1771/72: Das neue Schulhaus steht

In der Zürcher Schulumfrage 1771/1772 antwortete der damalige Weiacher Pfarrer Johann Heinrich Wiser (Nachfolger von Pfr. Escher) auf die erste Frage Aa1: «Wie viele Schulen sind in der Gemeinde? und wo?» für Wyach wie folgt:


«In der gemeind ist nur eine schul, in einem eigens dazu gewidmeten gebau, allwo sonst niemand wohnet.» (StAZH E I 21.9.16)

Dass der Umstand, es wohne sonst niemand in diesem Gebäude, speziell erwähnt wird, deutet darauf hin, dass sonst (aus praktischen Gründen) eher anderes üblich war – zumindest nach Ansicht von Pfr. Wiser, der von 1755 bis 1769 Pfarrer von Basadingen (nahe Diessenhofen) im Thurgau war.

1799, zur Zeit der Stapfer-Enquête

Den Schulmeister Felix Baumgartner, seit 1781 im Amt, haben wir oben (Abschnitt Bis 1765...) schon kennengelernt. Er hat die von Minister Stapfer iniitierte Umfrage für Weyach ausgefüllt.

Zu Frage IV.15.b «Oder ist nur eine Schulstube da? In welchem Gebäude?» antwortete er: «ja gerade beym Pfarhauß.»

Damit ist klar, dass Baumgartner die Antwort noch vor dem Brand des Schulhäuschens verfasst und eingereicht hat. Die (mutmasslich französischen) Besatzungstruppen nutzten die Schulstube wohl als Wachtlokal, welches in unmittelbarer Nähe zum Pfarrhaus (dem besten Quartier im Ort und damit Standort des obersten Kommandanten) ideal gelegen war. Wann sich der Brand ereignet hat (1799 oder 1800), ist noch nicht geklärt (vgl. WeiachBlog Nr. 1441).

1802: Wiederaufbau des Schulhauses

Noch in der Zeit der Helvetischen Republik wurde das Schulhaus wiederaufgebaut. Man muss annehmen, dass es am selben Standort stand wie sein abgebrannter Vorgänger. Nach unserer aktuellen Zählung wäre dies dann das dritte Weiacher Schulhaus.

Den Grundriss und die genaue Lage dieses Gebäudes findet man auf einem kolorierten Plan des Kirchenbezirks von 1838 (StAZH PLAN R 1190).

Dass dieses Schulhaus möglicherweise kriegsbedingt in ziemlich bescheidener Qualität gebaut wurde, kann man daran ablesen, dass es bereits 1856 als zu baufällig angesehen und durch das heutige Alte Gemeindehaus ersetzt wurde.

1836: Altes Schulhaus Hofwies

Nun kommen wir bereits in die Zeit, aus der uns bauliche Zeugen der Edukationsarchitektur noch physisch begehbar vor Augen stehen. Das alte Schulhaus an der Friedhofmauer genügte den Anforderungen an die neuen Schulgesetze der liberal-radikalen Regierung nicht mehr und so wurde im Herbst 1833 beschlossen, ein neues Schulhaus zu bauen. 

Ganz geräuschlos ging dieses Bauvorhaben allerdings nicht über die Bühne, denn es fiel in die Zeit des sog. «Stadlerhandels», der sich primär um ideologische Fragen rund um die Schulbildung drehte. So beschlossen die Weiacher Ende November 1833 vorerst, den Schulhausbau zu verweigern (vgl. WeiachBlog Nr. 1536).

Im Spätherbst 1836 stand das «neue Schulhaus mit 2 Schulstuben & 2 Lehrerwohnungen, & gewölbtem Keller» auf der Hofwiese dann allerdings trotzdem, was selbst den Schulreformer Ignaz Thomas Scherr zu einem Lob veranlasste.

Man ging also wieder den Weg zum bewohnten Modell, wo der (bzw. nun die) Lehrer im Schulhaus wohnte. Das hatte im Winter den Vorteil, dass die Temperierung des Gebäudes auch in dessen eigenem Interesse lag und es günstiger kam, die Schulstube mitzuheizen, als wenn das Schulhaus (besonders am Wochenende) leer stand.

Diesen Umstand nutzte auch die Kirchgemeinde weidlich, indem sie (mutmasslich bis 1888) bei zu grosser Kälte den Gottesdienst ins Schulhaus verlegte (vgl. WeiachBlog Nr. 1720).

1976: Neues Schulhaus Hofwies

Damit kommen wir zu Schulhaus Nr. 5. Spätestens ab der Mitte der 1950er-Jahren hatte man Pläne für eine Turnhalle gewälzt (vgl. WeiachBlog Nr. 217). In den 1970ern wurde es dann langsam konkret, wenn auch nur dadurch, dass die Schulpflege aktiv auf Fundraising-Tour ging und mittels attraktiver Zinsen auch wohlhabende Weiacher dazu bewegen konnte, der Schulgemeinde Kapital langfristig auszuleihen.

So kam es von 1974 bis 1976 zum Bau der heute noch bestehenden Anlage mit Turnhalle (samt Hallenschwimmbad im Rohbau), Zivilschutzräumen unter dem grossen Pausenplatz und dem neuen Schulhaus in Richtung Sagibachtal/Chälen. In diese Neubauten wurde das Schulhaus von 1836 organisch eingebunden und zum Standort für die Gemeinde- und Schulbibliothek Weiach (im ehemaligen unteren Schulzimmer Seite Stadlerstrasse, das der Autor dieses Beitrags selber noch als Schüler erlebt hat).

Quellen
  • Zürcher Schulumfrage 1771/72  [Umfrage ging an die jeweiligen Pfarrer: http://www.archives-quickaccess.ch/search/stazh/suzh; d.h. für Weiach Joh. Heinrich Wiser, seit 2 Jahren im Amt]. Siehe Link zu Volltext und Abbildung Original.
  • Schulhefte zur Weiacher Geschichte (undatiert): Heft «Weiach Zgr. I» (Aussensigel). Innentitel «Notizen zur "Geschichte des Unterländer Dorfes Weiach"» – S. 13 sowie Heft IV «Stillstands-Notizen» – S. 9 [Archiv des Ortsmuseums Weiach].
  • Primarschulpflege Weiach (Hrsg.): Einweihung der neuen Schulanlage Hofwies Weiach. Freitag/Samstag/Sonntag, 3./4./5. September 1976.
  • Ruesch, H.: Das «Erlufftungshaus» in Weiach (1720/21). Eine Studie zur Geschichte der obrigkeitlichen Pestprophylaxe im alten Zürich. In: Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 1980, Zürich 1979 – S. 123-136.
  • Brandenberger, U.: Europäisches Handelshemmnis und lokale Einnahmequelle. Das «Erlufftungshaus» von 1720/21 (Teil 2). Weiacher Geschichte(n) 10. Gesamtausgabe S. 15. Erstmals erschienen in: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, September 2000 – S. 13-14.
  • Schmidt, H.R.; Messerli, A.; Osterwalder, F.; Tröhler, D. (Hrsg.): Die Stapfer-Enquête. Edition der helvetischen Schulumfrage von 1799, Bern 2015 – Nr. 629 Weiach.

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