Freitag, 1. August 2025

Für die Grenzbesetzung 1588 musste Wyach keine Soldaten stellen

Am heutigen Nationalfeiertag ist es angebracht, darüber nachzudenken, weshalb unser Bundesstaat sich selber «Schweizerische Eidgenossenschaft» nennt. Wäre es bei den Bündnissen der heutigen Urkantone aus dem Ende des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts geblieben, dann hätte dieses Modell der Zusammenarbeit wohl nicht so lange überlebt. Dass wir heute auf eine lange zurückreichende Tradition der Verteidigung gemeinsamer Interessen zurückblicken können, hat mit der Weiterentwicklung dieser Bündnisbriefe und Übereinkommen zu tun.

Was sind Defensionale?

Im 16. Jahrhundert nahmen die gegenseitigen Unterstützungszusagen die Form der sogenannten Defensionalordnungen an. Benoît de Montmollin erklärt im Historischen Lexikon der Schweiz, was man darunter versteht:

«Vertragliche Vereinbarungen, die der Landesverteidigung der Eidgenossenschaft dienten, wurden in der zweiten Hälfte des 16. und im 17. Jahrhundert generell als Defensionale bezeichnet. Die Defensionalordnungen ergänzten die überholten Bestimmungen des spätmittelalterlichen Bundes und umfassten die Vertragswerke, welche die eidgenössischen Orte zur gegenseitigen Hilfe verpflichteten. Sie spielten in der Geschichte des eidgenössischen Militärwesens und für die Neutralität eine bedeutende Rolle. Die ersten Defensionalordnungen wurden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zwischen den reformierten Orten vereinbart, um die Gegenreformation abzuwehren.»

Durch religiöse Differenzen motivierte Separatbündnisse

Bei diesen Orten handelt es sich um Zürich, Basel, Bern und Schaffhausen, die sich 1572 gegenseitig absicherten, dazu kam 1584 eine Vereinbarung mit der calvinistischen Stadt Genf, die sehr exponiert war (denn die Berner und Walliser mussten das 1536 eroberte Chablais wenige Jahre zuvor den Savoyern wieder zurückgeben). Die katholischen Orte hielten u.a. mit dem sog. Goldenen Bund von 1586 dagegen (vgl. WeiachBlog Nr. 1465). Also eine innerhalb der Eidgenossenschaft mit viel Zündstoff und Kriegsgefahr geladene Situation.

Im Westen knallt es heftig

In Frankreich war diese religiös aufgeladene Konfliktsituation noch um einiges explosiver. Dort ging es letztlich um die Frage der Thronfolge. Darf ein Protestant französischer König sein? Die beiden Seiten scheuten nicht vor militärischer Gewalt, Mord und Totschlag zurück, ein veritabler Bürgerkrieg, der von Mitte der 1570er begonnen hatte und unter Einmischung ausländischer Akteure besonders 1585 bis 1588 hin und her wogte (Details vgl. den entsprechenden Abschnitt im Wikipedia-Artikel über Heinrich III.).

Im Jahre 1587 liess der Zürcher Rat zu, dass ein Truppenkontingent (und mit ihnen ein ehemaliger Weiacher Pfarrer als Feldprediger) in die Champagne zog, um mitten in Frankreich den protestantischen Heinrich von Navarra gegen die katholische Liga (angeführt von den Herzögen von Guise und Lothringen) zu unterstützen. Diese bei uns als «Tampiskrieg» bezeichnete Expedition endete wenig ruhmreich, auch der genannte Feldprediger starb in fremden Landen.

Will die katholische Liga in reformierte Gebiete einfallen?

Nach den blutigen Gefechten im November 1587 mussten Bern und Basel befürchten, dass die Truppen der Katholischen Liga ihr Gebiet nicht unbedingt pfleglich behandeln würde, sollte der Fall eintreten, dass diese dort mit bewaffneter Macht einmarschierten. 

Sie beantragten daher Unterstützung bei ihren Zürcher Bündnispartnern. Und die stellten über Weihnachten und Neujahr ein Kontingent zusammen, um im Notfall sofort zu Hilfe eilen zu können. Die Handschrift StAZH A 231, Nr. 3, welche die personellen Vorbereitungen festhält, ist heute (wieder) im Staatsarchiv des Kantons Zürich und wurde unlängst in der Reihe Quellen zur Zürcher Geschichte (QZH) digital ediert:

Vorgesehen waren in diesem am 6. Januar 1588 festgeschriebenen Aufgebotsplan zwei Einheiten (geführt von je einem Hauptmann) mit total 500 Bewaffneten aus allen Gegenden des Zürcher Herrschaftsbereichs.

Eine präventive Massnahme, sollte es im Verlauf des Jahres im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen dem französischen Herrscher Heinrich III. und seinen Gegnern aus dem Raum Lothringen (insbesondere den Herzögen von Guise) zur drohenden Invasion kommen.

Bei Hofe hatte die Medici-Connection das Sagen

Heinrich III., ein Sohn der Katharina von Medici, war übrigens eine höchst umstrittene Figur. Der – wie sich nach seinem gewaltsamen Ableben im August 1589 herausstellen sollte – letzte König aus dem Hause Valois war ein Muttersöhnchen erster Güte. Er hat die Staatsgeschäfte (insbesondere die knallharten Verhandlungen mit Heinrich von Navarra) seiner Mama überlassen und sich stattdessen lieber in Festivitäten mit seinen Günstlingen, den unpopulären Mignons, ergangen. «Dabei soll er gern Frauenkleider getragen haben, mit Perlenhalsbändern und Halskrausen nach Damenart.» (vgl. Wikipedia). Es war wohl allen Zeitgenossen klar, wer da am Hofe wirklich die Hosen anhatte.

Das Neuamt musste dreizehn Mann auf Pikett stellen

Im Regest zum edierten Dokument beschreibt der Bearbeiter (mutm. Hannes Schmid) wie die Unterstützung der Berner und Basler im Ernstfall abgelaufen wäre: 

«Bei der nächsten Bündnismahnung ("pundtsmanung") soll ein Hauptmann mit dem einen Fähnlein nach Bern und ein anderer Hauptmann mit dem anderen Fähnlein nach Basel abkommandiert werden, und zwar noch am Tag oder in der Nacht nach Eintreffen des Rufes um Beistand. Die Hauptleute und Soldaten werden von Name zu Name schriftlich festgehalten. Die Mobilisierung bleibt bestehen und Abgänge von einzelnen Soldaten des Auszugs sollen ersetzt werden, solange mit dem Ruf nach Beistand seitens der beiden eidgenössischen Orte gerechnet werden muss.»

Auf fol. 10r ist notiert, aus welchen Ortschaften der Obervogtei Neuamt die Soldaten des Pikettkontingents stammten:

Nüw Ampt gibt xiij man

[1] Junghanns Kofel zů Stadel, [2] Růdli Vogler zů Oberhaßlen, [3] Hanns Schmid zů Oberhöri,

jeder ein Büchs

[4] Ludwig Bertschi, Müllers Sohn, zů Hofstetten, [5] Felix Marteler zů Oberhaßlen, [6] Anthoni Frölich zů Hochfelden,

jeder ein harnast und ein spieß

[7] Andreas Gaßman, [8] Heini Maag, beid zů Oberglatt, [9] Hanns Ůli Mor zů Nöschicken, [10] Andres Volkhart zů Oberhöri, [11] Felix Meyer zů Willen, [12] Michel Hußer zů Stadell,

jeder ein spieß

[13] Heini Mathyß zů Adlicken, [bei Regensdorf]

ein harnast und ein Halbarten

Hinter den Namen ist im Original jeweils die Ausrüstung notiert. Nur drei von dreizehn hatten eine Schusswaffe. Die anderen waren lediglich mit Spiessen oder Hellebarden bewaffnet. Und längst nicht jeder verfügte über eine Schutzausrüstung in Form eines harnast. Damit ist der aus Metallplatten gefertigte Brustpanzer gemeint. 

Das geflügelte Wort von der geharnischten Reaktion ist bis heute geläufig. Umso mehr war es das in der damaligen Zeit. Der Harnisch war sozusagen das Symbol der Wehrbereitschaft. Und sogar für die Tierwelt wurde das Wort verwendet, so bezeichnete man 1563 die damals noch in vielen Bächen lebenden Krebse als «geharnescht fisch» (Id. II, 1613).

Stellt sich noch die Frage: Wo ist Willen? Die toponomastische Anlaufstelle Nr. 1, Ortsnamen.ch, hilft auch hier weiter: Der Willenhof ist ein Weiler, der zur Gemeinde Hochfelden gehört, gelegen nahe der Glatt zwischen Hochfelden und Niederhöri.

Die Wyacher hatten Glück, die anderen Neuämtler auch

Der Kommentar zum edierten Dokument erläutert auch, weshalb wir davon ausgehen dürfen, dass in diesem Fall kein Weiacher aufgeboten wurde:

«Auch wenn nicht alle Gemeinden der Zürcher Landschaft Erwähnung finden, darf das Defensionale doch als vollständig gelten, da mit der Aufstellung das im Text definierte Soll von 500 Soldaten erreicht wurde. Es ist vor diesem Hintergrund davon auszugehen, dass diejenigen Gemeinden, die im Defensionale keine Erwähnung finden, bei diesem Auszug keine Männer zu stellen hatten.»

Da sich die Auseinandersetzungen zwischen den Kriegsparteien in der Folge auf die Hauptstadt Paris konzentriert haben, dürften auch die obgenannten dreizehn Neuämtler nicht eingezogen worden sein.

Und was lernen wir Heutigen daraus? Vigilantia pretium libertatis. Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit! Politisch wie militärisch.

Quelle und Literatur

  • StAZH A 231, Nr. 3 vom 6. Januar 1588; Digitale Edition: QZH, Nr. 87
  • de Montmollin, B.: Defensionalordnungen. Version vom 22.03.2005. In: Historisches Lexikon der Schweiz, e-HLS.
  • Brandenberger, U.: Der Goldene Bund. Ursache für die Pfarrhausbefestigung? WeiachBlog Nr. 1465, 14. Januar 2020.

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